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Werden die Young Boys zum Hertha Berlin des Schweizer Fussballs?

Thomas Renggli am Montag den 17. Januar 2011


«YB macht glücklich», hiess es vor ein paar Jahren in der Bundesstadt.

«YB könnte glücklich machen», ist man heute geneigt zu sagen.

Der elffache Meister besitzt alles, um sich nachhaltig an der Spitze des Schweizer Fussballs zu etablieren – gesunde Strukturen, eine starke Mannschaft, ein treues Publikum und ein modernes Stadion, das dank des geschickten Finanzierungsmodels dem Klub jene Mittel zuführt, die sich etwa in Zürich im Dickicht von Bürokratie, Politik und Kartelldenken in Luft auflösen.

Und dennoch haben die Young Boys seit ihrem letzten Titel (Cup 1987) nur etwas gewonnen: den Trostpreis für das grobfahrlässige Vergeben der besten Chancen. Im Cup-Final 2009 hatten sie anderthalb Hände an der Trophäe – und mussten letztlich dem FC Sion gratulieren. In der vergangenen Saison verspielten sie auf der Zielgerade die Meisterschaft auf jämmerliche Weise.

Auch hinter den Kulissen lassen sie nichts ungenutzt, ihre Position zu unterminieren. Im August 2010 verabschiedeten sie CEO Stefan Niedermaier, einen der Hauptverantwortlichen für die solide sportliche und wirtschaftliche Basis, auf stillose Weise – und installierten den Blick-Sportchef Ilja Kaenzig als neuen starken Mann. Der Zürcher lieferte gleich Kampfansagen für grosse Buchstaben: «Wir müssen die nächste Stufe zünden.» – «Wir wollen auf Augenhöhe mit dem FC Basel sein». Verwaltungsratspräsident Benno Oertig (aus St. Gallen) und seine (Zürcher) Weggefährten Andy und Hans-Ueli Rihs klopften dem neuen Heilsbringer jovial auf die Schultern.

Fünf Monat später ist davon nicht viel übrig. Zwar stehen die Young Boys – dank einer erfolgreichen Schneeballschlacht gegen den VfB Stuttgart – in der K.-o.-Phase der Europa-League. Davon abgesehen, sind in diesen milden Januartagen im Stade de Suisse keine Frühlingsgefühle auszumachen. Im Gegenteil: Hauptsponsor Migros verlängert sein Zweimillionen-Engagement nicht. Andere Geldgeber stehen offenbar auch vor dem Absprung.

Derweil räumt Kaenzig mit der Vergangenheit auf: Der frühere Chefscout Werner Gerber und Sportchef Alain Baumann sind nicht mehr erwünscht. Auch diverse Administrations-Angestellte aus der Ära Niedermaier erhalten den Laufpass. Im Fall von Baumann ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Weil Kaenzig den blauen Brief während der Ferienzeit abschickte, lag der so lange auf der Poststelle, bis er an den Absender zurückging. Dumm gelaufen.

Die Young Boys machen glücklich – dank ihren Zürcher Führungskräften vor allem die Konkurrenz aus Basel, Luzern und Zürich. Bei Meisterschaftshalbzeit liegen die Berner im Niemandsland der Tabelle – acht Punkte hinter Leader Luzern. Kaenzig, der Fast-Bundesliga-Manager und Kurzzeit-Boulevardjournalist, droht in Bern zum Möchtegern-Meister zu verkommen – und seinen Arbeitgeber zur Hertha Berlin des Schweizer Liga zu degradieren. Der deutsche Hauptstadtklub wartet seit 80 Jahren auf den Meistertitel.

Auf welchen Klub wetten Sie in den Super League?

Thomas Renggli am Samstag den 15. Januar 2011

Die Wettbüros lassen sich von kurzfristigen sportlichen Tendenzen in der Super League nicht beeinflussen. Ihr Topfavorit auf den Schweizer Meistertitel bleibt der zweitklassierte FC Basel – mit einer Quote von 1,5:1 – gefolgt vom drittplatzierten FCZ (3,5:1). Leader Luzern (5,75:1) wird von den Buchmachern nur als Aussenseiter eingestuft, der Tabellenvierte Sion (25:1) schon fast als aussichtsloser Fall.

