Feindbild Schwule

Samstagnacht in St. Moritz. Wenn die Clubs schliessen, trifft man sich in einer Bar, nennen wir sie G-Bar, auf einen Absacker. Hier trifft sich auch vergangenen Samstag ein bunt gemischtes Volk von Einheimischen und Gästen, auf der Tanzfläche wird getanzt, an der Bar steht ein Trüppchen gut gelaunter Nachtschwärmer, unter ihnen Reto M. (Name geändert). Der gebürtige St.<nb>Moritzer</nb> wohnt inzwischen in Zürich und ist mit seinem Freund gekommen. Sie stehen an der Bar, reden und trinken. Plötzlich taucht ein Sicherheitsmann auf und bittet die beiden zu gehen. Gäste hätten sich über ihr Verhalten beschwert und ausserdem sei die G-Bar keine Schwulen-Bar. «Wir haben nicht explizit herumgeknutscht», sagt Reto M. «Wir waren einfach zusammen da und haben uns verhalten wie ein normales Paar.» Im Internet wird die G-Bar als legendärer Ort für After-Hour-Drinks beworben, sie taucht sogar in einem Gay-Guide zum St.Moritzer Nachtleben auf. Reto M. kann nicht glauben, dass der Sicherheitsmann ihn aus diesem nichtigen Grund rausschmeissen will und beschwert sich beim Geschäftsführer. Dieser zuckt nur die Schultern und bittet Reto M. ebenfalls, zu gehen.
Am Sonntag erschien im «Sonntagsblick» der Bericht über einen SVP-Mann aus Agarn im Wallis, der auf seiner Facebook-Page Homosexuelle mit Kinderschändern, Kriminellen und Grabschändern gleichsetzt. Homosexualität, so der SVP-Mann, sei eine «psychotische Krankheit». Er meint auch: «Solche Abnormalitäten haben in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.» Als einige Kommentatoren seine Aussagen kritisieren, antwortet er: «Ich stehe zu meiner Meinung, in der Schweiz darf man die frei äussern.» Die SVP wollte zu seinen Aussagen keine Stellung nehmen. Das tat aber seine Grossmutter per Facebook, als sie kommentierte: «Bravo, ich bin stolz auf dich!»
In einer Glosse in der «NZZ am Sonntag» von vergangener Woche macht sich eine Autorin darüber lustig, dass es in Berlin seit vergangenem Jahr Toiletten für Intersexuelle gibt. Sie sieht die heterosexuelle Norm vom Bedeutungsverlust bedroht und fürchtet ein Schicksal als Langweilerin, weil sie mit einem Partner in einer monogamen Beziehung lebt – und die Löffelchenstellung dem Kamasutra vorzieht. Ausserdem beklagt sie, dass über sie als Teil der nicht lesbisch, schwulen oder transsexuellen Allgemeinheit niemand die schützende Hand erhebe, nicht einmal Studien würden über sie gemacht. Dann schliesst sie ihre Betrachtung über intersexuelle Toiletten: «Führt eine solche Entwicklung wirklich zu mehr Toleranz, oder produziert sie nicht erst recht allergemeinste Intoleranz?»
Die ersten beiden Beispiele zeigen, dass die Befürchtungen der «NZZ am Sonntag»-Autorin einigermassen unbegründet sind. Ganz abgesehen davon, dass es unzählige Studien zur Heterosexualität gibt, werden Männer, die gerne mit Frauen in monogamen Beziehungen leben und umgekehrt, nicht diskriminiert. Im Gegenteil scheint es bei uns vermehrt wieder reaktionäre Tendenzen zu geben – auch was die Haltung zur sexuellen Orientierung anbelangt.
