Die Tussi im Mann

Reizend, wie die fünf Tschütteler in der Mauer vor dem Tor stehen. Wir sehen sie im Moment des Freistosses, der im schlimmsten Fall als Granate in ihren Weichteilen landen könnte, die Beine gekreuzt, die Gesichter ängstlich verzogen. Irgendein Witzbold hat die Stilstudie um ein paar modische Accessoires ergänzt, so dass wir keine Fussballer mehr vor uns sehen, sondern ungelenke Kindergärtler. Mädchen eben.
Fussballer mit normalerweise als weiblich assoziierten Attributen auszustatten ist ein beliebtes Motiv im Internet, ein so genanntes Meme. Mal schieben die Kämpen Kinderwagen vor sich her, mal wird der Torjubel kurz zur Begeisterung über die Chanel-Einkäufe. Das ist lustig und bemerkenswert, weil es zeigt, was auf einem Pausenhof etwa folgendermassen zusammengefasst würde: Die sind ganz schön tussi, um nicht zu sagen schwul.
Das ist natürlich abwertend gemeint. Denn in der homophobsten aller Sportarten darf kein Zweifel auf die Männlichkeit der Helden fallen, die da dem Ball nachjagen wie die Urhorde dem Beutetier. Deshalb ist Homosexualität im Männersport ein so grosses Tabu, deshalb sind alle peinlich berührt, wenn Andy Murray bei der Siegerehrung nach dem Wimbledon-Final in Tränen ausbricht. Aber warum eigentlich? Schliesslich sollte es ja um die sportliche Leistung gehen. Ob jetzt einer lieber Bach oder DJ Bobo hört, eher schneller in Tränen ausbricht oder nicht oder ob er Männer oder Frauen oder beides liebt, kann dem Zuschauer ja eigentlich egal sein.
Warum das gerade bei Männern ein so grosses Tabu ist, darüber kann man spekulieren. Es hat wohl mit befürchteten Kontrollverlust zu tun oder damit, dass die Männer sich unbeirrt an einem Männerbild orientieren, das Schwäche und Verletzlichkeit ausschliesst. Man kann sich etwa fragen, warum noch niemand das umgekehrte Meme erfunden hat, Maria Sharapowa mit einer Bohrmaschine in der Hand, Fussballerinnen am Rasenmäher. Das wäre nicht halb so lustig, weil es sozusagen Alltag ist. Frauen sind schon sehr viel länger dabei, ihre traditionellen Rollenbegrenzungen zu durchbrechen. Aus demselben Grund ist es für lesbische Sportlerinnen auch kaum mehr ein Tabubruch zu bekennen, dass sie Frauen lieben.
Deshalb finde ich es gut, dass Fussballer sich neuerdings ihre langen Haare mit hübschen Haarbändeln zurückbinden, zum Waxing rennen können oder ihre Potenz beim Powershopping beweisen und so den feminisierten Macho salonfähig machen. Zwar stehe ich persönlich nicht besonders auf Männer in Hotpants und Damentäschchen, da können sie noch so Ronaldo sein, aber es bricht ein Rollenklischee auf. Denn auch wenn Frauen sich oft frauentypisch verhalten und umgekehrt, ist das kein Naturgesetz. Und angesichts der Variabilität menschlicher Persönlichkeiten sind unsere starren Genderbilder – Männer sind Kämpfer, Frauen stehen den ganzen Tag vor dem Spiegel – eine Beleidigung der Intelligenz.
Und darum soll es bei «Gender Police» zukünftig gehen: Nämlich um die Frage, welche Männer- und Frauenklischees wir in unseren Köpfen herumtragen, wie sie uns medial stets aufs Neue vermittelt werden und wie sie mit der Wirklichkeit kollidieren. Denn letztlich sollte niemand uns vorschreiben, wie wir uns als Mann oder Frau verhalten müssen. Das finden nämlich die meisten schon selber heraus.
9 Kommentare zu «Die Tussi im Mann»
„Frauen sind schon sehr viel länger dabei, ihre traditionellen Rollenbegrenzungen zu durchbrechen“ nein, meine Erfahrung ist da anders. Wenn ich mich als lesbische Frau oute, dann erlebe ich mehr Kritik, in frage stellen und intrigieren von Frauen als von Männern. Der Grund ist klar: weil ich ausserhalb der männlich-weiblich Dichotomie lebe und damit auch nicht unter den Kontrollversuchen heterosexueller Frauen bin, was einige solche Frauen gar nicht gerne sehen.
Männer umgekehrt, wenn sie mal kapiert haben dass ich so bin wie ich bin, akzeptieren das meist.