Welche Lebens­philosophie passt zu Ihnen?

Blogmag_nachdenklich

Die alten Griechen, meine Damen und Herren, waren Anhänger einer Temperamentenlehre, die den Menschen nach seiner Wesensart kategorisiert. Dieser Ansatz, Grundlage für die Konstitutionstypenlehre des deutschen Psychiaters und Nobelpreiskandidaten Ernst Kretschmer in den Zwanzigerjahren, wird zwar heute nicht mehr als wissenschaftliche Theorie angesehen, ist aber in seiner Begrifflichkeit nach wie vor bisweilen hilfreich. Zum Beispiel wenn Sie sich fragen sollten: Welche philosophische Richtung passt eigentlich zu mir? Hier ein paar Aufschlüsselungen anhand der Grundtypen der Konstitution:

  1. Der Phlegmatiker

    ist behäbig, bequem, gleichgültig. Bleibt ungerührt, sogar wenn ihm Unweltaktivisten den Cayenne zerkratzen. Wenn Sie diesem Typus angehören, passt zu Ihnen eine philosophische Richtung aus der Blütezeit des Hellenismus: der Stoizismus. Für den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in der göttlichen Ordnung des Kosmos zu erkennen und auszufüllen, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung gemütlich sein Los zu akzeptieren lernt und mithilfe von Gelassenheit zur Weisheit strebt.

  2. Der Choleriker

    ist leidenschaftlich, aufbrausend, kritisch. Verliert sofort die Fassung, wenn er am Check-in kein Upgrade bekommt. Zu diesem Typus passt: Friedrich Nietzsche (1844–1900), der Umwerter aller Werte, der den Tod Gottes sowie den Nihilismus verkündete und den Willen zur Macht vergötterte, sich seine Werte selbst setzte. Schlecht war für Nietzsche alles, was aus der Schwäche stammt. Allerdings bekam er dann Syphilis oder einen Gehirntumor (das ist bis heute umstritten) und verlor den Verstand (so viel steht fest).

  3. Der Melancholiker

    ist trübsinnig, pessimistisch, langsam. Die Sorte, die einen wahnsinnig macht, wenn sie vor einem bei Starbucks eine Bestellung aufgibt. Zu diesem Typus passt: die Existenzphilosophie. Diese massgeblich von Jean-Paul Sartre (1905–1980) und auch Martin Heidegger (1889–1976) geprägte Richtung betont die Vereinzelung des Menschen, seine «Geworfenheit» in ein «Dasein», das absurd und vernunftwidrig ist. Das Ich steht in Fremdheit und Feindseligkeit der Welt gegenüber, hört Kitsch von «Rosenstolz» und muss, da es keinen absoluten Sinn gibt, innerhalb seiner Möglichkeiten das rechte Mass finden. Das endet dann meistens mit einem Haufen Katzen. (Sie merken schon: Ich mag keine Melancholiker. Sie fallen mir auf die Nerven.)

  4. Der Sanguiniker

    ist lebhaft, optimistisch, leichtblütig. Häufig in der Polo Lounge des Beverly Hills Hotel anzutreffen. Zu diesem Typus passt: der Epikureismus, neben der Stoa eine weitere bedeutende Lehre der nachklassischen Antike, welche die Diesseitigkeit des menschlichen Daseins betont und auf Erhöhung und Verstetigung der Lebensfreude durch den Genuss eines jeden Tages zielt. Dazu gilt es, über alle Beeinträchtigungen des Seelenfriedens zu triumphieren, die aus Begierden, Furcht und Schmerz erwachsen können. Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes ist der Utilitarismus des 19. Jahrhunderts, dessen Kern man in der Forderung zusammenfassen kann: «Handle so, dass das grösstmögliche Mass an Glück entsteht!»

