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Grasshoppers: Ergeht es dem Rekordmeister wie dem Böögg?

Thomas Renggli am Mittwoch den 13. April 2011

Zwischen Rorschach und Genf sind sich alle einig. Kein Fussballexperte würde etwas anderes behaupten. Ciriaco Sforza bestätigt es bei jeder Gelegenheit: Die Grasshoppers sind deutlich unter Wert klassiert. Ihr 8. Platz verzehrt die sportliche Wahrheit – steht für eines der grössten Missverständnisse der jüngeren Geschichte. «Alles wird gut» tönt es aus Niederhasli mit missionarischer Penetranz.

«Wenn es optimal läuft, können wir 5. werden», hatte Captain Boris Smiljanic vor Beginn der zweiten Saisonphase gesagt. Nach dem vermeintlichen Befreiungsschlag in St. Gallen schien die Prophezeiung in Erfüllung zu gehen. Schien. Seither haben die Grasshoppers in acht Partien nur noch sechs Punkte gewonnen. Dass sie selbst nach Niederlagen (wie gegen Basel) über den grünen Klee gelobt werden, ändert an den Fakten nichts: Keines der zehn Super-League-Teams weist weniger Siege aus. Nur Schlusslicht St. Gallen hat noch weniger Tore geschossen.

Es sind höchst alarmierende Symptome. Dennoch bleibt es beim Rekordmeister erstaunlich ruhig. Während die anderen Teams im Abstiegskampf die branchenüblichen Notfallszenarien (Trainerwechsel) vollzogen haben, ist Sforza bei GC kein Thema. Das kann als erfreuliche Besonnenheit gewertet werden. Spätestens seit letztem Sonntag muss aber auch der Trainer in die Verantwortung gezogen werden. Eine Mannschaft, die zu einem Derby derart blutleer und uninspiriert antritt wie GC, hat möglicherweise ein Führungsproblem.

Wenig erfolgreich war auch das winterliche Personalmanagement. Die leihweisen «Ergänzungen» mit Milan Gajic und Andrés Vasquez vom FCZ sind ein Schlag ins Wasser. Der vollkommen deroutierte Gajic wurde im Derby von Sforza schon in der 37. Minute vom Platz geholt. Vasquez spielte bisher erst sieben Minuten für seinen neuen Klub. Man könnte den FC Zürich schon fast der Sabotage bezichtigen. Ob auch der frühere FCZ-Junior Innocent Emeghara fussballerisch mehr als ein trojanisches Pferd ist, bleibt abzuwarten. Als 100-m-Läufer hätte der schweizerisch-nigerianische Doppelbürger vermutlich die grösseren Erfolgsaussichten als in den gegnerischen Strafräumen…

Offenbar hat man beim Grasshoppers-Club aber ohnehin andere Präferenzen. Am Tag nach der Derbyniederlage war auf der GC-Homepage folgende Meldung zu lesen: «Dem Böögg ist es dieses Jahr rasch an den Kragen gegangen. Nach 10 Minuten und 56 Sekunden ist der Kopf explodiert. Hautnah mit dabei waren Boris Smiljanic und Ricci Cabanas als Ehrengäste und das gesamte GC-Team mit Staff als Gäste der Zunft Fluntern. Die Grasshoppers fühlten sich geehrt, aus Anlass des 125-Jahr-Jubiläums eingeladen worden zu sein und genossen das Bad in der Menge in vollen Zügen.»

Gesellschaftlich sind die Grasshoppers also unverändert hoch im Kurs. Sportlich steht ihnen eine wegweisende Woche bevor – am Sonntag mit dem Gastspiel im Basler St. Jakob Park, drei Tage später mit dem Kellerduell gegen den FC St. Gallen. Die Ostschweizer liegen zwei Punkte hinter den Grasshoppers, trotzdem sind sie der Konkurrenz aus Zürich einen entscheidenden Schritt voraus. Sie haben den Ernst der Lage längst erkannt – und können das Leben momentan kaum in vollen Zügen geniessen.

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Fährt Canepa den FCZ an die Wand?

Thomas Renggli am Montag den 11. April 2011



Es war ein schöner Sonntag für den FC Zürich. Spätes Derby-Glück dank Zouaghi. Die grösste Kulisse im Letzigrund an einem Meisterschaftsspiel (18‘600) seit fast zwei Jahren. Die ersten Punktverluste des FC Basels 2011.

