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Die Basler sind auch Meister im Umfallen

Thomas Renggli am Montag den 21. März 2011


Spätestens seit gestern ist die Spannung im Rennen um die Schweizer Meisterschaft nur noch virtuell. Mit dem siebten Sieg im siebten Spiel der zweiten Saisonphase hat der FCB seine Leaderposition zementiert. Das 2:1 bei den bedauernswerten Grasshoppers war ein Muster an meisterlicher Effizienz und Abgebrühtheit.

Die Zürcher trafen zweimal den Pfosten und hatten (beim Stand von 1:1) durch Innocent Emeghara die grosse Möglichkeit zum 2:1, doch der Unschuldige machte sich einmal mehr der Chancenvernichtung schuldig. Ein paar Minuten später hämmerte Alex Frei auf der anderen Seite einen Freistoss aus 30 Metern ins Tor. GC-Goalie König sah aus wie ein Bettler. Gewisse Kreise behaupten, selbst Andrea Guatelli hätte diesen Schuss abgewehrt.

Bezeichnend ist die Vorgeschichte der Basler Treffer. Beide fielen nach Standardsituationen; beiden gingen umstrittene Freistoss-Entscheide von Schiedsrichter Alain Bieri voraus. In der Entstehung des 1:0 warf sich Marco Streller im Kampf gegen zwei Zürcher Verteidiger so theatralisch zu Boden, dass er nachträglich für den Schweizer Filmpreis nominiert werden müsste. Und Alex Frei fädelte vor seinem phänomenalen Siegesschuss derart geschickt in den Beinen von GC-Jüngling Abrashi ein, dass Bieri sofort auf Foul entschied. Im Ski-Weltcup wäre der Basler Goalgetter disqualifiziert worden. Doch im Fussball ist der geschickte Umgang mit der Schwerkraft ebenso wichtig wie das Ballgefühl.

In der Fairplaywertung der Super League liegt der FC Basel auf Grund der kassierten gelben und roten Karten auf dem letzten Platz. Dennoch kann er sich kaum über eine Benachteiligung durch die Referees beklagen. Viel mehr besitzt er jenen Schiedsrichterbonus, der bei Spitzenteams üblich ist. Gehen die Stars zu Boden, fällt den Regelwächtern das Pfeifen offensichtlich leichter. Das ist weder ein helvetischer Sonderfall noch unlogisch. Denn die Könner der Branche haben sich diesen Artenschutz im Verlaufe ihrer Karriere erarbeitet – auch Alex Frei und Marco Streller. Die Grasshoppers dürfte dies kaum trösten. Sie waren gestern dem aktuellen und zukünftigen Meister mindestens ebenbürtig – fussballerisch nicht schauspielerisch.

Gehört Gavranovic schon in die Nationalmannschaft?

Thomas Renggli am Samstag den 19. März 2011


Es war definitiv schon schwieriger, ein Aufgebot für die Schweizer Nationalmannschaft zu erhalten. Dies gilt zumindest für Mario Gavranovic. Der 21-jährige Stürmer brauchte faktisch einen starken Auftritt auf internationalem Parkett, um sich in die Gunst von Trainer Ottmar Hitzfeld zu spielen – vor anderthalb Wochen mit Schalke 04 gegen Valencia. Gavranovic traf dabei dreimal: das Tor, die Latte und den Pfosten.

Nun könnte der Stürmer schon im wegweisenden EM-Qualifikationsspiel gegen Bulgarien am nächsten Samstag zu seiner Premiere im Schweizer Trikot kommen. Die Blitzkarriere vom Bankdrücker in Gelsenkirchen zum Hoffnungsträger im Zeichen Helvetias lässt sich nicht nur fussballerisch begründen. Wären die sportpolitischen Grenzen klar gezogen, Hitzfeld hätte den Jüngling wohl noch zum Aufwärmen in die U-21-Auswahl geschickt. Eine halbe Saison in der Super League und acht (torlose) Bundesliga-Teileinsätze genügen normalerweise nicht für die höchsten Weihen. Doch Gavranovic, geboren in Lugano, besitzt neben dem Schweizer auch den kroatischen Pass. Und auf dem Balkan wird dem Heimatgefühl mit finanziellen Argumenten auf die Sprünge geholfen.

So profitierten die Doppelbürger Mladen Petric, Ivan Rakitic und Zdravko Kuzmanovic von den hervorragenden Ausbildungsmöglichkeiten im Schweizer Verband, um dann von der hiesigen U-21-Nationalmannschaft ohne mit den Wimpern zu zucken in die Auswahlen von Kroatien (Petric, Rakitic) bzw. Serbien (Kuzmanovic) überzulaufen. In der Schweiz dagegen ging man davon aus, dass Dankbarkeit Lohn genug sein müsste – ziemlich naiv. Dass in der «Causa Petric» der nachmalige Captain Alex Frei nicht eben eine integrative Rolle gespielt haben soll, ist eine andere Geschichte.