Die Einschätzung ist nachvollziehbar. Ich teile sie allerdings nur bedingt. Die Favoritenrolle des FCB kann aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt werden – durch die unveränderte Doppelbelastung Meisterschaft und Europa-League, durch drohende Abgänge bis zum Wiederbeginn der Meisterschaft (geht nach Ferati auch Safari?) und durch die statistische Gesetzmässigkeit (früher oder später wird der FCB sogar gegen Zürich wieder verlieren.)

Von den drei Spitzenteams ist der FC Zürich das Team mit dem grössten Steigerungspotenzial. Die Mannschaft von Urs Fischer hat in der ersten Saisonphase nur selten wirklich überzeugt. Dennoch steht sie im Titelrennen wesentlich besser da als vor Jahresfrist, als sie mit 18 Punkten Rückstand jegliche Perspektiven vorzeitig eingebüsst hatte.

Finden die Zürcher zu grösserer Konstanz und halten Leute wie Chermiti, Teixeira und Mehmedi die Versprechen, die sie mit ihren Leistungen im Herbst abgegeben haben, ist der 13. Titelgewinn für den FCZ in Griffnähe.

Kronfavorit bleibt für mich aber der FC Luzern. Die Innerschweizer können – so paradox es tönt – nach wie vor vom Aussenseiterbonus profitieren. Mit Hakan Yakin haben sie den überragenden Spielgestallter in ihren Reihen und mit dem genesenen Cristian Ianu sozusagen einen Bonusstürmer. Ausserdem können sie im Gersag-Provisorium auf den grössten Heimvorteil aller zehn Super-League-Teams zählen. Ich setze mein Geld also auf den FC Luzern – falls ich es mir nicht noch anders überlege und mich für den FC Sion entscheide. Diese Quote ist definitiv zu attraktiv, um sich nicht einen kleinen Sündenfall zu leisten. Irgendwann muss doch auch die Constantin-Chaos-Strategie ins Ziel führen…

Die Quoten im Überblick:

Und wer ist der Super-League-Spieler des Jahres?

Thomas Renggli am Dienstag den 11. Januar 2011

Lionel Messi mit seinem «Ballon d'Or».

Die Fifa-Jury hat gewählt: Lionel Messi heisst der Spieler des Jahres – José Mourinho der Trainer. Im Gegensatz zur einen oder anderen WM-Vergabe des Weltverbandes gibts an diesen Entscheiden nichts zu makeln: M & M sind die herausragenden Individualisten im populärsten Mannschaftssport.

An Award-Verleihungen und Preisübergaben fehlte es in den letzten Wochen nicht. Nur die Super League hält sich zurück. Sie verteilt ihre Meriten erst nach der Saison. Im vergangenen Mai wurden YB-Goalgetter Seydou Doumbia und U-17-Nationaltrainer Dany Ryser die wichtigsten Ehren zuteil. Benjamin Huggel erhielt die Auszeichnung als bester Nationalspieler. Alle drei stehen – aus unterschiedlichen Gründen – bei der nächsten Preisvergabe nicht mehr zur Diskussion. Deshalb die Frage an Sie, sehr geehrte Leser:

Wer ist der Super-League-Spieler des Jahres 2010? Wer der Trainer? Wer der beste Nationalspieler?

Hier die von der Steilpass-Jury nominierten Kandidaten:

Sind Sie mit dieser Vorauswahl einverstanden? Oder würden Sie einen anderen Spieler nominieren?

Wer ist der beste Fussballer? Wer der beste Trainer?

Thomas Renggli am Samstag den 8. Januar 2011


Zürich ist eben doch das Zentrum der Fussballwelt. Da kann weder der Krebsgang der Grasshoppers noch die monumentale Misere im Stadion-(Nicht-)bau etwas ändern.

Joseph S. Blatter sei Dank. Am Montagabend ehrt die Fifa in der Zwinglistadt den Fussballer des Jahres mit dem «Ballon d’Or». Nach der Zusammenlegung der Auszeichnungen der französischen Fachzeitschrift France Football sowie derjenigen des Fifa-Weltfussballers wird erstmals nur noch ein Preis verliehen. Die Fussball-Prominenz wird auf dem roten Teppich vor dem Kongresshaus Schlange stehen.

Natürlich lässt sich über Sinn und Unsinn solcher Auszeichnungen immer streiten. Vor allem im Lager der Aficionados von Real Madrid dürfte man schnöde wegschauen. Zur Wahl stehen nämlich drei Spieler des FC Barcelona: WM-Finaltorschütze Andres Iniesta, sein kongenialer Mittelfeldpartner Xavi sowie der argentinische Vorjahressieger Lionel Messi.

