Der öffentliche Seitensprung
Sexskandale sind normalerweise ein bisschen schmierig. Im aktuellen Fall des Vampir-Schauspielpaares Kristen Stewart und Robert Pattinson waren dafür zwar wohl nicht genug Körperflüssigkeiten im Spiel, aber man macht das Beste draus. Stewart wurde in den Armen ihres Regisseurs Rupert Sanders erwischt und fotografiert. Der öffentlich gewordene Seitensprung liefert nun ein Dramaturgie für ein Stück, mit dem sich das Sommerloch trefflich füllen lässt.
Ein paar Tage nachdem die Indiskretion der breiten Öffentlichkeit um die Ohren gehauen worden war, entschuldigten Filmstar und Regisseur sich mit einer öffentlichen Erklärung bei ihren Fans und Partnern. Auf Letztere richtet sich das Auge der Öffentlichkeit umgehend, um sich an der Verletzung zu weiden. Pattinson sei ausser sich, nicht zu besänftigen, ein Mann mit gebrochenem Herzen. Stewart heule derweil Rotz und Wasser. Man spekuliert, er könnte ausziehen – und er zieht tatsächlich aus! Die beiden sollen sich nun sogar um den Hund streiten.
Untreue ist kein männliches Phänomen, aber Männer scheinen sich öfter erwischen zu lassen. Deshalb drehen sich Sexskandale meistens um Fussballer, Golfer, Politiker, Schauspieler, die bei etwas erwischt werden, was die Öffentlichkeit zwar nichts angeht, was aber so skandalös ist, dass man es dieser nicht vorenthalten will. Mit hämischer Freude listen die eifrigsten Gazetten auf, was der Mann sich alles hat zuschulden kommen lassen und Kolumnistinnen nehmen die Fälle zum Anlass, sich über die moralischen Mängel der Männer im Allgemeinen auszulassen. Die reuigen Sünder lassen sich ihrerseits meist schnell in eine Entzugsklinik einweisen, um Busse zu tun und aus dem Schussfeld der Medien zu kommen.
Diesmal steht eine Frau im Zentrum des Interesses und damit ändert sich die Dramaturgie. Kristen Stewart hatte insofern Glück, als dass von ihr weder ein Sextape noch leidenschaftliche SMS aufgetaucht sind. Pech hatte sie darin, dass ein verschwommenes Bild mit allenfalls einem scheuen Kuss für einen Skandal reichte. Damit wird sie wenigstens damit verschont, als Triebtäterin gebrandmarkt zu werden und nur noch Rollen als geistesgestörte Killerin zu ergattern. Stewart, so lesen wir, ist bloss ein unglückliches Mädchen, das für seinen Fehltritt mit riesigem Liebeskummer bestraft wurde.
Das promiskuitive Verhalten von Prominenten ist vor allem deshalb interessant, weil es uns ein Stück fettiger Fast-Food-Moral auftischt. Nämlich: Paare sind einander treu und Seitensprünge sind unverzeihlich. Ich glaube nicht, dass es einen grossen Unterschied macht, ob ein Mann oder eine Frau einen Seitensprung begeht. Ganz abgesehen davon, wie man es mit der Treue handhabt und was man darüber besprochen hat. Sicher macht es einen Unterschied, ob man in den Medien darüber liest, dass man betrogen wurde. Und deshalb ist diese ganze Inszenierung um das Paar – samt Liebe, Lüge und Eifersucht – Blödsinn. Die grösste Lüge, die hier erzählt wird, ist, dass wer fremd geht, bestraft werden muss. Das verkaufen uns bloss die Medien so. Im Notfall erledigen sie es auch selbst.
19 Kommentare zu «Der öffentliche Seitensprung»
Eines dürfte ja Allen klar sein; es betrügen beide Geschlechter! Warum, weil an jedem Ecken irgend eine Dame „lauert“ für den Mann und an noch mehreren Ecken ein Mann lauert, für die Dame. Ein Problem ist, dass (zu) viel Frauen zu lange brauchen, bis sie heiss werden- Männer nicht. Das Angebot steigt mehr und mehr mit der Bereitschaft derer, die ausserhalb der Beziehung Sex finden, nachdem sie suchten. Je älterer der Mann, je jüngere Frauen er will. Hat weniger mit der Treue zu tun denn mit der unsäglichen Verlockung derer! Die sind & riechen nun mal wie von einem anderen Stern, Punkt!
Dafür werden Millionen Frauen um den Globus aufatmen, endlich ist er wieder zu haben, dieser Robert und erst noch mit gebrochenem Herzen das man kitten kann.
Bravo Michèle Binswanger! Eine super Analyse. Kompakt, objektiv, vielseitig-ausgerichtet, spritzig, poiniert, (selbst)kritisch. Mancher Konsument des Sex-Skandal-Schrotts kann sich und die übrigen Hintergrund-Regie-Akteure wie im Spiegel erkennen!
Zu jeder untreuen 1.Person gehört auch das 2.Pendant, das nicht nur die 1.Untreue bewusst in Kauf nimmt, sondern unter Umständen auch selber vorsätzlich Untreue begeht …
Moral, Wahrheit und das eigene Gewissen werden heute für Kurz-Zeit-Action und -Profit massenweise auf dem Schrottplatz entsorgt! Emotionen, Amtshandlungen, Wirtschaft, Politik
Ein Seitensprung ist nur eine Seitensprung in Bezug auf die Moral auf die Sie verweisen. Ein Sprung aus der Beziehungsschüssel und schnell wieder zurück. Das ganze Drama und die Anschuldigungen und die Strafen sind ein überaus komplexes System, das diesen Sprung ermöglicht. Die Abschaffung dieser Moral würde den Seitensprung nicht einfacher machen sondern erschweren. Als Mutter von einem Kind müssen sie begreifen, dass dies nicht wünschenswert ist.
Moral ist hinterlich, in allen Gesellschaftsschichten.