Marilyn ist zu dick

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Jetzt ist Marilyn 50 Jahre tot. Es gab niemals wieder ein Phänomen wie sie. Marilyn Monroe bleibt einzigartig, unimitierbar, ein Wesen aus einer anderen Sphäre und zugleich ein elendes Menschenkind, zerrissen und kaputt von Anfang an. Sie kennen das Thema. Marilyn ist endlos analysiert und theoretisiert und verstanden worden, noch heute unterhält sie ganze Deutungsindustrien sowie Elisabeth Bronfen. Doch selten wurde die Frage gestellt: Würde Marilyn heute Karriere machen? Ich persönlich weigere mich ja, zu glauben, dass sich in unserer heutigen Rummelplatzgesellschaft Talent überhaupt nicht mehr durchsetzt. Aber da ist noch ein anderes Problem: Marilyn wäre zu rund. Für die heutige Leinwand. Marilyn war in der Tat, natürlich auch durch den fortwährenden Tabletten- und Alkoholkonsum, zuzeiten ein ganz schöner Brummer. Und nicht nur sie. Elizabeth Taylor zum Beispiel, ebenfalls eine Kategorie für sich, ebenfalls grösser als das Leben selbst – und doch auch immer wieder am Boden zerstört: ebenfalls zu rund. Und damit meine ich nicht jene Elizabeth Taylor, die mit Jack Warner verheiratet war und aussah, als wäre sie in einem Süssigkeitenladen eingeschlossen gewesen. Nein, ich meine die phänomenale Schönheit aus «Cat On A Hot Tin Roof». Nach dem Tode von Elizabeth Taylor im März letzten Jahres lief im Filmpodium der Stadt Zürich eine Retrospektive. Das dazugehörige Plakat zeigte Frau Taylor, noch bevor sie Frau Taylor Burton wurde, auf dem Zenit ihrer Schönheit. Sie sehen es oben, denn ich habe es rahmen lassen. Für heutige Leinwandstandards: zu viel Bauch. (Und noch was anderes: Auf dem Bild ist Frau Taylor 26. Aber irgendwie wirkt sie älter, reifer – ohne dass man ihr ein bestimmtes Alter zuordnen könnte. Die heutigen 26-Jährigen sehen ganz anders aus.)

Und das bringt mich wieder mal zu Tanya Gold. Sie erinnern sich an Tanya Gold? Ich habe kürzlich im Guardianihren Beitrag zum mysteriösen Tod von Eva Rausing gelesen, der attraktiven und drogensüchtigen Gattin des unendlich reichen Tetra-Pak-Erben Hans Kristian Rausing. Eva Rausings stark verweste Leiche wurde am 9. Juli bei einer Drogenrazzia im zweiten Stock ihres Hauses im Londoner Stadtteil Belgravia unter Müllbeuteln und Kleidern gefunden. Das Zimmer war angeblich voller Fliegen. Hans Kristian Rausing wurde zunächst festgenommen, unter Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Beide Eheleute hatten seit Jahren Suchtprobleme. Belgravia ist einer der teuersten Stadtteile der ganzen Welt. Eine Dominick-Dunne Story, würde ich sagen; Frau Gold sagt: «Like a Tatler story gone wrong.» Wieder ein altes Motiv: Menschen, die alles zu besitzen scheinen und in Wahrheit nichts haben. Das Marilyn-Motiv. (Hans Kristian Rausing hat inzwischen gestanden, die sterblichen Überreste seiner Frau zwei Monate lang versteckt zu haben, und ist zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Eine psychiatrische Untersuchung ergab, dass er überfordert, traumatisiert und verängstigt gewesen sei, als er die Leiche seiner Gattin fand. Das ist das eine. Das andere ist Frau Gold, die den Spruch zitiert: «In England justice is open to all – just like the Ritz.»)

Doch im Folgenden soll es nicht um Eva Rausing gehen. Sondern um die Entscheidung der britischen Advertising Standards Authority vom letzten Jahr, zwei Reklamen des Kosmetiktitanen L’Oréal zu verbieten, in denen die Konterfeis von Julia Roberts und Christy Turlington so stark digital bearbeitet worden waren, dass man sozusagen den Bereich des Realen verlassen hatte. (Das passiert L’Oréal gelegentlich, dieses Jahr mit Rachel Weisz.) Die britische Werbeaufsichtsbehörde entschied, derlei Reklame würde die Ergebnisse verzerrt darstellen, die man mit Kosmetik erreichen könnte. Frau Gold nahm dieses Verbot nicht nur mit Genugtuung zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass, die omnipräsente und rapide Verschärfung von Idealbildern überhaupt zu reflektieren. Sie schreibt:

«In den fünfziger und sogar noch in den siebziger Jahren – die Sechziger hingegen waren schon ein Probelauf für heute – fanden sich auf Anzeigen oder in Filmen noch Hüften und Dekolletés, und Grösse 40 war keine Seltenheit. Marilyn Monroe, Jane Russell, Ava Gardner – hatten alle Fleisch am Körper und interessante Gesichter und Imperfektionen. Jane Russells Augenbrauen erinnerten an Handtuchrollen und Ava Gardner verfügte über eine Kinnspalte, in der man ein Schlüsselbund verlieren konnte. Das waren Individuen. Und das gibt es nicht mehr. Models und Schauspielerinnen sind heutzutage klein, geradezu winzig, und sehen sich seltsam ähnlich, völlig ohne Fett und Schatten. Das ist nicht nur langweilig und anstössig, sondern kommt einer Massenpsychose gleich, bei der das Reale verachtet und das Inexistente wünschenswert wird.»

Und dann schliesst Frau Gold mit dem Satz: «The camera lies, like never before.»

19 Kommentare zu «Marilyn ist zu dick»

  • Allen Burke sagt:

    Ich jedenfalls orientiere mich weniger an anderen Maennern;
    hoechstens an griech. Goettern.
    Vorteil; die sind schon tot und ich habe die Wahl von Apollon bis Dyonisos;
    Natuerlich bin ich nicht so schoen, wie Apollon und kann auch nicht trinken wie Dyonisos –
    aber ich gebe mir Muehe…

  • Melanie Safka (die Echte) sagt:

    Irgend einmal wird auch Madonna in der Erwachsenenwelt ankommen muessen;
    genauso wie auf der Maennerseite der „Herr Karl“….
    (Frueher hiess das Peter Pan-Syndrom).

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