Juden, Schlampen und Neger

Darf man Neger sagen? Wird die Menschenwürde herabgesetzt durch die Verwendung bestimmter Klischees? Und vor allem, soll das alles strafbar sein? Diese Fragen haben mich und viele andere die vergangene Woche beschäftigt.
Um eines vorwegzuschicken: Es gibt in meinem Umfeld Menschen, die extra Neger sagen. Weil sie genug haben von Überempfindlichkeiten und Political Correctness. Das habe ich auch, aber ich sage trotzdem nie Neger. Und ich habe schon einen Familienstreit an Weihnachten provoziert, weil einer meiner Verwandten von der Verschwörung des Finanzjudentums zu faseln begann und ich ihm klarzumachen versuchte, dass das antisemitisch ist. Trotzdem finde ich die Klagen gegen Komiker bescheuert, die Italienerwitze machen oder den jüdischen Humor zu fassen versuchen. Und den Reaktionen im Internet nach zu schliessen, geht es den meisten Leuten ebenso. In meinem Umfeld aber sind die Meinungen geteilt. Einen «Mangel an Empathie» attestierte beispielsweise ein Freund, der schon lange im Ausland wohnt, der hiesigen Diskussion. Und er verlinkte einen Text im aktuellen «Spiegel», in dem eine Frau, Tochter einer Deutschen und eines Senegalesen, darüber Auskunft gibt, wie es ist, das «Negerlein» zu sein. Auf einer Geburtstagsparty Negerküsse serviert zu bekommen. Den anderen zu sagen, sie sollten sich mal lockermachen, ist einfach, wenn man selber nicht betroffen ist. Also frage ich mich, wie es aussehen würde, wenn ich selber schwarz wäre oder Jüdin oder sonst irgendeiner Minderheit angehören würde.
Ich war nie Teil einer Minderheit. Zwar war meine Grossmutter Holländerin, und mein Geschlecht war ursprünglich jüdisch, aber ich war immer privilegiert. Nur bin ich eine Frau. Wir sind, rein körperlich gesprochen, das schwache Geschlecht, wurden über Jahrtausende als minderwertig behandelt und von wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Das wurde mir irgendwann im Gymnasium bewusst, als ich politisch zu denken begann. Und obschon ich in einer Familie mit einer emanzipierten Tradition und so erzogen wurde und obschon ich in einer Zeit, einer Kultur und Schicht lebe, in der Chancengleichheit heute eine Realität ist, reagiere ich sehr sensibel auf das Echo dieser Geschichte. Die in gewissen Situationen noch immer gegenwärtig ist. Die Angst um die sexuelle Integrität. Die Angst, wenn man nachts alleine unterwegs ist und einem Mann begegnet. Männer, die einen nicht ernst nehmen, einfach weil man Brüste hat. Die blöden Witze, die sexistische Werbung, in der Frauen als Konsumgüter dargestellt werden. Der Umstand, dass Frauen mit vielen Liebhabern als Schlampen gelten, während man Männern eine gesteigerte Libido gern mal nachsieht.
Dann bin ich eben eine Schlampe – sonst noch was, du Arschloch?
Ich wurde auch schon als Schlampe und als Fotze bezeichnet, und ich nahm die Beleidigung damals, ich war noch ein Teenager, nicht sehr positiv auf. Die Beleidigung überschritt für mich alle Grenzen, die man in Sachen Beleidigungen einhalten sollte. Damals brüllte ich herum und schmiss Geschirr durch die Gegend, um meiner Missbilligung Ausdruck zu verleihen. Heute bin ich älter und in einer anderen Position. Heute geht kein Geschirr mehr zu Bruch, wenn mir jemand Schlampe sagt. Ja, heute habe ich den Begriff annektiert und bezeichne andere manchmal selber so, oder mich selbst: Na gut, dann bin ich eben eine Schlampe – sonst noch was, du Arschloch? Das kann ich, weil ich heute weiss, wie ich mich wehren kann.
Das liegt auch daran, dass sich die Machtverhältnisse verschoben haben. Für mich persönlich, aber auch gesellschaftlich. Die letzten vierzig Jahre ging man mit Gesetzen gegen strukturellen Sexismus vor, und wer heute offen sexistisch ist, bekommt irgendwann ein Problem. (Hier könnte man ein Kapitel aufschlagen, wie weit das geht und warum es dann noch immer so viel sexistische Werbung gibt und ob der Sexismus sich heute mehr gegen Männer richtet, aber das würde diesen Rahmen sprengen.)
Wenn ich mir das alles vor Augen führe und mit der eingangs erwähnten Diskussion über Rassismus und Antisemitismus kurzschliesse, liegt der Schluss nahe, dass ich die Klagen gegen angeblich rassistische und antisemitische Äusserungen von Komikern eigentlich gutheissen müsste.
