The Early Nerd

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Das neue iPhone 5, das diesen Freitag in die Schweiz kommt, soll alle Rekorde brechen; man weiss schon gar nicht mehr, wenn man dieser Tage durch die Innenstädte der westlichen Welt läuft: Ist das nun das neueste Occupy-Camp oder die Warteschlange für den Apple Store? Denn allerorten verbringen Menschen Nächte auf der Strasse, um dann als erste im Apfelladen zu sein und das begehrte kleine Ding in die Hände zu kriegen! Ich bin nicht sicher, wie das bei Ihnen aussieht, meine Damen und Herren, aber ich persönlich gehöre zu den Leuten, die immer von allem das Neueste, Beste haben müssen. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass ich als Kind nur ein Damenfahrrad hatte. Aber nicht im Traum würde ich auf die Idee kommen, vor dem Apple Store zu kampieren. Oder sonstwo. (Lieber liesse ich mich nackt an Jason Segel gefesselt in einer Holzkiste in den Resten des Aralsee versenken, und ich finde Jason Segel abstossend.) Ich bin, das wird niemanden überraschen, überhaupt kein grosser Freund von Camping. Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben kampiert, und das war für Herbert von Karajan vor der Berliner Philharmonie, und da war ich ungefähr 16. Pretty gay, huh? Das hatte bestimmt auch irgendwie mit dem Damenfahrrad zu tun. Anyways, hier sind fünf Gründe, warum auch Sie getrost darauf verzichten sollten, Ihr Iglu-Zelt vor dem Apple Store aufzubauen:

  1. die üblichen Gründe

    Wir konnten es in «USA Today» und sonstwo lesen: die technologischen Fortschritte des iPhone 5 sind nicht so bahnbrechend. Trotzdem wird es genug Leute in der Warteschlange geben, viele Leute; Leute, die noch früher aufgestanden sind als Sie, also kriegen Sie vielleicht doch gar keins mehr, obschon sie 18 Stunden ausgeharrt haben. Deshalb lohnt sich das Anstehen erst gar nicht. Stattdessen könnten Sie auch erstmal die neue iOS 6 Software von Apple runterladen, die Ihr altes iPhone quasi zum neuen macht (well, nicht ganz, das ist ungefähr die Art von Argument, mit der mir meine Eltern damals das Damenfahrrad andrehten). Diese neue Software hat mutmasslich 200 neue Features. An die können Sie sich erstmal auf Ihrem alten iPhone gewöhnen, bevor Sie dann so Ende Oktober ganz entspannt das neue holen. Yadayadayada.

  2. die Signalwirkung

    Sie merken schon: Die üblichen Gründe interessieren uns hier nicht weiter; sie sind in sich selbst bereits ziemlich nerdy, genau wie die sogenannten Early Adopters, also die Leute in der Schlange. Hier und im Folgenden geht es uns vielmehr um: das Soziale. Das Wichtigste, in gesellschaftlicher Hinsicht, ist nämlich die Botschaft, die Sie aussenden, wenn Sie sich in einer freien Gesellschaft in die Kaufwilligenwarteschlange für ein Mobiltelefon einreihen, was Sie nächsten Monat auch ganz friedlich ohne Warteschlange erwerben können. Sie signalisieren Ihrer Mitwelt damit Folgendes: «Die Prioritäten und die Zeitbewertung in meinem Leben sehen so aus, dass ich es lohnend finde, mich in die Warteschlange für ein Mobiltelefon einzureihen, was ich nächsten Monat auch ganz friedlich ohne Warteschlange kaufen könnte.»
    Oder, kürzer: «I don’t have a life.»

  3. die Gesellschaft

    Daraus folgt unmittelbar: Die Schlange vor dem Apple Store ist partymässig das Äquivalent von Sibirien: ein wenig trostlos. Eine Versammlung von Gestalten, die keine Bar kennen ausser der Genius Bar.

  4. die restlichen Gründe

    Wind und Witterung. Entreissdiebstähle. Kein Starbucks in der Nähe. You know what I mean. Falls Sie Zufallsbekanntschaften schliessen, weil Sheldon Cooper vor Ihnen in der Schlange dringend Wasser braucht, denken Sie an die zeitlose Weisheit aus Speed 2 (die einzige Weisheit, die dieser Film transportierte): Bekanntschaften, die unter extremen Bedingungen geschlossen werden, sind in aller Regel nicht alltagstauglich. Und die Schlange vor dem Apple Store ist eine extreme Bedingung. Wenn auch eine extrem langweilige.

  5. die Konsequenz

    Verstehen Sie mich nicht falsch: Obschon ich überzeugt bin, dass das iPhone wie kaum ein anderes Artefakt unserer Tage die zunehmende Unfähigkeit des postpostmodernen Subjekts symbolisiert, es mit sich selbst auszuhalten (oder mit realer Gesellschaft), -- besitze ich selbstverständlich eins. Das hängt mit dem Damenfahrrad zusammen. Und ebenso selbstverständlich kann ich total nachempfinden, dass es für Sie irre wichtig ist, das Neueste als Erste(r) zu haben. Mein Ratschlag lautet nur: Denken Sie’s zu Ende. Und das heisst: Bezahlen Sie jemanden, der für Sie ansteht. Konservativen Schätzungen zufolge werden rund die Hälfte der Menschen in der Schlange von Auftraggebern bezahlt, zum Beispiel von Leuten aus Ländern wie China, Russland und Südafrika, für die Apple noch gar kein offizielles Lancierungsdatum bekannt gegeben hat. Es gibt also ein gut organisiertes Angebot von mietbaren Anstehern. Nutzen Sie das. Lassen Sie den Markt für sich arbeiten. Genau wie Apple.

