Totschlag-Romantik

Jetzt singt er wieder, Bertrand Cantat, Sänger der traurigsten Gestalt und ehemaliger Frontmann der französischen Kultband Noir Désir. Bekannt als «enfant terrible» der französischen Musikszene wegen seiner Alkohol- und Drogenexzesse, bekannt auch wegen seines Engagements gegen Globalisierung, Faschismus und die Invasion in den Irak. Sein Zartgefühl gegenüber der Welt beschränkte sich aber auf seine Kunst. Im persönlichen Leben war Cantat ein Gewalttäter und Totschläger. Im Jahr 2003 verprügelte er seine damalige Freundin Marie Trintignant in einem Hotelzimmer in Vilnius so heftig, dass sie ins Koma fiel. Anstatt sofort einen Krankenwagen zu rufen, tat Cantat erst mal nichts. Später telefonierte er mit Trintignants Bruder, der gegen Morgengrauen im Hotel aufkreuzte und darauf bestand, Marie sehen zu dürfen. Erst nach längerer Überzeugungsarbeit lässt ihn Cantat zur Schwester vor – zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits im Koma und nicht mehr zu retten.
Cantat kam vor Gericht und wurde wegen Totschlags verurteilt – das Urteil fiel unter anderem deshalb mild aus, weil Kristina Rady, seine Ehefrau und Mutter seiner zwei Kinder, ihn als sanftmütigen Riesen beschrieb. Cantat wurde 2007 vorzeitig entlassen und kehrte zu Rady zurück. Diese nahm sich 2010 das Leben. Kurz vor ihrem Selbstmord hatte sie in einer telefonischen Nachricht an ihre Eltern Cantat als gewalttätigen Psychopathen geschildert, der sie immer wieder verprügelt habe.
Cantat hat seine Strafe abgesessen und ist nun mit einem Album zurück. Schon die Ankündigung spaltete die Nation. Ausgerechnet den 25. November hatte sich die Plattenfirma als Publikationsdatum ausgesucht, den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Nach Protesten veröffentlichte man eine Woche früher.
Unbestritten ist, dass es um die moralische Integrität vieler Künstler, deren Werke wir vergöttern mögen, nicht zum Besten bestellt war. Darf Kunst alles, und kann sie losgelöst von der Person und vor allem den Handlungen des Künstlers beurteilt werden? Eindeutige Antworten gibt es keine. Doch die Kontroverse wird bei Cantat noch akzentuiert, weil er sich dazu entschlossen hat, den Tod seiner beiden Geliebten künstlerisch auszubeuten. Und so stellt sich heute für Journalisten die Frage: Boykott oder nicht? Und wenn nicht – wie geht man mit einer solchen Geschichte um?
Wie man es nicht tun sollte, zeigt die Album-Besprechung vergangene Woche im Berner «Bund», welcher wie der «Tages-Anzeiger» zu Tamedia gehört. Die Kritikerin ist an die Sachlage fast so unsensibel herangegangen, wie Cantat an seine Liebhaberinnen. Sie lässt es sich zwar nicht nehmen, Cantats Vergangenheit auszubreiten und sein aktuelles Album in den Kontext zu stellen, beschreibt es aber vor allem als bittersüsses Drama des leidenschaftlichen Künstlers. Als wäre der Tod der beiden Frauen nur ein Unfall gewesen, er selber ein Opfer seiner verzehrenden Leidenschaften. Das ist insbesondere störend, weil sich der Sänger seit seiner Entlassung um allfällige Sensibilitäten der Opferfamilien foutiert hat. Und so beginnt er auch den Eröffnungstrack des neuen Albums mit den Worten: «Je ne regrette pas.»