Bei Gavranovic will man nicht nochmals in die Doppelpass-Falle tappen. Hitzfeld hat es in der Hand: Gewährt er dem Youngstar gegen Bulgarien nur eine Sekunde Spielzeit, gibt es kein Zurück mehr. Der Einsatz in einem Ernstkampf ist verbindlicher als jeder Treueschwur. Deshalb ist der Fall klar: Gavranovic muss gegen Bulgarien spielen – auch wenn in der mannschaftsinternen Hierarchie andere vor ihm stehen. Denn die Zukunft der Nationalmannschaft hat faktisch schon begonnen. Hitzfeld muss erstmals beweisen, dass Erneuerung für ihn keine leere Floskel ist – dass er einen seriösen Plan für die «Post-Frei-Ära» in der Tasche hat…

Sehr geehrte Leser, sind Sie auch dieser Meinung? Oder finden Sie es ein falsches Zeichen, wenn Hitzfeld seine Entscheide nicht nur aus sportlichen Überlegungen trifft? Macht er sich dadurch gar erpressbar?

Was macht eigentlich der vierte Schiedsrichter?

Thomas Renggli am Mittwoch den 16. März 2011


«Wie dick darf ein Schiedsrichter sein?» fragte der «Blick» in seiner Dienstagausgabe – und setzte den Super-League-Referee Daniel Wermelinger in unvorteilhafter Pose in Szene. Doppelkinn statt Doppelpass.

Ausgangspunkt des Artikels war der Unmut über die Schweizer Regelwächter in den vergangenen Wochen. Der in diesem Blog kontrovers diskutierte Massimo Busacca blieb davon explizit ausgenommen. Selbst die schärfsten Kritiker anerkennen den Tessiner als Schweizer Nummer 1.

Im Zentrum der aufflammenden Debatte stehen die Uneinsichtigkeit und Kommunikationsverweigerung der Referees. GC-Trainer Ciriaco Sforza geht in der «SonntagsZeitung» mit den Pfeifenmännern hart ins Gericht: «Wenn mir ein Schiedsrichter einen Entscheid nicht erklären kann, stinkt doch etwas. Wer überzeugt ist, das Richtige getan zu haben, braucht sich nicht zu verstecken.» FCZ-Sportchef Fredy Bickel teilt diesen Eindruck: «Die Schiedsrichter mögen es nicht, wenn man sie nach den Gründen für ihre Entscheide fragt.»

Tatsächlich entsteht das Gefühl, viele Schweizer Schiedsrichter argumentieren permanent aus dem Schmollwinkel – sofern sie das Stadion noch nicht durch den Hinterausgang verlassen haben. Minderwertigkeitskomplex statt Selbstwertgefühl.

Wie es gehen kann, beweisen ihre Kollegen aus dem Eishockey Woche für Woche. Hier stehen die Türen zu den Schiedsrichtergarderoben für Trainer und Medienschaffende nach jedem Spiel offen. Anstatt die Geringschätzung und Argwohn zu kultivieren, werden Missverständnisse aus der Welt geräumt. «Die offene Kommunikationskultur hat unsere Akzeptanz enorm gesteigert», sagt Danny Kurmann. Der Zuger besitzt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Er ist von Swiss Ice Hockey vollamtlich angestellt und lebt wie ein Profi. Wermelinger dagegen geht seiner Feierabendaktivität zwischen Büroschluss und Abendessen nach.

Die Einführung des Profibetriebs ist bei den Fussball-Refs überfällig. Sie würde Leistungsdichte und Glaubwürdigkeit der ganzen Szene steigern. Heute besteht der Verdacht, bei den Schiedsrichtern werden die Meriten und Beförderungen nach dem Zufallsprinzip ausgesprochen. Weshalb Referees wie Alain Bieri und Nikolaj Hänni das Fifa-Wappen auf der Brust tragen, bleibt im Diffusen. Sie stehen der Challenge League näher als der Champions League.

Dabei scheint ihr Chef Urs Meier das Anforderungsprofil genau zu kennen: «Sind Persönlichkeit und Fachwissen überdurchschnittlich vorhanden, reden wir von einem ganz grossen Schiedsrichter.»

