Die Ängste des modernen Mannes

Wir leben in einem Universum mit gewissen Naturgesetzen: Darin dreht sich die Erde um die Sonne, die Schweiz wird niemals Fussball-Europameister, und Männer haben Angst davor, ihr Haupthaar zu verlieren. Selbst wenn sie mehr Haare haben als Cousin Itt – sie fürchten sich davor. Des Weiteren fürchten Männer sich angeblich vor Hochzeiten (besonders der eigenen), Verantwortung und Gefühlen. Man kann Männern so schwer ins Herz schauen. Oder was immer sie sonst da haben, was ihr Blut rumpumpt. Wenn Männer sagen wollen «Ich liebe dich», dann kommt raus: «Ich rufe dich an.» (antworten Sie darauf am besten mit: «Ich dich auch.»). – Doch all diese sattsam bekannten männlichen Ängste erschöpfen den Phobienkosmos des zeitgenössischen Mannes noch nicht. Männer fürchten sich ausserdem …
- ... vor grösseren Männern
Das ist ein uraltes Gesetz von Mutter Natur, welches trotz bemühter zivilisatorischer Betonierung nach wie vor sehr gültig ist. Schon im Zeitalter der Saurier dienten Drohgebärden und eine machtvolle Physis dazu, Kämpfe zu verhindern. Andernfalls hätten sich nämlich die Saurier mit ihren langen Hörnern schlimme Verletzungen zufügen können. So aber gewinnt im Allgemeinen der mit dem prächtigsten Knochenschild. Okay, die Saurier sind zwar dennoch ausgestorben, aber richtig bleibt: Männer haben Scheu vor Männern, die massiger und muskulöser sind als sie selbst und so höhere reproduktive Fitness signalisieren.
- ... davor, als Homo durchzugehen
Nun sind allerdings nicht selten gerade die muskulösesten Männer an Reproduktion gar nicht vordringlich interessiert, und dies bringt uns zur zweiten Furcht: Männer fürchten sich davor, für schwul gehalten zu werden. Interessanterweise ist diese Angst virulent bis heute, wo es eigentlich total okay ist, dass heterosexuelle Männer lächerliche Frisuren tragen und sich die Unterarme rasieren. Und interessanterweise leiden an dieser Furcht sehr viele Männer, vom Soziologieprofessor bis zum Schienenverleger, und nicht zuletzt Homos selbst, auch ohne äussere Repression. Niemand weiss, woher diese Angst stammt; wir aber vermuten, dass sie irgendwas damit zu tun hat, dass das T-Rex-Weibchen damals viel grösser und aggressiver war als das Männchen. Mit dieser Angst hängen viele kleinere klassische Phobien von Männern zusammen, zum Beispiel die Angst vor Gesprächen im Waschraum. Während sich Frauen beispielsweise im Powder Room des Beverly Hills Hotel völlig ungezwungen sogar noch durch Kabinenwände unterhalten können, gilt für Männer in öffentlichen Bedürfnisanstalten die Regel: Augen geradeaus und keep stumm (etwa wie im Fahrstuhl). ACHTUNG: Die Angst davor, als Homo zu gelten, ist etwas ganz anderes als die Angst davor, ein Homo zu sein.
- ... vor Langerweile
Wir haben es schon festgestellt: Männer fürchten sich vor Langerweile. Frauen lieben zwar Langeweile auch nicht besonders, aber für Männer sind viel mehr Sachen langweilig als für Frauen, zum Beispiel Duftkerzen, Filme mit Susan Sarandon oder Theorie-Ansätze zu queer-rassifizierten Diskursmustern als neo-individualliberale Dispositive. Die Möglichkeiten zu Langerweile sind heutzutage mit all den modernen Kommunikationstechniken grösser als je zuvor in der menschlichen Zivilisationsgeschichte, und die Angst vor Langerweile rangiert bei Männern noch vor der Furcht vor Körperpeeling, Impotenz, Diskussionen, unbeweglichem Sperma, zu kleinen Penissen (besonders dem eigenen), dem Zusammenbau von Ikea-Möbeln, Müttern (besonders der eigenen) und Frauen. Die meisten Männer haben viel zu viel Angst vor Frauen, um sexistisch zu sein. Im Besonderen fürchten sich Männer davor, dass Frauen irgendeine Männersache besser können als sie, zum Beispiel Einparken oder Dübeln. Ich kenne die Geschichte eines Paares, bei dem der Mann das Tennisspielen aufgab, weil er gegen seine Frau nicht gewinnen konnte.
