Dürfen Männer Schmuck tragen?

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Als ich neulich im Taxi sass, verehrte Leserschaft, kam der Fahrer auf diese Kolumne zu sprechen, was mir sehr willkommen war, denn so konnte ich ihn fragen, wie er es denn mit Schmuck halte. Er halte es mit Hemingway, erwiderte der Taxifahrer: Ein richtiger Mann trage keinen Schmuck und brauche übrigens für die Körperpflege auch nur Wasser und Seife. Damit umschrieb der Chauffeur eine alte Weisheit: Immer wenn etwas den Vorsatz «Herren-» trägt, scheint es für richtige Männer nicht geeignet zu sein: Herrenhandtasche, Herrenpumps, Herrenschmuck. Ich jedoch musste bei dieser Gelegenheit daran denken, wie ich mir mit Mitte Zwanzig meine Ohrlöcher stechen liess und dann sofort loslief und mir so zwei Riesen-Bling-Klunkerstein-Ohrstecker kaufte, die so gross und schwer waren, dass sie meine Ohrläppchen quasi bis auf den Boden zogen.

Inzwischen trage ich, wenn überhaupt, bloss noch kleine Brillanten im Ohr, erstens weil ich über Vierzig bin (und je älter man wird, desto kleiner sollten die Ohrringe werden, denn sofern man nicht Joan Collins oder die Königin von England ist, sieht man nämlich sonst am Ende aus wie George Michael im Video zu «Careless Whisper», egal, welches Geschlecht man ursprünglich hatte), und zweitens, weil die Ära des Bling sowieso vorbei ist (egal, was uns Kanye West erzählt). Und egal ob in Form von Ringen, Ketten oder Ohrringen: Männerklunker kann glaubwürdig heute nur noch tragen, wer entweder unter 25 oder in den sozialen Brennpunkten nordamerikanischer Grossstädte aufgewachsen ist. Oder beides. Das ist eine Frage von Street Cred. – Hingegen trage ich seit 15 Jahren praktisch jeden Tag die silberne Venezianerkette eines bekannten amerikanischen Juweliers, die ich liebe. Sie sehen sie auf dem Bild. Ich musste schon zweimal den Verschluss reparieren lassen, wegen Verschleiss. Und im Grunde bin ich auch für diese Kette zu alt, denn jenseits der 35 sollten Herren eigentlich kein Silber mehr tragen. Damen übrigens auch nicht.

Schmuck hat sowieso immer soziokulturelle Implikationen; die Tatsache, dass immer mehr Männer Schmuck tragen (und einige dies vorgeblich ironisch tun), heisst nicht, dass er seine klassenspezifischen Konnotationen eingebüsst hätte. In England beispielsweise trug und trägt die Working Class (Chavs, Casuals, Teddy Boys) gern dicke Ketten aus Katzengold, und dazu Siegelringe, dieses eigentlich aristokratische Emblem, um dem Establishment zu signalisieren: Wir können das auch. Im deutschen Sprachraum hingegen wird ein Siegelring vordringlich von überangepassten Langweilern vom Schlage Eckart von Hirschhausens getragen und ist daher für jeden Herren von Geschmack unbedingt zu vermeiden. In den USA, wo es keinen Adel gibt, ausser jenen des Erfolgs, trägt man Class- oder College-Ringe, die ziemlich cool sein können.

Doch jenseits solch kultureller Chiffren gibt es selbstverständlich auch einige allgemeingültige Regeln für das Tragen von Herrenschmuck, und deren wichtigste lautet: Schmuck ist, wie so vieles, vor allem eine Frage der Attitüde. Das heisst: Man braucht keinen Körper wie der Olympia-Ringer Joe Williams, um eine zwei Zentimeter breite Panzerkette um den Hals tragen zu können (obschon dies natürlich hilfreich ist) – doch man braucht dessen Haltung und Ausstrahlung. Um sich die Wichtigkeit von Haltung und Ausstrahlung zu veranschaulichen, stellen Sie sich einfach irgendein beliebiges Schmuckstück, zum Beispiel einen dicken Ring, einmal an LL Cool Jay vor – und einmal an Elton John. Und Sie wissen, was ich meine.

Zweitens: überdesignter Herrenschmuck, der sich betont kantig und pseudo-technisch-funktional gibt und Titan, Karbon und Kautschuk mixt, als gäbe es kein Morgen, ist ebenso kitschig und bieder wie ein Lederband mit irgendeinem Symbolanhänger oder Halbedelstein um den Hals. Oder sonst welcher Talisman-Schnickschnack mit vermeintlich mystischen Kräften. Denn sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Steine und Anhänger sind in der Regel dem menschlichen Schicksal gegenüber völlig indifferent, bis vielleicht auf den Hope-Diamanten, aber dessen Aufmerksamkeit möchten Sie sich lieber nicht zuziehen.