So oder so: Die Diskussion nach dem Besten der Besten hat ihren Reiz. Von der Genialität und der Intuition her gehört der Preis bis ans Karriereende Messi. Den weltmeisterlichen Volltreffer setzte im vergangenen Jahr Iniesta. Ohne die Klasse Xavis wäre Spanien kaum bis in den Final vorgestossen.

Neben der fussballerischen Qualität verbindet das Trio Grande die Vereinstreue: Der 26-jährige Iniesta spielt seit 14 Jahren bei Barcelona, Xavi seit 17 Jahren. Unlängst brach er mit seinem 549. Pflichtspiel für die Katalanen den Klubrekord. Auch der 23-jährige Messi ist mittlerweile seit zehn Jahren beim 20-fachen spanischen Meister engagiert. Schon fast epische Konstanz in diesem schnelllebigen Geschäft.

Gewählt wurde von 53 Sportjournalisten aus den 53 europäischen Mitgliedsländern der UEFA sowie von einer 43-köpfigen aussereuropäischen Jury.

Sehr geehrte Leser. Sind sie mit den Fachleuten einverstanden – oder hätten Sie sich für einen anderen Spieler entschieden? Wer ist Ihr Fussballer des Jahres? Der Argentinier Diego Milito, der Inter Mailand im Champions-League-Final gegen Bayern mit zwei Toren zum Sieg schoss; sein holländischer Teamkollege Wesley Sneijder; Bayern-Shootingstar Thomas Müller; oder David Villa, der erfolgreichste spanische WM-Torschütze?

Mein persönlicher Favorit schaffte es leider nicht in die Top 3: Der Urugayer Diego Forlan. Er schoss Atletico Madrid mit zwei Toren im Europa-League-Final gegen Fulham im Alleingang zum Sieg und war auf dem Weg zum vierten WM-Platz seines Landes der überragende Spieler.

Bei den Trainern besteht von mir aus gesehen kein Diskussionsspielraum. Die ebenfalls nominierten Spanier Del Bosque und Guardiola in Ehren. Aber die Nummer 1 kann nur einer sein: José Mourinho. Der Portugiese hat Inter zum Champions-League-Triumph geführt. Er wird aus Real wieder die Nummer 1 machen.

Das Ende von GC!

Thomas Renggli am Mittwoch den 5. Januar 2011

Ohne Stadion könnten die Grasshoppers bald so alt aussehen wie die Hardturm-Ruine.

Urs Linsi, der General-Sanierer des (ehemals) stolzen Grasshopper-Clubs, treibt seine finanzielle Schadensbegrenzung weiterhin mit letzter Konsequenz voran. Als jüngste Massnahme hat er den Vertrag mit dem Letzigrund-Stadion gekündigt. Grund: Der Rekordmeister will sich die 2 Millionen Franken Miete nicht mehr leisten.

Linsi ist ein gewiefter (Wirtschafts-)Stratege – in diesem Fall spielt er aber mit dem Feuer. Er scheint nämlich davon auszugehen, dass die Stadt den Grasshoppers entgegenkommt und die Kosten senkt. Da dürfte er die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht haben. Eine Regierung, die das Budget zurückgewiesen hat und derzeit verzweifelt damit beschäftigt ist, alle Ausgabenposten zu reduzieren, wird ihre Glaubwürdigkeit kaum zugunsten eines maroden Sportvereins aufs Spiel setzen.

Damit dürften die Grasshoppers ab Sommer ohne taugliches Stadion dastehen – und (selbst im Falle des Ligaerhalts) die Lizenz für die Super League verlieren.

Wo aber sollen sie die Spiele in der Challenge League oder (im Falle einer Reamateurisierung) in der 1. Liga austragen?

Momentan stehen vier Optionen zur Debatte:

  • GC-Campus, Niederhasli (Kapazität: 1300 Plätze – schnellste S-Bahn-Verbindung ab Zürich-Hardturm: 52 Minuten)
  • Heslibach, Küsnacht, der Spielort des Partners im Juniorenbereich (Kapazität: 2300 Plätze – auch mit dem Schiff erreichbar)
  • Brügglifeld-Ruine, Aarau (Kapazität: 9249 – Bedenken der Suva hängig)
  • Schützenwiese, Winterthur (Kapazität: 12’000 – aus Sicherheitsgründen momentan reduziert auf 8500. Vorteil: Im Sinne einer Kostennutzenoptimierung könnten die Grasshoppers die Vorspiele des FC Winterthur bestreiten)

Sehr geehrte Leser. Was ist Ihre Meinung? Wo sollen die Grasshoppers ab nächstem Sommer spielen? Gäbe es noch eine bessere Alternative zum Letzigrund als die hier erwähnten Vorschläge?