- ... vor Alter und Verfall
Frauen haben’s gut. Sie können sich straffen, raffen, rupfen, raspeln, aufpumpen oder absaugen lassen und so auch mit Mitte Siebzig noch aussehen wie Ende Dreissig (wenn’s gut gemacht ist und das Licht auf Jane Fonda richtig fällt). Oder sie können ungeniert Falten schlagen und sich auf Gott oder Alice Schwarzer berufen. Frauen haben’s gut, denn sie haben gesellschaftlich akzeptierte Rollenvorbilder für jede vorstellbare Variante des Alterungsprozesses – von Joan Rivers über Madeleine Albright bis hin zu Mutter Theresa. Und Männer? Um die kümmert sich mal wieder niemand. Jedenfalls ist die Frage, welche Optionen eigentlich den Männern jenseits der Fünfzig oder Sechzig in unserer vermeintlich jugendwahnfixierten Wohlfühlgesellschaft offen stehen, kein Teil der öffentlichen Debatte. Stattdessen hält sich hartnäckig die Vorstellung von einem «Mann in den besten Jahren» (eine Redensart, die auf Frauen keine Anwendung findet) sowie die alte, notabene meistens von Frauen vertretene Theorie, dass Männer in der Regel mit dem Alter attraktiver werden. Natürlich stimmt das als Regel nicht. Grundsätzlich wird niemand mit dem Alter attraktiver. Bis auf wenige Ausnahmen. Und dies sind in der Tat meistens Männer. Zum Beispiel Gerhard Schröder. Trotzdem fürchten sich Männer mehr vor dem Alter als Frauen. In den Worten von Bette Davis: «Growing old is not for sissies.»
- Und dann ist da noch: Die Angst vor der Angst ... äh ... Angstlosigkeit
Die flüchtigeren Ängste des modernen Mannes sind gegenüber den obigen Klassikern nicht von Bedeutung. Einige Stylisten und Modeblätter behaupten, der moderne Mann fürchte sich auch vor Fett und schlechtem Atem und den Laserbehandlungen, die man braucht, um aus der Mode gekommene Tattoos wieder loszuwerden. Fest steht ausserdem, dass nullkommafünf Prozent aller Männer Cellulite kriegen – aber das war schon immer so. Und in der Tat ... sind die Ängste von Männern womöglich ein Rätsel bis heute. Denn Männer reden nicht über Gefühle (bis auf so Tröten wie Xavier Naidoo). Wenn man wissen will, wovor sich ein richtiger Mann fürchtet, dann muss man ihn aufschneiden, um das herauszufinden. Aber wieso sollte man das wollen? Um sie zu therapieren? Total angstfreie Männer? Nee, danke. Total angstfreie Männer gehören auch zu diesen Phänomenen, die sich immer viel schöner anhören als sie eigentlich sind. So wie Sex auf dem Rücksitz im Autokino. Gibt’s überhaupt noch Autokinos? Geez, I’m old. Siehe unter 4.
Foto: Quinn Dombrowski
11 Kommentare zu «Die Ängste des modernen Mannes»
Manchmal sieht Herr Dr. Tingler die Dinge doch eher aus der Sicht einer Lady bzw. deren selbstreferentieller Wahrnehmung. Natürlich gilt der Alpha- Mann, ausser in gewissen gesellschaftlichen Schichten, namentlich dem Prekariat, als obsolet. Erst kürzlich wurde in einer Tageszeitung darüber berichtet, dieser sei am „aussterben“. Ich glaub‘ aber nicht so recht an diese zelotisch herbeigeredete Retirade. Nun, wir werden sehen, ob unsere Gesellschaft Männer mit solchen manigfaltigen Ängsten überleben kann. Bezüglich der Ennui erlaube ich mir den Verdacht, er könne vom Intellekt abhängig sein.