Rückkehr der Rippen

Sie sehen hier eine Aufnahme, die ich neulich in der S-Bahn in Berlin gemacht habe. Sie wissen ja, dass ich gerne den Stil wildfremder Leute photographiere; selbstverständlich immer so, dass deren Privatsphäre nicht leidet. Der Herr, der mir gegenübersass, war das, was man früher einen «Mann in den besten Jahren» nannte. Heute nicht mehr, denn die besten Jahre verschieben sich bekanntlich immer weiter nach hinten. In der Trendforschersprache nennt man das «Down Aging». Das ist ein sogenannter Megatrend und bezeichnet eine Verjüngung des Sozialverhaltens bei gleichzeitiger Hebung des Durchschnittsalters in der westlichen Welt. Das heisst: Während sich die statistische Lebensspanne ausdehnt, hat der post-industrielle Mensch in beinahe jedem Lebensalter das Gefühl, jünger zu sein als er ist. Das hat Konsequenzen für Selbstbilder, Rollenerwartungen und Generationsverhalten. 60-Jährige brechen zum White Water Rafting auf, 40-Jährige werden zum ersten Mal Eltern und Teenager gründen in der grossen Pause nebenbei Interweb-Imperien. Wobei, hang on, dieses letzte Beispiel zeigt, dass wir «Down Aging» eigentlich relativieren müssen. Während sich nämlich heute viele 40-Jährige wie 25 fühlen und aufführen – tun nicht wenige 12-Jährige das ebenfalls. Es handelt sich also eher um eine begrenzte Plafonierung als um eine proportionale Verschiebung des gefühlten Eigenalters, die ich persönlich als das 25-Jahre-Plateau bezeichnen möchte: Von 12 bis 40 sind alle 25. Ab 41 fühlen sich alle zehn Jahre jünger. Und älter als 70 fühlt sich keiner. Bis auf mich. Wenn ich vor 10 Uhr aufstehen muss. Aber da wollte ich gar nicht hin. In diesen Vortrag über Megatrends, meine ich. Ich wollte was ganz anderes sagen: Das Bild, oben, wirkt auf den ersten Blick wie eine Ikone der Biederkeit. Und dazu trägt massgeblich das bei, was man in Deutschland «Cordhose» nennt. Hierlands heisst dieses Rippengewebe aus Baumwolle «Manchester». Weil es dort seinen Ursprung hat.
Der Herr auf dem Bild dürfte für sich reklamieren, für Mode kein grosses Interesse zu zeigen. Das nennt man inversen Snobismus. Und ändert nichts an folgendem Umstand: Die Cordhose ist wieder da. Längst. Sie wurde zurückgespült auf der Schaumkrone einer Modewelle, die man als «Gutsherrenschick» bezeichnen könnte. Dabei hat das mit Gutsherren nur am Rande zu tun. Eher mit dem Grundprinzip von Trends: der ewigen Wiederkehr. Nachdem wir jahrelang mit Neonfarben und Asymmetrien einen Teil der achtziger Jahre erneut durchmachen mussten, scheinen nun die frühen Neunziger wiederaufzuerstehen, die ich inmitten von BWL-Studenten an der Hochschule St. Gallen verbrachte, und das heisst: inmitten von Ralph-Lauren-Poloshirts (mit aufgestelltem Kragen, of course) und Barbour Coats und Cordhosen. Der sehr deutsche Herr zu Guttenberg trägt sowas, Ernst August von Hannover ebenfalls. Es handelt sich um eine Variante des englischen Sloane-Ranger-Stils. Als «Sloane Ranger» (im Plural kurz: «Sloanies») werden im Vereinigten Königreich heute die Sprösslinge aus besseren Familien bezeichnet, die in London in Chelsea und Notting Hill ihre Zeit verbringen und einen gut dotierten Job in der City mit einer Vorliebe für Siegelringe und Button Downs von Turnbull & Asser verbinden. Sloane Ranger arbeiten in Anwaltskanzleien, Banken und Immobilienfirmen, neuerdings auch in PR- und Werbeagenturen. Die sogenannte Royal Posse, also die Entourage der Prinzen William und Harry, besteht überwiegend aus Sloanies. Lady Diana Spencer war übrigens in den ganz frühen Achtzigern vor ihrer Hochzeit mit dem Prinzen von Wales die Mother of All Original Sloanies (MOAOS). Ein typischer aktueller Sloanie ist neben so Charakteren wie Jemima Khan, Lady Victoria Hervey und die hier immer wieder gern vorkommende Patentochter von Prince Charles, Tara Palmer-Tomkinson (TPT), auch die ehemalige Kate Middleton, heute Catherine Mountbatten-Windsor, Duchess of Cambridge. An Miss Middletons Werdegang und Lebensstil lässt sich alles exemplifizieren, was den Sloane Ranger ausmacht: Sie besuchte eine Public School (wie in England die Privatschulen heissen), noch dazu mit Marlborough College eine, die als extrem sloaney gilt, und anschliessend die University of St Andrews (wo sie William kennen lernte). Kate hat eine Vorliebe für das Landleben und die sogenannten Field Sports: Jagen, Schiessen, Angeln. Sowie für den entsprechenden Kleidungsstil, speziell die unter Female Sloane Rangers (FSRs) besonders beliebten Pashmina-Schals und Wellingtons.
