Speziell in der Vorweihnachtszeit

Oben sehen Sie mich bei der Zeitungslektüre, meine Damen und Herren; ich weiss nicht mehr, warum ich keine Hosen trage, vielleicht war es nachts oder vormittags, wer wollte es sagen. Das Bild ist auch nur quasi ein Symbol, es soll etwas Abstraktes illustrieren: den Geist der Worte. Darum geht es heute. Wer, wie ich, in letzter Zeit in Zürich mit dem Tram gefahren ist, kam eventuell in den Genuss folgender Durchsage der Leitstelle der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ):
Die Beratungsstelle der Stadtpolizei Zürich bittet um Ihre Aufmerksamkeit: Taschendiebe sind keine angenehmen Fahrgäste. Speziell in der Vorweihnachtszeit treiben sie ihr Unwesen. Tragen Sie deshalb Sorge zu Ihrer Handtasche, Ihrer Mappe, Ihrem Geldbeutel. Das nötige Bargeld tragen Sie am besten in einer Innentasche mit sich. Besondere Vorsicht ist geboten bei Gedränge an Haltestellen, beim Einsteigen und im Tram und Bus. Die Stadtpolizei und die Züri-Linie danken für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich habe diesen Text im Interweb gefunden; es gibt eine Seite mit Mustertexten der Durchsagen der Leitstelle, fragen Sie mich nicht, warum. Und zwar habe ich den Text kontrolliert, weil ich immer «Waffe» verstanden habe. Statt «Mappe». Also: «Tragen Sie deshalb Sorge zu Ihrer Handtasche, Ihrer Waffe, Ihrem Geldbeutel.» Nun ist zwar bekannt, dass in unserer schönen Schweiz das Tragen von Waffen (und das Tragen von Sorge zu denselben) eine vielerorts geschätzte Tradition darstellt, aber trotzdem fand ich das seltsam, weshalb ich also nachschaute, und, siehe da, es heisst «Mappe», nicht «Waffe». Auf «Mappe» allerdings wäre ich nie gekommen; ich meine, wer bitte trägt denn heutzutage noch ’ne «Mappe» mit sich rum; da stellt sich doch die Frage, liebes Publikum: Von wann ist eigentlich dieser Durchsagentext – 1973?
Schon der moralintriefende Auftakt ist ja beinahe Fünfzigerjahre-mässig: «Taschendiebe sind keine angenehmen Fahrgäste.» Das stimmt doch gar nicht! Wenn Taschendiebe während der Fahrt im Bus oder Tram ihre Tätigkeit als Taschendieb ruhen lassen und still und bescheiden irgendwo sitzen, Hände im Schoss, wieso sind sie dann keine angenehmen Fahrgäste? Das Ganze ist total taschendiebdiskriminierend. Anschliessend bewegen wir uns in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts, und zwar mit Ausdrücken wie «Unwesen treiben» und «Sorge tragen», und darauf folgt eben diese Siebzigerjahre-Inventarliste dessen, was der moderne Grossstadtmensch so alles dabei hat, im Jahre 1973: Handtasche, Mappe, Geldbeutel. Nicht etwa Tablet Computer, Smartphone, digitales Medienabspielgerät und so’n Zeug. Auch der etwas oberlehrerhafte und grossväterliche Vorschlag, das «nötige Bargeld» am besten in einer «Innentasche» mit sich zu tragen, wirkt wie aus dem Kalten Krieg und wirft die Frage auf: Wie genau sieht eigentlich die «Leitstelle» der VBZ aus? Leitstelle ist ja irgendwo auch so ein DDR-Wort. Ist diese Leitstelle, die uns per Lautsprecherdurchsage auffordert, das nötige Bargeld am besten in einer Innentasche zu tragen, ist das vielleicht irgendsoein geheimnisvolles Doctor-Evil-Machtzentrum, wo sämtliche Fäden zusammenlaufen? Steht da jemand mit ’ner flauschigen weissen Katze auf dem Arm vor einem rollbaren Globus und stellt fest: Taschendiebe sind keine angenehmen Fahrgäste!? Aww, die gute alte Zeit. Als Leute noch Mappen dabeihatten. God bless us all, and the VBZ.
15 Kommentare zu «Speziell in der Vorweihnachtszeit»
Wer sich mit solchen Problemen herumschlagen kann und dafür auch noch Geld verdient, der kann sich wahrlich als glücklichen Menschen schätzen..
Danke, mir geht’s in der Tat prima, und Ihnen?
Taschendiebe sind in diesem Sinn auch keine Fahrgäste, ein Gast ist nicht beruflich unterwegs, sondern ist als gast einfach präsent….
Für mich gehören diese Nostalgie-Durchsagen zur Adventszeit. Was gemeint ist, weiss ja jeder. Und ist doch rührend,dass auch Taschendiebe als FahrGAESTE bezeichnet werden. Wobei, Gäste?
Sind doch keine Gratisfahrten. Oder vorweggenommene Politische Korrektness, heute ist ja jeder Gefängnisinsasse ein Gast oder ein Klient. Fehlen nur noch die schwarz-weissen „Langfinger“ Plakate. Frohe Festtage!
werter herr doktor. bei sich zu hause dürfen sie alles. wenns denn sein muss, können sie auch auf die unterhose verzichten, falls sie das brokat-sofa freiwillig ruinieren möchten. was mich ein wenig irritiert sind die übereinander geschlagenen beine. das wirkt irgendwie verklemmt und ist – seien sie ehrlich – auch nicht bequem. richtige männer spreizen bei der lektüre die beine und halten die füsse auf den salontisch. weiter empfehle ich lammfellfinkli anstelle der bemühenden socken. das wirkt archaisch und zeugt von stolz, so nackt die tageszeitung auf dem seidensofa zu lesen.
Werter Herr Rittermann, wie kommen Sie darauf, dass das bei mir zuhause ist? Das wirkt irgendwie verklemmt 🙂
ich mutmasse, wie meist. aber in ihrem fall bin ich mir schon ziemlich sicher.
Lammfellfinkli… haha
Herr Rittermann, Sie sollten wirklich in Erwägung ziehen, Ihre gesammelten Kommentare aus den verschiedensten Blogs zu veröffentlichen. Sie würden sich bestimmt wunderbar verkaufen – in Harlan County. Schöne Festtage, für einmal ganz ohne Gedanken an das, was wahre Männer ausmacht, wünsche ich Ihnen!
was in aller welt ist an lammfellfinkli falsch?! 🙂
„Richtige Männer spreizen bei der Lektüre die Beine….“? Sind Lammfellfinkli (ich musste das googlen, obwohl ich gestern erst in der Schweiz war ) auch ein Zeichen von Virilität ? Und was ist dann mit meinen Samt Loafern mit Initialen ? Stimmt denn das, was meine Kinder über meine Hausschuhe sagen ?
lieber lord henry. ja, es stimmt, was ihre kinder über ihre hausschuhe sagen! aber das ist kein problem – wir treten mit wehenden fahnen ab. 🙂
Ich schlage der Leitstelle vor, nach Weihnachten „speziell in der Vorweihnachtszeit“ durch „überhaupt in der Ballsaison“ zu ersetzen (entlehnt aus Falcos „Ganz Wien“ anno 1982)