Trotzdem ziehen am Horizont dunkle Wolken auf. Am 31. Mai wird Präsident Ancillo Canepa den Klubmitgliedern die Jahresrechnung vorlegen – mit einer Farbe, die im Schweizer Spitzensport zur schlechten Gewohnheit gehört: Tiefrot. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» spricht Canepa von einem «wesentlichen Defizit im einstelligen Millionenbereich» und bestätigt die Mutmassung, dass vom Gewinn aus der Champions-League-Teilnahme in der vorletzten Saison (ca. 10 Millionen) «praktisch nichts mehr übriggeblieben ist».

Noch im vergangenen Frühling hatte Canepa von einem nachhaltigen Finanzmanagement gesprochen und dass man den Klub «drei, vier Jahre ohne den ständigen Kampf um die Mittelbeschaffung» führen könne.

Alles nur leere Worte? Von einem Mann notabene, der sich als Wirtschaftsprüfer bei Ernst & Young einen Namen gemacht hatte.

Anders als bei den Grasshoppers kann beim FCZ nicht allein von einem strukturellen Defizit gesprochen werden. Der Schaden ist hausgemacht. Die Champions-League-Euphorie trübte den Verantwortlichen derart die Sinne, dass die Personalkosten völlig aus dem Ruder liefen und zwischenzeitlich bis auf 24 Millionen anstiegen. Selbst nach den Abgängen von einigen Grossverdienern (Rochat, Hassli) hat sich daran nicht viel geändert. Mit Magnin, Teixeira, Chermiti und Béda hat der FCZ Spieler verpflichtet, die er sich eigentlich nur bei einer Champions-League-Teilnahme leisten könnte. Transfererlöse blieben dagegen weitgehend aus.

Auch hinter den Kulissen ist die Verhältnismässigkeit nicht mehr gegeben. Der vermeintliche Arbeiterklub verfügt über die Unternehmensstruktur einer Grossbank – mit rund einem Dutzend Geschäftseinheiten. Grössenwahn?

Canepa ist ein Mann der Tat. Er liess eine aufwändige Vereinschronik schreiben, initiierte mit viel Herzblut ein Museum. So geglückt beide Projekte auch sind – für Nachhaltigkeit stehen sie höchstens im emotionalen Sinn. Wirtschaftlich refinanzierbar sind sie nicht.

Der FCZ bewegt sich auf einem sehr schmalen Grat. Schafft er im Sommer nicht die Qualifikation für die Champions League, droht Canepas schöne Welt in sich zusammenzubrechen. Bereits die Europa League (YB machte in diesem Wettbewerb mit sehr guten Leistungen «nur» sieben Millionen Franken Gewinn) würde den gewachsenen Ansprüchen kaum gerecht.

Während Monaten war die Finanzmisere der Grasshoppers im Zürcher Fussball das grosse Thema. Auf einer Zeitbombe sitzt aber vor allem der FCZ. Sie könnte explodieren, bevor jemand ihr ticken gehört hat.

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Beginnt jetzt der grosse Spiessrutenlauf?

Thomas Renggli am Samstag den 9. April 2011
Der Röschtigraben trennt Basel vom Rest der Schweiz: Streller tröstet Frei.

Der Röschtigraben trennt eigentlich nur Basel von der Restschweiz: Streller tröstet Frei.

Alexander Frei und Marco Streller haben in dieser Woche etwas geschafft, wovon die meisten Fussballer in ihrer ganzen Karriere nur träumen. Sie wurden zum nationalen Thema und lösten eine der hitzigsten Debatten der gesamten Saison aus – ohne zu spielen. Chapeau! Das nennt man meisterliche Effizienz.

Bei Sichtung der rund 300 Kommentare auf den letzten Blog-Eintrag wird die Geografie der Emotionen augenfällig. Im Schweizer Fussball gibt es kein Stadt-Land-Gefälle und auch keine West-Ost-Differenz. Der Röschtigraben trennt die Basler Halbkantone vom Rest des Landes.

Bezieht man Emotionalität und Tonalität in den Fussballstadion in diese Überlegungen ein, kommt man zu einem simplen Schluss: Nach ihrem gemeinsamen Nationalmannschafts-Rücktritt werden Frei und Streller in den verbleibenden anderthalb Monaten der Meisterschaft exakt das erleben, was sie in der Nationalmannschaft nicht mehr aushielten: Schmährufe, verbale Verleumdungen, Pfeifkonzerte. Paradoxerweise hätten sie nur in einer Auswärtspartie nicht mit öffentlichen Anfeindungen rechnen müssen – im EM-Qualifikationsspiel in London. So wichtig sind fussballspielende Schweizer den Engländern dann doch nicht…

Ein Blick auf den Spielplan der letzten zehn Super-League-Runden lässt erahnen, wo die Emotionen bei Basler Gastspielen besonders hoch gehen werden – wo die Ex-Nationalstürmer nur mit Ohropax und dicker Haut antreten sollten.

