Das Lust-Diktat

Voraus eine Entschuldigung: Ich will niemandem an den Karren fahren. Oder höchstens ein bisschen, weil es manchmal ja gar nicht schlecht ist, den Karren wieder mal zum Service zu bringen. Es geht um die «Blick»-Sex-Kolumne namens «Fux über Sex» vom vergangenen Mittwoch. «Solo kann ich nicht» lautete der Titel der Kolumne, in der ein gewisser Albert (64) Rat suchte. Albert hat nämlich das Problem, dass seine Frau (61) dem Beischlaf mit ihm «schon vor Jahren» abgeschworen hat. Albert akzeptierte das, weil sie ihm im Gegenzug anbot, immer und überall Hand anzulegen, wenn die Lust ihn trotzdem überfällt. Nun hat der Mann das Problem, dass dies meistens nachts geschieht, wenn sie schläft, er sie aber aus Rücksicht auf ihren süssen Schlummer nicht immer wecken will. Worauf er selber Hand anlegt, ihm dabei aber nicht vergönnt ist, dergestalt auch zum Abschluss zu kommen – wohingegen ihrer Technik offenbar sehr schnelle Erfolge beschieden sind.
Die Frage ist: Was soll Albert nun also tun?
Ich fand bereits die Frage bemerkenswert, denn obwohl ein solcher Deal etwas technisch tönt, scheinen sich die beiden doch liebend zugetan. Jedenfalls schliesse ich das aus seinen Formulierungen. Seine Frau hat sich nämlich nicht einfach wortlos zurückgezogen oder ihn vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern ihn «gebeten», auf Beischlaf mit ihr zu verzichten, und ihm dann eben das Angebot gemacht. Auch dass Albert sie trotz nächtlicher Lust nicht extra weckt, deute ich als ein Zeichen der Rücksichtnahme – obschon es ja laut Deal sein gutes Recht wäre, denn immer ist schliesslich immer. Auch finde ich, dass gegen solche Deals nichts einzuwenden ist – im Gegenteil. Schliesslich ist fast alles im Leben ein Deal, und es ist nicht immer das Schlechteste, sich dessen bewusst zu sein und es auch anzusprechen. Aber manchmal, ja eigentlich meistens, verändern sich die Bedingungen früher oder später, sodass man Nachverhandeln muss.
Frau Fux aber, die famose Sexberaterin, die sich allerdings lieber als Beziehungsexpertin ausweist, sieht das anders. Zwar gratuliert sie Albert zunächst zum «wichtigen Schritt», ein solches Arrangement gefunden zu haben. Dann aber schiebt sie den Mahnfinger hinterher – im Zeichen der Lust und Sinnlichkeit. Albert sei, so schreibt sie nämlich, «sexuelles Dampfablassen» offensichtlich wichtiger als eben «Lust und Sinnlichkeit». Das aber findet Frau Fux nicht gut. Auch nicht, dass die Effizienz der Technik von Alberts Frau abhängt, die den Orgasmus so schnell auslöst. Dadurch verlerne der Körper, «auf anderen Wegen zum Höhepunkt» zu kommen. Er solle versuchen, seine «Sexualität wieder variantenreicher» zu gestalten, rät Frau Fux unserem Albert.
Der arme Mann. Immerhin scheint er mit seinen 64 Jahren wenigstens noch Dampf zu haben – kann man dagegen wirklich etwas einwenden? Und warum ist Dampfablassen per se schlechter als Lust und Sinnlichkeit? Frau Fux aber hält nichts davon, runterzubrettern und ungebremst über die Ziellinie zu schiessen, weshalb sie ihm empfiehlt, den «Weg wieder zum Ziel zu machen» und etwas mehr Varianten zu fahren. Für sich allein und in aller Ruhe solle er allerlei Berührungen an sich ausprobieren, was zwar Geduld erfordere, aber eine gute Investition sei.
Die Frage ist nur, was der Return on Investment ist, zumal seine Frau ja gar nicht mehr mitfahren will. Was soll denn aus Albert werden, der immerhin den Wunsch seiner Frau, nur noch von Hand miteinander zu verkehren, akzeptiert hat? Soll er nun nächtelang an sich rumfummeln, um am nächsten Tag übernächtigt mit seiner Frau Streit zu beginnen? Was, wenn er einfach kein Variantenfahrer ist, sondern die gute alte Skipiste schätzt und lieber sorglos runterbölzt, als immer das Lawinenbulletin zu lesen und dann ängstlich jeden Hang auf seine Rutschfestigkeit zu testen? Soll nicht jeder seine Sexualität so leben dürfen, wie er will, selbst wenn sie nicht dem herrschenden Imperativ von Lust, Sinnlichkeit und Duftkerzen entspricht – zumal die Partnerin sich damit einverstanden erklärt hat?
Ohne Sexberaterin zu sein, würde ich Albert empfehlen, mit seiner Frau an einen Tisch zu sitzen und den Ursprungsdeal um eine entsprechende Klausel zu erweitern.
Bild oben: Jake Gyllenhaal und Anne Hathaway im Film «Love and Other Drugs». (Foto: Fox)
35 Kommentare zu «Das Lust-Diktat»
Haha. Bei der wortschöpfung vagina-monolog konnte ich den bildschirm vor lauter tränen nicht mehr sehn.
schreibstihl echt top!
Nun ja, sein Sexleben immerhin so variantenreich zu gestalten, dass man es sich selber besorgen kann, liegt doch eigentlich auf der Hand, höhö. Was macht er denn, wenn seine Frau sich mal den Arm bricht oder gar stirbt? Ansonsten bin ich als Frau gar nicht der Meinung, dass beim Sex der Weg das Ziel ist. Sex ohne richtiger Orgasmus ist wie grillieren ohne Fleisch und Sösseli oder meinetwegen Weihnachten ohne Baum und Geschenke – es geht zwar auch so, aber dann kann man es auch gleich sein lassen.
Ohne meine Frau zu wecken, fällt es mir vermutlich auch schwer, erfolgreich selber Hand anzulegen.
Michelle, wow einmal ein Artikel mit dem ich völlig mit Dir übereinstimme, das gibts ja gar nicht. What a day!
Albert mit 64 noch dampf??? Ich finde das eine Frechheit, Leuten wegen ihres Alters ihre Sexualität abzuhandeln….erstens, ….wenn ein Paar über viele Jahre hinweg zusammen ist, festgefahren wie ungeölte Ketten wundert es mich der Teufel, dass die Sexualität ein Issue wird, da doch alles vom Gehirn geleitet ist, könnten sie beide ( das paar) eine Weltreise antreten, jeder fährt auf der gegen Gesetzen Seite an und nach ein paar Monaten oder Jahren finden sie sich glücklich wieder und werden sich auch noch jahre lang viel zu erzählen haben….hoffentlich……:)