Alex Frei hat die Schuldigen ausgemacht

Thomas Renggli am Montag den 3. Januar 2011
«Ich glaube nicht, dass das Volk entscheiden kann und soll, wer Captain ist und wer nicht»: Alex Frei.

«Ich glaube nicht, dass das Volk entscheiden kann und soll, wer Captain ist und wer nicht»: Alex Frei.

Was sind die wichtigsten (neuen und alten) sportlichen Erkenntnisse der Festtage?

  • In England wird die halbe Fussballmeisterschaft zwischen Weihnacht und Neujahr gespielt – und den Zuschauern gefällt‘s.
  • Der Spengler-Cup ist definitiv zu einer russischen Enklave geworden.
  • Der Skiverband hat ein (Führungs-)Problem.
  • Dario Cologna ist der Roger Federer der Loipe.
  • Ein Simon Ammann genügt, um allen österreichischen Adlern die Flügel zu stutzen.

Der Doppel-Doppel-Olympiasieger aus dem Toggenburg ist einer der aussichtsreichsten Kandidaten, wenn am nächsten Samstag in Zürich der Schweizer des Jahres 2010 auserkoren wird. Einer der wohl nicht in die engere Auswahl kommt, ist Alex Frei. Der (Noch-)Captain der Fussball-Nationalmannschaft zog in einem ausführlichen Interview mit der «NZZ am Sonntag» persönliche Bilanz über das abgelaufene Jahr. Der Titel «Ich habe sicher Fehler gemacht» weckt die Erwartung, dass sich der Basler selber hinterfragt und zumindest Ansätze von Selbstkritik zulässt.

Die Analyse seines Imageproblems führt aber letztlich zu einer anderen Quintessenz. Schuld sind Gesellschaft und Medien. Aber urteilen Sie selbst. Hier einige Statements des Rekordtorschützen:

«Ich habe bei meinem Rücktritt nicht dem öffentlichen Druck nachgegeben. Hätte ich das getan, wäre ich sofort nach dem Wales-Spiel zurückgetreten. Leider ist es so, dass diejenigen, die negativ sind, am meisten Gehör finden. Das ist traurig, aber es ist auch ein eigentliches gesellschaftliches Problem.»

«Ich glaube nicht, dass das Volk entscheiden kann und soll, wer Captain ist und wer nicht. Und es macht auch nicht die Aufstellung. Dafür gibt es einen Nationaltrainer.»

«Man hat meinen Rücktritt provoziert. Und das auch mit der Unterstützung gewisser Medien.»

«Teilweise war ich mit Hass konfrontiert. Aber ich muss auch sagen, dass zum guten Glück die vielen positiven Reaktionen, die ich täglich erleben darf, überwiegen.»

«Ich habe sicher Fehler gemacht. Ich habe zu sehr gesagt, was ich denke. Ich war zu ambitioniert. Ein Fehler war vielleicht auch, dass ich mich selber zu öffentlich in die Verantwortung genommen habe.» (Wo sind da die Fehler? Anmerkung des Bloggers.)

«Wenn man von Hinz und Kunz ständig auf den Deckel kriegt, beginnt man nachzudenken, was eigentlich stimmt und was nicht.»

«Ich werde meine Ambitionen in Zukunft viel blumiger äussern, viel diplomatischer.»

«Ich will weiterhin alles gewinnen, aber ich werde meine Ambitionen künftig mehr in der Tradition des olympischen Gedankens verfassen.» (Mitmachen ist wichtiger als siegen/A. d. B.)

«Nach der Ankündigung des Rücktritts ist enorm viel von mir abgefallen. Meine Lebensqualität ist höher, seit ich weiss, dass ich im Sommer zurücktreten und nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen werde.»

«Für mich ist das letzte Wort gesprochen. Ich springe nur noch ein, wenn es verletzte Spieler gibt.» (Verletzte Spieler gibt es immer/An. d. B.)

