Kann man sich mit Nacktbildern emanzipieren?

Emanzipiert hat sie sich also, Frau Cook, von der Miss Schweiz Organisation nämlich. Die verlangt ja bekanntlich, dass ihre Missen sich wie anständige Mädchen aufführen, weshalb Nacktfotos nicht erlaubt sind. Wie die meisten Menschen finde ich Brüste eine tolle Sache. Man kann damit Büstenhalter füllen, Babys ernähren oder seinen Liebsten unterhalten. Oder man kann sie fotografieren lassen und damit Geld verdienen. Dass dies aber ein Akt der Emanzipation sein soll, wirft für mich als Feministin doch ein paar Fragen auf.
Vielleicht denkt der «Blick am Abend» ja, das sei wie bei den Damen von Femen oder den Demonstrantinnen bei den Slutwalks, die barbusig gegen die Unterdrückung der Frau protestieren. Kerstin Cooks Nacktfotos wären dann ihr Zeichen, dass sie sich von äusseren Zwängen befreit hat, dass sie mehr ist, als bloss eine Miss Schweiz. Jetzt ist sie eine Frau, die sich nackt fotografieren lässt um zu zeigen, dass sie eine Frau ist, die sich nackt fotografieren lassen kann. Die Nacktfotos wären dann ihr ganz persönlicher Slutwalk. Wow.
Mit einem klitzekleinen Unterschied. Barbusige Demonstrantinnen ziehen sich nicht zu ihrem persönlichen Vorteil aus, sondern um Raum zu besetzen – öffentlichen Raum, medialen Raum, Aufmerksamkeits-Raum. Sie demonstrieren damit gegen eine Gesellschaft, in der die weibliche Sexualität nach wie vor kontrolliert, kapitalisiert und ausgebeutet wird. Rape-Kultur heisst das Stichwort, worunter wir eine Kultur verstehen, in der nicht nur Frauen, sondern auch Mädchen und Jungen von sexualisierter Gewalt betroffen sind, eine Gewalt, die in vielen Fällen hingenommen, akzeptiert und toleriert wird. Jüngstes Beispiel ist da die 17-Jährige Amerikanerin Savannah Dietrich, die von zwei Schulkollegen vergewaltigt wurde, deren Namen auf Twitter veröffentlichte und deswegen jetzt selber auf der Anklagebank sitzt, während ihre Peiniger immer noch frei herumlaufen.
Aber Frau Binswanger, werden Sie nun sagen, stimmt das wirklich? Haben nicht wir hier im Westen uns langsam zur Genüge mit diesen Fragen abgerackert? Sind wir nicht vorbildlich, was die Emanzipation der Frauen anbelangt? Und ist nicht die Tatsache, dass eine Frau Cook sich so fotografieren lassen kann, wie sie gerade Lust hat und daraus sogar ein Geschäftsmodell entsteht, das beste Beispiel dafür, dass in dieser Hinsicht bereits alles erreicht wurde? Und unter uns gesagt, wenn man sich das Resultat anschaut, dann keimt doch der Verdacht auf, dass die Frauen an der zunehmenden Über-Sexualisierung unserer Kultur vollkommen selber schuld sind. Man braucht sich nur die Frauenmagazine anzusehen. Der weibliche Körper, so der Eindruck, ist eine eigentliche Problemzone, wobei die meisten Probleme sich mit mit dem entsprechenden Einsatz beseitigen lassen. Auf dass wir uns dem zweiten Hauptmotiv der Magazine widmen, nämlich was Männer mögen und wie frau es anstellen soll, ihnen zu gefallen. Wenn man davon ausgeht, dass Frauenmagazine von Frauen für Frauen gemacht werden, dann muss man zum Schluss kommen, dass nicht der Mann die Frau zum sexuellen Wesen degradiert, sondern dass sie sich das selbst zuzuschreiben hat.
Gerade deshalb aber sticht mir eine solche Bildlegende ins Auge. Als Mutter einer präpubertären Tochter frage ich mich nämlich jeden Tag: Wie kann ich sie auf dieser delikaten Reise vom Mädchen zur Frau begleiten? Wie vermittle ich ihr ein Frauenbild, in dem nicht der Körper das Wesentliche und Schönheit nicht das Eintrittsticket ist, um an der Welt teilhaben zu können? Zum Beispiel indem ich ihr sage, dass ich grundsätzlich nichts gegen Nacktfotos einzuwenden habe und es auch völlig in Ordnung finde, wenn Frau Cook Nacktbilder von sich machen lässt. Dass es aber nichts mit Emanzipation zu tun hat, Nacktbilder von sich zu veröffentlichen. Denn selbst wenn das Publikum freudig applaudiert, dann nicht etwa deshalb, weil das ein Akt der Freiheit ist. Wahre Emanzipation bedeutet, sich von den Vorstellungen, wie wir als Frauen auszusehen und uns zu benehmen haben, nicht mehr länger versklaven zu lassen. Denn wer seine Hauptverantwortung darin sieht, dass sein Körper einem Idealmass entspricht, der wird niemals Zeit haben, sonst etwas in seinem Leben zu erreichen. Unsere Verantwortung liegt nicht darin, zellulitisfrei durchs Leben zu gehen sondern endlich eine Gesellschaft hinzukriegen, in der sexuelle Gewalt gegen Frauen keine Option mehr ist.
28 Kommentare zu «Kann man sich mit Nacktbildern emanzipieren?»
Ich fand folgendes Buch aufschlussreich und vielleicht hilft er einigen in der Debatte die Frage nach der Desensitivierung von Gender-Rollen mehr zu begreifen.
Beiträge wie „Wären doch alle …“ und ähnliche verkennen die indivdualistische Komponente eines jeden aggregierten sozialen Phänomens, sowie Generalisierungen wie „Frauen die sich barbusig zeigen, tun das nur für die Aufmerksamkeit…“ die soziopolitische Komponente von Umwelteinflüßen unseres Habitus.
Hier das Buch : http://books.google.co.uk/books/about/Naked_Barbies_Warrior_Joes_and_Other_For.html?id=w-jqNOPGH4kC&redir_es=y
Es gibt viele Arten und Weisen sich zu emanzipieren. Offensichtilich ist das Veröffentlichen von Nacktbildern nicht für jeden ein Weg zur Emanzipation. Für ihre Tochter wird es aber garantiert einer. Nämlich zur Emanzipation von ihrer Mutter. Ciao
Die freizügige Darstellung von Frauen hat leider heutzutage nicht mehr den gleichen Effekt, wie damals. Genau aus diesem Grund kann man hier von einer rückläufigen Emanzipation sprechen. Die heutige mediale Freizügigkeit von Frauen ist auf dem höchsten Maß angelangt. So geht die harte Arbeit, die wir uns „jahrzehntelang aufgebaut haben“ mit nur einer Generation verloren.