Frohe Weihnachten!

Es ist soweit, meine Damen und Herren, liebe Kinder: Weihnachten ist da! Jedenfalls in den Geschäften. Das obige Bild, was ich für Sie aufgenommen habe, zeigt nur einen kleinen Ausschnitt des umfassenden Weihnachtssortiments, das uns jetzt schon allenthalben entgegenblinkt und entgegenlacht, und, wissen Sie was: Wir sträuben uns nicht länger und machen da jetzt mal volle Kanne mit! Yes! Wir fangen jetzt auch schon mal ganz früh an, denn, machen wir uns nichts vor, einer der vorweihnachtlichen Hauptstressoren besteht ja eben darin, dass man ständig zu spät anfängt: Mit der Planung, den Geschenken, den Absagen, dem Gruppenbild, you know what I mean.
Jedes Jahr dasselbe. Jedes Jahr nimmt man sich vor, diesmal werde es anders werden, am Heiligen Abend und drumherum. Doch das klappt nie. Früher, als ich klein war und in einem idyllisch gelegenen grossen Haus bei meinem Eltern wohnte, da hatten wir zum Weihnachtsfest unsere Traditionen: Meine Mutter schrie meinen Bruder an, der meinen Opa anschrie, der den Fernseher anschrie, der aber die Mikrowelle war. Vielleicht ist deshalb heute, viele Jahre später, meine persönliche Idealvorstellung vom Fest der Liebe ebendiese: Ich liege in unserem Anwesen namens Clarendon Court auf dem Flexform-Sofa, auf der einen Seite Berge von Essen, auf der anderen Sunny von Bülow – nein, Quatsch, natürlich nicht , sondern: der beste Ehemann von allen. Vor uns der gigantische Flatscreen, und, nachdem wir in schätzungsweise zwölf Minuten sämtliche Geschenke aufgerissen und sämtlichen Punsch getrunken haben, schauen wir eine Folge «The New Adventures of Old Christine» nach der anderen, bis wir sämtliche Episoden aufgebraucht haben, und dann müssen wir notfallmässig aufs Fernsehprogramm ausweichen und konsumieren ein Christmas Special von «Keeping Up With The Kardashians», und irgendwann fragt mich Richie, der beste Ehemann von allen: «Warum kannst du nicht ein bisschen sein wie Rob Kardashian, Jr.?», und ich erwidere: «Ich bin wie Khloé Kardashian. Das ist doch auch gut.»
Ja, so könnte es sein, aber irgendwie schafft man das, wie alles Glück (sonst wäre es ja keins) höchstens abschnitts- und ansatzweise; es handelt sich bei einem perfekten, harmonischen, friedvollen Weihnachten sozusagen um eine horizontale Idealvorstellung, der man sich nur tangential annähern kann – und soll. Und deshalb, geschätzte Leserschaft, weil nämlich dieses Jahr alles anders werden soll, deshalb fangen wir heuer früher an, denn was der Einzelhandel kann, das können wir schon lange! Und als kleine Hilfestellung für ein frühzeitig kontrolliertes Weihnachtsfest möchte ich gern im Folgenden den Schatz meiner Erfahrung an Sie weitergeben, den Hausschatz meiner Weihnachtsweisheit, mühsam errungen und bewahrt, denn wenigstens bin ich nach all den Jahren inzwischen immerhin so weit, dass ich weiss: Stilvoll und mit Grazie Weihnachten zu feiern macht sich nicht an Äusserlichkeiten fest wie der perfekten Tischdekoration oder den besten Sitzen in der Kirche, sondern ist, wie Stil und Grazie ja immer und überhaupt, eine Frage der Haltung, der Attitüde. Es geht, wie widrig die äusseren Umstände auch immer sein mögen, um die innere Haltung. Und die kristallisiert sich in den drei goldenen Regeln zum Fest.
