Mainstream und Subkultur

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Was ist Mode? Mode ist nicht nur das, was wir anziehen. Mode ist Botschaft, Zitat und Experiment; die Gesamtheit an Dingen, Äusserungen und Verhaltensweisen, die in einem bestimmten Moment dem Zeitgeist entsprechen. Sozialpsychologisch betrachtet ist Mode also nicht zu trennen von menschlichen Bedürfnissen wie Zugehörigkeit und Abgrenzung, Konformismus und Individualismus, Exposition und Tarnung, Exhibitionismus und Verhüllung. Mode ist ein Versuch der Selbstschöpfung. Mode ist Wandel, Mode braucht Muster, und jede Mode bringt neue Wertungen mit sich, die stetige Infragestellung und Auflösung bestehender Normen in einem geradezu dialektischen Prozess gesellschaftlicher Veränderung.

Mode ist ein Moloch, sie frisst und verdaut alles, sie lebt von Kunst und von Dreck und von allem dazwischen. Und natürlich auch vom Sport. Manchmal schafft es ein Stück Sportbekleidung zum Massenstück wie das Polohemd oder das Rugby-Shirt, und manchmal wird eine bestimmte Gruppe von der Zuschauertribüne zum Lieferanten stilistischer Versatzstücke wie im Falle der ursprünglichen Working-Class-Skinheads, die Ende der Sechzigerjahre in makellos gebügelten Fred-Perry-Shirts die englischen Stadionkurven bevölkerten, oder, eine Dekade später, im Falle der sogenannten Casuals (oder «Scallies» in Liverpool), die einen fussballorientierten Lebensstil mit einer Vorliebe für teure Freizeitgarderobe von Lacoste, Fila und Ellesse verbanden (und einer Vorliebe für die Keilfrisur von David Bowie auf dem Albumcover von «Low»). Die Casuals brachten nicht nur den narzisstischen Markenfetischismus der Achtziger auf den Weg, sondern auch noch die Raver-Mode der frühen Neunziger mit ihrem detailverliebten Selbstdarstellungsdrang. Ausserdem ist ihnen die Obsession mit Sneakers (englisch: Trainers) zu verdanken, die Aufwertung von Trainingsschuhen wie dem Adidas Forest Hills, dem Diadora Borg Elite oder Puma Menotti zu Statusobjekten und Ausweisen von Street Credibility. Eine modische Revolution, die entgegen weitverbreiteter Auffassung nichts mit Brooklyn oder der Bronx zu tun hatte, sondern mit Finsbury Park und Euston Road.

Was trägt ein Skater?

Skateboarder (kurz: Skater) hingegen waren bis Mitte der Siebzigerjahre keine kohärente, visuell identifizierbare Subkultur. Und ihr Brettsport keine formalisierte Disziplin der körperlichen Betätigung. Bis zu dieser Zeit war das Skateboard in den USA (wo es herkommt) vielmehr eher ein Hobby und Fortbewegungsmittel als ein Lebensstil. Und was geschah dann? Mehr und mehr Städte verboten das Skateboarding auf öffentlichem Grund, weil man herumrollende Teenager als störend empfand. Skater wurden zu Aussenseitern und entwickelten eine dementsprechende Haltung der Rebellion und Aufsässigkeit. Diese Identitätsstiftung ging mit einer Uniformierung einher: Wenn man ein Skater sein wollte, trug man jetzt überdimensionierte Secondhandjeans, aus denen die Boxershorts quollen, gestreifte T-Shirts oder grob karierte Vintage-Flanellhemden und Hoodies. (Die sogenannten Baggy Pants hingegen sind übrigens kein originärer Skater-, sondern ein Hip-Hop-Trend, der freilich später von der Skaterszene gerne aufgenommen wurde.) Den wahren Skater aber erkennt man bis heute an den Schuhen. Beziehungsweise an deren Zustand: ziemlich ruiniert. Klassisches Skater-Schuhwerk sind die Converse High Tops mit den praktischen flachen Sohlen oder natürlich Slip-ons von Vans, zum Beispiel die karierten von Jeff Spicoli, dem ständig bekifften Antihelden aus dem epochalen Film «Fast Times at Ridgemont High» von 1982. Spicoli, verkörpert von Sean Penn, ist Surfer, und in der Tat waren Skater und Surfer bis in die Achtziger durch Haltung und Habitus verbunden: locker sitzende Garderobe, lockere Manöver auf dem Brett und eine lockere Who-Gives-a-Toss-Einstellung. Skater deckten sich ohne weiteres bei klassischen Surf-Marken wie OP, Offshore oder Quicksilver ein, und alles war easy.

Punks und Surfer und Skaterpunks

Dann kam Punk. Dessen Position der totalen Revolte und Verweigerung war für die Skater als Outcasts im urbanen Dschungel attraktiv, aber zu extrem für die Surfer, die sich ohnehin schon als die sonnengebräunte Version des Aussteigertypen verstanden und sich also weiterhin mit ihren Hauptproblemen befassten: Hautkrebs und Haie. (Sowie ein paar Gangs, die Anspruch auf die besten Shores erhoben.) Die Skater aber wollten plötzlich die ganze Gesellschaft auf den Kopf stellen oder wenigstens negieren: Der Skaterpunk war geboren. Dessen Garderobe lässt sich mit dem Stichwort «thrift shop» am besten beschreiben (was im Deutschen mit «Heilsarmee-Laden» nur ansatzweise übersetzt ist). Der Stil der Skaterpunks pflegte eine Allüre der Ihr-könnt-mich-mal-Ungepflegtheit, so ungefähr wie Matthew McConaughey zwischen Filmen, nur weniger parfümiert. Ein Look, der später Anfang der Neunzigerjahre unter dem Titel «Grunge» zur Mode werden sollte.

