So könnten wir bald alle einmal aussehen
Auch Gesichter sind der Mode unterworfen. Total von gestern ist zum Beispiel heute Daryl Hannahs Gesicht in «Wall Street». Oder auch das, was man so vor 15 Jahren das St. Moritzer Einheitsgesicht für Damen nannte: Stupsnäschen mit schmalem Sattel, hohe Wangenknochen und aufgepumpte Lippen bei vakanter Mimik. Gute Chirurgen stellen so was schon lange nicht mehr her. Ein Fortschritt? Naja. In den Vereinigten Staaten stand unlängst eine Mutter am Pranger, die ihrer achtjährigen Tochter angeblich Botox injizierte, um deren Chancen auf Kinderschönheitswettbewerben zu erhöhen. Und behauptete, das würden alle machen. Und dann behauptete, das Ganze sei nur ein Scherz gewesen. Natürlich fanden das alle furchtbar. Ich auch. Dann las ich in «Time» über die Autorin Catherine Mayer, die in ihrem Buch «Amortality» das Phänomen des sogenannten «Uniface» beschreibt. Damit ist ein künstlich hergestelltes Einheitsgesicht gemeint, das in der westlichen Welt für Männer wie Frauen immer mehr in Mode kommt, also von plastischen Chirurgen immer häufiger verlangt und auch produziert wird, und sich vor allem durch die Abwesenheit von Eigenschaften auszeichnet: wenig Nase, keine Falten, kaum Augenbrauen, keine Markanz. Das Uniface wirkt weder jung noch alt, sondern: alterslos. Solche Ideale werden natürlich auch beeinflusst durch die Woge von digitalisiert geglätteten Leitbildern im sehr wörtlichen Sinne; ein Tsunami, der uns täglich überrollt, dank der schnellen und unendlichen Möglichkeit der Modifikation und Schöpfung von Ikonen durch Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop. Botox ist ja nichts anderes als Photoshop ins reale Leben übersetzt.
Amortalität bedeutet nicht Unsterblichkeit, sondern dass der Mensch sein Leben theoretisch ins Unendliche verlängern kann, aber sterblich bleibt. Also ein Leitbild der scheinbaren Unsterblichkeit oder, genauer: Alterslosigkeit. Alterslosigkeit ist ein steil aufsteigendes Ideal westlicher Gesellschaften. Möglicherweise ist das auch nur eine theoretische Anpassung an den Umstand, dass die schlecht operierten Gesichter (und das sind die, die einem auffallen) ja in der Tat nicht jung aussehen, aber auch nicht alt, sondern ungefähr wie ein erschrockener Goldfisch, also irgendwie ohne Alter. Aber wahrscheinlich werden wir uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass es in absehbarer Zeit nicht mehr üblich sein wird, das Gesicht eines Menschen überhaupt als Indikator für sein Alter heranzuziehen, wie wir dies heute immer noch gewohnheitsmässig tun. Sind wir also auf dem Weg in die postmortale Gesellschaft? Oder sind wir dank der Amortalität der Zweiten Moderne und der Dekonstruktion des Todes durch Joan Rivers schon längst dort angekommen? Und sieht das gut aus? So ein Uniface? Wirkt das attraktiv? Wenn es gut gemacht ist? Das pauschale Argument, dass operierte Gesichter immer mindestens seltsam aussehen, können wir nicht gelten lassen, weil dieses Argument sich eben auf Gesichter bezieht, bei denen man sieht, das was gemacht wurde, und das sind logischerweise die, die nicht so gut geworden sind.
Und dass uns kosmetisch operierte Leute oft doof vorkommen, liegt daran, dass vor allem doofe Leute mit ihren Eingriffen paradieren. Das aber beantwortet ja nicht die Frage, ob die Abwesenheit von Eigenarten und Eigenartigkeiten ein Schönheitsideal vorstellt. Ich würde sagen: per se nicht. Schönheit lässt sich nämlich entgegen landläufiger Auffassung nicht ex negativo verstehen, resultiert also nicht automatisch aus der Abwesenheit dessen, was als unschön empfunden wird. Es ist eine wohletablierte Tatsache, dass Computersimulationen vollkommen symmetrischer Gesichter nicht als umwerfend attraktiv empfunden werden; und die allermeisten Models, gerade die neueren, haben keine Unifaces. In der kürzlich auf Channel 4 ausgestrahlten Realitätsdokudramaserie «The Model Agency» erklärt Carole White, die ununterdrückbare Chefin der weltbekannten Agentur «Premier», mit entzückender Prägnanz: «This industry is about the unattainable.» Das Unerreichbare. Das ist eine wunderbare Kennzeichnung dessen, was Attraktivität ausmacht. Schönheit ist: das Unerreichbare, die metaphysische Zutat, voll Zauber, Eigenart und Verhängnis – im Gegensatz zur theoretischen Konstruierbarkeit eines Einheitsgesichtes und dessen Verhängnis: Plattheit. Literally. Und nachdem wir schon Carole White zitiert haben, können wir jetzt auch noch Plato heranziehen, der, wie nach ihm Aristoteles, der Auffassung war, dass die Natur den Körper der Tätigkeit der Seele entsprechend bilde, da ja jedes Werkzeug, das für eine Sache gemacht sei, dieser Sache korrespondiere. Man kann das richtig finden oder diskutabel – es ist jedenfalls erhellend. Und schliesst ja nicht aus, dass es auch uninteressante Leute geben kann, die hübsch sind. Zum Beispiel Heidi Klum. Damit möchte ich aber nicht enden, sondern mit Janice Dickinsons Plädoyer für die Mortalität: «I can’t wait to die. I’m gonna be so thin.»
19 Kommentare zu «So könnten wir bald alle einmal aussehen»
Ja, wenn sie doch wenigstens wirklich schön wären, diese Gesichter. Aber sie wirken irgendwie eigenartig, grausam entstellt. Da kommt definitiv kein Neid auf. Also bitte, tausend mal lieber Falten und ein natürliches Lachen. Sind das echt Ärzte, die das so gruselig hinkriegen?
Operierte Gesichter sehen häufig aus wie Masken. Maskenhaft eben.
Isch jo gruusig