Höchste Pfeifgefahr droht schon an diesem Sonntag in Stade de Suisse. Die Fans der Young Boys werden in ihrer Unterstützung für das eigene Team kaum auf die sensiblen Gemütslagen der Gäste Rücksicht nehmen.

Man kann von Glück reden, dass der FCB im Schweizer Cup ausgeschieden ist. Am Osterwochenende dürfen sich Frei und Streller mit meditativer Musik und Yoga-Sitzungen vom Alltagsstress im Profifussball erholen.

Schon am 1. Mai droht aber der nächste Spiessrutenlauf. Das Publikum in Sion ist nicht für seine Zurückhaltung bekannt. Auch der Präsident pflegt die Brände eher zu legen als zu Löschen.

Zur grossen Nervenschlacht kommt es am 11. Mai an der Limmat – wo die Städtefreundschaft zwischen Basel und Zürich auf eine weitere Probe gestellt wird. Immerhin: Die Architektur und die Leichtathletik-Bahn des Letzigrunds sind wie Schalldämpfer im Basler Sinne.

Der ultimative Psychotest ist in der zweitletzten Runde zu erwarten – in der AFG-Arena zu St. Gallen. Der Ostschweizer Volkszorn lässt sich bekanntlich nur schwer kanalisieren. Es bleibt deshalb für alle Beteiligten zu hoffen, dass die Meisterschaft dann schon entschieden ist. Das Worstcase-Szenario will man sich gar nicht vorstellen: Der Abstieg des FC St. Gallen bei einer gleichzeitigen Basler Meisterfeier. Frei und Streller müssten den ganzen Sommer zur Kur in ein Bergsanatorium. ..

Alex Frei macht Ottmar Hitzfeld zur Witzfigur

Thomas Renggli am Mittwoch den 6. April 2011
Verspätete Fasnachtspointe: Marco Streller und Alex Frei

Verspätete Fasnachtspointe: Marco Streller und Alex Frei

Die Basler Fasnacht ist Schnee von gestern. Die beste Pointe lieferten diesmal nicht die Schnitzelbank-Poeten, sondern die Stürmer des lokalen Fussballklubs – allerdings mit gewisser Verzögerung. In einem ergreifenden Communiqué erklärten am Dienstag Alex Frei und Marco Streller den Rücktritt aus der Nationalmannschaft – knapp zwei Monate vor dem Spiel der allerletzten EM-Qualifikationschance gegen England.

Die Medienmitteilung tönt, als sei sie von Uriella oder einem anderen Medium zu einer Parallelwelt verfasst – und gipfelt in folgender Konklusion:

«Die Aufgebote zu den Spielen der Nationalmannschaft, die Zeit der Nationalmannschaftszusammenzüge und die Länderspiele selbst sind für die beiden Spieler immer wieder und zunehmend von äusseren, für sie negativen Begleiterscheinungen geprägt und zuletzt gar beherrscht worden. Diese Nebenwirkungen sprengten zuletzt den beruflichen Rahmen deutlich, gingen weit über eine normale und zu akzeptierende Kritik hinaus und griffen auf teils krasse Weise in das Privatleben der beiden Fussballer und in jenes ihres persönlichen Umfeldes hinein. Deshalb sind sie zur Einsicht gelangt, dass es für sie in einer derartigen Atmosphäre nicht mehr möglich ist, ihr optimales Leistungsniveau zu erreichen und in den Spielen mit dem Nationalteam abzurufen.»

Vor allem Alex Frei vergisst in seiner Selbstbemitleidung, dass er es war, der sich zum Hauptdarsteller dieser Provinzposse befördert hat – als er erschüttert von ein paar Pfiffen nach dem Spiel gegen Wales im vergangenen Herbst den Rücktritt ankündigte – nicht sofort, sondern erst nach dem Spiel gegen England. Wer ihm zu diesem kommunikativen Eigentor geraten hat, blieb sein Geheimnis. Dass der Captain ab diesem Moment unter verschärfter Beobachtung stand, hätte auch ihm klar sein müssen. Der verschossene Penalty gegen Malta und die Nullleistung gegen Bulgarien beschleunigten sein Dribbling in die Sackgasse.

