Stemmen sie das Ding oder nicht in Madrid, rätselte man lange. Dann war es raus. 100 Millionen Euro ist die neuste Masseinheit im Fussballtransfergeschäft: ein Bale. Alle andern nur noch ein Bruchteil oder eine Dezimalzahl davon. Wie es einem leichter geht zum Rechnen. Selbst für Fussballfreunde sprengten die Rekordsummen von letzter Woche beinahe die Vorstellungskraft, so absurd hoch erschienen sie für sich betrachtet. Aber damit kratzt man eben nur an der numerischen Oberfläche. Die wahren Gründe lagen tiefer.
Unter José Mourinho hat Real in der vergangenen Spielzeit schlicht und einfach versagt. In der spanischen Meisterschaft weit abgeschlagen hinter dem Erzrivalen FC Barcelona zurück, die Copa del Rey an Stadtrivale Atlético verloren und in der Champions League von Borussia Dortmund zuerst in der Gruppenphase und dann besonders schmerzvoll im Halbfinale bezwungen – trotz aller Stars auf dem Feld und der Bank. Das Real-Team 2012/2013 war eine Loser-Truppe ohne Zukunft.
Mit der ihm eigenen Konsequenz und in bester, absoluter Tradition entschied der Präsident der Königlichen, Florentino Pérez, dass ein Neuer auf die Bank muss, und die Mannschaft zerschlagen und neu aufgebaut werden soll. So renovieren spanische Baulöwen – wenn möglich auf Pump. Weil Real und Barça aber keine gewöhnlichen grossen Fussball-Clubs, sondern Spaniens bekannteste Markenartikel sind, und die Primera División sowie die Furia Roja, abgesehen von Sex und Wetter, bald noch die einzigen Freuden im krisengeschüttelten Land bleiben, drückte das offizielle Spanien bei diesem aufsehenerregenden Vorhaben beide Augen zu. Der öffentliche Protest erscholl zwar kurz, ebbte aber sogleich wieder ab. Damit und mit Bales glanzvoller Präsentation vor dreissigtausend Fans im Bernabéu: «Ein Traum wird für mich wahr, Spieler von Real Madrid zu sein. Vielen Dank! Auf gehts, Madrid!», war die Sache fast gegessen und etwas überzahlt.
Fast – denn so viel Geld hatte es real nicht einmal in der königlichen Schatulle in Madrid. Dafür in der Kabine begehrte Handelsware. Manchester United wollte Khedira, Arsenal hatte schon länger ein Auge auf Mesut Özil geworfen und Higuaín, Albiol und Callejón hatte man schon für ca. 60 Millionen Euro im Trio-Pack nach Napoli vertickt. Weil sich Manchester aber zu spät entschied, und das Verletzungspech Khedira plötzlich unabkömmlich machte, musste man nicht ganz freiwillig – aber auch nicht gegen spürbaren Widerstand von Trainer Carlo Ancelotti – Özil verkaufen, damit die Kasse netto einigermassen stimmte.
50 Millionen-Mann Özil zeigte sich überrascht, aber dann auch wieder nicht: «Ich habe in den letzten Tagen gemerkt, dass ich das Vertrauen des Trainers nicht habe.» Ronaldo war nach traurig im letzten September diesmal wütend darüber, seinen besten Passgeber zu verlieren, und Ramos beklagte: «Wenn ich in dieser Angelegenheit etwas zu sagen gehabt hätte, wäre Özil einer der letzten gewesen, die Real verlassen müssten.»
Da war Bale schon breit grinsend aus dem vergleichbar bescheidenen Nord-London im Fussball-Wunderland angekommen, und Özil Richtung Arsenal abgereist. Ein fast schon märchenhafter Ausgang dieser Geschichte. Nun muss Ancelotti nur noch den Champions-League-Titel und die spanische Meisterschaft erringen, der Fan-Shop ungefähr 750’000 Bale-Trikots verhökern, und sie lebten glücklich und zufrieden.
Normaler Wahnsinn oder eiskalte Berechnung, Sportsfreunde?