Zwischen Rorschach und Genf sind sich alle einig. Kein Fussballexperte würde etwas anderes behaupten. Ciriaco Sforza bestätigt es bei jeder Gelegenheit: Die Grasshoppers sind deutlich unter Wert klassiert. Ihr 8. Platz verzehrt die sportliche Wahrheit – steht für eines der grössten Missverständnisse der jüngeren Geschichte. «Alles wird gut» tönt es aus Niederhasli mit missionarischer Penetranz.
«Wenn es optimal läuft, können wir 5. werden», hatte Captain Boris Smiljanic vor Beginn der zweiten Saisonphase gesagt. Nach dem vermeintlichen Befreiungsschlag in St. Gallen schien die Prophezeiung in Erfüllung zu gehen. Schien. Seither haben die Grasshoppers in acht Partien nur noch sechs Punkte gewonnen. Dass sie selbst nach Niederlagen (wie gegen Basel) über den grünen Klee gelobt werden, ändert an den Fakten nichts: Keines der zehn Super-League-Teams weist weniger Siege aus. Nur Schlusslicht St. Gallen hat noch weniger Tore geschossen.
Es sind höchst alarmierende Symptome. Dennoch bleibt es beim Rekordmeister erstaunlich ruhig. Während die anderen Teams im Abstiegskampf die branchenüblichen Notfallszenarien (Trainerwechsel) vollzogen haben, ist Sforza bei GC kein Thema. Das kann als erfreuliche Besonnenheit gewertet werden. Spätestens seit letztem Sonntag muss aber auch der Trainer in die Verantwortung gezogen werden. Eine Mannschaft, die zu einem Derby derart blutleer und uninspiriert antritt wie GC, hat möglicherweise ein Führungsproblem.
Wenig erfolgreich war auch das winterliche Personalmanagement. Die leihweisen «Ergänzungen» mit Milan Gajic und Andrés Vasquez vom FCZ sind ein Schlag ins Wasser. Der vollkommen deroutierte Gajic wurde im Derby von Sforza schon in der 37. Minute vom Platz geholt. Vasquez spielte bisher erst sieben Minuten für seinen neuen Klub. Man könnte den FC Zürich schon fast der Sabotage bezichtigen. Ob auch der frühere FCZ-Junior Innocent Emeghara fussballerisch mehr als ein trojanisches Pferd ist, bleibt abzuwarten. Als 100-m-Läufer hätte der schweizerisch-nigerianische Doppelbürger vermutlich die grösseren Erfolgsaussichten als in den gegnerischen Strafräumen…
Offenbar hat man beim Grasshoppers-Club aber ohnehin andere Präferenzen. Am Tag nach der Derbyniederlage war auf der GC-Homepage folgende Meldung zu lesen: «Dem Böögg ist es dieses Jahr rasch an den Kragen gegangen. Nach 10 Minuten und 56 Sekunden ist der Kopf explodiert. Hautnah mit dabei waren Boris Smiljanic und Ricci Cabanas als Ehrengäste und das gesamte GC-Team mit Staff als Gäste der Zunft Fluntern. Die Grasshoppers fühlten sich geehrt, aus Anlass des 125-Jahr-Jubiläums eingeladen worden zu sein und genossen das Bad in der Menge in vollen Zügen.»
Gesellschaftlich sind die Grasshoppers also unverändert hoch im Kurs. Sportlich steht ihnen eine wegweisende Woche bevor – am Sonntag mit dem Gastspiel im Basler St. Jakob Park, drei Tage später mit dem Kellerduell gegen den FC St. Gallen. Die Ostschweizer liegen zwei Punkte hinter den Grasshoppers, trotzdem sind sie der Konkurrenz aus Zürich einen entscheidenden Schritt voraus. Sie haben den Ernst der Lage längst erkannt – und können das Leben momentan kaum in vollen Zügen geniessen.
Und zu guter Letzt: Merci! Steilpass ist zum Superblog 2011 in der Kategorie Sport gewählt worden. Das ist natürlich nur dank Euren zahlreichen Stimmen zustandegekommen. Eine freudige Anerkennung und zugleich Aufforderung, weiterhin mit Herzblut über Fussball zu bloggen.