Der Thuner Trainer Murat Yakin sieht ein grundlegendes Problem: «Die Schiedsrichter sollen Spiele leiten und nicht entscheiden.» Gleichzeitig stellt er eine Frage in den Raum, die schon lange einer Beantwortung harrt:«Gab es schon jemals einen vierten Offiziellen, der in einem entscheidenden Moment den Mut hatte, einzuschreiten?»

Yakins Kritik zielt exakt in die richtige Richtung. Das Schiedsrichterwesen ist in Unbeweglichkeit und Sturheit gefangen – und stellt so die eigenen Leute Woche für Woche an den Pranger. Die Zeit muss dieses Problem lösen. Selbst der Fussball wird sich nicht ewig gegen technische Hilfsmittel wehren können. Noch vorher sollte der vierte Unparteiische aber mehr Kompetenzen erhalten. Dies würde Wermelinger zwar nicht von überflüssigen Pfunden, aber immerhin von einigem Druck befreien…

Was muss Fischer jetzt noch analysieren?

Thomas Renggli am Montag den 14. März 2011


Gelegentlich nimmt das Fussballerleben erstaunliche Wendungen. Die Medienabteilung des FCZ ging am Samstag 45 Minuten vor dem Kick-off zum Spiel gegen Sion in die kommunikative Offensive: «Der FC Zürich hat seinen Torhüter Andrea Guatelli aus disziplinarischen Gründen bis und mit Montagabend (14. März) suspendiert. Guatelli wird ab Dienstag das Training mit der 1. Mannschaft wieder aufnehmen. Diese Massnahme wurde getroffen, weil sich Guatelli nicht an einen vorgegebenen Zeitplan gehalten hat.»

Hoppla – ausgerechnet Guatelli, der in den vergangenen Wochen wiederholt Anlass zur Kritik gegeben hatte, von seinen Vorgesetzten aber durch alle Böden verteidigt wurde. «Über den Torhüter wird beim FCZ nicht diskutiert», sagte Trainer Urs Fischer mit an Sturheit grenzender Konsequenz.

Nun wird der Italiener für ein «Vergehen» zur Rechenschaft gezogen, über das ein Profisportler nie stolpern dürfte. Offenbar hielt sich Guatelli zwei Tage vor dem Spitzenspiel gegen Basel nicht an die mannschaftsintern verordnete Bettruhe. Es heisst, er sei mit Eric Hassli zum Abendessen gegangen – und habe das «Dessert» danach bis in die frühen Morgenstunden verlängert.

Ob das wirklich schlimm ist, sei dahingestellt. Auch Fussballer haben halt mal Durst. Sie sollten sich allerdings nicht in flagranti erwischen lassen.

In dieser Angelegenheit mutet aber vor allem die Vorgehensweise der Zürcher Führungscrew merkwürdig an. Man wird den Verdacht nicht los, dass im Letzigrund ein Disziplinarfall vorgeschoben wird, um von den sportlichen Tatsachen abzulenken. Guatelli hätte schon lange strafversetzt gehört, aber nicht wegen Verfehlungen im Nachtleben, sondern wegen fussballerischen Irrläufen im Strafraum.

Das Spiel gegen Sion muss den letzten Ignoranten die Augen geöffnet haben. Der FCZ, von den erstaunlichen Wallisern über weite Strecken an die Wand gespielt und mehrmals am Abgrund zur Heimniederlage, hielt sich nur deshalb auf den Füssen, weil er auf einen Torhüter zählen konnte, der keinen Fehler beging und die besten gegnerischen Chancen im Akkord vereitelte: Johnny Leoni. Wie viel der Meistergoalie an diesem Abend zu tun hatte, lässt sich am Cornerverhältnis (1:9) und an der Torschussstatistik (7:11) ablesen.

Während Leoni nach dem Spiel als Matchwinner gefeiert wurde und vor der Südkurve mit einer symbolträchtigen Geste auf seine Rückennummer («1») zeigte, sagte Trainer Urs Fischer zur Frage nach dem Torhüter Nummer 1: «Jetzt müssen wir die Lage bis am nächsten Samstag genau analysieren.» Was Fischer genau analysieren will, bleibt sein Geheimnis. Denn eine Goaliefrage gibt es beim FC Zürich seit Samstag nicht mehr. Leoni gehört der Platz zwischen den Pfosten. Guatelli dagegen muss sich in der städtischen Provinzposse vor allem einen Vorwurf gefallen lassen. Wäre er schon ein paar Wochen früher in die Nachtfalle getappt, hätte der FCZ jetzt wohl ein paar Punkte mehr auf dem Konto – und noch realistische Chancen im Titelrennen…

Massimo Busacca nervt!