Frei aber blieb Frei, markierte den Missverstandenen, flüchtete sich in den eigenen Verfolgungswahn und kritisierte unterschwellig auch jenen Mann, der ihm bis zuletzt den Rücken stärkte – Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld.

Beim FC Basel missbraucht er jeden Torjubel zur persönlichen Propaganda – und zelebriert die Rolle des seelisch verletzten Märtyrers.
Glücklicherweise ist Frei nicht allein. Im Moment des Abschieds gesellte sich sein Basler Mitläufer Marco Streller an seine Seite. Dieser hat offenbar keine eigenen Meinung, aber Erfahrung mit Rücktritten – liess er sich doch einst in St. Gallen von ein paar Buhrufen ins Bockshorn jagen. Nun erklärte auch er den Rücktritt – den Rücktritt nach dem Rücktritt vom Rücktritt. Ziemlich kompliziert.

Der Entscheid der beiden ist korrekt und spricht (vielleicht überhaupt zum ersten Mal in Freis Nationalmannschaftskarriere von Konsequenz). Der Zeitpunkt könnte aber unglücklicher kaum sein. Er macht nicht nur die beiden Hauptdarsteller zu Narren. Als grösster Depp muss sich Ottmar Hitzfeld vorkommen. Er liess sich von seinem Captain seit vergangenem Oktober auf der Nase herumtanzen – und wollte es nicht wahrhaben…

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Der doppelte Frei

Thomas Renggli am Montag den 4. April 2011
A. Frei und sein Zwillingsbruder B. Frei?

Einer von beiden ist ein begnadeter Freistossschütze: A. Frei und sein Zwillingsbruder B. Frei.

Zwillinge sind im Spitzenfussball eine Seltenheit. Spontan falle mir drei Paare eine: Frank und Ronald de Boer, Phillipe und David Degen, Sven und Lars Bender. Seit diesem Wochenende stellt sich die Frage: Hat auch Alex Frei einen eineiigen Bruder – einer, der an seiner Stelle zuletzt in der Nationalmannschaft aufgelaufen ist?

Anders ist es nicht zu erklären, dass der Liga-Topscorer je nach Trikot zwei komplett verschiedene Gesichter zeigt. Dr. Jeckyll and Mr. Hyde des Fussballs quasi.

In der Nationalmannschaft erinnerten seine letzten Auftritte an die personifizierte Leblosigkeit. Beim FCB macht Frei mit beeindruckender Konsequenz Nägel mit Köpfen. Zuletzt veredelte er zwei mediokere Auftritte des Titelverteidigers mit spektakulären Freistosstoren zu wichtigen Siegen – vor zwei Wochen bei den Grasshoppers und am Samstag zuhause gegen Xamax. Vor allem der Treffer gegen die Neuenburger verdient das Prädikat «Weltklasse». Zwei Schritte Anlauf – eine Zucken im Fussgelenk – ein Schuss genau in den hohen Winkel. Es war, als wäre die Mauer der Gäste gar nicht anwesend.

Mit seinen Geniestreichen zementiert Frei die Leader-Position des FCB – und raubt der Konkurrenz aus Zürich und Bern den Glauben an die Wende im Meisterschaftsendspurt. Seine Treffsicherheit bei stehenden Bällen ist in der Super League unerreicht. Zwar besitzt auch Hakan Yakin das Potenzial für fussballerische Zaubertricks. Doch der FCL-Regisseur scheint derzeit in Selbstzweifeln gefangen. Djuric (FCZ), Obradovic (Sion), Costanzo (YB), Shaqiri (FCB) sind Spieler mit ähnlichen Fähigkeiten, aber an Frei kommt in der Super League derzeit niemand vorbei. Gut möglich, dass der Basler die Meisterschaft mit den beiden Kunstschüssen gegen GC und Xamax vorzeitig entschieden hat. In die Steilpass-Top-Ten der internationalen Freistoss-Spezialisten schafft er es aber nicht.

Hier das Ranking der zehn Fussballer, die einen ruhenden Ball am spektakulärsten in den Winkel zirkeln können. Sind Sie einverstanden? Oder wie sieht Ihre Top-Ten der Freistoss-Virtuosen aus?

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Der schönste Job der Welt

Thomas Renggli am Samstag den 2. April 2011
Er hat einen Traumjob: Ottmar Hitzfeld.

Er hat einen Traumjob: Ottmar Hitzfeld.

