Männertänzchen

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Noch brennt uns das Tänzchen von Miley Cyrus in der Retina, welches sie vergangene Woche anlässlich der Verleihung der VMAs aufführte. Das ehemalige Teenie-Idol liess nicht nur ihre Zunge aus dem Hals hängen wie ein durchgedrehtes Chamäleon, sie rieb auch ihr im hautfarbenen Latex-Bikini steckendes Hinterteil an Sänger Robin Thicke, der seinen Song «Blurred Lines» performte. Das brachte nicht nur das versammelte Publikum in Verlegenheit, sondern warf vor allem Fragen darüber auf, wer solchen Müll choreographiert und eine junge Frau dazu überredet, das auch noch aufzuführen.

Der Song Blurred Lines selber gab schon vor diesem Vorfeld viel zu reden. Nicht nur wegen des grenzwertigen Videoclips, in dem Männer im Anzug von kaum bekleideten und in der Special Edition von ganz nackten Frauen (siehe Video unten) umtänzelt werden. Auch der Text, der die unscharfen Grenzen zwischen einvernehmlichem Sex und Übergriff besingt, sorgte für heftige Kritik.

Aber wir leben im 21. Jahrhundert, ein Zeitalter, das den Vorteil hat, dass Frauen mehr tun können, als sich wortreich über empfundenes Unrecht zu beklagen. Sie können auch etwas tun. Und so griff eine Gruppe von Jus-Studentinnen der neuseeländischen Auckland-Universität kurzerhand zur Kamera und drehte ihren eigenen Videoclip zum Song – mit vertauschten Geschlechterrollen. Diesmal tänzelten Männer in Unterhosen um Frauen in Anzügen mit einer Bossy-Attitüde.

Im Songtext singen sie zum Beispiel: «Belästige mich nicht. Du kannst mich nicht einfach begrabschen. Das ist ein Sex-Verbrechen.» Oder: «Was du am TV siehst, zeugt nicht von Gleichberechtigung, es ist misogynistisch, ich will nicht, dass du mir ins Gesichts spritzst.»  Dazu führt im Video eine Frau einen Toyboy an der Leine herum und spritzt ihm mit einem Rahmbläser Sahne ins Gesicht. Das mag nicht eben originell sein, aber zumindest ist es deutlich, wie sexistisch das ganze eigentlich ist.

Diese Botschaft kam auch bei Youtube an. Leider verkehrt. Das Video war am Freitag aufgeschaltet worden, am Montag hatten es bereits über 300’000 Leute gesehen, bevor Youtube es kurzerhand vom Netz nahm, wegen seines «sexuell expliziten Inhalts». Explizit ist der Inhalt aber vor allem in einer Hinsicht, nämlich betreffend unserer Doppelmoral, wenn es um Sexismus geht. Dazu gehört auch der übereilte Entschluss der Youtube-Verantwortlichen, das Ding vom Netz zu nehmen, vor allem wenn man bedenkt, wie viele halbnackte Frauen in den Myriaden von Videoclips als Sexobjekte vorgeführt werden. Das geht in Ordnung, solange es nur Frauen betrifft. Fraglich ist auch, warum andere Parodien (siehe Video unten) wie diese keinerlei solche Reaktion erzeugten – vielleicht, weil die Männer durch Schminke und Highheels ohnehin aus der heterosexuellen Geschlechternorm fallen?

Besonders geschickt war das Manöver von Seiten Youtube jedenfalls nicht. Innert Stunden wurde weltweit über die Zensur berichtet, worauf die Verantwortlichen kalte Füsse bekamen und sich beeilten, das Video wieder aufzuschalten.

Man kann sich natürlich fragen, ob Sexismus mit umgekehrten Vorzeichen die richtige Antwort auf Sexismus ist. Wahrscheinlich nicht. Doch die Episode zeigt, dass es manchmal ganz gut ist, ein Monster mit einem Spiegel zu bekämpfen. Das wusste auch Perseus, als er gegen Medusa antrat. Er wurde zur Legende, was die Auckland-Studentinnen zwar nicht hoffen können. Aber vielleicht haben sie dem einen oder andern die Augen geöffnet.

Korrektur: Es war natürlich Perseus, nicht Theseus, ich entschuldige mich für diesen Fehler.

Bild oben: Aus der Parodie des Robert-Thicke-Videos «Blurred Lines». (Screenshot: Youtube/Mod Carousel)

28 Kommentare zu «Männertänzchen»

  • Carl sagt:

    Eine Freundin hat mich vor kurzem mal einen Sexisten genannt. Aber wenn dieses Lied kommt, rennen sie alle kreischend auf die Tanzfläche und grölen den Text mit. Gibts einen Mann, dem dieses Lied eigentlich gefällt?

    „nämlich betreffend unserer Doppelmoral, wenn es um Sexismus geht“

    Mit uns in diesem Satz müssen die Frauen gemeint sein, denn auch die Idee für den Clip kommt von einer Frau. Ein paar Journalistinnen finden jetzt Robin Thicke doof, aber ja, Pharell Williams ist ja sooo sexy..

  • Martha Meister sagt:

    Blurred Lines hat mich diesen Sommer verfolgt wie nie zuvor ein Hit. Aus dem Nichts, unerwartet schallte es urplötzlich immer wieder an mein Ohr: Goood girl. Bis zu diesem Artikel dachte ich, der song heisst goood girl, blurred lines ???, noch nie gehört.;-). Also, das Video ist unglaublich sexistisch. Aber das H&M Setting mit einem Sänger, der oberschwul aussieht relativiert das Ganze zu einem Video, das zu interessanten Gedanken Anlass geben könnte. Dass youtube die Analogie zur weiblichen Version nicht hat erkennen können, zeigt wie notwendig diese ist.

  • Gerhard Engler sagt:

    Soweit ich aus Ihrem Artikel lesen kann wurde das Video wieder aufgeschaltet. Wo ist also der Sexismus? Oder kennen Sie noch andere Beispiele, wo ein Männervideo zensiert wurde?

  • Jan Holler sagt:

    WTFC? Was Youtube, Facebook oder sonst eine amerikanische Firma zensiert kann/muss uns in Europa schnurzegal sein. Die haben eine solch verquere enthemmt-gehemmte Sexualmoral, dass sie wahrlich keine Referenz sind. Wer nackte Brüste auf mehrhundertjährigem Kulturgut zensiert, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Also WTFC?

  • Winston Smith sagt:

    Der Held, der der Medusa den Garaus machte, heisst Perseus! Theseus tötete den Minotauren! Wenn man schon einen Vergleich zieht zu antiker Mythologie, dann doch bitte korrekt!

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