Thomas Renggli am Samstag den 12. März 2011


Wer den vergangenen Dienstagabend vor dem Fernseher verbrachte und statt der letzten Atemzüge der ZSC Lions in den Eishockey-Playoffs die Champions-League-Spiele Schachtar Donezk – AS Roma und Barcelona – Arsenal verfolgte, musste sich im falschen Film wähnen. Grund: Die stark divergierende Regelauslegung der Schiedsrichter. In der Ukraine drückte der Engländer Howard Webb sämtliche Augen zu, liess die Römer Vendetta mehr oder weniger reaktionslos geschehen und taxierte selbst Vergehen der italienischen Knochentreter nur mit einer gelben Karte, die eigentlich als schwere Körperverletzung hätten geahndet werden müssen.

Gleichzeitig orientierte sich der Schweizer Massimo Busacca in Barcelona mit strengeidgenössischer Pedanterie an den Fifa-Weisungen. In der 54. Minute schickte er den Arsenal-Holländer Robin van Persie mit einer gelb-roten Karte vom Platz. Der Stürmer hatte nach einem Pfiff des Schiedsrichters den Ball weggeschlagen. Busaccas Verdikt traf Arsenal im ärgerlichsten Moment, eine Minute nach dem Ausgleich – und lenkte das Spiel in die erwarteten Bahnen zurück. Mit einem Mann mehr auf dem Platz spielten die Katalanen mit den Gästen Katz und Maus und feierten einen standesgemässen 3:1-Sieg.

Selbst in Spanien mischten sich in den Jubel über die Viertelfinal-Qualifikation Misstöne. «Busacca macht die Barça-Gala hässlich», schrieb die Sportzeitung «AS». Robin van Persie fand’s ebenfalls nicht lustig: «Busacca war ein Witz.» Arsenal-Trainer Arsène Wenger bezichtigte den Unparteiischen gar des Mordes: «Er hat das Spiel gekillt. Es tut mir leid für alle Arsenal- und Fussball-Fans.»

Wenger spricht mir aus dem Herzen. Selbst wenn wir in der zweiten Halbzeit in den Genuss einer weiteren Machtdemonstration der besten Klubmannschaft der Welt kamen, wird eine Frage für immer unbeantwortet bleiben: Hätte Arsenal in Vollbesetzung dem Druck standgehalten und die Party im Camp Nou verhindert?

Busacca darf für sich in Anspruch nehmen, alles richtig gemacht zu haben – zumindest wenn man die Weisungen, Regularien und Richtlinien zum Massstab nimmt. Doch wo bleiben der gesunde Menschenverstand, das Fingerspitzengefühl und der Ermessenspielraum?

Müsste ein Schiedsrichter nicht soviel Eigenverantwortung besitzen, um das Strafmass dem Tatbestand anzupassen? Ist eine Blutgrätsche in Donezk tatsächlich weniger schlimm als ein Ballwegschlagen in Barcelona? Clevere Spieler nutzen die amtlich verschriebene Karten-Inflation zu ihrem Vorteil. Zum Beispiel der Basler Alex Frei am vergangenen Sonntag im Spitzenspiel gegen den FC Zürich. Er zog nach dem Treffer zum 2:1 das Trikot aus und kassierte eine Verwarnung – seine vierte. Damit ist Frei am Sonntag bei der Pflichtaufgabe in Bellinzona gesperrt. Eine Woche später beim Schlager gegen Angstgegner Grasshoppers kann er wieder mittun. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

In der schleichenden Bürokratisierung des Fussballs setzt die deutsche Bundesliga einen wohltuenden Gegentrend. Sie stellte bei der Fifa den Antrag, die Doppelbestrafung (Penalty plus Platzverweis) bei der Verhinderung einer klaren Torchance im Strafraum, abzuschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass der internationale Verband auf diesen vernünftigen Vorschlag eintritt. Es ist höchste Zeit, den Karten-Unsinn zu stoppen – zum Wohle des Fussballs – zum Wohle von Schiedsrichtern wie Massimo Busacca, die selbst nie richtig Fussball gespielt haben und nicht wissen, wie es sich anfühlt, ein Tor zu schiessen…

Linsi hat gepokert und gewonnen – vorerst

Thomas Renggli am Mittwoch den 9. März 2011


Es ist höchste Zeit für eine Entschuldigung. Nein, nicht bei Urs Fischer und schon gar nicht bei Andrea Guatelli. Sondern bei jenem Mann, der im Zürcher Fussball in der vergangenen Woche die Rolle von Tom Cruise gespielt hat – der die Mission impossible erfüllt, das Unmögliche möglich gemacht hat: bei Urs Linsi.

