Wars schön für dich?

Was ist guter Sex? Nun, guter Sex ist Sex, den man nicht so schnell vergisst. Die Kategorie «Sex, den man nicht so schnell vergisst» zerfällt allerdings in drei Unterabteilungen: 1. der erste Sex; 2. guter Sex; 3. grauenvoller Sex. Meine Freundin Elaine erzählte mir beispielsweise unlängst in der Zürcher Kronenhalle-Bar, dass sie – leider – nie den Sex mit Sven vergessen würde. Grauenvoller Sex. Erstaunlicherweise sind es regelmässig gerade diese Sven-Typen, die einem erklären: «Beim Sex ist Phantasie das Wichtigste» – weshalb ich regelmässig alarmiert bin, wenn jemand sowas sagt. Das ist genauso irrig wie die Ansicht, dass Sex, der länger als 15 Minuten dauert, automatisch guter Sex wäre. Und die deklarierte Phantasie der Svens beschränkt sich in aller Regel darauf, zusammen in die Badewanne zu steigen und ein paar Duftkerzen anzuzünden. Oder einem plötzlich die Zunge in den Bauchnabel zu stecken oder eine CD mit Walfischgeräuschen einzulegen, und man beginnt im Geiste, Einkaufslisten für den nächsten Tag zu schreiben und sich zu fragen, ob Wale eigentlich schlafen und ob es wohl eines Tages keine Waffen mehr geben wird aufgrund von Nina Hagens Super-Power-Gedanken. Und zur Badewanne kann ich bloss sagen: Totally overrated. Sex in der Badewanne ist nur dann vergnüglich, wenn man eine Meerjungfrau ist.
Phantasie? Pah. Beim Sex geht es im Wesentlichen darum, dass man einige Körperteile erkennt (und mit etwas Glück sind die erkennbar) und einigermassen bedienen kann. Das ist das Rezept. Und deshalb ist meine Ansicht, dass Sex heute, wie so vieles, übertheoretisiert wird. Es tut mir leid, wenn das schockierend klingt und Heerscharen von Beratern überflüssig und arbeitslos macht, aber: Guter Sex ist eigentlich simpel. Ja, darinnen besteht nachgerade sein Wesen. Natürlich sind Menschen und Vorlieben unterschiedlich, natürlich ändern sich Menschen und Vorlieben im Laufe des Lebens, natürlich haben Männer und Frauen ein anderes Körperempfinden (vielleicht), einen anderen Rhythmus (wahrscheinlich), andere Anspruchshierarchien (gewiss), natürlich spielen immer auch die äusseren Umstände eine Rolle – aber all dies war schliesslich schon immer so, das ist nicht neu, neu ist lediglich, dass immer mehr geredet, geschrieben und pseudo-theoretisiert wird, in Büchern und Zeitschriften, Radio und Fernsehen, und natürlich im Internet, dieser riesigen virtuellen Toilettenwand.
Es ist dabei gar nicht so einfach, quasi die Summe der gängigen zeitgenössischen Sex-Weisheit zu ziehen: Einerseits soll für guten Sex Romantik wichtig sein, dann wieder Spontaneität, dann wieder Antizipation. Einerseits soll die emotionale Bezogenheit wichtig sein, dann wieder pure Lust. Ein Gefühl von Sicherheit soll dem Sex ebenso dienlich sein wie ein Gefühl von Abenteuer, totale Aufklärung soll ihn ebenso fördern wie ein gewisses Geheimnis. Es gibt Sex-Utensilien, Fetische und Fixierungen und mehr oder weniger phantomartige Phänomene wie den Reihenorgasmus. Es gibt Versöhnungssex und Wutsex und Tröstungssex und Mitleidssex und Wiedersehenssex, und auch genuin neuere Arten von Sex wie Text-Sex, Skype-Sex oder Cyber-Sex, die sich allesamt dadurch auszeichnen, das sie ziemlich traurig klingen.
