Ein Jahr lang nackt

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Eine kulturelle Erbschaft des 11. Septembers ist die Aufwertung des Feuerwehrmanns. Feuerwehrmänner galten natürlich schon immer als Retter und Helden, aber seit diesem schrecklichen Datum haben sie Ikonenstatus. Ikonen sind definitionsgemäss mit Bildern verbunden, und so ist es nicht erstaunlich, dass es immer mehr Kalender mit echten Feuerwehrmännern gibt. Schon eher erstaunlich ist es, dass die in der Regel prächtig gebauten Brandbekämpfer auf diesen Kalendern immer weniger anhaben – aber schliesslich muss man das Interesse wachhalten und der Erlös solcher Drucksachen kommt in der Regel wohltätigen Zwecken zugute. Mittlerweile gibt es auch Foto-Kalender mit echten Polizisten und echten Soldaten, und geradezu Tradition hat bereits der Kalender mit französischen Rugby-Spielern, die nicht nur nackt, sondern auch in recht gewagten Stellungen posieren, die meist ziemlich schwul sind (im Gegensatz zu den Rugby-Spielern). Vielleicht wird damit der popkulturelle Umstand anerkannt, dass es für Homos schon seit Jahrzehnten Kalender mit Feuerwehrmännern, Polizisten und Soldaten gibt. Nur waren die nie echt.

Den Rugby-Spielern folgten Volleyballerinnen, Handballerinnen, Eishockey-Spielerinnen und Fussballer. Ausserdem gibt es da noch «The Girls of Ryan Air», den Flugbegleiterinnen-Kalender von Ryanair. Dies treffend auch als Billig-Pirelli bezeichnete Werk bietet jeden Monat leichtbekleidete Damen, die sonst zu Niedrigpreisen den Saftwagen schieben, oder was immer die Flugbegleiterinnen bei Ryanair sonst machen, ich weiss es nicht, denn ich fliege nie mit Ryanair. Und weiterhin erscheint für 2013 zum ersten Mal «Die Bösen»: ein Kalender, dessen Cover ich für Sie in einer grossen Zürcher Buchhandlung fotografiert habe (siehe oben), ein Kalender, der uns nach eigenen Angaben «die besten Schwinger der Schweiz» zeigt – «ihre Persönlichkeit, ihren Charakter, ihre Ausstrahlung». Und zumeist noch ihren nackten Oberkörper.

Alle diese Kalenderprojekte verfolgen erklärtermassen das gleiche Ziel: Imagegewinn, Geldbeschaffung und Steigerung des Bekanntheitsgrads für einen Sport oder Berufsstand. Dass die abgelichteten Protagonisten und Protagonistinnen dafür mindestens halbnackt sind, ist zwar nicht inhaltlich, wohl aber marktstrategisch zwingend: Nacktheit verkauft sich. Diese uralte Weisheit hat längst auch der Bauernstand verinnerlicht; jene Berufsgruppe, deren Image seit geraumer Zeit auch durch pseudo-romantische Pseudo-Reality-Formate auf den Revolverkanälen des Privatfernsehens einen fragwürdigen Wandel erfährt. Die Bauern – genauer: die Bäuerinnen – marschierten beim Ausziehen ganz vorneweg: Im Jahre 2001 brachte der österreichische Jungbauernverband erstmals einen Kalender mit erotischen Fotografien junger Bäuerinnen auf den Markt. Mit dem Ziel, die landwirtschaftlichen Berufe in ein anderes Licht zu rücken. Weg von Gummistiefeln, Mistgabeln, Stallgeruch. Inwiefern dies dadurch gelingen soll, dass sich eine Bäuerin in weissen Strapsen vor einer alten Nähmaschine aufbaut, bleibt ebenso zu diskutieren wie die einstige Stellungnahme der Landfrauen des bayrischen Bauernverbandes, dass mit einer derartigen Selbstdarstellung von Bäuerinnen Klischees von Kindern, Küche und Kühen eher bedient als gebrochen werden.

