Sport ist mein Haushalt

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Am Samstag widmete «Das Magazin» dem Muskelwahn junger Männer eine Titelgeschichte. Tenor: Die ästhetische Schonzeit für Männer ist vorbei, jetzt müssen auch sie ran. Ran an die Trainingsgeräte und Kalorientabellen, rein in die unmöglichen Vergleiche mit den ästhetisch Bessergestellten. Wer etwas gelten will, muss Sixpack und Bizeps in bestem Zustand vorweisen und am besten auch gleich noch wissen, wann wie viel Protein für den optimalen Muskelzuwachs zuzuführen ist. Das gezielte Training sei für viele aber mehr als eine ästhetische Notwendigkeit – sondern nicht zuletzt auch ein Weg, sich gegen die Generation der Vierzigjährigen mit ihren Jogging-Neurosen und absolvierten Halb- und Ganzmarathons und neuerdings auch Triathlons abzugrenzen.

So schön die Entwicklung in besagtem Artikel dargelegt ist, dürfte sie doch auch die eine oder andere sonst faltenfreie Stirn in Runzeln legen. Zum Beispiel beim «Magazin»-Chefredaktor, der im Editorial seine Befürchtung artikuliert, die Besessenheit mit dem körperlichen Erscheinungsbild könnte die jungen Männer womöglich davon abhalten, gute Bücher zu lesen oder zu lernen, wie man mit einer Frau ein halbwegs interessantes Gespräch führt. Hellsichtig ortet der Chef bei dieser Überlegung auch sogleich die Ressentimentfalle, die es diesbezüglich zu vermeiden gelte.

Galoppierende Eitelkeit steht weder Frauen noch Männern besonders gut an, dagegen gefeit sind wir aber alle nicht. Und die Gutaussehenden naturgemäss noch weniger als die vom Schicksal weniger Begünstigten. Wie jede Frau weiss ich, wie schwierig es ist, sich dem Druck zu entziehen, einem bestimmten Ideal entsprechen zu müssen. Trotzdem glaube ich nicht, dass die neue männliche Lust, den Körper mit gezielten Fitnessprogrammen zu gestalten, sich ähnlich vernichtend auswirkt. Frauen haben ihre Schönheit entweder der Jugend, guten Genen oder einem guten Doktor zu verdanken. Von Männern wird lediglich verlangt, dass sie aktiv werden.

Das männliche Ideal ist zumindest ein demokratisches: Wer sich einsetzt, wird mit Muskelzuwachs belohnt. Und wenn nicht, dann wird er hoffentlich mit der Einsicht belohnt, dass Bewegung dich vielleicht nicht zu einem besseren Menschen macht, aber trotzdem gut tut, wie Sportler wissen. Seit meiner Jugend haben mir körperliche Aktivitäten unterschiedlichster Art über die verheerenden Unsicherheiten hinweggeholfen, welche der mit der Pubertät erwachte Druck, schön oder zumindest tadellos sein zu müssen, bei mir hinterliess.

Neulich unterhielt ich mich mit dem Bürokollegen über das Thema. Er wandert viel und gerne, und als Wanderkolumnist muss er sich auch bei widrigsten Bedingungen raus wagen. Ich fragte ihn, ob das für ihn kein Problem sei, und er antwortete nein, im Gegenteil. Er brauche das Wandern, es gehöre einfach zu seinem Leben dazu und das Wetter spiele dabei überhaupt keine Rolle. Viele Sportler werden unruhig, wenn ein allzu enger Wochenplan sie von ihrem Training abhält. Und dabei geht es oft weniger um die Leistung selbst oder den Körperfettanteil, sondern letztlich um Ordnung. Training wird, sofern man es sich im eigenen Leben zur Institution gemacht hat, also immer trainiert, egal ob man gerade Lust hat oder nicht, zum Selbstzweck. Es gehört zu den Rahmenbedingungen des Lebens wie Körperhygiene oder gesundes Essen, gibt Struktur und lichte Momente. Es ist eine Zeit, die nur einem selbst gehört, es schenkt Momente mentaler Ruhe und Einkehr.

Manchmal denke ich, Sport bedeutet für viele Männer und Frauen das, was früher für viele Frauen der Haushalt war. Dort geht es um die Ordnung der Dinge, um Stabilität. Ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit, den man nach eigenem Gusto gestalten kann und an dem man sich der eigenen Rolle versichert. «Mens sana in corpore sano», hiess es bei den Römern, aber ich würde eher mit Heinz Strunck («Fleisch ist mein Gemüse») sagen: Sport ist mein Haushalt. Wenn hier aufgeräumt ist, kann ich auch alle anderen Krisen meistern. Kritisch wird es erst, wenn man nicht mehr aufhören oder über nichts anderes mehr sprechen kann. Denn sicher leben auch Sie gern in einer aufgeräumten Wohnung, aber jemandem zuzuhören, der nur noch über richtige Fensterputztechniken und Staubsaugermodelle spricht, ist tödlich. Das sollten sich auch die jungen Sportler zu Herzen nehmen: Trainiert, schweigt und geniesst. Und dann geht nach Hause und lest, damit ihr auch etwas Interessantes zu erzählen habt.

Bild oben: Training in einem Fitnessstudio in Zürich. (Keystone/Gaëtan Bally)

8 Kommentare zu «Sport ist mein Haushalt»

  • Pascal Sutter sagt:

    Über das eigene Corporate Identity macht man sich heute zuviele Gedanken: Mensch ist mehr als ein weichgezeichnetes Instagram-Bild. Wichtig ist, dass man immer in Bewegubg bleibt. Sei das nun körperlich oder geistig. Sehr schöner Artikel!

  • Henry Wotton sagt:

    Franziska Gräfin zu Reventlow hat ihre Männer-Bekanntschaften einst kategorisiert nach Typen. Der Archetypus des omniattraktiven Mannes, den sich Frau Binswanger im letzten Satz wünscht, ist in der Realität eher weniger oft anzutreffen. Wie der geschätzte Herr Dr. Tingler schon schrieb (der diese Anforderungen natürlich spielend erfüllt ) trifft man recht selten auf Leute, die auf einem Treppenstufensimulator „Krieg und Frieden“ lesen.Die Lösung ist alt und gar nicht so promisk. Eine Französin sagte ehemals: Eine Frau braucht einen Mann für den Unterhalt, einen zum Reden und einen für Bett.

  • Irene feldmann sagt:

    Unterschreibe ich Frau binswanger!

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