Ohne Worte

Neulich, an einem heissen Tag in der Zürcher S-Bahn, deren Publikum ja, wie der treue Leser weiss, eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration für mich darstellt, sah ich eine junge Dame, die ein T-Shirt trug mit der Aufschrift «I ♥ Boys, Parties & Shopping.» Sie sehen es oben. Ich bitte die schlechte Bildqualität zu entschuldigen, ich hatte nur wenige Sekunden Zeit. Ich muss sagen, ich fand das ziemlich cool, wahrscheinlich, weil dies auch mein Lebensmotto ist. Ausserdem fiel mir sofort Robert Preston ein: dressed like a Pamplona tramp – doch das hat nicht so viel zu sagen, mir fällt nämlich meistens Robert Preston ein, denn ich bin ein Riesenfan von Robert Preston, besonders in seiner Paraderolle als Dr. Irving Finegarten in S.O.B. – one of the best movies ever. Aber dies nur am Rande. Heute geht’s also um: lesbare Kleidung. Slogan-T-Shirts.
Der Klassiker des Slogan-T-Shirts ist immer noch: «My Mom went to London and all I got was this lousy T-shirt». Ebenso zeitlos sind Oberteile, die mit Heavy-Metal-Bandnamen oder Bibel-Pfadfindercamps beschriftet sind, denn auch solche Stücke gibt es, besonders im angelsächsischen Raum, seitdem T-Shirts als Oberbekleidung gesellschaftsfähig sind (was übrigens noch gar nicht so lange der Fall ist, sondern erst seit Ende der Dreissigerjahre, und das bedruckte Promo-T-Shirt zur Premiere von «The Wizard of Oz» aus dem Jahre 1939 ist heute unter Sammlern ein Vermögen wert). Aber dann, und zwar natürlich in den späten Neunzigerjahren, passierte etwas Unschönes: ein haltlos wuchernder Selbstdarstellungszwang und die aufkeimende Retro-Obsession verbanden sich, und dies führte dann zunächst zu den sogenannten Städte-Shirts (ich sage nur: «Hamburg»). Die waren mal cool, so etwa eine Sekunde lang. Und wirkten als Dammbrecher. Denn in der darauf folgenden Sekunde landeten Oberteile mit mannigfachen Statements quer über der Brust bei sämtlichen globalisierten Billig-Textilketten, und jeder schmalwüchsige Grafiker wurde zum «Coach» oder «Bademeister» und jeder Sachbearbeiter aus der Vorstadt zu «Zorro» und jede Friseuse oder postfeministische Phil-I-Studentin zum «Pornostar». So schnell geht das in unseren herrlich beschleunigten Zeiten, wo Ironie scheinbar zur Massenbewegung verkommen ist.
Und weil unsere Zeiten herrlich beschleunigt sind, ging’s noch weiter: die Buchstabensuppe schwappte von T-Shirts und Pseudo-Trainingsjacken auf alle Arten von Anziehsachen über. Wir sind in der Tat längstens von dem umgeben, was die amerikanische Kulturwissenschaftlerin und Pulitzerpreisträgerin Alison Lurie als «Legible Clothing», also «Lesbare Kleidung» bezeichnete, womit sie jene uferlos wachsende Kategorie von Anziehsachen meint, die in irgendeiner Form Botschaften tragen. Markennamen, Ideologien, Geschmacksurteile, politische Statements, blanker Unsinn – nicht nur auf der T-Shirt-Brust ist Platz für alles. Ein besonderes Feld ist dabei das der lauten Designerstücke, deren vermeintliches Design sich in riesigen Markenlogos erschöpft: ob «Rich» auf dem Jeanshintern oder «D&G» in Goldlamé auf dem Innenschenkel. Das soll Laufsteg für die Economy-Klasse sein, in der Tat ist es natürlich eine gigantische Geldmaschine für diejenigen Labels, die da mitmachen (was beileibe nicht alle sind), und was mich betrifft, so kann sich jemand, der sich «Abercrombie & Fitch» quer über die Brust oder sonstwohin schreiben lässt, gerne auch gleich mit dem Edding 3000 «Ich bin ein Modeopfer von vorgestern» auf die Stirn schreiben, denn für mich ist das dieselbe Botschaft. Da wird von Botschaften reden: Werfen Sie bitte mal einen Blick auf den CEO. Den von Abercrombie & Fitch, meine ich. Na, wollen Sie immer noch so ’n Ding anziehen?