Suchen Sie eine neue Stelle? Dann vergleichen Sie doch folgendes Jobprofil mit ihren Ansprüchen: «Maximal zwölf Wochen Arbeit pro Jahr. Kein Leistungsdruck. Eine Heerschar von loyalen Assistenten und obrigkeitshörigen Sachbearbeitern an ihrer Seite. 2,27 Millionen Franken Bruttolohn. Kost und Logis nur in Fünfstern-Etablissement. Vorgesetzte, die ihnen Kaffee und Kuchen servieren und gelegentlich auch für einen Jass zu haben sind. Businessclass-Flüge selbstverständlich. Dazu die Möglichkeit, mit nebenberuflichen Einkünften das karge Einkommen etwas aufzupolieren.»

Wir müssen Sie allerdings vertrösten. Sie können die Stelle frühestens im Spätsommer 2014 antreten – wenn Ottmar Hitzfeld (allenfalls) seinen Posten als Schweizer Fussballnationaltrainer räumt. Früher kann er das auf keinen Fall. Denn seine zahlreichen persönlichen Werbepartner (CS, Swiss Life, IWC, Castrol, Powerplate) erwarten, dass er sich regelmässig im Scheinwerferlicht präsentiert. Auch seiner Glaubwürdigkeit als Fussballexperte beim deutschen Pay-TV-Sender Sky ist eine gewisse Medienpräsenz förderlich. Es wird geschätzt, dass der zweifache Champions-League-Gewinner jährlich total vier Millionen Franken verdient. So ist es verständlich, dass er zur Optimierung der Koordination und des Managements seiner Aufträge eine Einzelfirma unterhält – mit Geschäftssitz im steuergünstigen Engelberg.

Im Ranking der bestverdienenden Nationaltrainer figuriert Hitzfeld zwar nur an fünfter Stelle. Im Vergleich zum England-Manager Fabio Capello ist er schon fast ein Waisenknabe. Aufwand und Ertrag stehen beim Lörracher aber in einem höchst interessanten Verhältnis. Seine Mannschaft wartet 2011 noch auf den ersten Torerfolg. Vorgänger Köbi Kuhn musste sich mit einem «Hungerlohn» von 700’000 Franken zufrieden geben.

Die Frage, wie viel ein Trainer kosten darf, muss letztlich die Verbandsführung für sich selber beantworten. Etwas beklemmend wird es aber, wenn man einen schwelenden Verdacht in die Rechnung einbezieht. Haben die Verbandssponsoren (CS, Swiss Life), die auch mit Hitzfeld persönlich zusammenarbeiten, bei der Vertragsverlängerung Druck gemacht? Stehen wirtschaftliche Sachzwänge über dem Leistungsgedanken? Es wäre eine sportliche Bankrotterklärung…

Die bestverdienenden Nationaltrainer Europas (Quellen: www.futebolfinance.com/www.welt.de /www.sportrade24.it). Lohnangaben ohne Nebeneinkünfte:

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Der Fussball steht vor der grössten Revolution

Thomas Renggli am Mittwoch den 30. März 2011

Fifa-Präsident Joseph S. Blatter muss sich in diesen Tagen wie Goethes Zauberlehrling vorkommen. Er wird die Besen, die er rief, nicht mehr los…

Mohamed Bin Hammam, der Obmann des asiatischen Kontinentalverbands AFC, will den Walliser vom Thron des Weltfussballs stossen. Noch 1998 gehörte der Scheich aus Katar zu Blatters wichtigsten Wahlhelfern im Kampf gegen Lennart Johansson.

Blatter droht ein Opfer seiner eigenen Expansionspolitik zu werden. Hätte er nicht zugelassen, dass die Weltmeisterschaft 2022 ins Golf-Emirat vergeben wird, Bin Hammam wäre kaum mit so viel Selbstbewusstsein in die Offensive gegangen.

Der arabische Frühling auf sportpolitischem Parkett könnte zur grössten Revolution in der Geschichte des Fussballs führen – auch wenn Blatter am Kongress Anfang Juni seinen Gegner zurück in die Wüste schickt.

Denn im intensivierten Wahlkampf machte der Regent in den letzten Tagen zwei erstaunliche Aussagen: Er kündigte an, auch bei einer erfolgreichen Wiederwahl am Ende der nächsten Amtsperiode (2015) zurückzutreten. Vor allem rückte er in der Thematik der technischen Hilfsmittel für Schiedsrichter von seinen hehren Grundsätzen ab.
Hatte Blatter während Jahren auf seine Stammtisch-Argumentation («Der Reiz des Fussballs liegt auch in den Diskussionen über umstrittene Entscheide») gepocht, stellt er nun die baldige Einführung der Torlinientechnologie in Aussicht: «Ich denke, dass wir 2012 ein System haben werden, mit dem man feststellen kann, ob ein Tor erzielt wurde oder nicht. Und dieses System würde dann bei der Weltmeisterschaft 2014 eingeführt werden», so der Schweizer in der Sendung «Telefoot» auf TF1.

