Service inklusive

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Schon Eva soll ja damals Adam nach einer unautorisierten Version der Schöpfungsgeschichte ins Ohr gewispert haben: «Hätten wir der Schlange nicht was geben müssen?» Das beweist: Das Trinkgeldproblem ist so alt wie die Menschheit. Und heutzutage, in unserer hochgradig arbeitsteiligen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, scheint die Zahl der Situationen geradezu explodiert zu sein, in denen die Frage auftaucht: Ist hier ein Trinkgeld fällig? Für wen? Wofür? Wie viel?


  1. Die Grundregel

    Wie bei vielen komplexen gesellschaftlichen Problemen ist die zugrunde liegende Basisregel einfach: Ein Trinkgeld ist eine Geste, die Anerkennung für gute Arbeit ausdrücken soll. Ein Trinkgeld ist ein Bonus, kein Anrecht. Es ist ebenfalls kein Almosen zur Kompensation für schlechte Bezahlung, auch wenn gewisse Branchen namentlich im Hotellerie- und Gastgewerbe für ihr erbarmungswürdiges Lohnniveau bekannt sind. Wenn Ihnen jemand Blumen zustellt oder den Computer repariert, wird grundsätzlich kein Trinkgeld fällig. Und das Wort «grundsätzlich» steht für den gerade in Bezug auf Trinkgelder geltenden zweiten wichtigen Grundsatz: Keine Regel ohne Ausnahme. Falls Sie wider Erwarten zum Valentinstag eine riesige Schachtel langstieliger Baccara-Rosen von Lars bekommen, ist es vollkommen akzeptabel, Ihrer Freude durch ein spontanes Trinkgeld an den Schachtelüberbringer Ausdruck zu geben. Und bei Sachen, die Sie bestellt haben, und deren Lieferung mit physischem Aufwand verbunden ist, zum Beispiel Ihren neuen Regalen, wird ohne weiteres ein Trinkgeld für die Möbelpacker fällig. Auch wenn es sich nur um Billy-Regale handelt. Und Sie können ruhig etwas mehr geben, wenn die Möbelpacker sexy sind. Die Welt ist nun mal ungerecht.

  2. Die Höhe

    In Westeuropa gilt in der Regel bei Dienstleistungen das Prinzip «Service Included» – aber trotzdem gibt es Berufsgruppen, die konventionellerweise mit einem Trinkgeld rechnen dürfen, zum Beispiel die Bedienung im Restaurant oder Taxifahrer, auch wenn die allermeisten Taxifahrer heutzutage nicht im Traum auf den Gedanken kommen, auszusteigen und Ihnen die Tür aufzuhalten. In der Regel beträgt der Trinkgeldsatz in diesen konventionellen Fällen zwischen 10 und 15 Prozent des Rechnungsbetrages, wobei bei durchschnittlichem Service kleinere Beträge ebenso unmanierlich sind wie ein unangemessen hohes Trinkgeld. Bei dem eben erwähnten Taxifahrer, der nichts tut ausser zu fahren, kann man allerdings auch weniger geben – wenigstens 15 Prozent jedoch dann, wenn man mit Gepäck fährt und der Fahrer das Gepäck mindestens ein- und auslädt. – Übrigens: Falls Sie mit der Kreditkarte zahlen, achten Sie darauf, das Trinkgeld in bar zu hinterlassen. Auf diese Weise steigern Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Regula, die Sie so charmant bedient hat, auch tatsächlich von Ihrem Bonus profitiert.

  3. Die Sonderfälle

    Die Sonderfälle sind, wie gesagt, Legion, und wir nennen hier die beiden wichtigsten: 1. Bei gewissen gesellschaftlichen und kulturellen Anlässen ist die Garderobe unentgeltlich, und falls es sich nicht um eine im engeren Sinne private Veranstaltung handelt, wird ein Trinkgeld fürs Garderobenpersonal fällig. Dies können Sie in der Regel daran erkennen, dass besagtes Garderobenpersonal gut sichtbar eine scheussliche Untertasse oder ein ähnliches Münzensammlungsbehältnis aufgestellt hat. Beachten Sie: die Höhe des Trinkgeldes hängt in solchen Fällen vom Etablissement ab, nicht von Ihrer Sitzkategorie. 2. Beim Friseur hinwiederum ist ein Trinkgeld grundsätzlich angebracht, besonders bei Billigketten und Auszubildenden, nicht jedoch, falls Udo Walz persönlich Ihnen die Haare schneidet.