Wie dem auch sei: Inzwischen posieren längst auch Bauernburschen mit ihrer Lieblingskuh namens Jessica entblättert zwischen Heu- und Misthaufen, und der Sex-Appeal des Bauernstandes scheint mehr oder weniger unstrittig zu sein (jedenfalls in der Theorie; bis man dann mal «Bauer sucht Frau» oder «Bauer, ledig, sucht» tatsächlich sieht). Ein Landwirt hat sowas Physisches, er weiss, wie man Erde und Tiere anfasst, und ein Ruch von Naturverbundenheit und reproduktiver Fitness klebt an ihm wie das schweissnasse Hemd am muskulösen Oberkörper eines Erntehelfers in der goldenen Septembersonne Nebraskas … mit anderen Worten: Der Bauer arbeitet körperlich. Körperlicher Einsatz, wie wir ihn auch mit Sportlern, Schwingern und Feuerwehrmännern assoziieren, ist naheliegenderweise ein wichtiges Kriterium dafür, ob ein Berufsstand vom gesellschaftlichen Mainstream als sexy wahrgenommen werden kann und also kalendertauglich ist. Allerdings sollte der einzusetzende Körper auch einigermassen trainiert sein (bzw. wenigstens trainiert aussehen), und noch besser ist es, wenn dazu gewisse heroische Qualitäten und eine (halbausgezogene) Uniform kommen. Zur Not reicht auch die Uniform. Interessanterweise jedoch ist der Sex-Appeal bei Uniformträgern und -trägerinnen höchst unterschiedlich; er ist zum Beispiel bei Feuerwehrmännern höher als bei Politessen und bei weiblichen Flugbegleitern sehr viel höher als bei männlichen. Dasselbe gilt fürs medizinische Pflegepersonal: Die Krankenschwester ist geradezu ein klassisches Sexsymbol, der Krankenpfleger ist – naja, ein Krankenpfleger. Michael von der Heide. Den will nun wirklich niemand nackt sehen.

Falls also ein mit Finanzproblemen kämpfendes Spital auf die Idee kommen sollte, neue Mittel durch einen knackigen Kalender zu erschliessen, beschränkt es sich mit Vorteil auf den weiblichen Teil der Belegschaft. Exklusive Ärztinnen. Die wirken zu einschüchternd. Überhaupt gilt: Alle Berufsgruppen, die als vorwiegend mit dem Kopf arbeitend wahrgenommen werden, sollten sich besser nicht ausziehen. Ein Kalender mit leicht bekleideten Politikern, Professoren oder Schriftstellern wirkt schon als blosse Idee nicht gerade wie ein Erotikon – und sei der Zweck noch so gut. Und selbst für den besten aller Zwecke wollen wir weder Kurt Imhof nackt an einer Zigarette saugend noch Catherine Ashton im Negligé am Strand von Scheveningen sehen. Ganz zu schweigen von Denis Scheck, der ja schon angezogen zum Weglaufen aussieht. Und wenn wirs uns genauer überlegen, sollten auch die meisten Menschen, die nicht unbedingt mit dem Kopf arbeiten, lieber angezogen bleiben. Zum Beispiel würden wir jederzeit lieber eine Gebührenerhöhung in Kauf nehmen als einen Erotikkalender des Schweizer Fernsehens, thank you very much.

8 Kommentare zu «Ein Jahr lang nackt»

  • Philipp Rittermann sagt:

    ou ja. heute ist doch das merkwürdige us-import-fest. ich werde mich somit nackig mit einer teufelsmakse auf, vor die hütte stellen und die nachbarn mit süssigkeiten bewerfen.

    • Katharina I sagt:

      Aaaahhhhhrrrrgggg! Neiiiiiin! (Katharina macht ein Kreuzzeichen mit den Zeigefingern und kneift die Augen fest zu.)

      War das jetzt kritisch genug? 🙂

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