Spousonomics: Billiger Sex
Ein erklärtes Ziel der allgegenwärtigen vermeintlichen Sex-Aufklärung unserer Tage besteht darin, Mythen zu beseitigen, Sex-Mythen, die zum Teil hartnäckig und alt sind (wie es Mythen eben an sich haben), zum Beispiel: «Nur Sex, der im simultanen Orgasmus aller Beteiligten endet, ist guter Sex.» Dafür allerdings setzen die meist selbsternannten Aufklärer oft genug neue Mythen in die Welt, zum Beispiel: «Wie gut Sie und Ihr Partner sich ausserhalb des Schlafzimmers vertragen, hat einen direkten Einfluss darauf, wie gut Ihr Sex ist.» – Und gerade deshalb, weil er eben tatsächlich mal was anderes zu sein und mit sämtlichen Mythen aufzuräumen versprach, stach mir der Spousonomics-Ansatz ins Auge. «Spousonomics» ist eine verhältnismässig junge, in den USA entstandene Idee, Prinzipien der Wirtschaftswissenschaften auf Zwischenmenschliches zu übertragen. Die Ökonomie ist ja, allgemein gesprochen, die Wissenschaft von der Allokation knapper Ressourcen, und eben das, die optimale Aufteilung begrenzter Ressourcen wie Zeit, Geld, Energie, ist eben auch nicht zuletzt der Schlüssel für eine glückliche Ehe (und ein glückliches Leben überhaupt). Und, OK, so revolutionär neu ist diese Einsicht auch wieder nicht; es hat im Rahmen der etablierten Wirtschaftswissenschaften immer wieder erfolgreiche Ansätze gegeben, das ökonomische Paradigma der rationalen Wahlhandlung, das so bestechend unideologisch ist, auf vermeintlich ausser-ökonomische Zusammenhänge anzuwenden (der Nobelpreisträger Gary Becker zum Beispiel ist ein Pionier solcher Bestrebungen). Aber «Spousonomics» mag als einer der ersten mit einem Schlagwort kommerzialisierten Ansätze gelten, der ausserdem von zwei Damen vertreten wird, den Wirtschaftsjournalistinnen Paula Szuchman und Jenny Anderson, und da ja grundsätzlich Damen für romantischer gelten als Herren, ist es doch bemerkenswert, dass nun offenbar das mutmasslich schöne Geschlecht sich aufmacht, Liebe, Ehe und Sex endlich zu befreien von einem inzwischen total hysterisierten altbürgerlichen Ideal vermeintlich wahrer Romantik.
Frau Szuchman und Frau Anderson sehen das Sex-Problem zunächst als Quantitätsproblem – was es gerade im Rahmen der Ehe wohl auch ist. Mit anderen Worten: Die meisten Ehepaare haben viel weniger Sex als eigentlich gewünscht. Die ökonomische Erklärung dafür lautet: Je höher die mit Sex verbundenen Kosten sind, desto weniger Sex findet statt. Die Kosten hier sind zunächst Zeitkosten. Der von Ehegatten am häufigsten angegebene Grund dafür, keinen Sex zu haben, ist der, dass man zu müde sei – und das wiederum heisst ja nichts anderes als dass Sex beim Zeitmanagement nicht adäquat berücksichtigt wird. Essen zu gehen, Duftkerzen anzuzünden (und zu besorgen), ein romantisches Überraschungs-Wochenende in Bad Ischl oder Fuschl vorzubereiten, sich während besagten Wochenendes geduldig Vorwürfe über die eigene Mutter anzuhören – das alles kostet Zeit. Vom sogenannten Vorspiel im engeren Sinne ganz zu schweigen. Genau das aber: mehr Romantik, mehr Vorspiel – sind oft die konventionellen Vorschläge konventioneller Sex-Ratgeber. Deshalb halten Frau Szuchman und Frau Anderson von denen nicht viel. Weil das bloss die Kosten in die Höhe treibt. Dazu aber kommt eine weitere Kostenkomponente, nämlich das, was der Ökonom Transaktionskosten nennt, also Kosten, die notwendig anfallen, damit eine Transaktion auf imperfekten Märkten überhaupt zustandekommt. In unserem Falle ist Sex die Transaktion, und die Transaktionskosten sind vor allem Informationsbeschaffungskosten. Mit anderen Worten: Man muss rauskriegen: Will die andere Seite überhaupt Sex? Und wenn ja: wie?