  4. Im Hotel

    Eine ähnliche Grenzlinie gilt auch für Hotels (besonders für grössere Häuser): Diejenigen, die bedienen, kriegen Trinkgeld; diejenigen, die im Management sind, nicht. Die Rezeption gehört dabei zum Management, der Concierge zur Bedienung. Das heisst: Die Person, die Ihnen Ihr Zimmer zeigt, kriegt kein Trinkgeld, der Kofferträger jedoch kriegt einen Betrag, der sich nach Umfang und Volumen des Gepäcks richtet. Trinkgelder werden natürlich auch fällig, wenn Sie die Bars und Restaurants im Hotel besuchen, und ansonsten ist es üblich, beim Check-out eine pauschale Summe fürs Personal entweder in bar zu hinterlassen oder auf Ihrer Kreditkartenrechnung einzutragen. Die Höhe dieser Gabe richtet sich nach der effektiven Qualität des Service sowie nach der Dauer Ihres Aufenthalts und schliesslich auch ein bisschen nach der Grossartigkeit des Hotels. Die Welt ist ungerecht. Ich persönlich lasse ausserdem jeden Morgen auf dem Kopfkissen etwas Bargeld im Zimmer für das Reinigungs- und Aufräumpersonal, um einigermassen sicherzustellen, dass diese kleine Dankbarkeit die richtigen Empfänger auch erreicht; immerhin könnte ja eines der Zimmermädchen Jennifer Lopez sein, die sich als alleinerziehende Mutter durchkämpfen muss und davon träumt, die Managementschule zu besuchen und Ralph Fiennes zu heiraten.

  5. Die Signalfunktion des Trinkgeldes

    Das Interessante am Trinkgeld ist, dass es als direkter Hinweis auf den Charakter des Trinkgeldgebers gelesen werden kann. Sie erinnern sich? So empfiehlt es sich etwa, beim Dating darauf zu achten, was der potenzielle Partner für ein Trinkgeldverhalten zeigt. Ist das Gegenüber bei Trinkgeldern notorisch knauserig, so ist dieser Mensch entweder genau das, also notorisch knauserig, oder wenigstens nicht sehr weltläufig. Beides ist ungünstig und sollte grundsätzlich dazu führen, dass man den Paarungszugang verweigert. Aber auch hier gibt es weitere, feinere Spezialitäten und Typenbildungen. Zum Beispiel jene Type, die (mehr oder weniger unauffällig) darauf achtet, dass es vom Personal auch bemerkt wird, wenn sie bei Starbucks ihr Trinkgeld nach Bezahlung eines Triple Grande Decaf Non-fat No-whip Iced White Chocolate Mocha in den neben der Kasse stehenden Plexiglasbehälter wirft. Das ist natürlich ein bisschen geltungssüchtig. Aber noch lange kein Grund, den Paarungszugang zu verweigern. Denn der Mensch hat immerhin ein Trinkgeld gegeben.

Im Bild oben: Kerri Russel (M.)  im Film «Waitress». (Foto: Fox)

21 Kommentare zu «Service inklusive»

  • Kim sagt:

    wenn man 18.50 netto kriegt in der stunde, ist man gotte-froh für jedes trinkgeld. amen

    • Lynn Mc Lochlean sagt:

      Es gibt auch Menschen die im Verkauf oder Reinigungsinstitut für 18.50 arbeiten, aber da ist kein Trinkgeld üblich. Warum also wird in der einen Branche einfach Trinkgeld erwartet?

  • David sagt:

    Banalität: Auch wenn es augenscheinlich passen mag: Das Bild des Films Waitress erinnert mich unweigerlich an den Tod der Regisseurin, die kurz vor der Premiere ihres Films in ihrer Wohnung niedergestochen wurde. Sie war 40. Da scheint dann die nachfolgende Diskussion um Benimm, Sitte und Tradition bezüglich Trinkgeld etwas gar unpässlich. naja.

  • Sabrina sagt:

    Lieber jemand der arbeteitet ein Trinkgeld (Kleinstbonus) geben als einem Möchtegerne-Bettler Geld geben (welches eh zweckentfremded wird).

  • pe had sagt:

    Hallo Philipp,

    köstlich geschrieben, ohne wenn und aber. Ich danke für die vergnüglichen Momente.

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