Der GC-Verwaltungsratspräsident drohte mit dem Wegzug des Rekordmeisters nach Aarau oder Emmen. Es war ein Scheingefecht ohne Aussicht auf Erfolg. Denn in der Provinz hat man ungefähr soviel Verständnis für die Anliegen des maroden Nobelklubs wie an einer Zürcher Afterhour-Party für die Drogenprävention.

Und trotzdem feierte der frühere CS-Banker einen historischen Triumph. Er machte der Zürcher Stadtregierung klar, dass 27 Meistertitel mehr Gewicht haben als die hehren politischen Prinzipien, die für Spitzenklubs im Fussball und Eishockey keine Sonderstellung vorsehen. Noch Mitte Februar hatte Sportminister Gerold Lauber das Gesuch der Grasshoppers ultimativ abgeschmettert: «Wenn die Stadt auf die gewünschte Kostenreduktion eingegangen wäre, würden zwei Millionen Franken weniger in die Stadtkasse fliessen.»

Gleichzeitig sagte Linsi: «Der Letzigrund ist für GC keine Heimat – sondern eine lange Leidensgeschichte.»

Nun haben sich die Parteien doch noch gefunden. Die Stadt gewährt eine Mietzinsreduktion von 450’000 Franken – was eine Halbierung der Stadionkosten bedeutet sowie eine Plafonierung der Sicherheitskosten bei 500’000 Franken. Freuen darf sich auch der FCZ. Ohne einen Finger krumm gemacht zu haben, kommt er in den Genuss des gleichen Rabatts.

Im Falle der Grasshoppers stellt sich die Frage: Hat Linsi wirklich gewonnen – oder feierte er nur einen Pyrrhussieg? Einen Erfolg also, aus dem er ähnlich geschwächt hervorgeht als sei er eine Niederlage gewesen?

Angesichts des strukturellen Defizits von rund fünf Millionen Franken und den Infrastrukturkosten in Niederhasli von über zwei Millionen Franken ist der Preisabschlag im Letzigrund nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Er wiegt wohl nicht einmal den Imageschaden auf, den der Linsi-Poker verursacht hat.

So oder so geht die Leidensgeschichte des Rekordmeisters weiter. Nach dem ärgerlichen Cup-Out gegen Sion sind Einnahmen aus dem Europacup kurzfristig ausgeschlossen. Bis auf weiteres bleiben die Grasshoppers die Heimatlosen im eigenen Stadion. Das ändert sich erst, wenn sich die Stadtregierung konsequent zur Demokratie bekennt und das umsetzt, was zwei Drittel der Stimmbevölkerung vor acht Jahren beschlossen haben – den Bau einer reinen Fussballarena auf dem Hardturm-Areal. Die wichtigste Schlacht im Überlebenskampf haben Linsi & Co. noch nicht gewonnen…

Der Trainer entscheidet die Meisterschaft: Finks Lehrstunde für Fischer

Thomas Renggli am Montag den 7. März 2011


Kennen Sie «Groundhog Day»? Den amerikanischen Spielfilm, in dem Bill Murray einen bedauernswerten TV-Meteorologen spielt, der in einer Zeitschlaufe festsitzt und immer wieder den gleichen Tag erlebt?

So müssen sich Spieler des FC Zürich vorkommen. Treten sie gegen den FC Basel an, wiederholt sich das selbe Szenario immer und immer wieder: Sie fassen sich gute Vorsätze, steigen mit breiter Brust in die Partie, halten mit – um dann mit alptraumhafter Sicherheit in die Niederlage zu stürzen. Am Schluss sagen sie: «So gut wie heute wäre die Chance schon lange nicht mehr gewesen, gegen Basel zu gewinnen». An der offenbar unabwendbaren Niederlage ändert das allerdings nichts.

Am Sonntag war sie besonders bitter: «Es ist zu viel gegen uns gelaufen», kommentierte der konsternierte Trainer Urs Fischer nach dem Spiel. Der Zürcher lag nicht falsch: die Ausfälle der Stürmer Chermiti und Alphonse, einige umstrittene Schiedsrichterentscheide, vergebene Topchancen zu Beginn der zweiten Halbzeit – und ein Gegner, der seinerseits die Möglichkeiten eiskalt verwertete.

Fischer vergass in seiner Analyse allerdings, dass die meisten der Zürcher Probleme hausgemacht sind:

Wie kann man ernsthafte Titelansprüche stellen – und in der Woche vor dem wegweisenden Spiel den physisch stärksten Stürmer (Hassli) in die Frührente (nach Kanada) verabschieden?

Weshalb nominierte der Trainer nur einen Ersatz-Stürmer – und musste dann Aussenverteidiger Rodriguez zum Flügel befördern?

