Das Geheimnis weiblicher Grausamkeit

Das Schweizer Fernsehen hat sich mit dem geplanten Historien-Themenmonat «Die Schweizer» schon in die Nesseln gesetzt, bevor er überhaupt angefangen hat. Es fehlen die Frauen, wie seit Sonntag diskutiert und bemängelt wird. Beim Schweizer Fernsehen reagierte man auf die absehbare Aufregung mit der lapidaren Bemerkung, in der fraglichen Epoche habe es keine Frauen von «historisch belegbarem Einfluss» gegeben. Das stimmt, sofern man gewillt ist, seinen Horizont entsprechend einzuengen, so dass man nur genau das sieht, was man auch sehen möchte. Wobei man dem Fernsehen nicht vorwerfen kann, einem eingeschränkten Geschichtsbild zu folgen. Schliesslich geht es nicht um Geschichte im engeren Sinne, sondern um Mythen, wie Roger de Weck gern betont. Wir Schweizer möchten es doch bloss ein wenig gemütlich in unseren Ansichten zu uns selbst und der Welt. Und so sind auch jene Wortmeldungen zu verstehen, die nun von Zwängerei sprechen und sagen, es nunmal so gewesen früher, dass nur Männer wichtige, grosse Taten begingen und das könnten ein paar trotzige Feministinnen auch nicht ändern.
Aber es geht gar nicht um irgendwelche aufgeschreckten Feministinnen. Der Kreativ-Abteilung des Schweizer Fernsehens, die das zu verantworten hat, müsste man Folgendes mitteilen: Wer nicht genau hinschaut ist dazu verurteilt, immer das Gleiche zu sehen. Und wer sich selber langweilt, der langweilt irgendwann auch die anderen.
Was heisst denn eigentlich «historisch wichtig»? Dass Frauen damals keine Rolle spielten, ist bloss eine Behauptung, die man vielleicht nochmals überdenken sollte. Frauen mochten von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sein, doch es ist nicht anzunehmen, dass sie damals völlig anders waren als heute. Und so nahmen sie mit Sicherheit Einfluss, wenn auch anders, nämlich unter den Rahmenbedingungen, die für sie als Frauen damals herrschten. Sie mögen nicht brandschatzend durch die Lande gezogen sein – gewirkt haben sie trotzdem.
Dass eine Recherche in diese Richtung aufschlussreich sein kann, zeigt das aktuelle Buch der Historikerin Wendy Lower: «Hitlers Furies – German Women in the Nazi Killing Fields» Darin geht sie der Rolle der Frauen im dritten Reich nach. Sie zeigt, wie die Rahmenbedingungen, unter denen die deutsche Frauen damals aufwuchsen, dazu führten, dass die Frauen sich genau so am Genozid beteiligten, wie die Männer. Wenn auch auf andere Art. Da Hitler die Rolle deutscher Frauen vor allem darin sah, kräftige Männer für den Krieg zu gebären, erhielten die Frauen aus der Generation des ersten Weltkriegs nur marginale Schulbildung, dann sollten sie Hausfrauen werden. Doch sie waren jung und wollten etwas erleben und wurden vom nationalistischen Eifer dieser Zeit erfasst. Für die Nazis zu arbeiten bedeutete für viele, in die besetzten Gebiete reisen und aus der für sie vorgesehenen Frauenbiographie ausbrechen zu können. Mit aufregenden Perspektiven: gerade für junge Frauen sei die Aussicht auf Reisen, Abenteuer, hübsche Kleider, eigenes Geld und romantische Begegnungen mit wichtigen Männern reizvoller, als zu Hause zu bleiben und Kinder zu gebären. Mit der Konsequenz, dass auch viele junge Frauen sich an den Grausamkeiten des Hitler-Regimes aktiv beteiligten. Lowers Interesse gilt Krankenschwestern, Sekretärinnen, Lehrerinnen, Ehefrauen von SS-Offizieren und sie zeigt eindrücklich, wie auch die Frauen sich an den Grausamkeiten beteiligten.
Der Holocaust wird gemeinhin als das Verbrechen von Männern gesehen, ermöglicht durch eine schweigende Mehrheit, die lieber nicht wissen wollte, dass die Nazis Völkermord begingen. Die Rolle der Frauen wird meist unter die schweigende Mehrheit subsumiert. Doch wer genau hinschaut, sieht ein etwas anderes Bild.
«Die Rolle der deutschen Frau in Hitlers Krieg kann nicht länger nur auf ihre Mobilisierung und als Opfer an der Heimfront gesehen werden. Hitlers Deutschland produzierte eine neue Art von weiblicher Kriegsfigur, ein Ausdruck von weiblichem Aktivismus und Patriotismus der grausamsten und gewalttätigsten Art», schreibt Lower. Das mag das uns so lieb gewordenen Bild der Frau als sanftes, liebevolles, sich kümmerndes Wesen etwas stören, aber es zeigt: Frauen waren im dritten Reich zu den gleichen Grausamkeiten, wie die Männer auch. Sie wählten bloss andere, indirekte Strategien, sie auszuleben.