Mit dieser Botschaft will Blatter vor allem seine Kritiker aus England ruhig stellen. «Um das zu vermeiden, was die Engländer eine schreiende Ungerechtigkeit genannt haben, musste man diese Diskussion wieder aufnehmen, und das haben wir gemacht», sagte er – mit Blick zurück auf den «Lattenschuss» von Frank Lampard im WM-Spiel gegen Deutschland.

Anfang März erst hatte die Fifa eine Entscheidung zur Einführung von Torlinientechnologien vertagt. Nun der spektakuläre Fallrückzieher. Zu was er führen wird, ist absehbar. Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Auf die Torlinien-Technologie wird der Videobeweis folgen – spätestens an der WM 2022 in Katar. Und das ist gut so…

Das fahrlässigste Eigentor im Schweizer Fussball

Thomas Renggli am Montag den 28. März 2011

Die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld bis 2014 war vermutlich das fahrlässigste Eigentor im Schweizer Fussball seit der Nacht von Oslo 1976. Nicht einmal bei den hiesigen Grossbanken werden Topmanager derart langfristig vergoldet.

Wer sich am Samstag das «Spiel des Jahres» gegen Bulgarien die vollen 94 Minuten angetan hat, kann nur zu einem Schluss kommen: Wir sind wieder dort, wo wir Ende der 1990-er Jahre in der Nach-Hodgson-Ära gewesen sind – als die Nationaltrainer beliebig austauschbar waren, als sie Jorge, Fringer, Gress, Zaugg oder Trossero hiessen.

Was besonders nachdenklich stimmt: Spieler, die in ihren Klubs Leistungsträger sind (Frei, Streller, Stocker, Inler, Dzemaili, Behrami) bringen im Nationaltrikot keinen Fuss vor den anderen. Auch die emotionale Bindung zur Nationalmannschaft scheint in vielen Fällen nur ein Lippenbekenntnis. Der abtretende Captain Alex Frei sagte vor dem Spiel: «Das ist eine Chance zur Wiedergeburt». Im Vasil-Levski-Stadion war er mit seinen Basler Copains dann aber nur physisch präsent. Und in der 30. Minute nicht einmal das wirklich. Er hatte den Matchball auf dem Kopf – und scheiterte kläglich. «Beim FCB hätte ich diese Chance verwertet», kommentierte er die Szene danach. Was er mit diesen kryptischen Worten wohl meinte?

Wirklich gradlinig trat Frei an diesem Wochenende nur einmal auf – als es nach der Ankunft in Kloten darum ging, die wartenden Fans stehen zu lassen. Wäre der Captain doch nur im bulgarischen Strafraum so entschlossen zur Sache gegangen.


In einem Punkt sind sich alle Kritiker einig: Der Moment für den Umbruch ist überreif. Dieser würde mit einem neuen, unverbrauchten Mann an der Seitenlinie mit Bestimmtheit leichter fallen. Durch den überstürzten Treuschwur für Hitzfeld hat der Verband diese Option aber leichtfertig verspielt. Tritt der Lörracher nicht freiwillig zurück, ist er in den nächsten Wochen zum Handeln gezwungen. Die schiere Hoffnung auf das «Wunder von London» hilft nichts.

Schon am 4. Juni im Wembley muss eine «neue» Nationalmannschaft stehen. Das schliesst ein nochmaliges Aufgebot von Alex Frei aus. Der Captain, der nachher so oder so zurücktreten wird, muss nun Grösse beweisen und auf die Ehrenrunde verzichten. Die Spieler der Zukunft sollen die Möglicheit erhalten, die letzte mathematische Chance auf eine Qualifikation zu packen. Doch wer drängt sich auf? Im Sturm liegt die Variante mit Derdiyok und Gavranovic auf der Hand. Mittelfristig haben auch Leute wie Ben Khalifa, Mehmedi oder Prijovic eine Chance verdient. Schlimmer als mit der aktuellen Besetzung (durchschnittlich 0,69 Toren in den vergangenen 16 Spielen) kann es nicht werden.

Grösste Baustelle bleibt das zentrale Mittelfeld. Inler und Dzemaili sind als Duo ungeeignet. Eine klassische Nummer 10 ist in der Schweiz nicht zu finden, aber YB-Youngstar Moreno Costanzo kann in diese Rolle hineinwachsen.