Fischer strahlt in diesen Tage nicht eben viel Überzeugung aus. Während FCB-Trainer Thorsten Fink konsequent an seinem Plan festhält (auch wenn dieser mal nicht aufgeht), scheint der FCZ-Übungsleiter auf der Suche nach dem Kompass. Er mag ein hervorragender Ausbildner und akribischer Schaffer sein, doch an der Seitenlinie tendiert sein Einfluss auf die Mannschaft gegen Null. Das war bereits am Mittwoch im Cup-Viertelfinal gegen YB zu spüren, als sich der Zürcher Trainer während der Verlängerung in einer Mischung aus Agonie und Apathie in die Ecke der Trainerbank verdrückte.

In Basel ein ähnliches Bild – mit noch nachhaltigerem Schaden: Das Fischer-Team gab die Kontrolle übers Spiel nach der Pause innerhalb weniger Minuten aus der Hand. Bloss am fehlenden Wettkampfglück kann das nicht liegen.

Fischers grösster Sündenfall betrifft aber unverändert die Torhüterfrage. Mit seiner sommerlichen Rochade von Leoni zu Guatelli hat er den Zürchern ein Problem eingebrockt, das zuvor vier Jahre nicht existierte. Ein Torhüterproblem.

Selten zuvor wurde in einem Spiel der Unterschied zwischen einem Topgoalie und einer Zufallslösung deutlicher als am Sonntag im St. Jakob-Park. Während der Basler Franco Costanzo seine Mannschaft mit mirakulösen Paraden im Spiel hielt, sah der FCZ-Fauster Andrea Guatelli bei allen drei Gegentreffern schlecht aus. Was braucht es noch, bis Fischer die Augen öffnet?

Seit Sonntag ist die einzig realistische Zürcher Titeloption der Cup – und dort ist Johnny Leoni fürs Ballfangen zuständig. Will es Fischer wirklich riskieren, einen Goalie ohne Spielpraxis in den Halbfinal gegen Xamax zu schicken? Es wäre fahrlässig…

Im Sommer müsste die Neubesetzung der Torhüterposition im Letzigrund sowieso oberste Priorität haben. Und da bietet sich eine interessante Lösung an. In Basel läuft der Vertrag von Franco Costanzo aus. Und in Zürich ist nach dem Abgang von Eric Hassli eine schöne Lohnsumme frei…

Schlägt sich das Schicksal auf die Seite des FCZ?

Thomas Renggli am Samstag den 5. März 2011

Im Leben jedes FCZ-Fans gibt es zwei Daten in der jüngeren Vergangenheit, die sich unauslöschlich in die Seele gebrannt haben: der 3. März 2004 sowie der 13. Mai 2006. Am einen Tag verspielte der Klub im Cup-Halbfinal gegen die Grasshopppers in den letzten acht Minuten eine 5:2-Führung und stürzte in die Mutter aller Niederlagen, am anderen gewann er in Basel durch einen Treffer von Iulian Filipescu in der 93. Minute den ersten Meistertitel seit 25 Jahren.

Es heisst, im Verlauf der Geschichte gleichen sich im Sport Glück und Pech aus. Der vergangene Mittwoch lieferte (aus FCZ-Optik) einen Teilbeweis. Wieder führten die Zürcher in einem epochalen Cup-Schlager (gegen YB) mit drei Toren Differenz, wieder gaben sie den Vorsprung fahrlässig aus der Hand. Doch diesmal hatten die Fussballgötter ein Einsehen und begnadigten das Fischer-Team in der Verlängerung.

Aus Berner Sicht fällt die Abrechnung mit dem Schicksal freilich weniger positiv aus. Seit dem Gewinn des letzten Titels (war es 1987 oder 1887?) verspielen die Young Boys jede noch so dicke Chance – sei es im Cup-Final 2009, in der letztjährigen Meisterschaft oder vor neun Tagen auf dem Acker von St. Petersburg. Dass sie im Meisterschaftsalltag zuletzt regelmässig im Last-Minute-Verfahren punkteten, wiegt diese Schadensbilanz bei weitem nicht auf.

Der deutsche Philosoph Paul Hoyningen-Huene erklärt die Faszination des Fussballs mit der These, dass dieser Sport die «Dramen des normalen Lebens nachspielt» – mit allen Zufälligkeiten, Schicksalsschlägen, Irrtürmern. YB – FCZ lieferte den Beweis: Hätten die FCZ-Verteidiger Béda und Koch in der 54. Minute nicht auf dilettantische Weise den Ball an der eigenen Grundlinie verspielt und Farnerud das 1:3 auf dem Silbertablett serviert, die Zürcher wären wohl ins Ziel spaziert. Heute würde niemand mehr von diesem Spiel sprechen. Der grösste taktische Irrtum unterlief aber YB-Trainer Vladimir Petkovic. Anstatt nach dem 3:3 weiter nach vorne zu spielen und den deroutierten Gegner zu überrennen, nahm er den Fuss vom Gaspedal und ermöglichte dem FCZ quasi ein zweites Leben.