Fragte man einen Vertreter des SRF, würde er diese Frauen vielleicht auch als «historisch bedeutungslos» klassifizieren, schliesslich wurden nur wenige bei den grossen Kriegsprozessen verurteilt. Das ist die komplementäre Seite des einseitigen Geschichtsbilds, das die immer gleiche Erzählung grosser Männer weiterschreibt, ohne sich dafür zu interessieren, wie die Frauen bei dem Ganzen mitwirkten. In diesem Fall, um zu verstehen, wie Menschen, Männer wie Frauen, zu unmenschlichen Grausamkeiten fähig sind. In unserem Fall, wie nicht nur grosse Männer unser Land zu dem gemacht haben, was es heute ist. Es wäre ein Blick wert gewesen.
23 Kommentare zu «Das Geheimnis weiblicher Grausamkeit»
Dass an dieser Stelle aus prominenter Feder für einmal festgehalten wird, dass Frauen zu denselben Grausamkeiten fähig sind, ist m. Erachtens bereits ein grosser Schritt. Sind wir Männer doch gewohnt, dass man uns aus feministischer Seite weiszumachen versucht, dass Frauen nicht nur die besseren Menschen sind, sondern dadurch auch die besseren weil menschlicheren CEO, Staatsführer usw.
Fakt ist dass Frauen in diesen Dingen noch nie hinter Männern zurückstanden, im Ggt. Unabhängig aber von der Rolle der Frauen bei Gräueltaten waren die Entscheidungsträger Stalin, Mao, Hitler, Pol Pot Männer.
Aber auch letztere sind „… von FRAUEN geboren, aufgezogen u.gebildet worden. Ohne Frauen gäbe es sie gar nicht.“ wie eine Frau in einem Kommentar zu einem anderen Artikel dieser Zeitung moniert.
Oder auch diesen wurde „…von einer Frau der Rücken frei gehalten…“ wie die Autorin obigen Artikels anmerkt .
als ob jemand denken würde, frauen würden irgendwie in einem paralleluniversum leben, abgekoppelt von der männerwelt, lächeln dekorativ und sind nur immer lieb. also bitte
Oh, es gibt schon gewisse „emanzipierte“ Frauen, die der Meinung sind, dass Einfühlsamkeit und Kreativität per se ein „weibliches Prinzip“ ist, während Egoismus und Zerstörung ein Männliches ist. Die Begründung erfolgt dann mit allerlei esoterischem und/oder biologistischen Nonsens-Argumenten. Hier würden solche Frauen jetzt argumentieren, dass die im Artikel beschriebenen Frauen nur aus dem Grund grausam waren, weil sie sich einem patriarchalen System untergeordnet und ihre inhärente Weiblichkeit verleugnet, bzw. lediglich männliche Verhaltensweisen kopiert haben.
Nun galt ja bis vor einigen Jahrzehnten die Frau als das dekorative Geschlecht. Daran hat sich bis heute in der Realität auch nicht viel geändert, lediglich eben in der politisch korrekten, veröffentlichten Meinung. Ich halte es für unklug, wenn eine der scheinbar emanzipierten Frauen diese wertvolle Trumpfkarte freiwillig aus der Hand gibt. Schliesslich verfügt nicht jede über den Intellekt von Frau Binswanger, die ja zudem noch recht hübsch ist. Die Grausamkeiten per se bleiben natürlich allen Frauen unbenommen, völlig unbestritten und waren zu keiner Zeit ein Geheimnis.
Die HBO Serie ‚Rome‘ gibt der Rolle der Frauen in der römischen Politik viel Gewicht. Die Kaiser und Generäle waren aber halt einfach Männer. Schauen wir doch erst, ob die Frauen in der Serie des SRF tatsächlich als unbedeutend dargestellt werden, bevor wir urteilen.
Heikles aber wichtiges Thema, da Frauen oft als die beschützenden Wesen dargestellt werden. Ich finde gerade Frauen sind in Grausamkeiten Meisters des Faches, nur das sie diese nicht offen ausleben, oftmals weil, es dazu ein ausgesprochenes Bewusstsein braucht und Mut, die Konsequenzen davon zu tragen.
Wieso schaut man eigentlich nicht erst, wie die Sendung umgesetzt wird? Dass auch in der Vergangenheit die Schweiz nicht nur aus Männern bestand wird auch dem SRF nicht entgangen sein und es bleibt immer Raum für Figuren, die neben der vermeintlichen Hauptfigur wichtiges leisten. Dass die prominenten Hauptfiguren der Geschichte männlich sind, ist halt so, ein Stauffacher oder Dufour ist halt was man kennt. Das heisst aber nicht, dass deren Relevanz nicht hinterfragt werden kann und vielleicht macht das SRF ja genau das..