Das Talentreservoir im Schweizer Fussball ist so gross wie selten zuvor. Es reicht von A wie Affolter bis Z wie Zuber. Hitzfeld steht in der Verantwortung. Als erstes muss der Lörracher die Glaubwürdigkeit wieder herstellen: «In entscheidenden Spielen haben wir immer eine Reaktion gezeigt» durfte der Nationaltrainer vor dem Bulgarien-Spiel unwidersprochen sagen. Wie bitte? Was war da im letzten Sommer in Südafrika gegen Honduras?

Das 0:0 von Sofia kann nicht so leicht unter den Teppich gekehrt werden. Es wird die Nationalmannschaft in den nächsten anderthalb Jahren wie ein dunkler Schatten verfolgen. Denn bis im Herbst 2012 verschwindet die Schweiz von der grossen Fussball-Bühne. Und im übernächsten Sommer muss sie das erste Mal seit 2002 zuschauen, wenn sich die Besten zu einem grossen Rendez-vous treffen.

Wie weiter, Ottmar Hitzfeld? Haben Sie eine Lösung? Oder sind Sie so rat- und mutlos wie es ihre Mannschaft in Sofia gewesen ist?

Schweiz oder Bulgarien? Hitzfeld oder Matthäus?

Thomas Renggli am Samstag den 26. März 2011


Wien, Belgrad, Budapest, Salzburg, Netanya, Sofia. Das ist nicht die Route einer Gruppenreise durchs östliche Europa, sondern der Berufsweg von Lothar Matthäus als Trainer. 2006 legte der deutsche Rekordnationalspieler ausserdem einen Zwischenstopp in der brasilianischen Provinz (Curitiba) ein – für einen Monat.

Irgendwie ist es merkwürdig: Als Spieler hat Matthäus fast alles erreicht. Er gewann den WM-Titel sowie in Deutschland und Italien insgesamt acht Meisterschaften. Als einziger Deutscher wurde er zum Weltfussballer des Jahres gewählt. Mit seinen Auszeichnungen kann er die Wände tapezieren: Unter anderem ist er Ehren-Kapitän der deutschen Nationalmannschaft und Träger des Bayrischen Verdienstordens. Und eigentlich hat er auch die Champions League gewonnen. Im epochalen Final von 1999 in Barcelona zwischen Bayern München und Manchester United (1:2) wurde er kurz vor Schluss ausgewechselt – von Ottmar Hitzfeld. Zu diesem Zeitpunkt führte Bayern 1:0.

Trotz dieses beeindruckenden Palmarès blieben ihm als Trainer die Türen zu einer der grossen Ligen bisher verschlossen. Selbst wenn die halbe Bundesliga innerhalb einer Woche die technische Belegschaft in die Wüste schickt (und wieder zurückholt), fällt der Name von Matthäus nie. Lediglich beim konkursgefährdeten Zweitligisten 1860 München wurde er zuletzt als ernsthafter Kandidat gehandelt. Eigentlich eine Bankrotterklärung.

Heute Abend kann der Verschmähte nun zumindest den Schweizern beweisen, dass er als Regisseur an der Seitenlinie ebenso viel zu bieten hat wie als Dauergast in den Klatschspalten.

Das Duell mit seinem ehemaligen Lehrmeister Ottmar Hitzfeld ist nicht nur emotional von höchster Brisanz – auch was die strategische Ausgangslage betrifft. Übermässiges Taktieren kommt weder für Bulgarien noch für die Schweiz in Frage. Nach dem beidseits ernüchternden Start in die Euro-Qualifikation wäre schon ein Unentschieden wie eine Niederlage. Hitzfeld zerbrach an der WM 2010 an einer fast identischen Konstellation. Gegen Honduras wäre ein Sieg Pflicht gewesen – am Schluss stand ein trauriges 0:0.

Für Honduras war dieses Resultat wie ein kleiner Sieg – zumindest dies ist in Sofia anders. Auch Bulgarien steht unter Druck, auch Bulgarien muss gewinnen. Spektakel scheint garantiert. Wer ist zuerst bereit, die Deckung zu öffnen? Wer sucht den K.-o.-Schlag mit grösserer Konsequenz? Würde man ein Psychogramm der beiden Trainer erstellen, käme wohl nur Matthäus in Frage. Er ist ein Mann der Tat – sportlich wie privat. Hitzfeld dagegen ist so sehr auf Resultatfussball fixiert, dass seine Mannschaft nur in Ausnahmefällen Tore schiesst.

