Haben Sie ein Alkoholproblem?

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Der Herbst hat begonnen – und damit die Saison: Opernhaus, Autobahnabschnittseröffnungen, Hochzeitsempfänge, Kunstbetrieb, Fashion Weeks, Frankfurter Buchmesse, von all den beginnenden vorweihnachtlichen Verpflichtungen gar nicht zu reden. Natürlich braucht man keinen Alkohol, um das alles schön zu finden. Nur, um es noch zu steigern. Die Steigerung ist aber auch das Problem, namentlich die der Dosis. Wissen Sie noch, wie Sie früher am Tag danach dachten: «Naja, ich trinke ja nur gesellschaftlich, also, wenn ich sternhagelvoll war, waren es viele andere auch!» Gilt das immer noch? Oder entgleitet Ihnen die Kontrolle? Keine Bange. Wir helfen Ihnen. Denn dafür sind wir da.

  1. Die Warnzeichen

    Sie trinken zu auffällig, wenn Sie vom Barman namentlich begrüsst werden. Sie trinken viel zu auffällig, wenn Sie vom Schankkellner mit den Worten begrüsst werden: «Gin-Tonic?» Sie trinken unkontrolliert, falls Sie bei gesellschaftlichen Unterhaltungen andauernd Tabuthemen diskutieren. Es sind dies vor allem: Politik, Religion, Löhne, Implantate, Cellulitis, Sex, Zimmerpflanzen, Furunkel, Casting Shows. (Liste zur Not auswendig lernen.) Auch im alkoholisierten Zustand sollten Sie unbedingt Ihren Peinlichkeitsreflex aktiv halten. Falls Sie also lebhaft plaudern und Ihre Gesellschaft beginnt, nervös zu husten oder erratisch zu zucken, wird es höchste Zeit, Ihren Vortrag über Ihre zu geringe Spermienzahl sofort abzubrechen. Es ist gleichfalls ein Warnzeichen, wenn die Leute dauernd vor Ihnen zurückweichen, weil dies bedeutet, dass entweder Ihr Atem bereits nach Holzgeist riecht oder Sie permanent die soziale Distanz von 30 Zentimetern verletzen.

  2. Ganz kurzfristige Abhilfe

    Falls Sie in Gesellschaft Zeichen der Trunkenheit an sich festzustellen vermeinen, zum Beispiel einen etwas unsicheren Gang oder eine beeinträchtigte Artikulation, ziehen Sie sich einen Moment zurück und versuchen, «dritte reitende Artilleriebrigade» fehlerfrei auszusprechen. Das ist der neurologische Test für die Funktionstüchtigkeit des Kleinhirns, das die Motorik steuert. Falls Ihnen das nicht mehr gelingt, sind Sie in Schwierigkeiten. Dann schwanken Sie nämlich auch schon. Versuchen Sie diesfalls, so viel Wasser wie möglich zu trinken und so oft wie möglich die Waschräume aufzusuchen. Den Waschraum können Sie auch für Ruhepausen nutzen. Die plötzliche Zufuhr von frischer Luft ist heikel; ein Atmosphärenwechsel kann Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit verstärken. Bei aufsteigender Übelkeit gehen Sie sofort. Notfalls ohne sich zu verabschieden. Das ist besser als sich beim Abschied zu übergeben. Dezentes Brechen ist eine Kunst und nur den Profis vorbehalten. Ich weiss, wovon ich rede. Und bitte versuchen Sie, unter allen Umständen in der Öffentlichkeit Ihre Kleidung anzubehalten. Auch wenn der DJ «Tequila» von Terrorvision spielt. Danke.

