In den neuen Schweizer Fussball-Arenen in Luzern, Thun oder Schaffhausen wird bald auf Kunstrasen gespielt. Eine Dummheit. Das zeigen auch zwei Beispiele, wo man zur Einsicht gekommen ist.
Der neue YB-Chef Ilja Kaenzig hat in den ersten Wochen seiner Berner Amtszeit nicht viel lachen: Zuerst die verpuffte Parforceleistung im Hinspiel der Champions-League-Qualifikation gegen die Tottenham Hotspurs, dann die ernüchternde Bilanz in der Meisterschaft (im Vergleich zum Vorjahr fehlen den Bernern 13 Punkte) und zuletzt der dramatische Zwischenfall von Abwehrchef Dudar. Trotzdem setzt Kaenzig in den Medien ein Zeichen, das für die Zukunft des Schweizer Fussballs von grosser Bedeutung sein kann – und für die meisten Spieler, Trainer und Fans ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk darstellt: „Die Rückkehr zum Naturasen steht auf unserer Traktandenliste ganz oben“, sagt der frühere Bundesliga-Manager (Leverkusen, Hannover) gegenüber der „NZZ am Sonntag“ zur infrastrukturellen Ausrichtung im Stade de Suisse.
Damit lanciert Kaenzig eine Diskussion neu, die je länger je mehr auf eine bürokratische Ebene abgeglitten ist – in der vor allem die ökonomischen und nicht die sportlichen Gedanken eine Rolle spielen. Sowohl in Bern als auch in Neuenburg beruhte der Entscheid zugunsten des Kunstrasens auf wirtschaftlichen Kriterien. Der Erwerb und die Installation einer künstlichen Unterlage kosten zwar rund dreimal mehr (ca. 1 Mio. Franken) als bei einem Naturrasen, aber in Sachen Pflege und Haltbarkeit zahlt sich die Investition aus. Im Zürcher Letzigrund betragen die Kosten für die Rasenerneuerung nach den U2-Konzerten 250‘000 Franken.
So wollen auch die Verantwortlichen in Luzern im neuen Stadion einen Kunstrasen ausrollen. Gleiches gilt für die neuen Arenen in Thun und Schaffhausen. Im Norden von Frankreich (Lorient, Nancy) hat man sich aus klimatischen Überlegungen für Plastikgras entschieden.
Sportlich läuft die Argumentation in die gegenteilige Richtung. Ausserhalb von Bern und Neuenburg bekennt sich momentan kaum ein Schweizer Fussballer zum Kunstrasen. Plastik mag als Trainingsunterlage im Winter eine hervorragende Alternative sein. Als echter Rasenersatz wird er sich in unseren Breitengraden aber nie durchsetzen – zu sehr verändert sich das Spiel auf der schnelleren und härteren Unterlage. Zu keimfrei und synthetisch wirkt das Geschehen aufs Publikum.
Der Zwiespalt kommt auch in der Haltung der Fifa zum Ausdruck. Der internationale Verband hat sich die Förderung des Kunstrasens zwar auf die Fahne geschrieben, dennoch musste er zurückbuchstabieren. Die vor Jahren geäusserte Absicht von Präsident Joseph S. Blatter, die WM 2010 in Südafrika auf Kunstrasen auszutragen, wurde stillschweigend auf dem Komposthaufen deponiert.
Selbst in der fussballerischen „Retorten-Hochburg“ von Red Bull Salzburg hat man das synthetische Zeitalter beendet. Seit diesem Sommer wird in der Mozartstadt wieder auf Naturrasen gespielt. Freuen tut dies den österreichischen Verband. Ab sofort kommt die Red Bull Arena wieder für Länderspiele in Frage.
Auch in der Schweiz muss man über die Bücher. Es kann nicht sein, dass die Super League die einzige ernstzunehmende Liga südlich des Polarkreises ist, in der das Plastikgras fast ebenso üppig spriesst wie der Naturrasen. In Zürich liegen sich die beiden A-Klubs schon auf Vorrat in den Haaren. FCZ-Boss Ancillo Canepa sagt: „Wir vom FCZ sind klar der Meinung, dass im neuen Stadion auf Naturrasen gespielt werden soll.“ GC-Verwaltungsratspräsident Urs Linsi, ein altgedienter Fifa-Funktionär, dagegen kontert: „Kunstrasen ist die Zukunft des Fussballs.“
Anders als in Bern ist diese Diskussion in Zürich allerdings von virtueller Natur. Bevor man über die Spielfeldunterlage diskutieren kann, braucht man ein Stadion. Und das wächst in der Zürcher Bürokratie bekanntlich noch langsamer als Kunstrasen.