Peider, zieh dir bitte etwas an

Am 9. Februar sind Wahlen in Zürich, geschätzte Leserschaft, und am Zürcher Kreuzplatz sah ich oben abgebildetes Plakat des Gemeinderatskandidaten Peider Filli für die Grünen. Herr Filli hat vor Jahren mal mit einem schwarz-weiss gefärbten Ziegenbart für die Alternative Liste als Zürcher Stadtpräsident kandidiert. Besagte Kandidatur wurde von Beobachtern als «PR-Gag» und Herr Filli seinerzeit von den Grünen als «wenig profiliert» bezeichnet; jetzt sitzt er für die Grünen im Gemeinderat. 2010 ist er abgewählt worden, dann aber 2011 nachgerückt für Balthasar Glättli, der in den Nationalrat gewählt wurde. Filli, der sich auf seiner Internetseite als «Hypno-Therapeut» vorstellt und unter «Hobbies» auf der Grünen-Website listet «Schamanismus erkunden, Facebook, Fotografieren», ist gerne im Gemeinderat. Auf seiner Homepage lesen wir ausserdem: «Bitte lassen Sie mir Ihre Wünsche und Fragen wissen, gerne beraten ich Sie ausführlich.»
Zuerst wollte ich mir Feuerquallen auf die Augen legen. Nach Sichtung des obigen Plakats, meine ich. Und dann habe ich mich ein bisschen geärgert. Weil das Ding so dumm ist. «Seriös präsentieren kann sich jeder», erklärte Herr Filli gegenüber «20 Minuten»; und diese Ansicht, für die Filli selbst das beste Gegenbeispiel darstellt, ist so naiv und falsch und provinziell, dass man beinahe weinen möchte – jedenfalls wenn man bedenkt, dass der Mensch, der sie äussert, im Gemeinderat der grössten Schweizer Metropole sitzt. Unter der Fraktur-Überschrift «Mehr Verkehr für Filli» bedient sich dieses Plakat der abgeschmacktesten kulturellen Klischees. Es ist so bieder wie das Tattoo von Herrn Filli. Nicht nur die nachgeäffte Pierre-et-Gilles-Machart, die vor 20 Jahren immerhin mal eine Sekunde lang originell war, sondern auch der Umstand, dass sich ein knapp 60-jähriger Lokalpolitiker halbnackt und gephotoshopt und pseudo-lasziv unter dieser Überschrift ablichten lässt, hat etwas entschieden Grüselhaftes.
Die Botschaft, die Herr Filli, zu dessen politischen Schwerpunkten laut eigenem Bekunden die Emanzipationsanliegen von Homosexuellen gehören, mit diesem peinlichen Bild aussendet, lautet: Homos sind übersexualisierte Rummelplatzfiguren. Das ist genau die Botschaft von homophoben Dummköpfen wie dem Churer Bischof Vitus Huonder oder den Initianten der sogenannten Familieninitiative der CVP, und diese schlichten Gemüter haben nun ein neues Bild: Peider Filli. Der peinliche Peider wirft uns um Jahre zurück. Eine derart idiotische, apolitische, hanswurstige Selbstdarstellung hilft niemandem, am wenigsten wohl Filli selbst, und ein wenig wundert man sich, wieso bei den Grünen niemand davon abriet. Denn Filli selbst, als «nett» und «bedächtig» und «sehr links» beschrieben, ist wohl einfach ein bisschen zu naiv, um das zu kapieren. Der fand das sicher lustig und originell, das Plakat. Fast möchte er einem ein bisschen leidtun. Ich will aber keine naiven und bemitleidenswerten Menschen im Zürcher Gemeinderat. Und, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir als oberflächlichem, konsum- und körperfixiertem Homo noch folgende Schlussbemerkung: Wer einen Oberkörper besitzt wie Herr Filli, sollte ihn rücksichtsvollerweise entweder verhüllen oder trainieren gehen, aber gewiss nicht nackt plakatieren. Da hilft auch kein Photoshop mehr. Will keiner sehen, braucht keiner, und dafür mussten Bäume sterben, Grüne!