Die allgemeine Sloane-Ranger-Uniform, deren Äquivalent für die Schweiz man als Zürichberg-Stil bezeichnen könnte (der allerdings etwas urbaner daherkommt), besteht aus Jeans, Oxford Shirt, Loafers und einem massgeschneiderten Jackett von Huntsman an der Savile Row. Neben einer Abneigung gegen klassisches Musiktheater, moderne Kunst und James Joyce teilen Sloane Rangers ihre eigene Sprache, die weitgehend identisch ist mit der Sprache der englischen Upper Class, welche sich wiederum einerseits durch Verwendung bestimmter Vokabeln auszeichnet (die Upper Class sagt «lavatory» oder «loo» statt «toilet» und niemals «Pardon?» sondern «Sorry?» oder schlicht «What?»), und andererseits reich an Akronymen ist, von denen das bekannteste lautet: «NOCD», und das steht für «Not Our Class, Darling», womit sich Sloane Rangers gegenseitig signalisieren, dass eine dritte Person kein Sloanie ist.
Wie trägt man Cord?
Zurück zur Cordhose. Die stammt, wie gesagt, ebenfalls aus England, ist aber inzwischen zu einer eher deutschen Zutat geworden. Denn es gibt, wie gesagt, so ein gewisses Biederkeitsrisiko bei Cordhosen. Ich sage nur: Eckart von Hirschhausen. Damit Sie das umschiffen und Ihre Cordhose mit der zeitlosen Ungezwungenheit der englischen Upper Class tragen, habe ich hier ein paar Tipps für Sie:
1. Cord trägt auf. Vermeiden Sie Cordhosen bei einer Taille über 32 Inches.
2. Shorts in Cord? No way.
3. Deux-Pièces in Cord? Get out.
4. Breitcord mit Sneakers weckt bestenfalls Assoziationen wie «Kaufhausdetektiv».
5. «Mut zur Farbe» ist ein Motto, was (in Grenzen) für Chinos gilt, keinesfalls für Cordhosen. Die beste Farbe für Cordhosen ist: Anthrazit. Gefolgt von Dunkelblau. Gefolgt von Schwarz. Dunkelbraun geht nur in Kombination mit einem Tweed-Sakko. Die Farbe, die der Herr auf dem Bild trägt, geht gar nicht. Und, da wir von Vestons sprechen: Auf keinen Fall sollten Sie Cordhosen (wie auch Jeans) mit verwaisten Anzug-Jacketts kombinieren. Sondern mit Blazern in Navy oder Grau. Und bitte niemals mit Wildlederjacken. Sonst sieht man schnell aus wie der Depp aus einem Bauernschwank. Und da bevorzugen wir dann doch das klassische Musiktheater.
5 Kommentare zu «Rückkehr der Rippen»
Ein salopper schwarzer Anzug aus feingeripptem Manchester geht wohl auch noch durch.
Nein!
Die ewiggestrigen Modeberatungsgeister existieren also doch noch.
Soll sich dran halten wer will und das Geld dazu ausgeben will.
Ganz billig ist es nämlich nicht, jedem Stildiktat zu folgen.
Wer dem Stildiktat nicht folgen kann oder will, darf seinen eigenen Stil entwickeln. Oder etwa nicht?
Der Philipp ist einfach immer wieder faszinierend! Gleich wie meine Frau. In Sachen Mode sehen und denken beide gleich. Beide sind irgendwie Wesen aus einer höheren Intelligenz. Auf jeden Fall kann ich das Wasser nicht reichen, aber ich empfahl meiner Frau, unbedingt das Blog MAG zu lesen, was sie nun mit Vergügen tut.
Meine Frau drängte mich schon vor 2 Jahren dazu, endlich Cordhosen zu tragen, aber ich sagte ihr: „Not our class, darling! The Royals need papparazzi to clear up their position. But we need Royals to make clear OUR position.“
Und deshalb trage ich immer noch keine Cordhosen.
das hat ihre frau wirklich verstanden ?