«In Deutschland wird man von den Medien zwar kritisiert, aber es geht nie unter die Gürtellinie. Der Umgang ist viel sauberer, die Kritik auf einem höheren Niveau. Wenn ich in Dortmund aus zwei Metern das Tor nicht treffe, interessiert das die «Bild»-Zeitung. Aber es interessiert sie nicht, ob ich ein guter oder ein schlechter Typ bin.» (Die deutschen Boulevardmedien als Massstab für Ethik und Moral? Da muss eine Verwechslung vorliegen/A.d.B.)

Sehr geehrte Leser. Was halten Sie von diesen Statements? Ist Frei das Opfer einer gezielten medialen Treibjagd? Wird er unfair behandelt? Oder ist er «nur» ein Star, der in seinem Stolz gekränkt ist und um Anerkennung fleht?

Was wir uns im Schweizer Fussball für 2011 wünschen…

Thomas Renggli am Mittwoch den 29. Dezember 2010

Beste Wünsche. Gute Vorsätze. Die Jahreswende ist der Moment um die Vergangenheit hinter sich zu lassen – und für die Zukunft Besserung zu geloben. Was sich die Protagonisten im Schweizer Fussball für 2011 vornehmen (sollten), lesen Sie in meiner Bildstrecke.

Sehr geehrte Leser. Das war mein persönlicher Schlusspunkt für dieses Kalenderjahr. Haben auch Sie einen Wunsch für den Schweizer Fussball? Das Terrain gehört Ihnen…

In diesem Sinn und Geist: Äs guets Nöis und bis bald. Thomas Renggli

Verdienen prominente Sportler Privilegien bei der Einbürgerung?

Thomas Renggli am Montag den 27. Dezember 2010
Stärkster Jasser Finnlands: Ari Sulander.

Stärkster Jasser Finnlands: Ari Sulander.

Bekanntlich sind Steilpässe auch im Eishockey ein probates Stilmittel. Deshalb sei an dieser Stelle ein Exkurs aufs Glatteis erlaubt. Auf letzterem findet momentan in Davos die populärste Wintersport-Exhibition statt – prominent ausgeleuchtet und zelebriert vom staatlichen Fernsehen Das wichtigste Ereignis im Schweizer Eishockey kündigte aber die Publikation der Zürcher Gemeinde Maur – die Maurmer Post – in ihrer Ausgabe vom 24. Dezember im Kleingedruckten an. Auf Seite 13 unter der Rubrik «Ordentliches Einbürgerungsgesuch. Publikation. Einspracheverfahren» bewerben sich unter anderem folgende Personen um das Bürgerrecht der Gemeinde: «Sulander, Ari Juhani, geboren 6. Januar 1969, und Sulander geb. Tolsa, Maarit Hannele, geboren 28. November 1969, sowie die Kinder Sulander, Santtu Kasperi, geb. 27. Februar 1993, und Sulander, Samu Jalmari, geb. 17. Juni 1997, alle von Finnland, wohnhaft in 8127 Forch.»

Weiter heisst es: «Gegen die beantragte Einbürgerung kann innert 20 Tagen ab dieser Veröffentlichung gestützt auf Paragraph 11 der kantonalen Bürgerrechtsverordnung schriftlich Einsprache erhoben werden.»

Ari Sulander betrat im Herbst 1998 das erste Mal im ZSC-Trikot das Hallenstadion-Eis. Seither ist nichts mehr wie es war. Dank der «finnischen Wand» gewannen die Zürcher 2000 den ersten Titel seit 39 Jahren. 2001 und 2008 folgten in Oerlikon weitere denkwürdige Meisterfeiern. Sulo machte es möglich – und er kann es noch immer möglich machen. Selbst im Alter von bald 42 Jahren gehört er zu den besten Goalies der National League A. Erhält er den Schweizer Pass noch in dieser Saison, würde sein designierter Nachfolger Lukas Flüeler kurzfristig wieder zur Ergänzungskraft degradiert.

Die Frage, ob Sulander die Schweizer Staatsbürgerschaft verdient, ist eigentlich obsolet. Der Stargoalie lebt seit 12 Jahren hier, ist bestens integriert, gilt als stärkster Jasser Finnlands und trinkt mit viel Überzeugung Schweizer Bier.