Viel gravierender als meine persönliche Aversion ist der kulturelle Rückfall, der mit solchen plakativen wie geistlosen Markenbotschaften verbunden ist, nämlich der Rückfall in die behämmerte, unreflektierte, plump-markenfetischistische Seite der Achtzigerjahre, wo man übergrosse Sweatshirts mit «Boss»-Schriftzug und U-Boot-Kragen anzog, wovon wir eine Wiederbelebung ebenso wenig brauchen wie das hunderste 80er-Graphic-Design-Retro-Charity-T-Shirt bei H&M. Denn jenseits aller popkulturellen Referenzen heisst «Lesbare Kleidung» schliesslich auch, dass man an beschrifteten Anziehsachen die Souveränität und das Geschmacksvermögen ihres Trägers ablesen kann. Und ein Label als Ersatz für Individualität, der Slogan als Ersatz für den Gedanken fungiert sozusagen, um einen Ausdruck des Soziologen Thorstein Veblen zu zitieren, dem wir die berühmte «Theorie der feinen Leute» verdanken, als Emblem der Leere. Ich vertrete ja in diesem Magazin hartnäckig die Auffassung, dass Geschmack nicht nur Urteilssinn, Gefühl für Harmonie und Selbsterkenntnis bedeutet, sondern auch ein Gespür für Angemessenheit. Dies muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass geschmackvolle Garderobe stets diskret zu sein hat (wenn es auch meistens so ist), aber jedenfalls, dass ein Mensch mit Geschmack alles Sinnlos-Laute, Klischeehaft-Plakative und Pseudo-Provokative meiden wird wie der Teufel das Weihwasser.
Und deshalb sind die Regeln für Zeichen auf der Kleidung eigentlich ganz einfach:
1. Grundsätzlich gilt: Je mehr Klasse ein Kleidungsstück hat, desto weniger steht drauf. Wahre Ironie auf einem T-Shirt ist ungefähr so selten zu finden wie wahre Ironie im deutschen Fernsehen.
2. Der Aufruf zur Zurückhaltung gilt nicht nur für Buchstaben, sondern auch für Zahlen. Nummerierte Anziehsachen sind was für Teamsportler. Und für niemanden sonst.
3. Im Übrigen gilt, wie in sämtlichen Fragen der Mode, die grausame, völlig undemokratische Regel: Es kommt auf den Träger an. Wenn Ashton Kutcher per T-Shirt verkündet «Jesus is my homeboy», dann wirkt das ein bisschen gewollt. Robbie Williams in einem «Fuck with me»-T-Shirt ist eigentlich nicht viel besser, aber er ist Robbie, und deshalb geht das trotzdem. Robbie kann alles, denn er hat Cool. Wie Robert Preston.
4. Es gibt Slogan-Klassiker, die viel älter sind als die Slogan-Hysterie, und die gehen immer. «Choose Life» ist einer davon. Das stand auf jenem überdimensionierten T-Shirt von Katherine Hamnett, das George Michael 1984 im Video zu Whams grösstem Hit «Wake Me Up Before You Go Go» trug – nebst einer Föhnfrisur, die aufwendiger war als die von Margaret Thatcher. Zeitlos sind auch «Atomkraft – nein danke» oder «Everything is bigger in Texas» oder «Frankie Says Relax». Allerdings sollte der Träger den Slogan hier immer auch meinen – wie bei Tätowierungen.
5. Oder, natürlich, die Mutter aller Slogans: «My Mom went to London and all I got was this lousy T-shirt.»
25 Kommentare zu «Ohne Worte»
Fashion police?