32 Kommentare zu «Peider, zieh dir bitte etwas an»
Wer bessere Blogs als Tingler schreibt, soll hervor treten!!! Herrlich.
Ganz generell scheint es mir, dass sich an diesem Fall bestätigt, dass es mit der völligen Gleichheit von Homo-/Heterosexualität noch nicht weit her ist. Wenn sich jemand über seine Sexualität definiert, ist er dann cool oder das Gegenteil? Man stelle sich vor, ein Politiker würde damit werben, dass er hetero sei! Herr Tingler, warum sollen Sie sich für den Typen fremdschämen? Begreifen Sie ‚die Schwulen‘ als homogene Gruppe?
Dieser Peider ist einfach peinlich, weil er peinlich ist, wie ein Nacktwanderer im Appenzell. Seine sexuelle Orientierung ist dabei egal. Aber trotzdem: toll geschrieben
Nein, liebe Carolina, ich begreife Homos nicht als homogene Gruppe, bewahre! Aber Homogegner tun das; es ist das Fundament ihrer Agitation. Und genau diese primitive Wahrnehmung wird durch sowas wie dieses idiotische, sinnfreie Plakat gefüttert. Ein Wahlplakat, wohlgemerkt. Für einen vermeintlichen Homo-Aktivisten. Dessen Slogan lautet „Mehr Verkehr für Filli“.
Verstehe, was Sie meinen. Aber ich denke, dass man den Homogegnern am ehesten den Spiegel vorhalten kann, in dem man die Blöden und Bescheuerten ignoriert und sich einfach weigert, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden, auf die schlichteren Gemüter also gar nicht eingeht (wie fände es Bischof H, wenn man ihn mit den Pädo-Priestern in einem Satz nennen würde?). Aber als einigermassen politischer Mensch muss man natürlich sagen dürfen, dass Peider total idiotisch rüberkommt, das sehe ich schon auch so.
Herr-lich überzeichnet getextet, im wahrsten Sinn des Wortes. Nur das mit der Provinz könnte schräg einfahren, denn ausser ein paar grösseren Dörfchen wie Zürich, Bern, Basel, Genf gibt es im Heidiland einfach nichts vergleichbares, was sich Grossstadt nennen dürfte. Hier gibt es doch nur Provinz oder irre ich mich im Vergleich mit Paris, London, Bangkok, New York? Habe mich wieder köstlich amüsiert wie gestern. Das passt in mein Konzept der guten Neujahrsvorsätze: lieber meine Lachmuskeln überstrapazieren als meine sonstigen Muskeln.
Prost Neujahr!
Ich kenne dieses Plakat. Wenn ich zuvor geglaubt hatte, dass eine weitere Stufe von Fremdschämen in dieser Stadt nicht möglich sei… dieses sog. Plakat hat mich eines Besseren belehrt! Ein Wunder, dass nicht noch irgendwo das Wort „urban“ auf diesem Ding auftaucht.
Herzlichen Dank für den sehr gelungenen Text. Hypno-Schamanismus sagt eigentlich schon sehr viel aus. Der Herr Filli scheint auch eine Koryphäe in den Naturwissenschaften zu sein. Na ja, bei dieserm Alter – hat er das sicher lange genug studiert, sicher auch mit Selbstest’s.
Ich erlaube mir, obwohl ‚d’accord‘ – trotzdem eine klitzekleine Ergänzung, so wegen Provinz oder so. Manchmal muss ich mich, schon des Alters wegen, auch in die Provinz zurückziehen, also wo sich „Füchse und Hasen gute Nacht“ sagen. Bei mir ist das ein idyllischer Ort, irgendwo im „Massiv Central“. Aber sogar dort lässt sich der Gemeindepräsident (hier Maire) – von einem Psychoanalytiker (Studium abgeschlossen an der Sorbonne); und nicht von einem Schamanen behandeln. Aber, Clermont-Ferrand (Michelin) ist nicht allzu weit.