Pussys an die Macht

Heute wagen wir uns auf etwas schlüpfriges Terrain vor. Jüngst stolperte ich bei meiner täglichen Lektüre über den Begriff «Normvagina», was ich ziemlich lustig fand. Obschon der Anlass eher traurig ist. Es ging nämlich um einen Trend von scheinbar hurrikanartiger Dynamik, dass immer mehr Frauen zum Chirurgen rennen, um sich die Vagina schönschneidern zu lassen. Von den Bildern der Pornoindustrie verunsichert, so erläuterte ein Experte, strebten die Frauen nach einer Art «Idealvagina».
Was immer das sein soll. Falls Sie ein aufmerksamer Medienkonsument sind, denken Sie vielleicht, das Thema sei bereits etwas ausgelutscht. Denn das Jahr 2012 war für weibliche Geschlechtsorgan tatsächlich umtriebig. Die Vulva, Pussy oder meinetwegen Fotze, war nie politischer als heute. Sind sie gerade zusammengezuckt? Gut, sie bestätigen meinen Punkt. Was wir Frauen zwischen den Beinen tragen, ist nämlich so etwas wie Voldemort selig. Es ist das, dessen Namen nicht genannt werden darf – es sei denn als gröbste aller Beleidigungen, für die es kein männliches Pendant gibt. Gleichzeitig scheint das weibliche Geschlechtsorgan geheimnisvolle Superkräfte zu besitzen, es ist der heilige Gral, um den sich die lukrativste Industrie der Welt dreht. Und die Frauen? Denen ist das vor allem peinlich. Wie Zauberlehrlinge, die mit den Geistern, die zu befehligen eigentlich ihr Geburtsrecht ist, nicht so richtig umzugehen wissen, rennen sie lieber zum Chirurgen, um sich eine Normvagina verpassen zu lassen.
Die längste Zeit wurde Frauen vermittelt, ihre Vagina sei eine Oase der Scham. Das fängt schon im Kindesalter an: Wenn Buben im Vorschulalter mit ihren Pfeifchen Gummitwist spielen, ist das ganz normal. Erforscht aber ein Mädchen mit den Fingern seine Vulva, rennt mit Sicherheit jemand herbei und verbietet es ihr. Das mag zu ihrem eigenen Schutz geschehen – aber die Botschaft ist eindeutig. Schnäbis sind okay, Schnägglis gehören weggesperrt. Das ist wohl auch der Grund, warum so viele Frauen nie richtig mit sich und ihrem Geschlecht ins Reine gekommen sind.
Das jedenfalls behauptet Naomi Wolf, deren neues Buch gerade erschienen ist. Der Titel: Vagina – eine Geschichte der Weiblichkeit. Darin will sie aufzeigen, wie die weibliche Sexualität seit jeher politisiert und kontrolliert wurde, um zu verhindern, dass Frauen ein positives Verhältnis zu ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität, ihrer Vagina entwickeln.
Ich glaube, dass diese Zeiten bald vorbei sein könnten. Die Zeichen sind überall. Da waren zunächst die feministischen Punkerinnen aus Russland, die sich den geialen Namen Pussy Riot gegeben haben. Sie sehen in der feministischen Revolution den einzigen Weg, die russische Gesellschaft grundlegend zu erneuern. Vor allem aber brachten sie mit ihrem berühmten Stunt Putin in Verlegenheit, der mit dem Prozess gegen sie das bislang grösste PR-Desaster seiner politischen Karriere eingefahren hat. Denn ist einer, der einen ganzen Staatsaparat gegen ein paar Pussys auffährt nicht am Ende selber die Pussy? Und gibt es für einen Machon eine erschreckendere Erkenntnis? Dann waren die Frauen in Togo, die zum Sexstreik aufriefen, um den regierenden Präsidenten aus dem Amt zu jagen. Und dann war da der Fall Lisa Brown. Die US-Demokratin erlaubte es sich im Juni, während einer Debatte über zwei Gesetzesentwürfe zur Einschränkung von Abtreibungsrechten, das Wort Vagina zu äussern. Darauf wurde ihr Hausverbot erteilt. Sie liess sich aber nicht einschüchtern und organisierte flugs eine Lesung von Eve Enslers Vagina-Monologen auf der Treppe des Abgeordnetenhauses – ein Theaterstück, in dem das Wort Vagina mehr als 100 mal genannt wird. Vielleicht bräuchte es allerdings weniger Vagina-Monologe, als Diaolge. Damit wir endlich dahinter kommen, was es mit unseren Pussys auf sich hat.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sie das unerheblich oder sogar kindisch finden. Tatsächlich aber geht es um mehr als das Recht, das eigene Geschlecht beim Namen zu nennen. Es geht darum, dass Frauen endlich Frieden ihrem eigenen Geschlecht finden sollten, dass sie begreifen, dass ihr Körper ihnen alleine gehört und niemand anderes das Recht hat, sie zu kontrollieren. Dann wüssten sie auch, dass so etwas wie eine Normvagina ein Witz ist. Dann lernen sie vielleicht auch endlich, politische Verantwortung und weltliche Macht zu übernehmen. Ich glaube, davon könnten alle nur profitieren.
