Wenn Augenringe sprechen könnten

Er hat wieder zugeschlagen, Dr. Sascha Dunst, der Schönheitschirurg, dem die Journalisten vertrauen. Er ist stets zur Stelle, wenn ein Medium die Schönsten in Politik, Wirtschaft und Showbiz bestimmen zu müssen meint. Vermutlich ist es aber umgekehrt und Sascha Dunst wirft sich jedem an die Brust, der an seinen sanft geschwungenen Lippen hängen mag, wenn er seiner kommunikativen Notdurft nachgibt und ein neues Ranking erstellt. Vergangenen Juni liess er uns wissen, wer die schönsten Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind, im September rannte er mit einer Liste der attraktivsten Showgrössen zum Sendegefäss «Glanz und Gloria», im Januar waren die Topmanager dran, denn auch die «Berufung zum Topmanager» gehe immer öfter mit einer Tendenz zum «Straffen, Spritzen und Absaugen» einher. Und letzte Woche nun verlinkte die PR-Agentur unseres liebsten Frauenverstehers Klaus J. Stöhlker Dr. Sascha Dunsts Liste mit den sexiesten Topmanagerinnen der Schweiz.
Dieses Ranking wollen wir uns nun ein bisschen genauer ansehen, zumal er damit prahlt, nicht nur «mit dem Auge des Schönheitschirurgen» hinzusehen, sondern gar «wissenschaftliche Kriterien» anzuwenden. Tatsächlich aber radebrecht sich Dr. Sascha Dunst durch diese «Analysen», dass sich die semantischen Balken biegen.
Sein Auswahlverfahren, so informiert uns Herr Dunst, sei anhand eindeutiger Kriterien wie Symmetrie, Teint, Form der Lippen und Wangenknochen, Augenbrauen und Gesamtwirkung erfolgt. Das tönt dann etwa so: «Rebecca Guntern sieht blendend aus und verleiht der Generika-Division von Novartis ein junges, dynamisches und attraktives Gesicht.» So weit, so wissenschaftlich. Dieses Gesicht, geprägt von wesentlichen Schönheitsmerkmalen wie «weiter Augenabstand, volle Lippen, dunkle und schmale Augenbrauen» verleihe ihr «Attribute wie Vertrauen, Gesundheit und Dynamik». Dazu hat sie nicht nur «gute Gene, sondern weiss sich auch optisch gut in Szene zu setzen». Ich bin sicher, der grosse Augenabstand war eine von Frau Gunterns Hauptmotivationen, sich mit Generika zu beschäftigen.
Die zweitplatzierte Beatrice Weder di Mauro «verleiht Themen wie Globalisierung und Volkswirtschaft einen Hauch Sex-Appeal». Dies, weil ihr «glänzendes Haar ihr symmetrisches Gesicht einrahmt», was ihr ein «äusserst attraktives Äusseres» und uns Einblick in die Tiefen von Dr. Sascha Dunsts Methodik verschafft, raffiniert wie das Rezept für eine Käseschnitte.
Caroline Gruosi-Scheufeles Äusseres auf dem dritten Platz animiert Dr. Sascha Dunst dann zu kreativen Höhenflügen: «Das wohl wertvollste Juwel» von Chopard sei sie. Ihre «langen und dunklen Wimpern sowie die nicht existierenden Augenringe brauchen keinen Schmuck, um echte Schönheit erkennen zu lassen». Ein Juwel von einem Satz, das muss auch ein nicht existierender Augenring neidlos zugeben – ob von Chopard oder nicht.
Von der fünftplatzierten Margarita Louis-Dreyfus heisst es: «Ihre Zeit verbringt sie zwischen Singapur, Davos, Genf, Paris und Amsterdam – ansehen tut man es ihr nicht.» Das meint Dunst wahrscheinlich als Kompliment, auch wenn es das Gegenteil ist. Was er mit dem nächsten Satz meint, weiss aber wohl nur er selbst: «Ihre dunklen und schmalen Augenbrauen sowie die dünnen Lider kontrastieren angenehm mit ihrem Haar und den meerwasserblauen, grossen Augen.» Gott sei Dank aber, so schliesst Dunst, scheint «ihre natürliche Schönheit nicht unter der hohen Arbeitsbelastung der Powerfrau zu leiden».
Susanne Ruoffs natürliche Schönheit analysiert Dunst folgendermassen: «Mit ihrer modischen Brille und der kecken Kurzhaarfrisur setzt die Managerin als Aushängeschild der Schweizerischen Post auch äusserlich starke Akzente.»
Wenn ich mir das alles vor meinen eigenen grossen Augenabstand führe, habe ich einen Rat: Ich weiss nicht, was Herr Dunst als Schönheitschirurg taugt, aber wenn er so gut operiert, wie er schreibt, dann würde ich einen weiten Bogen um ihn machen. Dass Attraktivität in fast jedem Beruf hilft, egal ob Boss oder Bettler, ist eine reichlich triviale Aussage. Vor allem aber dürfte es Dr. Sascha Dunst helfen, wenn allerhand Zeitungen seinen auf Pseudo-Wissenschaft vor sich hindampfenden Kommunikationsmüll unkritisch weiterverbreiten. Darüber kann ich nur mein von einer nicht ganz so kecken Brille nicht ganz so schmales Näschen rümpfen. Wenigstens wird meine Berufung als Journalistin nicht darunter leiden.
Bild oben: Chopard-Chefin Caroline Gruosi-Scheufele mit einer von Chopard kreierten Goldenen Palme für das Filmfestival von Cannes. (Keystone/Laurent Gillieron)
11 Kommentare zu «Wenn Augenringe sprechen könnten»
Stöhlker hingegen sollte seine Chirurgen verklagen. Egal ob den kosmetischen oder den zerebralen. Am besten gleich beide.
Vielleicht ist aber alles echt.
Das ist gut möglich, Herr Schläpfer. Die Natur hat einen ganz seltsamen Humor.
In unserem Blog-Ranking sind Sie, Frau Binswanger, gaaaanz vorn……..
Wieder mal klasse geschrieben, no comment but fully agreed….:)
Ich habe heute Morgen mit einer sehr schlechten Laune angefangen, da ich mal wieder mit geschwollenen Augen und ja, MIT Augenringen aufgewacht bin. Nach der Lektüre dieses Beitrages fühle ich mich, entspannt und verdammt gut.
Danke Frau B. toll geschrieben und allen einen wunderschönen, entspannten Tag!
Eure Marie
Wenn ich das richtig verstehe beziehen sich die Kraftausdrücke vor allem auf die Sprache des Schreibers, nicht die Tatsache dass (Berufs)Frauen in den Medien nach ihrem Äusseren abgeurteilt werden.
Eine Frage zum letzteren: Warum findet man auf Google von so vielen Olympiateilnehmerinnen Fotos in Unterwäsche? Und warum reissen gestandene Berufsfrauen auf Portraits die Augen weit auf weil sie wissen dass dass sie das attraktiver wirken lässt? Ist der medial verstärkte Attraktivitätswettbewerb ein grundsätzliches Problem, oder nur wenn man nicht (mehr) mithalten kann?