Mit Blick auf den Spitzenkampf Basel – Zürich vom Sonntag stellen sich aus sportphilosophischer Sicht drei wesentliche Fragen: Bezahlt der FCZ noch immer die Zeche für das wundersame Happyend von 2006 und wird auch im 19. Anlauf gegen den Erzrivalen sieglos bleiben? Oder nutzt er die Gunst der Stunde und beendet vier Tage nach dem ersten Triumph in Bern seit 2007 auch die Negativserie gegen den FCB? Bringt das sensationelle Basler Cup-Out in Biel den Meister auch im Championat aus dem Gleichgewicht?

Leider hat Krake Paul im Aquarium von Oberhausen das Zeitliche gesegnet. Deshalb geht die Frage an Sie – sehr geehrte Leser. Demütigt der FC Basel am Sonntag den Rivalen einmal mehr und vergrössert den Abstand auf sieben Punkte? Oder hat Thorsten Fink im eigenen Rotationsprinzip die Orientierung verloren und ermöglicht den Zürchern den sehnlichst erwarteten Gegenschlag? Wer gewinnt das bisher wichtigste Spiel dieser Meisterschaft?

Hoffen auf das Wunder von Biel

Thomas Renggli am Mittwoch den 2. März 2011


Biel ist eine der geschichtsträchtigsten Adressen im Schweizer Fussball. Der lokale FC (Gründungsjahr: 1896) gehört zu den ältesten Klubs des Landes. Seine grössten Zeiten erlebte er um die Mitte des vorigen Jahrhunderts – mit dem Gewinn des Meistertitels (1947), zwei zweiten Plätzen (1948/1960) sowie der Qualifikation für den Cup-Final 1961 (0:1 gegen La Chaux-de-Fonds).

Dann ging’s allerdings steil bergab – bis 1990 in die Anonymität der zweiten Liga. Erst 2008 kehrte der kleine FCB in die zweithöchste Liga zurück. Bestand hatte nur das Gurzelen-Stadion. 1913 erstellt, überlebte es zwei Weltkriege, ein paar Börsen-Crashes und die Uhrenkrise. Es steht im Bieler Stadtteil Champagne – erinnert aber eher an Wurst, Brot und Bier.

Am Donnerstagabend rückt das altehrwürdige Gemäuer für knapp zwei Stunden wieder ins Zentrum des Schweizer Fussballs – wenn anlässlich des Cup-Viertelfinals der FC Basel seine Aufwartung macht.

Im Meisterschafts-Alltag spielt Biel vor durchschnittlich 700 Unentwegten. Jetzt ist alles anders. Mit rund 7000 Zuschauern wird das Gurzelen den grössten Andrang seit Jahrzehnten erleben – und mit Auswüchsen konfrontiert, die man in der Fussball-Provinz nur vom Hörensagen kennt. Auf der Klub-Homepage wird seit Tagen vor dem Handel mit gefälschten Tickets gewarnt.

Der Cup verschiebt im Fussball die Relationen. Kämpft David gegen Goliath, werden Emotionen und Fantasien freigesetzt wie sonst nie. Doch in der Schweiz wird die Kluft zwischen Arm und Reich grösser und grösser. Aussenseiter und Favoriten entfernen sich voneinander. Das Überraschungspotenzial schwindet. Der Bieler Achtelfinal-Erfolg gegen Luzern im Penaltyschiessen war in dieser Saison der einzige Erfolg eines Unterklassigen gegen einen Super-League-Vertreter.

Die Zementierung der Normalität ist hausgemacht: Bis in den Sechzehntelfinals sind Direktvergleiche zwischen A-Klubs ausgeschlossen – und in den Achtelfinals wenn immer möglich zu verhindern. Erst ab den Viertelfinals regiert bei der Auslosung das Zufallsprinzip.

So ist der FC Biel der einzige Underdog, der den systembedingten Artenschutz der Elite unterminiert hat. Mit einem Sieg gegen den FC Basel könnte der Siebte der Challengue-League eines jener Kapitel Fussballgeschichte schreiben, das dem Cup-Wettbewerb seine Faszination gibt. In der vergangenen Saison deklassierte Lausanne-Sport in den Viertelfinals die Young Boys 4:1 und legte damit die Basis zum sensationellen Sturm in die Europa League.