Im Bild oben: Vagina-Cupcakes. (Foto: Mammajammacakes.co.uk)
67 Kommentare zu «Pussys an die Macht»
@ M. Binswanger
Sie schreiben über Putin: „Denn ist einer, der einen ganzen Staatsaparat gegen ein paar Pussys auffährt nicht am Ende selber die Pussy?“
Verwenden Sie selber damit nicht das weibliche Genital in entwertetem Sinn? Das hätte es nicht verdient.
„Pussy“ ist ein männliches Schimpfwort und steht für Schwäche. Ich finde es deshalb sehr angebracht, dass Frauen diese Schimpfwörter in Besitz nehmen und gegen die machtvollen männlichen Schwächlinge dieser Welt einsetzen und so ihre Stärke als Schwäche enttarnen.
Frauen sollten lernen sich selbst nicht so ernst zu nehmen.
Frauen haben es nicht schwerer als Männer, sie meinen es nur.
(Bei den Männern ist zum Beispiel der „Druck“ beim besten Stück ja nicht wirklich kleiner, äh grösser 🙂
Aber aus irgendeinem Grund haben Frauen das Gefühl sie seine die Einzigen auf der Welt mit Problemen.
Endlich eine Frau, die sich im Medienwald aus dem „Busch“ traut.
Für meine Begriffe entwickeln Frauen ja erst seit den letzten zwanzig Jahren ein unbefangenes und offenes Verhältnis zu ihrer eigenen Sexualität. Die „Vagina-Monologe“ von Eve Ensler sind da ein eindrückliches Zeugnis. Die Einsicht in die selbstverschuldete Unmündigkeit ist der erste Schritt zur Aufklärung! Und die ist selbstverschuldet! In diesem Sinne, liebe Frauen: Sapere aude! Aber „Pussys an die Macht“ hört sich andererseits wieder so an, als ob sich die Vagina letztendlich wieder sehr weit aus dem Fenster lehnt. Denn:
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Es sollte der Kopf sein, nicht die Pussy. Macht bedeutet schliesslich ja nichts anderes, als Zukunft gestalten zu können.
Heieiei … Jetzt beginnt wieder dieser Turbo Feminismus, den wir überwunden geglaubt haben … erinnert Ihr Euch: Eine Frau braucht einen Mann genauso wie ein Fisch ein Fahrrad braucht.
Ja, die aufgeführten Aktionen empfinde ich als kindisch, bzw. einfach provozierend. Ansonsten ja, es wäre Zeit, dass die Frauen mit sich und ihren Körperteilen, mit ihrer Sexualität ins Reine kommen. Es sind ja nicht irgendwelche düstern Gestalten, oder so etwas Komisches wie „die Politik“, die die Frauen kontrollieren. Es sind die Frauen selber. Es sind auch Frauen, die sich unter dem richtigen Motto: „mein Körper gehört mir“ selber im Wege stehen, in dem sie diesen Körper zu einem Heiligtum erklären, der nicht berührt oder besprochen werden darf – nicht einmal von ihnen selber.