Ist es nicht richtig, wie Anwalt David Gibor schreibt, dass das Strafrecht ein «Instrument in der gesamteuropäischen Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus» geworden ist, «dessen einschlägige Normen selbst sich wiederum einem kollektiven Lernprozess in den europäischen Gesellschaften verdanken»? Ist es nicht richtig, dass Menschen zur Verantwortung gezogen werden, die andere durch ihre Äusserungen in ihrer Menschenwürde herabsetzen? Ist es also nicht legitim, wenn man die Frage, wo die Grenzen im gesellschaftlichen Miteinander gezogen werden sollen, der Justiz übergibt? Würde ich, wenn einer in einer Diskussionssendung Frauen allesamt als Schlampen bezeichnet, den nicht auch anzeigen wollen?
Ich meine trotzdem nein. Ich meine, dass das Gesetz den Rahmen vorgeben soll, dass die strukturelle Diskriminierung eingeklagt werden kann. Aber dass Richter darüber entscheiden, wie wir sprechen und welche Aussagen wir über andere Menschen machen, halte ich für verfehlt. Kommunikation funktioniert über Trial und Error. Und Error muss erlaubt sein. Denn wenn Fehler nicht mehr erlaubt sind, dann werden wir nicht mehr dazulernen und uns auch nicht weiterentwickeln. So sehr Aussagen und Wörter manche in ihrer Menschenwürde treffen mögen.
Bild oben: Der Komiker Massimo Rocchi wurde wegen mutmasslich antisemitischer Äusserungen in der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» angezeigt. Foto: Arno Balzarini (Keystone)
75 Kommentare zu «Juden, Schlampen und Neger»
Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.
Ich bin, war und werde immer der Verfechter der Aufklärung sein. Langfristig die einzige, aber mühsamste, Alternative.
Bitte, bitte, bitte, liebe Deutschschweizer, nehmt Euch einen Moment Zeit und hört Euch mal einen der Sketche an, die jeden morgen um 07.50 auf dem staatlichen Radiosender Couleur3 (pendant zu SRF3) ausgestrahlt werden. Grossartige, bitterböse und politisch unkorrekte Satire. Alle lieben es, denn alle kriegen mal ihr Fett ab. Wieso kann in der Deutschschweiz niemand mit Humor umgehen? Woher kommt das eigentlich? Hört doch auf, so verkrapmpft zu sein. Hier der Link: http://www.rts.ch/couleur3/programmes/120-secondes/
Ich bin selber kein Jude aber ich finde all diese Witze über Juden sowas von primitiv.
Solange man sich nicht in gleicher Weise auch über alle anderen Glaubensgemeinschaften lustig macht, sollte man es belassen.
Ich finde es immer lustig, wie Leute die glauben das andere Verstösse gegen eines unserer unzähligen Gesetze wie zum Beispiel Sozialhilfemissbrauch oder Kleinkriminalität oder Littering nicht mit harten Sanktionen sondern mit erzieherischen Massnahmen bekämpft werden sollten, bei einem „Gedankenverbrechen“ wie deplatzierten Witzen oder grenzwertigen Aussagen sofort lauthals nach dem Kadi rufen. Wo bleibt da eure vielgepriese Nachsicht und euer Verständnis für die Fehlbarkeit der Menschen? Je mehr Gesetze wir brauchen um Anstand zu haben, desto unanständiger werden wir.
Ich will ja die Dialektik nicht noch übertreiben, aber ich beziehe mich auf ein Buch von Philip Roth.
(Wann bekommt er nun endlich seinen wohlverdienten Nobelpreis? Oder, sitzen nur „senile Idioten“ im Literatur-Nobelpreiskomitee?).Aber zurück – zur Ausgangslage: Wie nennt man einen schwarzen Juden. Oder, dürfte man diesen einen „jüdischen Neger“ nennen. Weil, es gibt natürlich auch dunkelhäutige Juden, auch gelbhäutige Juden. Wenn man „Juden“ auf die Religion bezieht.
Roth wird wahrscheinlich nie den an sich verdienten Nobelpreis erhalten. Das hat nichts mit Idiotie zu tun sondern mit dem verbreiteten Antiamerikanismus (womit wir schon wieder beim Thema wären). Amerikanischen Literaten werden systematisch übergangen, was auch 2008 vom ständigen Sekretär des Preiskomitees in Stockholm, Horace Engdahl, so bestätigt wurde, als er die amerikanische Literatur öffentlich pauschal als minderwertig abstempelte. Die unwissende USA nehme nicht wirklich am großen Dialog der Literatur teil, so Engdahl.