Und das ist schlimm, denn diese Ängste sind irrational und gefährlich – es gibt Länder, in denen Menschen gefoltert und getötet werden, weil sie anders lieben. Eine Ironie ist, dass der Besitzer der eingangs erwähnten G-Bar selber einen Bruder hat, der mit einem Mann verheiratet ist. Auf Nachfrage sagt dieser Barbesitzer übrigens, er habe keine Kenntnis von einem Vorfall, sei aber der liberalste Mensch der Welt. Er hat sich inzwischen bei Reto M. auch persönlich entschuldigt. Welche sexuelle Orientierung der SVP-Mann mit den markigen Sprüchen selber hat, wie er also begehrt, wenn seine Grossmutter und andere Gewissensprüfer gerade nicht hinschauen, weiss ich nicht. Aber auch er dürfte zur überwältigenden Mehrheit jener Männer gehören, die plötzlich ganz pro Homo sind, wenn es um zwei schöne Frauen geht, denen sie bei sexuellen Handlungen zuschauen können.
Die meisten Menschen, so zeigen die von der Autorin so schmerzlich vermissten Studien, begehren heterosexuell. Wir sind also nicht bedroht – abgesehen von der Langeweile der Löffelchenstellung.
Bild oben: St. Moritz bei Nacht: Schwule sind hier nicht in jeder Bar willkommen. (Reuters/Arnd Wiegmann)
32 Kommentare zu «Feindbild Schwule»
Diejenigen Männer die das ungemein scharf finden, wenn 2 Lesben herummachen, die entsprechen doch nur ihrer sex. Orientierung. Sprich sie sehen sich mit den 2 Lesben in einem „ménage à trios“ etc. etc. Dadurch ein Konstrukt von wegen Lesben-Beziehungen werden auch eher akzeptiert als Homo-Beziehungen ist ein bisschen abstrus. Mit dem Rest haben Sie aber sicherlich recht.
Lieber Rüdiger, Lesben sind ebenfalls Homosexuelle. Das Wort leitet sich von „homo“ (griechisch) = „gleich“ ab, nicht vom lateinischen „homo“ („Mann“, aber auch „Mensch“).
„Homosexuell“ ist der nicht auf ein Geschlecht begrenzte Überbegriff für „lesbisch“ und „schwul“.
Männer, die extrem homofeindlich sind, haben meistens selber homoerotische Fantasien, zu denen sie aber nicht stehen können weil sie in einem konservativen Umfeld leben. Um dies zu verdecken und aus eigener Scham entwickeln sie dann einen Hass gegen Schwule, der aber eigentlich auf sie selber gerichtet ist. Dies geht aus mehreren Studien hervor, die in den USA und Europa gemacht wurden.
Man schaue sich doch nur mal Putin an, wer sich so verhält, mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt usw. hat doch ganz sicher auch eine schwule Ader.
Eigentlich ein guter Artikel, mir fehlt aber eine Klarstellung des Begriffs intersexuell, der im Artikel als Synonym mit transsexuell verstanden werden könnte. Eine Verwechslung, die allzuoft gemacht wird.
Kurz und stark verallgemeinert: Bei einer intersexuellen Person kann das Geschlecht genetisch, anatomisch und/oder hormonel nicht eindeutig zugeordnet werden, während das Geschlecht einer transsexuellen bzw. transgender Person äusserlich eindeutig zugeordnet werden kann, sie sich mit dem anderen Geschlecht identifiziert.
Wenn ich mich korrekt entsinne, hat der fragliche SVP-Mann von einer „psychoschen“ Störung geredet und nicht von einer psychotischen.
Wo ich das jetzt schreibe, merke ich aber, dass einem angesichts des Wiedererstarkens der Homophobie der Spass am Spötteln tatsächlich vergehen kann. Leider scheint es so, als wäre die westliche Welt bald wieder konservativer als zur Zeit von Oma und Opa.
Ist doch jetzt – spätestens seit Olympia – hinlänglich bekannt, dass in Russland ein öffentlicher Auftritt eines homosexuellen Paares als strafbare Propaganda geahndet wird. Als Einheimischer müsste ihm das eigentlich bekannt sein….
😉