Jakobsweg, Whistleblower, Masturbation

Diese Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse, meine Damen und Herren, ein Ereignis, dem ich immer wieder mit Freude entgegensehe. Genau wie seinem Ende. Erstaunlicherweise wollen ja zahlreiche Menschen Schriftsteller werden, mehr als je zuvor in der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Obschon dies Gewerbe bisweilen härter ist als Prostitution. Und ich helfe Ihnen gern dabei. Bei Ihrer Schriftstellerkarriere, meine ich. Es folgen, für abgebrühte Veteranen und hoffnungsvolle Anfänger, fünf Handreichungen für Ihren Erfolg im deutschsprachigen Literaturgeschäft:
- 1. Einstieg
Für den Einstieg brauchen Sie: einen Agenten, eine Homepage und ein Foto. Wenn Sie weiblich, hässlich, ostdeutsch und unter 40 sind, haben Sie die besten Chancen und können jedes Bild benutzen. Osteuropäische Wurzeln gehen zur Not auch. Gerne mit leichtem rumänischen Akzent. Ansonsten: Stellen Sie sich für Ihr Autorenporträt vor ein Bücherregal und üben Sie den verzweifelten Blick eines schwangeren Teenagers. Oder schneiden Sie sich obendrein die Haare selber mit dem Messer wie Juli Zeh. Die Marketingstrategen werden jubeln.
- 2. Manuskript
Sie brauchen ausserdem noch so was wie ein Manuskript. Rohfassung reicht. Sie sollten günstigerweise auf Nebensätze verzichten, allerhöchstens auf parataktische Reihungen setzen und einen oder mehrere der folgenden Themenkomplexe leitmotivisch berücksichtigen: Jakobsweg/Burn-out/Mobbing, Whistleblower, Casinokapitalismus, Masturbation (in allen Formen; und ich meine: alle). Gerade auch für den deutschen Markt ist ebenfalls folgender Handlungsbogen immer sehr erfolgversprechend: Ich habe beim Rumkramen auf dem Dachboden Indizien dafür gefunden, dass mein Urgrossvater im Juli 1932 möglicherweise die NSDAP gewählt hat, und das belastet mich jetzt irgendwie so wahnsinnig, gerade auch in der heutigen Zeit, dass ich unbedingt ein Buch darüber schreiben muss. Zum Glück habe ich meinen Ur-Opa nie kennengelernt.
- 3. Networking
Alle Beziehungen dienen der Transaktion. Ihr Umgang mit anderen Menschen ist ein Tauschhandel mit Interessen. Selbst im Zeitalter der elektronischen Kommunikation lautet die häufigste Abwimmelphrase im Kulturbetrieb immer noch: «Ich rufe Sie an.» Antworten Sie darauf mit: «Ich Sie auch.»
- 4. Umgangsformen
Information ist eine Währung. Egal, wie irrelevant die Neuigkeiten sind, die Ihnen Fachleute auf Buchmessen oder Lesungen zukommen lassen, antworten Sie immer mit: «Oh ja, das habe ich schon gehört.» Im direkten Umgang gilt die Hollywood-Regel: Niemand sagt irgendjemandem die Wahrheit. Alle Bücher sind grossartig, alle Lesungen meisterhaft, jeder ist ein Pulitzer-Kandidat, und niemand, wirklich niemand hat ein Alkoholproblem. Ansonsten: Reden Sie sich raus. Wenn Politiker es schaffen, sich bei Blowjobs und Massenvernichtungswaffen rauszureden, werden Sie es wohl noch hinkriegen, die üblichen Ausflüchte aufzutischen. Zum Beispiel: «Bitte entschuldigen Sie, dass mir der Titel Ihres Sachbuchs über Diätenterror gerade nichts sagt, aber ich habe gestern neunmal die Datumsgrenze durchflogen und bin noch ein wenig durcheinander.»
- 5. Vermarktung
Aktivität ersetzt Leistung. Ihr 17. Fernsehauftritt und Ihre 89. Podiumsdiskussion heben zwar nicht die literarische Qualität Ihrer Bücher, aber deren Verkauf. Und: Lernen Sie die Sprache: Verlagspraktikanten heissen persönliche Assistenten, vage Vorhaben heissen Projekte, geistloses Namedropping heisst Popliteratur, und die Vermarktung von altklugen Blaustrümpfen mit Messerhaarschnitt als literarische Nachwuchshoffnung nennt man Branding. Und schliesslich: Erfolg und Einfluss haben ein Verfallsdatum. Verbrüdern Sie sich mit niemandem. Wer heute Feuilletonchef ist, kann morgen in der Werbeagentur enden. Oder als Ghostwriter für Iris Berben. Good luck!
Im Bild oben: Das Literaturgeschäft ist ein begehrtes Gewerbe: Eine Mitarbeiterin an der Frankfurter Buchmesse 2012. (Keystone/Michael Probst)
11 Kommentare zu «Jakobsweg, Whistleblower, Masturbation»
Köstlich, köstlich. 😎 Apropos, Katharina I tönt ziemlich russisch. Das ist doch schon mal ein guter Anfang. Ich könnte Ihnen ein paar sehr interessante Geschichten von meinem Ur-Enkel erzählen!
dann erzaehlen sie doch bitte mal liebe katharina I . o-der muessen wir auf das buch oder variante b warten 😉
Ich fürchte, Sie müssen auf das Buch warten. Denn wenn ich das alles hier erzähle (bitte denken Sie sich beim Lesen einen russischen Akzent), kriege ich ja keine Kohle dafür. Und ohne Kohle kann auch ich nicht leben. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das alles kostet, die Paruren, die Paläste, der ganze Prunk. Und erst der Chauffeur! Und die Heizung! Das gibt’s leider nicht für gratis.
Oder sind Sie gar die Zarewna Anastasia unter falschem Namen. Etwas jünger, aber auch schon ein statliches Alter. Möchte endlich aus erster Hand wissen, wie es mit den Romanows geendet hat. Ich traue Ingrid Bergman nicht.
Auch Kriminelle erhofften sich auf der Buchmesse Gehör zu verschaffen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie manche mit ihrer Lebensgeschichte vom großen Erfolg träumen; wobei eine Lebensgeschichte wird doch erst im gehobenen Alter sinnvoll? Es gibt nichts, womit Schreiberlinge versuchen Aufmerksamkeit zu erhaschen. Auch das Literaturgeschäft mutiert zum `käuflichem Gewerbe `. http://www.welt.de/regionales/muenchen/article120640601/Mehmet-darf-nicht-zur-Frankfurter-Buchmesse.html
Und bei Punkt 2 (NS-Grossvater) nicht vergessen bei jeder mögliche Gelegenheit zu betonen, dass sie das einfach tun mussten (das Buch schreiben), das eigentlich nur Ihre Form der Therapie gewesen sei und Thema Kohle auf jeden Fall vermeiden oder behaupten „..das Geld interessiert mich nicht..“ Ganz wichtig, eigentlich hätten sie das ja nur für ihre Kinder gemacht, diese Vergangenheitsbeweältigung, obwohl es Ihnen aufgrund der Kohle scheissegal ist, dass jetzt alle Welt weiss, dass ihre Kinden einen Massenmörder als Urgrossvater haben. Die können ja dann ein Buch über ihre Mutter schreiben.