Der Preis ist nicht heiss

bmSohle

In unserer losen Reihe von alltäglichen Stilvergehen sehen Sie, meine Damen und Herren, hier ein Bild, wie es sich uns im öffentlichen Raum einigermassen häufig bietet (dieser Schnappschuss wurde in einem Tram meiner Heimatstadt Zürich aufgenommen). Nein, ich meine nicht das Herumdrücken auf der Mobiltelefontastatur. Ich meine das Preisschild auf der Schuhsohle. Beziehungsweise, in unserem Beispiel, dessen Reste. Vielleicht hat der Träger dieses Schuhwerks (das übrigens auch sonst nicht ganz unproblematisch ist), irgendwie von der Ahnung durchdrungen, dass man von Dingen nach Erwerb das Preisschild entferne, eben dies versucht – und dann aufgegeben, als es ihm nach drei Reissern zu mühselig wurde. Und sich gedacht: «Sieht man eh nicht!»

Diese Phrase aber – «Sieht man eh nicht!» – ist das Mantra aller Nachlässigen. Sie ist sowohl theoretisch wie praktisch falsch. Theoretisch, weil es beim richtigen Auftritt nie um die anderen gehen sollte, die irgendetwas sehen oder nicht sehen (sollen), sondern um: Geschmack, Echtheit, Stimmigkeit. Und was ist Geschmack? Ein Gespür für das Angemessene, eine Empfänglichkeit für feinere Nuancen, Zurückhaltung auch, Diskretion. Und in praktischer Hinsicht ist die Maxime «Sieht man eh nicht!» deswegen falsch, weil ihr nur allzuoft folgender Fehlschluss zugrunde liegt: Was ich selbst nicht sehe, also beispielsweise das Preisschild unter meiner Schuhsohle, sieht auch sonst niemand. Nun sind gerade dies jedoch die Details und Einzelheiten, die man an seinen Mitgeschöpfen beispielsweise in gut gefüllten öffentlichen Verkehrsmitteln andauernd registriert. Preisschild-Reste unter Schuhsohlen fallen hier in eine Liga mit abgewetzten Krägen, abgerissenen Knöpfen oder löchrigen Strümpfen. Ich bin ja nicht Karl Lagerfeld, frage mich aber, ob die Leute in ihren Leutehirnen wirklich nichts wissen von jenem wohltuenden Sicherheitsgefühl, das vollzählige Knöpfe, undurchlöcherte Strümpfe und makellos besohltes Schuhwerk gewähren!

Und wieso erzähle ich Ihnen das? Weil all diese Beispiele dasselbe Thema illustrieren, nämlich: «Zwischen die Idee und die Wirklichkeit … fällt der Schatten.» So hat es T. S. Eliot gesagt, aber ich möchte es wieder ein wenig prosaischer ausdrücken: Kleidung spricht. Dies gilt ganz besonders für Schuhe. Das Schuhwerk ist das Allerwichtigste bei der Kleidung, eine Art Empfehlungsschreiben. Billige Schuhe sind stets als solche zu erkennen. Da muss man nicht auch noch das Preisschild an der Sohle lassen. Man sollte sich lieber ein paar ordentliche Schuhe kaufen als drei Paar billige. Ordentliche Schuhe erkennt man unter anderem daran, dass ihnen kein Preis unter der Sohle klebt. Bereits beim Kauf. Vielen Dank.

22 Kommentare zu «Der Preis ist nicht heiss»

  • Nano sagt:

    Ist doch albern dieser Blogbeitrag.

  • Brige sagt:

    auch immer wieder ein faux-pas, bei dem mir die finger zwicken und ich mich zusammenreissen muss, wildfremden menschen nicht an die buchstäbliche wäsche zu gehen: etiketten die rausschauen… schauder.. geht gar nicht.

  • Petra sagt:

    Wieso reicht es eigentlich nicht, dass jeder für sich selber entscheidet, ob er irgendwelche Etiketten wegkratzen, abschneiden etc will? Müssen wir immer über andere lästern um uns gut zu fühlen?
    Ich halte es nach dem Motto „Wenn’s Dir nicht gefällt, sieh halt woanders hin!“

  • Lars sagt:

    Was soll man sagen?
    … gut. Eichach gut!

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