Auf lautlos

FASHION-RUSSIA

Es gibt so bestimmte Dinge, meine Damen und Herren, die man in der Öffentlichkeit nicht macht. Never. Zum Beispiel kaut man nicht auf seinen Haaren oder an seinen Nägeln in der Öffentlichkeit (und übrigens mit Vorteil auch nicht im Privaten), und beim Betrachten privater oder gar intimer Fotos auf dem Mobiltelefon empfiehlt sich ebenfalls Zurückhaltung, weil zum Beispiel in gut gefüllten öffentlichen Verkehrsmitteln manche Menschen dann quasi zwangsweise zusehen müssen. Ich bin neulich in der Zürcher S-Bahn fast blind geworden. Und, da wir dabei sind, hier sind noch fünf weitere Anmerkungen zur aktualisierten Telefon-Etikette.

  1. Fotoschock

    Da wir von Fotos sprachen: Wenn Ihnen Ihre Cousine Yolanda auf ihrem Smartphone einen Ferienschnappschuss aus Mykonos zeigt, fangen Sie nicht einfach an, in Yolandas Album weiterzublättern. Das ist indiskret. Und eventuell werden Sie mittelschwer traumatisiert durch das, was dann kommt.

  2. Störungen

    Die Erkundigung «Störe ich?» bei einem Anruf aufs Mobiltelefon ist zwar nett, aber überflüssig. Denn es ist korrekt, davon ausgehen, dass der Besitzer eines Mobiltelefons dasselbe nur dann beantwortet, wenn es ihm passt. Mit anderen Worten: Wer sein iPhone mit aufs Klo nimmt, ist selber schuld.

  3. Festnetz

    Da wir von Störungen sprachen: Die Veränderungen der Kommunikationsformen macht es völlig akzeptabel, zwar einen Festnetzanschluss zu besitzen, aber nie zu beantworten, sofern Anrufe auf einen Beantworter geleitet werden.

  4. Textnachrichten

    Textnachrichten kann man zu jeder Zeit senden. Es ist korrekt, davon auszugehen, dass der Empfänger sein Telefon zu Ruhezeiten abgeschaltet hat und also durch eingehende Textnachrichten nicht gestört wird. Kondolenzen und Beziehungsbeendigungen sollten niemals per Textnachricht erfolgen. Neujahrsgrüsse per Text werden massenhaft praktiziert, sind aber gerade deshalb ein bisschen glanzlos und also, besonders wenn es sich um unpersönliche Massentexte handelt, zu recht verpönt. Gegen Geburtstagsgratulationen per Textnachricht ist hingegen nichts einzuwenden. Eine Karte ist aber immer persönlicher. Aber manchmal will man ja auch nicht zu persönlich werden.

  5. Menschen und Maschinen

    Jerry Seinfeld hat vollkommen recht: In der Gesellschaft von anderen Menschen sein Mobiltelefon zu checken ist ungefähr das Gleiche wie ein Magazin aus der Tasche zu ziehen und mit der Lektüre zu beginnen. Bei einem gemeinsamen Essen im Restaurant ist es schlechte Form, das Mobiltelefon auf dem Tisch zu platzieren (von Benutzung des Telefons ganz zu schweigen). Situationen, in denen das Zücken eines Mobiltelefons tabu ist, sind: Beerdigungen, Preisverleihungen, private gesetzte Gesellschaften, das romantische Stelldichein (einzige Ausnahme: man braucht eine Fluchthilfe), Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen ohne Stehplätze. Und kommerzielle Passagierflugzeuge. Auch wenn die Telefonbenutzung an Bord inzwischen bei einigen Airlines erlaubt ist, so bleibt sie doch störend. Man muss ja nicht gleich mit der entzückenden Prägnanz des famosen Autors Christopher Hitchens intervenieren, von dem die Worte stammen: «Turn off that fucking cell phone – you have no idea how unimportant your call is.»

Bild oben: Ein Fotomodell telefoniert während einer Show, Moskau am 22. März 2012. (Reuters/Natalia Kolesnikova)

20 Kommentare zu «Auf lautlos»

  • John Kipkoech sagt:

    Man kann gut ohne Handy leben, lasst dieses Ding doch mehr Zuhause – man beugt so zahlreichen Problemen vor. Es ist krankhaft, wenn man glaubt man müsse 24 Stunden erreichbar sei. Eine andere Kategorie sind natürlich die, welche die Handys vorwiegend zum „gamen“ brauchen. Auch davon kann man süchtig und therapiebedürftig werden – hütet Euch vor diesem Teufelsding!

  • Katharina I sagt:

    Ich finde es trotzdem ausgesprochen unhöflich, sich nach 22 Uhr noch bei jemandem zu melden, ausser es geht gerade die Welt unter oder Ähnliches. Ich hatte mal eine Diskussion darüber mit einer Freundin, sie war auch der Meinung, ich könne ja das Telefon auf lautlos stellen, wenn es mich stört. Ganz nach dem Motto: Ich darf alles! Wenn es dem anderen nicht passt, kann er es ja ignorieren. Besagte Freundin gehört übrigens nicht mehr zu meinem Freundeskreis. Ich habe sie zu oft ignoriert.

  • AG sagt:

    SMS um 2 Uhr morgens? „You have no idea how unimportant your message is“ … 😉

  • Martina Müller sagt:

    Es ist eigentlich sehr traurig, dass sehr viele Leute nur noch tippend mit ihrem Natel durch die Strassen laufen. Wirklich sehr armselig. Ich habe grundsätzlich gegen einen normalen Umgang mit dem Handy keinen Einwand, aber leider sind heute sehr viele Menschen, gross und klein davon abhängig. Selbst Kindergartenkinder sind bereits im Besitz eines Handys. Das ist in meinen Augen wirklich nicht normal. In China ist es nun soweit, dass die meisten Leute bereits in den Restaurants telefonieren, schreiben, chatten und mit ihrem Gegenüber nicht mehr sprechen. Wirklich eine kranke Gesellschaft.

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