Dass der Cup in der Schweiz in den letzten Jahren wieder an Prestige gewonnen hat, ist auch auf eine gewisse «Entkommerzialisierung» zurückzuführen. Zwischen 2003 und 2008 firmierte der Wettbewerb als Swisscom Cup und droht zur reinen Marketingplattform zu verkommen: Pausenspiele, Werbegeschenke und Sven Epiney als Stadionmoderator. Die Höchststrafe für jeden Fussball-Romantiker.

Glücklicherweise werden diese Erinnerungen spätestens dann verblassen, wenn das Endspiel ab kommendem Jahr wieder im Stade de Suisse auf Naturrasen stattfindet. Der Cup-Final gehört nach Bern!

Im K.-o.-Wettbewerb ist der Bruch mit der Tradition ein untragbarer Frevel. Wie es auch geht, zeigt der Blick nach England. Dort wird jeweils im Mai im Wembley mit dem FA-Cup-Final das prestigeträchtigste Endspiel in einem nationalen Klubwettbewerb zelebriert. Und schon am vergangenen Wochenende herrschte im Norden von London der Ausnahmezustand – als der krasse Underdog Birmingham City im Final des Liga-Cups durch einen Treffer in der Schlussminute Arsenal in die Niederlage stürzte. Das ausverkaufte Wembley stand Kopf. Die Fans des Birmingham City Football Clubs feierten den zweiten Titel des 1875 gegründeten Klubs als würde es kein Morgen geben.
Biel ist nicht Birmingham, Gurzelen ist nicht Wembley – und Träume gehen selten in Erfüllung. Aber ein kleines Fussball-Wunder würde auch dem Schweizer Cup gut anstehen….

Stoppt den Sumpf-Fussball!

Thomas Renggli am Montag den 28. Februar 2011


Die Super League stellt professionelle Ansprüche. Sie droht der AC Bellinzona die Lizenz zu verweigern, weil die Tessiner im Stadio Comunale über zu wenige Sitzplätze verfügen. Auch das Cornaredo in Lugano genügt den Anforderungen offenbar nicht. Ob Vaduz oben mitkicken dürfte, ist ebenfalls fraglich. Heimatschutz kommt in gewissen Kreisen vor sportlichem Wettbewerb.

Im Dschungel der Lizenzierungsbürokratie geht der Blick für die Realität verloren – und die spielt sich in diesen Tagen auf Spielunterlagen ab, auf denen aus Gründen des Tierschutzes nicht einmal Pferderennen stattfinden würden.

Hauptleidtragende waren die Schweizer Meister des FC Basel. Sie mussten sich zu Beginn der zweiten Saisonphase durch den Thuner Dreck pflügen. Gestern waren sie im Spitzenspiel auf dem Gersag-Acker gefordert. Spitzenspiel? Das Terrain in Emmenbrücke genügt nicht einmal den Anforderungen an ein durchschnittliches Grümpelturnier – hätte aber jeden Hollywood-Regisseur zu einer Neuverfilmung des Comic-Klassikers «Das Ding aus dem Sumpf» inspiriert. Und darauf wollen die Grasshoppers in der nächsten Saison ihren kultivierten Offensivfussball zelebrieren?

Fussball auf Kunstrasen ist das letzte, was man sich wünscht – synthetisch, steril – im wahrsten Sinn des Wortes unnatürlich. Aber im Vergleich zu den Moorlandschaften in Emmenbrücke und Thun wäre er noch immer das kleinere Übel. Mittlerweile hat selbst der Platzwart in Thun die weisse Flagge gehisst und plädiert für ein künstliches Spielfeld. Dass er damit seine beruflichen Zukunftsperspektiven komprimiert, ist sekundär. Denn das, was gegenwärtig mit dem Lachen-Platz passiert, treibt jedem Gartenliebhaber die Tränen in die Augen.

Immerhin hatten die amtlich homologierten Schlammschlachten bisher noch keine sportlichen Folgen. Basel hielt sich sowohl in Thun als auch in Luzern schadlos. Der Titel des Querfeldeinmeisters ist dem Fink-Team nicht mehr zu nehmen. Und die Young Boys wendeten im Berner Oberland am vorletzten Wochenende das Schlimmste ebenfalls noch ab.

Willkür und Zufall sind jedoch weiterhin Tür und Tor geöffnet. Der FC Thun empfängt in den nächsten anderthalb Wochen im Cup Xamax sowie in der Meisterschaft Luzern und nochmals Xamax.

Willkommen in der Acker Super League!