Der Ratschlag der Damen Szuchman und Anderson lautet: Macht den Sex billiger. Die billige Nummer ist hier ganz wörtlich, nicht metaphorisch zu verstehen. Wie Ihnen jeder Ökonom bestätigen wird, pflegt die Nachfrage (in aller Regel) anzusteigen, wenn der Preis (bzw. der Kostenaufwand) sinkt. Für die Sex-Theorie nach Anderson/Szuchman heisst das, dass die Sexhäufigkeit steigt, wenn Sex für die Beteiligten weniger Aufwand bedeutet, wie das zum Beispiel bei sogenannten Quickies der Fall ist. (Benutzt man dieses Wort überhaupt noch?) Andererseits steigt nach Anderson/Szuchman die Quantität und wohl auch die Qualität von Sex mit zunehmender Transparenz, also sinkenden Informationskosten für die Beteiligten. Wenn die Sex-Partner also mehr miteinander reden und sich ihre Wünsche mitteilen. Steigende Transparenz bedeutet (in aller Regel) höhere Effizienz von Märkten dank geringerer Transaktionskosten, und das gilt auch für Ihr Sexleben, meine Damen und Herren.
Tiefe Kosten, hohe Transparenz – ist das die Erfolgsformel?
Damit lautet die wirtschaftswissenschaftliche Antwort auf die Frage nach gutem Sex: tiefe Kosten, hohe Transparenz. Und natürlich lassen sich hier gleich etwelche Einwände erheben. Zunächst ist die Analyse von Anderson/Szuchman, wie gesagt, strenggenommen eher quantitativ orientiert, und jeder Mensch weiss, dass häufigerer Sex noch nicht automatisch besserer Sex wird. Darüber hinaus beziehen sich Anderson/Szuchman, wie der gesamte Spousonomics-Ansatz ja bereits seinem Namen nach, auf verheiratete Paare, d. h. auf Sex im ehelichen Kontext; wodurch eigentlich diverse Sonderfragen und Spezial-Probleme involviert werden, die die Autorinnen leider ignorieren, zum Beispiel die Frage, ob sich die Sexkosten überhaupt so beliebig senken lassen – oder nicht vielleicht in einigen oder etlichen Fällen prohibitiv hoch geworden sind, etwa dadurch, dass man den Partner nicht mehr attraktiv findet oder sich die sexuellen Präferenzen geändert haben oder was immer. Und drittens und letztens will man ja vielleicht auch nicht unbedingt gleich heiraten. Vorher hat Gott das Dating gesetzt. Dating ist ein altes Spiel mit wechselnden Regeln. Allerdings gibt es ein paar ewige Konstanten – besonders, was die Alarmsignale angeht. Hier gilt immerhin (meistens): schlechtes Date = schlechter Sex. Aber das Unsicherheitsproblem existiert natürlich ebenfalls und beeinträchtigt die Transaktion. Sie kennen das womöglich: Man hat sich hübsch gemacht und mit den Haaren Mühe gegeben und dann sitzt (oder steht) man bei einem Date – und das Gegenüber erörtert ausführlich die Gründe für das Scheitern seiner letzten Beziehung oder die Gründe für seine Hinwendung zur makrobiotischen Lebensweise, und plötzlich wird einem klar, dass man hier seine Zeit vertut. Das ist einerseits schrecklich, andererseits aber auch gut, denn so weiss man wenigstens, dass das nichts wird. Die heikelsten, quälendsten und unangenehmsten Fälle beim Dating dagegen sind ja stattdessen immer die, wo man nicht so ganz sicher ist, ob sich die Sache lohnt, wo man die ganze Zeit, während einem das Gegenüber auseinandersetzt, wie man den Armen helfen könnte, überlegt, ob dessen Frisur vielleicht doch ein bisschen frühgestört sei … und ob man nicht doch lieber eine Lebensmittelvergiftung vortäuschen und sich verabschieden sollte.
