Jakobsweg, Whistleblower, Masturbation

BlogMag663

Diese Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse, meine Damen und Herren, ein Ereignis, dem ich immer wieder mit Freude entgegensehe. Genau wie seinem Ende. Erstaunlicherweise wollen ja zahlreiche Menschen Schriftsteller werden, mehr als je zuvor in der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Obschon dies Gewerbe bisweilen härter ist als Prostitution. Und ich helfe Ihnen gern dabei. Bei Ihrer Schriftstellerkarriere, meine ich. Es folgen, für abgebrühte Veteranen und hoffnungsvolle Anfänger, fünf Handreichungen für Ihren Erfolg im deutschsprachigen Literaturgeschäft:

  1. 1. Einstieg

    Für den Einstieg brauchen Sie: einen Agenten, eine Homepage und ein Foto. Wenn Sie weiblich, hässlich, ostdeutsch und unter 40 sind, haben Sie die besten Chancen und können jedes Bild benutzen. Osteuropäische Wurzeln gehen zur Not auch. Gerne mit leichtem rumänischen Akzent. Ansonsten: Stellen Sie sich für Ihr Autorenporträt vor ein Bücherregal und üben Sie den verzweifelten Blick eines schwangeren Teenagers. Oder schneiden Sie sich obendrein die Haare selber mit dem Messer wie Juli Zeh. Die Marketingstrategen werden jubeln.

  2. 2. Manuskript

    Sie brauchen ausserdem noch so was wie ein Manuskript. Rohfassung reicht. Sie sollten günstigerweise auf Nebensätze verzichten, allerhöchstens auf parataktische Reihungen setzen und einen oder mehrere der folgenden Themenkomplexe leitmotivisch berücksichtigen: Jakobsweg/Burn-out/Mobbing, Whistleblower, Casinokapitalismus, Masturbation (in allen Formen; und ich meine: alle). Gerade auch für den deutschen Markt ist ebenfalls folgender Handlungsbogen immer sehr erfolgversprechend: Ich habe beim Rumkramen auf dem Dachboden Indizien dafür gefunden, dass mein Urgrossvater im Juli 1932 möglicherweise die NSDAP gewählt hat, und das belastet mich jetzt irgendwie so wahnsinnig, gerade auch in der heutigen Zeit, dass ich unbedingt ein Buch darüber schreiben muss. Zum Glück habe ich meinen Ur-Opa nie kennengelernt.

  3. 3. Networking

    Alle Beziehungen dienen der Transaktion. Ihr Umgang mit anderen Menschen ist ein Tauschhandel mit Interessen. Selbst im Zeitalter der elektronischen Kommunikation lautet die häufigste Abwimmelphrase im Kulturbetrieb immer noch: «Ich rufe Sie an.» Antworten Sie darauf mit: «Ich Sie auch.»

  4. 4. Umgangsformen

    Information ist eine Währung. Egal, wie irrelevant die Neuigkeiten sind, die Ihnen Fachleute auf Buchmessen oder Lesungen zukommen lassen, antworten Sie immer mit: «Oh ja, das habe ich schon gehört.» Im direkten Umgang gilt die Hollywood-Regel: Niemand sagt irgendjemandem die Wahrheit. Alle Bücher sind grossartig, alle Lesungen meisterhaft, jeder ist ein Pulitzer-Kandidat, und niemand, wirklich niemand hat ein Alkoholproblem. Ansonsten: Reden Sie sich raus. Wenn Politiker es schaffen, sich bei Blowjobs und Massenvernichtungswaffen rauszureden, werden Sie es wohl noch hinkriegen, die üblichen Ausflüchte aufzutischen. Zum Beispiel: «Bitte entschuldigen Sie, dass mir der Titel Ihres Sachbuchs über Diätenterror gerade nichts sagt, aber ich habe gestern neunmal die Datumsgrenze durchflogen und bin noch ein wenig durcheinander.»

  5. 5. Vermarktung

    Aktivität ersetzt Leistung. Ihr 17. Fernsehauftritt und Ihre 89. Podiumsdiskussion heben zwar nicht die literarische Qualität Ihrer Bücher, aber deren Verkauf. Und: Lernen Sie die Sprache: Verlagspraktikanten heissen persönliche Assistenten, vage Vorhaben heissen Projekte, geistloses Namedropping heisst Popliteratur, und die Vermarktung von altklugen Blaustrümpfen mit Messerhaarschnitt als literarische Nachwuchshoffnung nennt man Branding. Und schliesslich: Erfolg und Einfluss haben ein Verfallsdatum. Verbrüdern Sie sich mit niemandem. Wer heute Feuilletonchef ist, kann morgen in der Werbeagentur enden. Oder als Ghostwriter für Iris Berben. Good luck!

Im Bild oben: Das Literaturgeschäft ist ein begehrtes Gewerbe: Eine Mitarbeiterin an der Frankfurter Buchmesse 2012. (Keystone/Michael Probst)

11 Kommentare zu «Jakobsweg, Whistleblower, Masturbation»

  • Peter Müller sagt:

    Herrlich geschrieben. Sie haben mich wirklich zum lachen gebracht!

  • Monisa sagt:

    Köstlicher Ratgeber! Danke! ;-))))

  • Carolina sagt:

    Noch ein Tip: sollten Sie tatsächlich ein angehender Jungschriftsteller sein, gehen Sie auf keinen Fall zur Buchmesse. Die jährlichen Neuerscheinungsmassen können tatsächlich zu einer massiven Schreibblockade oder Verzweiflungstaten führen wie das angefangene Werk zu zerreissen! Die Frage ‚wer soll das alles lesen‘ führt direkt in eine Depression. Bleiben Sie zuhause, lesen Sie keine Literaturbeilagen und schauen Sie kein ‚Aspekte extra‘. Wenn Sie nach der Buchmesse wieder hervorkriechen, haben Sie zumindest die Hoffnung nicht verloren.

  • mara be sagt:

    ganz schön pööse herr dr. 😉

  • urs bilger sagt:

    sollten all diese ratschlaege nicht gefruchtet haben, koennen sie sich immer noch der prostitution zuwenden; funktioniert anscheineind auch mit rumaenischem akzent und abseits des jakobwegs 🙂

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