Eine «poetische Beschwörung von Himmel und Hölle», so betitelt die Kulturjournalistin ihre Besprechung von Cantats neuem Album. Gleich im Lead werden wir auch darüber informiert, dass besagter Cantat «zwei Frauen, die er liebte, auf dem Gewissen hat». Das scheint sie aber nicht für weiter schlimm zu halten. Die Journalistin schreibt, als handle es sich dabei nicht um die Realität, sondern einen Film. Die in einem Lied aufgeworfene Frage nach der Mitschuld seines Opfers werde «garantiert für Ärger» sorgen, schreibt sie. Weiter spricht sie von «Katastrophen, die Cantat widerfahren» seien, von seiner «verlorenen Liebe» – als wäre nicht er selber der Urheber dieser Katastrophen, als hätte er nicht selber diese Liebe getötet. Im nächsten Abschnitt spekuliert sie darüber, ob mit dem «Engel der Trostlosigkeit», den Cantat besingt, wohl Trintignant oder doch eher Rady gemeint sei – um dann darüber zu berichten, wie Cantat sich in einem Interview über die «Eigendynamik, welche die Tragödie in der Öffentlichkeit und in den Medien entwickelte» beklagte. Dann schwärmt sie von der «bedingungslosen Leidenschaft» des Sängers und der «Intensität, mit der er seine Sicht der Dinge beschwöre».
Cantat, der gefallene Held, der sich selber neu erfindet und als Phönix aus der Asche auch von seinen Sünden bereinigt neu beginnen darf? «Die Hölle ist so kurzsichtig wie der Himmel. Schau ganz aufrecht in die Sonne» singt er. Journalisten sollten allerdings nicht ganz so kurzsichtig sein.
Bild oben: Bertrand Cantat während der Gerichtsverhandlung in Vilnius, Litauen. (Bild: Mindaugas Kulbis, Keystone)
27 Kommentare zu «Totschlag-Romantik»
Diese Überhöhung von Kunst und Künstlern geht mir eh auf den Kecks. Es ist kein Geheimnis, dass viele Künstler menschliche Nieten sind. Sie sind Egomanen, Gott ihres eigenen Kunstkosmos. Andere Menschen stören da nur…
Auf ein Podest stellen wir, das Publikum, diese Leute, ob in Politik, Kunst ….
Wir sollten damit aufhören und überlegen, wem wir Energie geben wollen. Am besten investieren wir in uns selbst.
wer menschen so behandelt hat kein recht auf eine opferrolle, egal was vorgefallen ist. cantat, so glaube ich, wird sich von einer „höheren“ stelle für sein tun zu verantworten haben; und ich denke, das weiss er auch.
Für einmal bin ich einig mit Frau Binswanger. Dieses Monstrum gesellt sich zu all den Polanskis und Co. Und die liebe 4te Macht hilft den zu rehabilitieren. Pervers!!!
Liebe Michèle Binswanger,
Es handelte sich um eine Albumbesprechung. Nicht um eine Gerichtsreportage. Das haben sowohl die Autorin, als auch Sie falsch verstanden. Das künstlerische Werk, kann tatsächlich unabhängig vom Urheber und dessen Biographie besprochen werden. Und das wäre in diesem Fall nötig. Ihr Urteil über die Musik Cantats, das sich aus seiner Person ergibt, ist genau so falsch, wie dasjenige ihrer Kollegin, die über seine Person aus seiner künstlerischen Arbeit urteilt. Zu bemerken, gilt es aber das rechtlich sie richtig liegt: Der Mann hat seine (zu kurze) Strafe verbüsst.
Das ist so in der Kulturszene – so schwer es mir jedoch fällt, hier objektiv zu bleiben -, dass die künstlerische Arbeit strikt vom privaten Lebenswandel zu trennen ist. Cantrans dunkelste Seiten sollten nur marginal in eine Albumbesprechung eingewoben werden. Wie bei Klaus Kinski war auch sein Lebenswandel äusserst schwer von seiner künstlerischen Darstellung als Schauspieler zu trennen. Es gibt Grenzfälle, wo sich die Geister scheiden dürfen. Der Fall Polanski ist etwas differenzierter zu beurteilen, weil sich das Opfer mehrmals davon distanzierte und es offensichtliche Verfahrensmängel gab.
PS: Das Schlagwort „Mord“ ist übrigens falsch gesetzt. Es handelt sich um Totschlag. Cantat ist ein Totschläger, kein Mörder.