Das zeigt bereits, dass der Skaterpunk der Kommerzialisierung nicht wirklich standhalten konnte, seine Attitüde war zu attraktiv für die Mode, den Moloch, der wieder mal gelangweilt und satt war, satt von Schulterpolstern und Power Dressing der Thatcher-Reagan-Ära, und sich nach was Neuem umsah. Die Skater selbst wiederum entzogen sich ein letztes Mal dem Mainstream, indem sie zurückkehrten zu einem saubereren, Label-orientierten Stil: Vision Streetwear war in den späten Achtzigern die Marke der Stunde. Dazu kamen die adrett aussehenden und robusten Hosen von Dickies oder Carhartt (ursprünglich als Arbeitskleidung für Landwirte und Paketzusteller entworfen, daher nicht nur hart im Nehmen, sondern auch nicht teuer). Sowie jüngere Marken wie Stüssy (in den Achtzigern eigentlich als Surfer-Label gross geworden), Spitfire und Independent, später dann Volcom und Zoo York – Labels, die auch wieder von Surfern getragen wurden. Plus mittlerweile von jeder Menge modebewusster Menschen, die keine Ahnung hatten, was ein Ollie ist. Das wars. Der Moloch hatte die Skater gefressen. Dann rülpste er – und heraus kam der Film «Kids».

Die Show läuft ewig

Der Kommerzialisierung des Stils folgte eine Professionalisierung des Sports. Obschon es immer noch den Unterschied gibt zwischen Street Skating und Vert Skating (kurz für «Vertical» meint das Skateboarding in Skaterparks) und wiewohl es auch schon in den Achtzigerjahren Turniere und Stars der Szene gab (allen voran Tony Hawk and Steve Caballero) – existieren heute Skater-Verbände und organisierte Meisterschaften, offizielle Titel, Sponsoren, Werbeverträge und massenhaft Skater-Videogames. Dabei ist «Video» doch eigentlich das Gegenteil von «Skateboarding». Old-School-Skate-Magazine wie das legendäre «Thrasher» versuchen tapfer, die rebellische, autoritätsfeindliche Punk-Stimmung am Leben zu erhalten, während integrierte Magazin-Online-Formate wie «Transworld Skateboarding» ein wesentlich braveres Bild zeichnen. Mehr so in Richtung bunte, rollende Benetton-Welt. Die Kommerzialisierung der Skaterszene ist das perfekte Beispiel für die Unterwerfung des Sports unter die Mode, in ihr zeigt sich die materialistische Bewegungskultur einer Wellnessgesellschaft, die Aktivität unbedingt mit Attitüde verbindet. Sport ist längst nicht mehr nur motorische Bewegung und körperliche Ertüchtigung, sondern wird als Ausdruck eines Lebensgefühls vermarktet. Und das Subversive, was dem Skatertum so hartnäckig anhaftet wie Debbie Harry der Hauch des Punk, lässt sich besonders gut versilbern, denn es wird mit Jugend assoziiert, und die Mode liebt die Jugend und den Geist der Rebellion, und beides verschlingt sie. Untergrund wird zum Mainstream und produziert neuen Untergrund. Der Stilkonsens verschiebt sich.

So wird die Jagd nach Street Credibility zu einem Massensport; Hipster, die nie auf einem Skateboard gestanden haben, durchforsten in einem wilden Eifer des kompetitiven Konsumismus das Interweb nach einem Paar Vintage Trimm Trabs von Adidas, und das Spiel von Konformität und Abgrenzung, Kultur und Gegenkultur – läuft ewig. Gerade in dieser Dynamik spiegelt sich die Aneignung und Wechselhaftigkeit von Attitüden und Image-Konstruktionen, also, wenn man so will, ein Stück popkultureller Geistesgeschichte. Der amerikanische Essayist Joseph Epstein schreibt in seinem Standardwerk «Snobbery»: «Die Langeweile ist ein wichtiger Motor bei Verschiebungen im Zeitgeschmack.» Mit anderen Worten: Mode, die ja per se die Konvention verkörpert, liebt ironischerweise das Unkonventionelle. Bis die Mode sich eventuell irgendwann aus lauter Langeweile selber frisst. Doch das ist bloss eine hypothetische Möglichkeit. Und bis dahin ist das ganze Leben eine Auseinandersetzung um Geschmack. Was übrigens nicht heisst, dass es in diesem Zirkel keine Konstanten gäbe: Die coolsten Skater trugen und tragen seit jeher schlicht irgendwelche Jeans, irgendein T-Shirt, irgendwelche Turnschuhe. Coolness lässt sich eben nicht kaufen.

Im Bild oben: Fashion Show in Brasilien, 16. April 2013. (AFP)

7 Kommentare zu «Mainstream und Subkultur»

  • Dieter Immer sagt:

    Mode ist Scheisse. Als Introvertierter möchte ich nichts kommunizieren – nicht meine Zugehörigkeit und Abgrenzung, nicht Konformismus oder Individualismus, nicht ein selbstgeschöpftes Bild was ich darstellen soll. Und doch muss ich irgendwas anziehen. Ich verlange das Recht auf Nichtkommunikation!

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