Sehr geehrte Leser, was glauben Sie? Kann sich Hitzfeld von seinen Mustern lösen? Lässt er die Mannschaft endlich offensiver und beschwingter spielen? Befreit er sie aus dem taktischen Korsett? Oder bleibt er seiner übervorsichtigen Linie treu und riskiert eine Lehrstunde vom eigenen Lehrling? Wer gewinnt? Hitzfeld oder Matthäus?

Das Spiel der Wahrheit für Ottmar Hitzfeld

Thomas Renggli am Mittwoch den 23. März 2011

Die Fussball-Nationalmannschaft kämpft am Samstag auswärts gegen Bulgarien um die letzte Chance auf die Teilnahme an der EM-Endrunde 2012. Drei Punkte sind Pflicht – sonst wird Sofia zur Sackgasse auf dem Weg nach Polen bzw. in die Ukraine…

Ein Mann kann sich ohnehin als Sieger fühlen – Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld. Sein Vertrag wurde unlängst bis 2014 verlängert. Damit schaffte die Verbandsspitze um Obmann Peter Gilliéron faktisch das Leistungsprinzip ab. Unter keinem Coach leistete sich die Landesauswahl in wichtigen Spielen derart viele Aussetzer wie unter dem zweifachen Champions-League-Sieger aus Lörrach: Luxemburg, Honduras, Montenegro.

Die Opposition aus dem Kreis der Super-League-Präsidenten stiess bei den Berufsfunktionären des Verbands auf taube Ohren. Die Verwaltermentalität siegte gegen die Leistungskultur. Dazu passt indirekt eine Aussage Hitzfelds in einem Interview mit der «SonntagsZeitung»: «Ich bin froh, nicht mehr in der Bundesliga zu arbeiten. Als Nationaltrainer der Schweiz habe ich auch Druck. Aber ich habe nicht mehr das Tagesgeschäft, nicht mehr 60 Spiele pro Jahr, sondern nur noch 10, 12. Die Spiele sind es, die an die Substanz gehen. Die Ergebnisse spielen eine wesentliche Rolle, ob ein Trainer weiterbeschäftigt wird oder nicht.»

Spricht hier ein Mann, der den Erfolg noch mit letzter Konsequenz anstrebt? Oder einer, der sich in der Übergangsphase zwischen Berufsleben und Ruhestand befindet?
So oder so gab es gute Gründe, das Engagement mit Hitzfeld vorzeitig zu verlängern: Ein Trainer mit so viel Renommee, Autorität und Ausstrahlungskraft liesse sich kaum wieder finden. Hitzfeld ist der bestmögliche Botschafter, den sich der Schweizer Fussball wünschen kann. Ihm werden Türen geöffnet, vor denen die meisten seiner Berufskollegen ein Leben lang warten müssen.

Aber ist er wirklich der richtige Mann, um das Nationalteam in einem schwierigen Moment wieder auf Kurs zu bringen, den personellen Umbruch durchzuführen, die Zukunft einzuläuten? Ist Hitzfeld noch hungrig genug, um mit frischen Kräften nochmals von vorne zu beginnen? Bei Bayern München wurde ihm einst jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Zur Erneuerung des Personalbestands standen ihm (nach deutschen Massstäben) die grösstmöglichen Ressourcen zur Verfügung.

Nun aber muss er aus einem höchst beschränkten Talentreservoir eine neue Mannschaft formen. In der Offensive ist die grösste Hoffnung (Gavranovic) ein 21-jähriger Jüngling, der in der Bundesliga noch nie getroffen hat, im zentralen Mittelfeld wird sich Hitzfeld früher oder später zu einem Mann (Dzemaili) bekennen müssen, der in seinen bisherigen Überlegungen nur am Rande eine Rolle spielte.

Hitzfeld ist als Ausbildner und Personalstratege gefordert wie wohl noch nie in seiner Karriere. Im Alter von 62 Jahren notabene. Er beharrte auf der vorzeitigen Vertragsverlängerung, um in Ruhe arbeiten zu können. Nun muss er beweisen, dass er dieses Vertrauensbekenntnis in zählbare Resultate umsetzen kann. Schon am Samstag in Sofia. Sonst drohen der Nationalmannschaft anderthalb ganz triste Jahre – und die Opposition wird sich zu Recht fragen, weshalb man einen Trainer vergoldete, der zuletzt mit seiner Mannschaft sogar über den Fussballzwerg Malta gestolpert ist.