  5. Fazit

    Selbstverständlich entspricht der Sanguiniker am ehesten dem Persönlichkeitsleitbild der westlichen Wettbewerbsgesellschaften, in denen wir glücklicherweise leben. Das Glück des Utilitarismus ist eine Frage des Geschmacks oder der Präferenz, womit wir uns dem Dogma der ökonomischen Rationalität annähern, also letztlich dem Denken in Kosten und Nutzen, welches menschliches Verhalten essenziell als Folge von Präferenzen, Anreizen und Restriktionen begreift. Wenn es aber der sogenannten Gegenwartsphilosophie bloss noch darum ginge, die Individuen in ihr Optimum zu bringen, dann wäre, wie wir schon mal festgestellt haben, Philosophie nur noch eine Gestalt des Zeitgeistes, neben Diäten und Ernährungsdoktrinen, Work-Life-Balance-Training, dem Coaching zur emotionalen Intelligenz und Barbara Beckers Pilatesprogramm. Einer derartigen Philosophie wäre es immerhin im Hegelschen Sinne perfekt gelungen, ihre Zeit auf den Begriff zu bringen. Allerdings wäre sie natürlich total runtergekommen. Sie merken: Manchmal bin ich ein wenig missvergnügt. Ausserdem bin ich moody, cranky, controlling, you name it. Und selten schaffe ich es, Frozen Yoghurt im Liegen zu essen, ohne dass ein Drittel davon auf meinem T-Shirt landet. Und eigentlich mag ich auch überhaupt kein Frozen Yoghurt. Zu welchem Typen macht mich das? Nun, immerhin hat neulich der Verkäufer in der Silberwarenabteilung bei Macy’s in Cathedral City – nachdem er mich gefragt hatte, welche Art von Arzt ich wäre, und ich erwidert hatte: Gar keine, das ist ein Doktor der Philosophie – festgestellt: «Well, that explains your positive attitude!»

Im Bild oben: Nachdenklicher junger Mann. (Flickr/floffimedia)

15 Kommentare zu «Welche Lebens­philosophie passt zu Ihnen?»

  • Thomas M. Germann sagt:

    Von Epikur (siehe oben Nr. 4) stammt auch die bedenkenswerte Aussage: „Ich spucke auf das Sittliche und diejenigen, die es sinnleer anstaunen, wenn es keine Lust verschafft“ (Hermann Usener, Epicurea, Leipzig 1887, Fragment 512).

  • Katharina I sagt:

    Positve attitude? Der Herr Tingler? Erm, ich weiss nicht… Ist das nicht der Herr Tingler, der sogar älteren Damen gegen das Schienbein tritt im Laden, wenn sie ihm das letzte, was war das noch mal, das letzte Deko-Murmeltier im Weihnachtskostüm wegschnappen? Andererseits hatte er keine Weihnachtsdepression im letzten Jahr im Gegensatz zu mir. Aber ich bin trotzdem keine Melancholikerin. Ich würde mich als cholerisch einschätzen. Grrr. 😎

  • Marcel Mertz sagt:

    Zwischen Utilitarismus und ökonomischer Rationalität klaffen Welten: Dem Utilitarismus geht es nicht um das Glück des Einzelnen, sondern um Glücksvermehrung insgesamt, also für „das größte Wohl der größten Zahl“ u.Ä., und zwar deshalb, weil dies moralisch zu fordern ist. Der egoistische homo oeconomicus interessiert sich dagegen nur für sein Glück und allenfalls das seiner nahestehenden Personen, und zwar deshalb, weil es klug ist (und nicht, weil es moralisch ist). – Entspräche Utilitarismus tatsächlich unsem Zeitgeist, wären unsere Welt und die Normen, denen wir folgen, deutlich anders.

  • Jacques sagt:

    Der Melancholiker Schopenhauer (der Autor mag diese ja nicht) pflegte zu sagen, dass ein „heiteres Gemüt zu haben – das schönste Geschenk der Natur sei“. Trotzdem hatte er, über mittlere und/oder längere Zeit, meistens recht behalten. C’est la vie! Und hatte herzlich-grimmig gelacht, darüber – wie sich die Positivisten meistens irrten. Frage: Welcher grosse Philosoph hatte mehr Humor ?

  • daniel g. sagt:

    @ Katharina I. , („Die Grosse)
    (Antwortfunktion streikt)
    Danke Ihro huldvolle Majestät für die tröstenden Worte. Meine Tastatur ist manchmal ganz schön dumm. Aber wie sagt Tom Waits: „My Piano has been drinking, not me, not me“. Und mit Verdis
    Schlussfolgerung im Falstaff stelle ich weiter fest: „Tutta la vita e burla“

    daniell g. , alias Peter III.

    (The nitwit is my keyboard, not me)

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.