Trotzdem muss er froh sein, dass er im Einbürgerungsverfahren nicht auf den Polizeibeamten Max Bodmer aus dem Film «Die Schweizermacher» trifft. Der würde Sulo nämlich eher des Landes verweisen als die Staatsbürgerschaft erteilen. Denn der Eidgenosse in spe erfüllt keines der klischierten Ansprüche an einen echten Tellensohn: Sein Deutsch klingt wie eine Mischung aus Finnisch, Englisch und einem seltsamen samischen Dialekt. Vom Schweizer Psalm beherrscht er höchstens den Refrain. Fonduekochen ist nicht sein Ding. Und auf die Frage eines Fernsehreporters, wie es um seine Kenntnisse in der Schweizer Politik steht, antwortete er unlängst mit nordischem Schalk: «Dafür ist meine Frau zuständig.»

Zum Glück gibt es Max Bodmer aber nur im Film. Legt nicht noch ein renitenter Fan der Kloten Flyers oder des HC Davos Rekurs ein, darf die Schweiz schon bald einen neuen prominenten Bürger begrüssen. Und Nationaltrainer Simpson besitzt eine weitere Alternative. Aris älterer Sohn Santtu ist bei den GCK Lions ein talentierter Stürmer.

Eine Frage bleibt aber dennoch im Raum: Könnte der Meistergoalie auch mit dem behördlichen Wohlwollen rechnen, wenn er Sulovic statt Sulander hiesse – und das Geld beispielsweise im Gastgewerbe statt im Spitzensport verdienen würde?

Die 3. Halbzeit – Oh du Fröhliche!

Thomas Renggli am Dienstag den 21. Dezember 2010
Können sich hier mal kreuzweise: Natispieler in der 3. Halbzeit.

Können sich hier mal kreuzweise: Natispieler in der 3. Halbzeit.

Der Advent ist bekanntlich die Zeit der Abrechnung. Landauf landab prosten sich in diesen Tagen die Berufskollegen an Firmenanlässen fröhlich zu – um im gleichen Atemzug hinter vorgehaltener Hand die ganze Wahrheit über den Büronachbarn zu erzählen. Gelegentlich kommt es auch zu offenen Konfrontationen – wenn sich der Frust der letzten 364 Tage in einer Mischung aus Alkohol, Festagskoller und Alltagsdepression im Kerzenschein explosionsartig entlädt.

Im Fussball ist dies nicht anders. Vor allem in England, wo über die Festtage fröhlich weitergekickt wird, heisst es an Klub-Weihnachtsfeiern: Bechern statt Nippen. Zerschlagenes Geschirr und zusammengelegte Pubs gehören dementsprechend zur vorweihnachtlichen Kultur im Fussball-Mutterland. Cheers!

Zumindest vordergründig gesitteter geht’s in der Schweiz zu und her. Double-Gewinner Basel verabschiedete sich mit einer Feier im Europapark Rust in die Weihnachtsferien. Schlusslicht GC belohnte sein geschundenes Personal mit einem dreitätigen Abstecher in den Tiroler Wintersportort St. Anton. Dort können die Abstürze vom Barhocker allerdings ähnlich hart sein wie auf der Skipiste.

Generell ist zu sagen, dass für einige Fussballer in der Schweiz die Festzeit ohnehin das ganze Jahr dauert. In Zürich gelangte der trinkfeste Romand Fredy Chassot – mittlerweile Leibeigener von Sion-General Christian Constantin – in der dritten Halbzeit zu höchsten Ehren. Er fand sich im Niederdorf und an der Langstrasse noch besser zu Recht als im gegnerischen Strafraum. Als sein legitimer Nachfolger etablierte sich Mittelfeld-Irrläufer Tico. Der Nigerianer traf jeweils erst im Rotlicht-Ambiente ins Ziel.

Als der Grasshopper-Club noch was zu feiern hatte, verlegten Türkyilmaz und Co. das Auslaufen regelmässig ins Kaufleuten. Bobadilla pflegte seine Tore alternierend in den Stadtkreisen 4 und 5 zu begiessen.

Auch im internationalen Umfeld kommt nach der Arbeit das Vergnügen: Frei & Co. schätzen am Nationalmannschafts-Refugium Feusisberg die Hintertür mit direktem Zugang in die abendliche Erlebniswelt. Und schon die Generation Kuhn nahm es mit dem Zapfenstreich nicht immer ganz ernst: In den Nächten von Sheffield (1966) und Oslo (1976) wurden dunkle Kapitel Schweizer Fussballgeschichte geschrieben.