Aber ganz beim Abschied sind wir noch nicht. Vorher kommen hier für Sie noch meine ganz persönlichen Drei Goldenen Sex-Weisheiten – zum Ausdrucken, Ausschneiden und In-die-Tasche-stecken:
1. Guter Sex hat mit Grosszügigkeit ebenso zu tun wie mit Selbstbezogenheit.
2. Pornokörper können langweilig sein.
3. Wenn Leute, die nur durchschnittlichen Sex kennen, miteinander durchschnittlichen Sex haben, können sie trotzdem glücklich sein.
Oder, andersrum: Sex ist hochwahrscheinlich nicht so gut, wenn:
1. Der Partner dauernd fragt: «Ist das OK?»
2. Eine(r) der Beteiligten Haare auf dem Rücken hat.
3. Es kein Ende gibt.
4. Das Ende für die Beteiligten mehr als zehn Minuten auseinanderliegt.
5. Eine(r) der Beteiligten dabei isst / fernsieht / telefoniert (sogenannte George-Constanza-Falle).
6. Man plötzlich merkt, dass die Frau gar keine Frau ist (sogenannte Crying-Game-Überraschung).
7. Man plötzlich merkt, dass die Frau nicht nur gar keine Frau ist, sondern der eigene Vater (sogenannte Transamerica-Überraschung).
8. Im Hintergrund Teelichte brennen.
Und ganz allgemein gilt:
Timing ist nicht alles, aber je besser das Timing, desto besser der Sex.
Im Bild oben: Bettszene mit Justin Timberlake und Mila Kunis im Film «Friends with Benefits». (Foto: Castle Rock Entertainment)
20 Kommentare zu «Wars schön für dich?»
Es sind 50% Erwartungshaltung und 50% Anatomie. Wenn man nicht erwartet, den Orgasmus zu erleben, dann erlebt man ihn mit Sicherheit nicht. Und wenn der Partner die Anatomie nicht versteht, hat man nachher vielleicht Kratzspuren und kann eine Weile nicht mehr so gut sitzen, aber es war trotzdem nicht schön. Im positiven Fall erwartet man den Orgasmus, sprich ist erregt, und die Erwartung wird dann durch geschicktes Handling auch erfüllt. Die 50-50-Aufteilung gilt für beide, also ist es 25-25-25-25. Diese Zahl stimmt für mich persönlich, da ungefähr jedes 4. Mal wirklich schön ist.
bla, bla, bla … Macht lieber Sex anstatt euch mit amerikanischen Theorien darüber zu langweilen.
Achterbahnessay: Der Text fängt gut an, fällt schnell ab, steigt bald wieder steil auf und kommt zum hochinteressanten Kernthema – und verschenkt es zum Schluß wieder mit einem ironischen und bloss subjektiven Larifari. Schade, da war mehr drin.
PS: Makrobiotische Ernährung erhöht die Standfestigkeit des Mannes. Auch bei jenem Date wäre mehr drin gewesen… 😉
Wenn ich die übliche Illustration eines Artikels zum Thema Sexualität mit perfekten Jungkörpern (um es mal ganz unsentimental auszudrücken) sehe, die vor lauter Attraktivität und Selbstbewusstsein mit Sicherheit keinerlei wesentlichen sexuellen Probleme haben, dann vergeht mir die List, den Text überhaupt noch zu lesen.
Wenn es für Sie ein Problem ist, dass jemand hier schreibt, den Artikel langweilig zu finden, dann haben Sie echt ein Problem und sollten vielleicht entweder nicht bloggen oder die Kommentarfunktion abschalten.