  3. Kurzfristige Abhilfe

    Der routinierte Gesellschaftstrinker kontrolliert nicht nur das Wieviel seines Alkoholkonsums, sondern auch das Was und Wie. Die professionelle Barfliege hält sich dabei an einige Regeln, die längst allgemein bekannt sein dürften (aber trotzdem häufig unbeachtet bleiben). Zum Beispiel sollte man sich rüsten, indem man vor dem Trinken (und, wenn möglich, auch zwischendurch) was Solides isst, etwa vier bis fünf Käsebrote. Ausserdem sollte man wissen, womit man sich betrinkt. Beachten Sie insbesondere die Wirkungsverzögerung bei Cocktails. Beachten Sie auch die Tageszeit: Bei Anlässen am Vormittag ist nur der Konsum von Champagner und Bloody Mary sozial unauffällig. Unter keinen Umständen sollte man vormittags irgendwas trinken, was in Dosen kommt. Und niemals sollten Sie in einem Tempo trinken als würde Ihnen demnächst jemand das Glas entreissen. Während man also bei einer Getränkesorte bleibt, wechselt man mit Vorteil regelmässig die Bars, sofern auf dem fraglichen Anlass mehrere vorhanden sind. So kann niemand Ihren Verbrauch nachzählen. Vermeiden Sie vertrauliche Gespräche mit dem Barpersonal. Falls Sie eine Frau sind, bedenken Sie, dass Sie nur halb soviel vertragen wie ein Mann (das liegt am Östrogen). Und auch wenn Sie ein Mann sind, sollten Sie Ihre Alka-Seltzer-Dosis noch direkt nach dem Anlass einnehmen, also bevor Sie ins Koma fallen, nicht erst am Tag danach.

  4. Mittelfristige Abhilfe (Erlaubte Früchte)

    Selbstverständlich sollte es unser aller Ziel sein, Alkohol nicht nur sozial unauffällig, sondern überhaupt in Grenzen und verantwortungsbewusst zu geniessen. Wenn Sie nach kritischer Prüfung zu der Auffassung gelangt sein sollten, dass Sie gemessen an subjektiven oder objektiven Standards zu viel trinken, besinnen Sie sich auf folgende Weisheit: Die beste Methode, sich von einer Sucht zu befreien, ist, sie durch eine andere, harmlosere zu ersetzen. Nach diesem Prinzip können Sie auf dem Wege der sogenannten Der-Geist-ist-willig-Spirale (GIWS) sich quasi schrittweise von den verbotenen zu den immer erlaubteren Früchten vortasten. Diese Eskalation der Ersatzbefriedigungen sähe dann beispielsweise ungefähr so aus:
    Zigaretten statt Gin → Süssholz statt Zigaretten → Schokolade statt Süssholz → Kaffee statt Schokolade → Porno statt Kaffee → Bingo statt Porno. → Und dann sind Sie auch schon wieder komatös. Oder im Altenheim.

  5. Bedenken Sie ausserdem (langfristiger Trost)

    Auch für den Fall, dass Ihr Alkoholkonsum bereits Taylor-Burton-Niveau erreicht haben sollte: keine Panik. Panik ist immer ein schlechter Ratgeber (ausser bei schlechten Dates). Besinnen Sie sich einfach auf eine unsterbliche Weisheit aus jenen guten alten Zeiten, als Alkoholismus noch keine Krankheit, sondern Bestandteil des Geschäftslebens und des Show Business war: Alkoholverzicht per se löst keine Probleme. Trinken ist, wenn Sie mich fragen, in Gesellschaften vor allem hilfreich zur Bewältigung akut langweiliger Phänomene und Themen, zum Beispiel:
    • Sudoku (in den Worten von Germaine Greer: Absolutely everything is dull about Sudoku. Including the people who do it.)
    • das Mittelalter
    • Elfriede Jelinek
    • Panflötenmusik
    • Audiokommentare des Regisseurs auf DVDs
    • Gespräche über Steuern
    • Gespräche über Physik
    Bedenken Sie bei der Kontemplation möglicherweise drastischer Entziehungs- und Abstinenzmassnahmen ausserdem, dass Sie ja nicht das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschütten wollen. Vergessen Sie nie, dass es auch Problemlösungen gibt, die weitaus schlimmer sind als das zugrunde liegende Problem. Denken Sie nur an:
    • Atomkraft
    • Scientology
    • Nikotinkaugummis
    • Familienaussprachen