Drittens: Keine Krawattennadel. Oder wollen Sie aussehen wie ein Steuerberater namens Herb? Zu Anzug und Krawatte passt vielmehr folgender Schmuck: Ehering, Armbanduhr, Manschettenknöpfe, fertig. (Eheringe sollten übrigens immer schlicht und aus Gold sein, und wenn ich «Gold» sage, dann meine ich nie «333», denn das ist Trompetenblech.) Und allenfalls noch ein Armband (aber nie zusammen mit Manschettenknöpfen, das ist zuviel). Armbänder für Männer sind ja inzwischen völlig von ihrer Dieter-Thomas-Heck-Jimmy-Saville-Konnotation befreit, und in der Tat hält sich seit einigen Jahren hartnäckig eine ganz besondere Modeerscheinung, die das männliche Handgelenk betrifft: Herren, die Hedge Fonds managen und Savile-Row-Nadelstreifen tragen, paradieren zwischen den gestärkten Manschetten ihrer Charvet-Hemden und der Panerai in Roségold gerne noch irgendein tibetanisches Glasperlenarmband oder südafrikanisches Freundschaftsband oder ein Muschelbändchen vom Marktplatz in Sant Antoni de Portmany, das sie an den letzten 72-Stunden-Rave erinnert. Mit solcherlei Tand, beliebt auch in der Aufladung mit spirituellen oder sonst wie esoterischen Bezügen (denken Sie an das Kabbala-Armband, die Mutter aller Handgelenksstrippen) will sich der Träger als nachdenklicher, unkonventioneller, klimabewusster Planetenretter ausweisen, quasi als innerer Birkenstock-Träger, auch wenn er sechs Ziffern in der City verdient und Berluti Loafers anhat. Aber in seinem Inneren ist er ein Surfer, der ein paar Buddha Bar Compilations besitzt. Ugh! Lassen Sie das lieber. Auch wenn Ihr Lance-Armstrong-Livestrong-Gummiband ums Handgelenk am Anfang vielleicht gut gemeint war, sieht es doch inzwischen aus wie das vergessene Schlüsselbändchen zum Umkleideschrank Ihres lokalen Hallenbads. Es ging quasi bergab. Wie Lance Armstrong. Auch die halbverwesten Überreste des VIP-Access-Armbands Ihres letzten Death-Cab-for-Cutie-Konzerts sollten Sie schleunigst von Ihrem Handgelenk entfernen. Aber grundsätzlich ist, wie gesagt, bei Männern überhaupt nichts gegen Handgelenksschmuck einzuwenden. (Allerdings wäre ich bei Armreifen zurückhaltend, es sei denn, Sie wollen diesen Boy-George-New-Romantics Look, aber wer bitte will den? Heute, wo Boy George selbst eher aussieht wie die dicke Schwester von Gianna Nannini. An einem guten Tag.) – Am besten greifen Sie zurück auf den klassischen Prototyp des soliden Panzerkettenarmbands, gern auch mit graviertem Namensplättchen. Wie ja überhaupt bei Schmuck statt irgendwelchem Firlefanz die Besinnung auf die Klassiker stets die stilsicherste Variante ist. Die traditionelle Goldkette mit Sternzeichenanhänger beispielsweise, über die Stilberater mit Halbbildung immer die Nase rümpfen, ist zeit-, klassen- und alterslos. Und wurde übrigens auch von Hemingway getragen.

OK, das Letzte hab ich mir nur ausgedacht.

29 Kommentare zu «Dürfen Männer Schmuck tragen?»

  • Tomas sagt:

    Eine schöne Armbanduhr, sonst nichts.
    Ausser man will für schwul gehalten werden.

  • Just my five sagt:

    Sie sehen es wohl mit ihrem Halsband und Ohrringen anders, aus meiner Sicht kann aber ein Mann (also kein Bübchen) eine schöne Armbanduhr tragen, und damit hat es sich. Wenn er das Bedürfnis nach mehr hat, und nicht für schwul gehalten werden will, kann er sich noch eine Armbanduhr kaufen, so teuer, dass dadurch sein Schmuckbudget annihiliert wird.
    Eheringe sind kein Schmuck, sondern Ein sichtbar gewordenes Einwohnerregistereintrag.

  • Felix Gräuber sagt:

    Es muss einfach passen. Das gilt für alles, was Männer (oder Frauen) tragen – auch für Schmuck. Schlimm ist alles, was aufgesetzt wirkt (und ist). Vor allem bei denen, die glauben ihre Spiessigkeit mit Piercings (die an der Lippe immer irgendwie wie Herpes wirken) oder Tattoos ausstechen zu können. Die biedere Frau Wulff mit ihrem Satanisten-Tattoo lässt grüssen. Und all diejenigen, die Schmuckträger gleich als schwul bezeichnen, sollten mal auf den Zeichnungen von Tom of Finland nach Schmuck suchen …

  • Just my five sagt:

    @F. Gräuber: Tom of Finnland ist eine hübsch überzeichnete Phantasie von einem Teilphänomen der Schwulenszene, ähnlich wie zum Beispiel die „Sweet Gwendoline“ von John Willie dies für die BDSM Gemeinde ist. Die Realität sieht aber in beiden Fällen ein wenig anders aus.
    Aber was mein Beitrag betrifft: ich habe nicht postuliert, dass jeder der ein Ohrring trägt und kein Appenzeller ist unbedingt schwul sein muss, sondern dass er wie ein solcher wirken kann. Schmuck wirkt immer feminin, da muss schon heftig anderswo Gegensteuer gegeben werden um dies ins Gegenteil zu kippen 🙂

  • Tabatha Wilde sagt:

    ….als Frau über vierzig kriege ich regelmässig Komplimente für meinen Silberschmuck..und das nicht nur von frustrierten Frauen ;-). Also lieber Dr. Tingler, Frauen, im Gegensatz zu Männern dürfen, IMHO, auch über vierzig Silberschmuck tragen. Schmuck muss einfach stimmig sein. Dann passt er auch. Egal ob Männlein oder Weiblein..alles eine Frage des Stils.

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