Rabenschwarz kam es für Kresimir Stanic im Herbst 2006. Nach einem 5:0 gegen Thun mit anschliessendem Saufgelage zerschellten die sportlichen Träume des FCZ-Talentes an einem Verkehrsteiler.

Sehr geehrte Leser. Hier eine Grundsatzfrage: Dürfen Profisportler auch während der Saison das Glas heben – solange die Leistung auf dem Platz stimmt? Oder sind sie – nicht zuletzt als Vorbilder für den Nachwuchs – immer zu Seriosität und Enthaltsamkeit gezwungen?

Warum es das Offside unbedingt braucht

Thomas Renggli am Mittwoch den 15. Dezember 2010
Umstrittene Stürmer-Falle: Alex Frei im Offside.

Umstrittene Stürmer-Falle: Alex Frei im Offside.

Obwohl an dieser Stelle die Winterpause bereits ausgerufen wurde, möchte ich aus aktuellem Anlass doch noch einen vorweihnachtlichen Steilpass spielen. In der angeregten und (mehrheitlich) anständig geführten Debatte um die Schiedsrichter-Fehlentscheide ist die Forderung nach technischen Hilfsmitteln (Videobeweis) bei weitem nicht der radikalste Lösungsansatz. Einige Leser schlagen vor, die Offside-Regel ersatzlos zu streichen.

Die Idee ist hochinteressant – aber nie umsetzbar. In spieltechnischer Hinsicht wäre nichts mehr, wie es war – und der Fussball eine andere Sportart. Das Mittelfeld würde vom Regiepult zum reinen Überbrückungs-Terrain. Wie im Handballsport, der die Abseitsregel nicht kennt, würde sich das Geschehen ausschliesslich in den Zonen vor den Toren abspielen. Die Stürmer könnten quasi im Liegestuhl darauf warten, dass ihnen die Bälle geliefert werden. Doch weil ihnen die Verteidiger dabei Gesellschaft leisten würden, bestünde im Strafraum permanente Platzangst.

Vor diesem Hintergrund kann man die Offside-Regel als wichtigstes Element im Fussballsport überhaupt bezeichnen. Sie bildet die Basis fast aller taktischen Überlegungen.

Die Ursprünge des Offsides gehen auf das Jahr 1848 zurück, als der Fussball anlässlich einer Konferenz der Schulen aus Eton, Harrow, Rugby, Winchester und Shrewsbury am Trinity College in Cambridge die ersten reglementarischen Leitplanken (die «Cambridge rules») erhielt. Allerdings war die erste Abseitsregel viel strikter ausgestaltet als die aktuelle. Ein Spieler war dann automatisch «off his side», wenn er vor dem Ball stand – unabhängig von der Position der Gegner. Ähnlich wie es im Rugbysport gehandhabt wird.

Von den Cambridge Rules ist keine Kopie erhalten. Die ältesten noch einsehbaren Regeln, die 1857 initiierten «Sheffield rules», umfassten keinen Abseits-Passus.

Die definitive Einführung der Offside-Regel war einer der grössten Streitpunkte unter den Klubs. Vor allem der Sheffield FC, der älteste Fussballverein der Welt, wehrte sich heftig dagegen. Er fürchtete um seine erfolgreiche Taktik, dem «Kick through», was nach einer Steigerung des «Kick and Rush» klingt.

1863 rang man sich definitiv zur Anwendung der Offside-Regel durch – zu einer Zeit also, da weder die Grösse der Tore noch die Zahl der Spieler definiert war. Damals mussten noch mindestens drei verteidigende Spieler zwischen der Torlinie und dem Stürmer positioniert sein, damit dieser nicht abseits stand. Die Regel wurde in der Folge kontinuierlich angepasst. Seit 1907 ist beispielsweise eine Abseitsposition in der eigenen Spielhälfte nicht mehr möglich, seit 1920 nach dem Einwurf ebenfalls nicht.

Die heute gültigen Regeln wurden 1925 festgelegt, aber erst seit 1990 bedeutet gleiche Höhe kein Offside mehr. Am wichtigsten Grundsatz hat sich dagegen nie etwas geändert: Offside ist, wenn der Schiedsrichter pfeift. Oder umgekehrt – siehe Luzern am vergangenen Samstag.

Deshalb bleibe ich bei meiner Forderung: Erlöst die Schieds- und Linienrichter aus ihrem grössten Dilemma. Führt endlich den Videobeweis ein!