Erstens: Versetzen Sie sich am besten gleich, also jetzt, in diesem Moment, sogar noch vor Beginn der offiziellen Adventszeit in die richtige Grundstimmung. Konkret heisst das: Versuchen Sie’s mal proaktiv mit der Vergebung, von der Jesus immer geredet hat. Noch konkreter: Immer mehr Bürokratie, immer mehr Kundendienst, der keiner ist, immer mehr selbsternannte Funktionsträger, Gatekeeper, Servierpersonal mit Allüren und Monster am Check-in – der Alltag prüft uns hart und härter. Und wir alle kennen diese Momente, in denen sich wohlerzogene, reizende Menschen wie wir in Amokläufer zu verwandeln drohen, das ganze Hollywood-Yoga ist zum Teufel, der Zuckerspiegel steigt, und man ist nur noch einen winzigen Schritt von John McEnroe entfernt … und dann begeht man vielleicht eine kleine Unbeherrschtheit. So wie Michael Douglas in «Falling Down». Aber nicht vor Weihnachten! Ab Oktober nicht mehr! Stattdessen: Entspannen Sie sich. Entspannen Sie sich und drücken Sie auch bei den Leuten ein Auge zu, die Sie fürchterlich finden, zum Beispiel jene Politesse namens Angelika Bretterkleber, die Ihnen am Fraumünsterplatz in Zürich eine Busse unter den Wischer klatscht, obschon Sie die Parkuhr bedienten, mit dem Hinweis: «Sie stehen zu weit vom Randstein.» Was aber tun Sie? Fuchteln Sie jetzt mit den Armen wie Kris Jenner und schreien: «Arbeiten Sie auf Kommissionsbasis, Heidi?» Nein – Sie lächeln. Und vergeben. Wenn Sie wollen, können Sie diese Stimmung auch noch über Weihnachten hinaus retten. Muss aber nicht sein, sonst gewinnen die Falschen, und das kann Jesus kaum gewollt haben. Apropos: Eine bewährte Möglichkeit zur Stimmungsstabilisation ist ebenfalls die Besinnung auf eine gute alte christliche Tradition, nämlich den Trost durch die Beschäftigung mit dem vergleichsweise grösseren Elend von anderen Leuten. Denken Sie daran, dass viele berühmte Leute zu Weihnachten einsam sind, so wahrscheinlich Karl Lagerfeld, ausser vielleicht Donatella ruft ihn an zwischen zwei Zigaretten, aber die ist ja auch immer so launisch und unberechenbar, die Donatella.
Zweitens: Meiden Sie aktiv Unannehmlichkeiten. Die Adventszeit ist die Phase des Jahres, in der einem systematisch ein schlechtes Gewissen gemacht wird, und da die kommerzielle Adventszeit in diesen Tagen bereits losgeht, fängt das mit der kommerziellen Gewissensmanipulation jetzt auch schon an: Von der Heilsarmee bis zu Tante Doris treten die verschiedensten Fraktionen mit Ansprüchen an Sie heran. Leisten Sie Ihren Beitrag, das sind Sie der Welt schuldig – doch versuchen Sie nichts Unerreichbares. Sie sind nicht unchristlich, bloss weil Sie nicht auf Wohltätigkeitsbingoeinladungen reagieren von Leuten, die Sie noch nie leiden konnten, oder nur weil sie einer Nonne im Rollstuhl am Flughafen das Taxi wegschnappen. Okay, im letzteren Fall vielleicht schon. Aber lassen Sie sich nichts von falschen Weihnachtsmännern einreden, und lassen Sie sich auf keinen Fall von Ihrem Therapeuten (dessen Hauptgeschäftszeit, die Vorweihnachtssaison, ebenfalls im Oktober beginnt) einreden, diese Zeit des Jahres wäre der richtige Zeitpunkt zur Aussprache mit Ihrer Familie. Der will Sie nur zum Heulen bringen. Und zu Tante Doris sagen Sie bereits Ende Oktober: «Bitte verzeih’ mir, dass ich dieses Jahr kein Geschenk für dich habe, aber ich wurde im Kaufhaus beim Kampf mit einem Bodybuilder um die letzte Lalique-Vase in einen Massensturz verwickelt und musste mir erst eine Armschiene aus einem Hockeyschläger basteln.»
Und, da wir von Donatella sprachen, die dritte Regel ist ganz kurz und wir haben sie überdies bereits vor zwei Tagen erwähnt, sehen aber Anlass, sie hier zu wiederholen: Alkoholverzicht löst keine Probleme. Besonders nicht an Weihnachten. In diesem Sinne: Frohes Fest. Wir werden darauf zurückkommen. Bestimmt.
13 Kommentare zu «Frohe Weihnachten!»
Ich freu mich schon auf den 1. Januar 2013. Dann beginnt der ruhige Teil des Winters.
ruhiger Teil des Winters? Ich merke nichts davon, denn am 25.12. beginnt doch bereits die Fasnachtszeit und schon vor dem Schmutzigen Donnerstag beginnen die Osterhasen ihre Präsenz in den Läden zu markieren. Bevor die Ostereier verdrückt sind, wird vermutlich bereits Halloween in den Startlöchern stehen und bevor die Halloween-Fratzen verschwunden sind, beginnt schon wieder Advent/Weihnachten! Oder täusche ich mich da irgendwie mit den Jahreszeiten?