Alice Schwarzer und Schweizerhochdeutsch

Zuerst heute dies, meine Damen und Herren: Ich lese ja nicht nur ganz gerne den «National Enquirer», sondern auch die «Emma». Das Heft ist praktisch reklamefrei und man dringt in Welten ein, die sonst vielleicht fremde blieben, und wenn auf jeder dritten Seite Alice Schwarzer abgebildet ist, stört mich das auch nicht, denn ich finde ja Frau Schwarzer gar nicht mal so schlecht. Ziemlich schlimm als Zeichen des allgemeinen kulturellen Niedergangs hingegen erscheint mir, wie Sie wissen, Sonya Kraus, und deshalb war ich sehr erstaunt, dass Alice Schwarzer, selbsternannte Kämpferin gegen die Feldbuschisierung, nun auf einmal die Spalten ihrer «Emma» breit macht ausgerechnet für die Ergüsse einer Gestalt wie Sonya Kraus, die, ich darf daran erinnern, ihr Geld nicht zuletzt damit verdient, dass sie im Aufzug einer Prostituierten im Ramschfernsehen die grausamsten Ausschnitte aus menschenverachtenden Vorführshows nochmals vorführt, um die Personen, die dort der Verhöhnung preisgegeben werden, nochmal zu verhöhnen. Und so tut, als sei das ironisch, was es aber nicht ist. Es ist bloss billig und menschenverachtend. In den Worten von Frau Schwarzer über Frau Feldbusch: «Diese Frau schockierte und erbarmte mich zugleich. Diese Frau, das habe ich begriffen, ist für ihren Vorteil zu allem bereit. Einfach zu allem.» Und Frau Schwarzer ist doch gegen Prostitution, und deshalb bringe ich das nicht ganz zusammen: «Emma» und Sonya. Vielleicht haben Sie eine Erklärung, liebes Publikum.
Und nun was anderes: Das «Tagblatt der Stadt Zürich» hat mich kürzlich gefragt: Sind Sie Berliner oder Zürcher? Worauf ich erwiderte: «Ich bin in West-Berlin geboren und in die Schule gegangen und lebe in Zürich und habe das Zürcher Bürgerrecht. Berlin bleibt meine Heimat, Zürich mein Zuhause. Ein bisschen fremd bin ich an beiden Orten. Aber das schadet nichts.» Dies vorweg. Dann aber kam die Frage: Was wurde zur überstrapazierten Debatte «Deutsche in Zürich» noch nicht gesagt? Worauf ich erwiderte: «Dass man auch Schweizer sein kann, wenn man hochdeutsch spricht.» Und hier und heute nun würde ich gern noch einen Punkt anfügen, nämlich: Dass es nicht nur das Schweizerdeutsche in seinen diversen Varianten gegenüber dem Hochdeutschen gibt (und dass Mundart in der Schweiz eine Frage der regionalen, in Deutschland dagegen der sozialen Herkunft ist) – sondern: Es gibt auch Schweizerhochdeutsch. Man merkt das an spezifischen Eigenheiten, etwa an den Genitivkonstruktionen. Nehmen Sie zum Beispiel «Datum des Abflugs», im Hochdeutschen: «Abflugdatum», im Schweizerhochdeutschen: «Abflugsdatum». In dieser Form, wie auf obigem Foto zu sehen, etwa benutzt von Swiss, einer Fluggesellschaft, die der Lufthansa gehört, die selbst wiederum das Wort «Abflugdatum» verwendet. Wie drollig. Ich schliesse mit E.B. White: «Analyzing humor is like dissecting a frog. Few people are interested and the frog dies of it.» Und dann, meine Damen und Herren, will ich noch darauf hinweisen, dass ich eben versehentlich das wohl schlimmste Musikstück der Welt gehört habe: «The Blower’s Daughter» von Damien Rice. Thank you. God bless.
29 Kommentare zu «Alice Schwarzer und Schweizerhochdeutsch»
Frau Ruoff, zum „Schtiiik“ ist zu sagen, dass dieses Wort in der Mundart als eingedeutscht gilt. Wie zum Beispiel auch Shampoo (Schampo, nicht puu) oder Sandwich (Sandwitsch, nicht uitsch). Das hat mit Bildung direkt nichts zu tun. Eine gebildete Person, die zusätzlich mit einem Minderwertigkeitskomplex ausgestattet ist, ist anhand der überkorrekten Verwendung der Originalaussprache allerdings gut erkennbar. Ähnlich wird bei lokal verwendeten Wörtern (wie Gring) verfahren: sie werden durch gebildeter scheinende Wörter eines anderen Dialekts oder der Standardvarietät ersetzt.
Sehr geehrter Herr Dr. Tingler, Ihrem Beitrag „Fahrprüfung“ vom 18.6.2012 kann man entnehmen, dass Sie bestens eingeschweizerhochdeutscht sind (Parkieren). Hier weitere Ideen für zukünftige Analysen: Warum gibt es in Deutschland kein so tolles Wort wie Harass, warum ist in der Schweiz eine Pappkiste eine Kartonschachtel, und warum ist Fegen in der Schweiz Wischen, Wischen hingegen Fegen (von Laufen und Springen einmal ganz abgesehen)??
Das mit der Pappkiste ist nicht ganz wahr, Herr Steiner. In der „Sendung mit der Maus“ wird den Kindern gelehrt: „Achtung jetzt kommt ein Karton“. Obwohl das zu Cartoon korrigiert wird, kommt in „Monthy Python-Manier“ wirklich ein Karton herunter und gibt dem Mädchen recht.
«Dass man auch Schweizer sein kann, wenn man hochdeutsch spricht.» Ich nehme an, sie wollten uns mitteilen, dass man selbst dann Schweizer sein kann wenn man unfähig ist, einen der landesüblichen Dialakte der Deutschschweiz oder ein Gemisch davon zu sprechen. Stimmt: Räto-Romanisch, Italienisch und/oder Französisch gehen auch…
Nö. Ich wollte Ihnen mitteilen, Herr Menzi, dass bünzlige Kataloge des Schweizertums gegen die weltoffene und kosmopolitische Tradition dieses Landes stehen. Man kann auch Schweizer sein, wenn man englisch spricht. Amazing, huh?
Herr Tingler, ich schätze Ihr Engagement zugunsten der korrekten deutschen Sprache. Womöglich könnten Sie ab und zu den Tagi-Journalisten unter die Arme greifen? Nur eine kleines Beispiel: „Er hat viel gesungen.“ Oder „Er ist viel spazieren gegangen.“ Hat er ein Kilo gesungen, ist er 100gr spazieren gegangen? Sorgen Sie für Ordnung, aber richtig.
Wer es etwas genauer will: Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Walter de Gruyter, Berlin 2004.