Im Bild oben: Charlie Sheen in der Fernsehserie «Two and a Half Men». (Foto: Warner)

20 Kommentare zu «Haben Sie ein Alkoholproblem?»

  • Philipp Rittermann sagt:

    in der heutigen zeit ist es legitim zu trinken; auch öffentlich und unverhohlen. es ist jedoch von wichtigkeit, darob seine ziele nicht zu vernachlässigen und den konsum so zu kontingentieren, dass er ansporn und nicht resignations-grund ist. dies ist eine gratwanderung an sich und auch ganz bestimmt nicht massentauglich. daneben, herr tingler hat es angesprochen, braucht ein erhöhter alkoholkonsum eine ausgewogene ernährung, regelmässige körperlich ertüchtigung, sowie einen (eingermassen…) starken willen.

  • Hans Mayer sagt:

    Guter, witziger Artikel, kommt mir doch einiges bekannt vor (seufz).
    Wie sagte schon Richard Burton: Ich habe kein Problem mit Alkohol, es sei denn er ist nicht in Griffnähe.
    In diesem Sinne: Prost.

  • Kurt Gerber sagt:

    Gottseidank bin ich kein Gesellschaftstrinker. Ich lasse mich auch zu Hause gerne ganz alleine vollauffen.

    • Philipp Rittermann sagt:

      geht mir auch so, herr gerber 🙂

    • Robin Bergan sagt:

      Natürlich haben Sie recht, Genusstrinken macht zuhause am meisten Spass, wenn man an einem nassen Oktoberabend durch die eindunkelnden Fensterscheiben blickt und sich ein paar Single Malt gönnt – aber es gibt doch Gelegenheiten, die ohne Alkohol einfach nicht zu überleben sind:
      Laute (=alle) Live-Konzerte
      Stundenlange (=alle) Firmenfeiern
      Missratene (=nicht alle) Tingler-Kolumnen

  • Columbo sagt:

    Als grobe Faustregel gilt auch, dass es Zeit ist, ans Aufhören zu denken, wenn an der gegenüberliegenden Wand plötzlich die Tapete fehlt und stattdessen ein helles Licht leuchtet. Dann liegt man nämlich auf dem Rücken und starrt an die Decke.

    • Philipp Rittermann sagt:

      …und ich dachte immer, das helle licht erscheine immer erst nach dem koma…aber jetzt wo sie’s sagen…

  • Roland Bütler sagt:

    Ich finde den Artikel traurig. Der Autor versucht mit Witz und fast etwas zynisch ein Thema zu erhellen, das vielen Menschen und deren Angehörigen viel Leid im Leben verursacht: zuviel Alkohol. Meistens ist ein übermässiger Alkoholkonsum der Versuch, etwas zu entfliehen, das im Leben Leiden erzeugt, das ohne Alkohol oder andere Drogen nicht oder schwer auszuhalten ist. Ich hoffe, dass der Artikel dazu anregt, den eigenen Konsum zu überdenken und Wege zu erlernen, Glück und Zufriedenheit auch ohne Alkohol im Leben zu finden.

    • Philipp Rittermann sagt:

      natürlich ist der artikel traurig. die heutige zeit ist auch traurig. und alkohol ist dazu da, die traurigkeit kurzfristig zu vergessen und nicht um probleme zu lösen. unter diesem aspekt tut der artikel gut.

    • Steve Johnson sagt:

      Da kann ich Ihnen nur zustimmen! 20 – 30-jährige finden diesen Artikel sicherlich amüsant. Ist er aber in Wahrheit nicht. Und eine Hilfe zum Abgewöhnen stelle ich auch nicht fest. „Wir helfen Ihnen, dafür sind wir da“, da lachen ja die Hühner!

    • Claudio sagt:

      Herr Rietermann…. Nicht immer alles so eng sehen. Ist doch ein lustiger Artikel… Ein bisschen Spass darf ja wohl noch sein. Allen Lesern ist wohl die Ernsthaftigkeit dieses Problems bewusst.

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