Im Bild oben: Ein Apple-Fan im Pyjama wartet in London auf ein iPhone 5. (Foto: Keystone)

23 Kommentare zu «The Early Nerd»

  • Thomas Odermatt sagt:

    Heute hat das iPhone rein gar nichts mehr mit Nerds zu tun. Im Gegenteil, es sind gerade Nerds die man bei Apple garantiert NICHT antrifft. Das war noch vor 10 Jahren anders. Heute sind in der Schlange modebewusste Schicki Mickis, also die Leute die man in jeder Bar und in-Disco antrifft und die noch nicht gemerkt haben dass Apple auf die dunkle Seite gewechselt hat, oder denen das nichts ausmacht. Nerds und Geeks die was auf sich halten, bevorzugen heute Opensource und konsequenterweise Android phones.

  • Yves M. sagt:

    Ich frage mich manchmal, ob diese Menschen nicht einfach von Apple bezahlt werden, um sich werbewirksam in die Schlange zu stehen. Für ein x-beliebiges technisches Gerät seine Freizeit zu opfenern, macht uns zu Sklaven jener.

    • Rolf Ehrensberger sagt:

      Ich werde es nie begreifen! Wie kann man sich für dieses dämliche Gerät, frierend, ganze Nächte um die Ohren schlagen? Vier Tage darnach bekommt man es ohne Warterei im Laden!

    • Alexander sagt:

      Die Freizeit opfern? In diesem Wort; Freizeit, steht nicht umsonst Frei drin. In der Freizeit ist man Frei. Man kann tun und lassen was man will. Wir lassen uns ja auch ständig versklaven wenn wir zur Arbeit gehen. Wir lassen uns, vom Chef vorschreiben; was wir zu tun haben, wie wir es zu tun haben und wann es fertig sein soll. Das Geld macht uns tagtäglich zu Sklaven. Sie haben auch Ihre Freizeit für diesen Kommentar geopfert. Wie langweilig, immer erst überlegen zu müssen; was sagt die Gesellschaft zu meinem handeln und wie ein Roboter der Gesellschaftsnorm zu gefallen.

  • Marc sagt:

    (1) Viele werden ein letztes Mal in der Schlange stehen dürfen. Beim nächsten, sprich iPhone 6, ist die Gefahr zu gross, dank dem Apple eigenen Kartendienst die Warteschlange nicht mehr zu finden und irgendwo im Gebüsch zu landen oder auf einer Landebahn überrollt zu werden.
    (2) Exakt, die üblichen Gründe interessieren niemanden. Wer die Warteschlange priorisiert zeigt, dass er offenbar im Leben keine anderen, wichtigeren Alternativen zur Wahl hat.

    • Alexander sagt:

      (2) Sind wir Sklaven der Gesellschaft geworden? Wer bestimmt was im Leben wichtig ist und was nicht? Wie langweilig, immer erst überlegen zu müssen; was sagt die Gesellschaft zu meinem handeln und wie ein Roboter der Gesellschaftsnorm zu gefallen.

  • Marc sagt:

    (3) Sich ein bisschen wie ein „Genius“ fühlen, das trifft’s auf den Punkt. Ähnlich wie wenn man sich in der Einstein-Bar besaufen würde. Ob der Glaube alleine ein Genius ausmacht?
    (4) Die restlichen Gründe, sprich Brautschau, dürften relativ langweilig und einschränkend sein. Welche attraktive, begehrenswerte Braut stellt sich denn schon in eine Warteschlange?
    (5) Die Konsequenz? Jedem seinen Sklaven… oder habe ich da etwas falsch gelesen?

  • Stef sagt:

    Da heute jeder 0815 Typ ein IPhone besitzt und die echten Nerds ein gerootetes Android mit individuellem OS bzw. ein komplett gehacktes Iphone mit Android OS spazieren tragen, dürfte es sich bei den Typen in der Schlange wohl um ewiggestrige handeln, welche noch nicht gecheckt haben, dass ein Iphone nicht trendy ist, sondern vor allem in der Schweiz so hundskommun, dass scheinbar nicht nur das Anstehen, sondern auch das Produkt ziemlich langweilig ist.

    • Alexander sagt:

      Seit wann gibt es denn echte Nerds? Soll doch jeder selbst entscheiden welches Handy er kaufen möchte. Es gibt keine schlechten oder besten Handys. Jedes Handy ist in sich einzigartig. Übrigens war ich schon drei mal anstehen in der Schweiz. Es geht nicht um trendy zu sein. Ich will einfach nicht auf einer Warteliste hin und her geschoben werden. Es gibt Menschen die stehen für ganz andere dinge an: z.B. Für ein Rockkonzert, all-you-can-eat Buffet oder Brautkleid zum schnäppchenpreis.

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