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Die Top Ten der Spielerfrauen

Thomas Renggli am Samstag den 7. Mai 2011

«Er steht im Tor, im Tor, im Tor und ich dahinter. Frühling, Sommer, Herbst und Winter bin ich nah bei meinem Schatz auf dem Fussballplatz». Die norwegische Schlager-Sirene Wencke Myhre sang schon in den 1960-er Jahren von ihnen und zumindest an jeder WM und EM treten sie aus dem medialen Schatten – die Gattinnen, Freundinnen und Gespielinnen der Fussball-Stars – die sogenannten Spielerfrauen.

Vor allem in England beflügeln sie die Fantasien zuweilen stärker als ihre kickenden Männer. Entsprechend ist ihnen eine eigene Wortkreation gewidmet:  «Wags» – wives and girlfriends.

Die Ikone der Szene heisst Victoria Beckham – Spice-Girl a. D. und Gemahlin des alternden englischen Kunstschützen. Legendär war ihr Auftritt an der WM 2006 in Deutschland. Die Anreise im Privatjet aus Madrid liess sie sich 30‘000 Euro kosten. Zusammen mit ihren Branchenkolleginnen sorgte sie für Aufsehen und Umsatz: Shopping-Exzesse, Sushi-Partys, vierstellige Rechnungen an der Hotelbar. «Die Frauen vertreten uns besser als die Mannschaft», schrieb die englische Presse in einer Mischung aus Zynismus und Erheiterung.

Weniger lustig war eine Affäre, die vor Jahresfrist publik wurde. Team-Captain John Terry leistete sich einen Schuss ins falsche Tor. Er ging mit der Ex-Freundin von Mannschafts-«Kollege» Wayne Bridge, dem Dessous-Model Vanessa Perroncel, fremd. Die Geschichte wurde zur Staatsaffäre. Der britische Sportminister hob den Mahnfinger und tadelte den Treulosen: «Das ist kein Verhalten für einen Mann, der Verantwortung für das ganze Land übernehmen muss.»

Normalerweise ist der weibliche Charme aber auch im harten Fussballgeschäft eine echte Bereicherung. Dabei gilt eine einfache Gleichung: Je talentierter der Kicker, desto spektakulärer seine bessere Hälfte. Barcelona-Verteidiger Gerard Piqué teilt mit Latino-Superstar Shakira Tisch und Bett. Der spanische Nationalkeeper Iker Casillas steht der Fernsehreporterin Sara Carbonero rund um die Uhr für Exklusiv-Interviews zur Verfügung. Sein italienischer Berufskolleg Gianluigi Buffon steigt seit Jahren mit dem tschechischen Topmodel Alena Seredova in die Zweikämpfe. Auch die Lebensabschnittspartnerinnen von Francesco Totti (Schauspielerin Ilary Blasi), Rafael van der Vaart (TV-Star und Model Sylvie) und den englischen Nati-Stars Rooney, Crouch und Gerrard können sich sehen lassen. Die WAGs der letzten drei genannten sind die Damen Coleen Rooney, Abbey Clancey und Alex Curran.

Generell ist es aber nicht notwendig, dass die Spielerfrauen aktiv zum Lebensunterhalt beitragen. Der deutsche Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl wurde einst gefragt, welchen Beruf er gerne im nächsten Leben ausüben möchte. Seine Antwort: «Spielerfrau bei Bayern München».

Der doppelte Yakin in Luzern. Kann das gut gehen?

Thomas Renggli am Mittwoch den 4. Mai 2011
Wohl bald ein Luzerner Doppel: Hakan (links) und Murat Yakin.

Wohl bald ein Luzerner Doppel: Hakan (links) und Murat Yakin.

Das sportliche Niveau in der Super League ist nicht immer über alle Zweifel erhaben. In Sachen Unterhaltungswert und Dramaturgie kommt die helvetische A-Klasse dem Superlativ aber sehr nahe. Auf seinem vermeintlichen Sololauf zur Titelverteidigung brachte es der FC Basel fertig, in fünf Runden neun Punkte an den Herausforderer aus Zürich zu verlieren. Plötzlich steht die Hierarchie an der Spitze der Tabelle Kopf.
Drunter und drüber geht es auch im Abstiegskampf. Am vergangenen Wochenende wurde in Neuenburg selbst Sepp Herbergers ewige Fussball-Weisheit («ein Spiel dauert 90 Minuten») ad absurdum geführt. Als Schiedsrichter Alain Bieri zum Schlusspfiff ansetzte, trat das Geschehen in die 101. Minute. Nach drei Platzverweisen standen noch acht Neuenburger auf dem Platz. Nichtsdestotrotz lief der FC St. Gallen mit grotesker Naivität in die Konterfalle. Trainer Saibene holte in seiner Frustbewältigung zum rhetorischen Befreiungsschlag aus: «Diese Leistung war unter jeder Sau».
Kein Schwein hatte am Tag danach der Luzerner Trainer Rolf Fringer. Nach wochenlangem Hahnenkampf mit seinem Vorgesetzten Walter Stierli musste er seinen Posten räumen. Fringer, der den Klub vor zwei Jahren als abgeschlagener Tabellenletzer übernommen hatte, machte sich der Majestätsbeleidigung schuldig. Er nahm Hakan Yakin die Captainbinde weg. Grund: der alternde Kunstschütze verstand sich im Trainingsbetrieb nur als Teilzeitkraft und nutzte die Freizeit zum familieninternen Lobbying.
Mit Erfolg: Als interimistischer Feuerlöscher fungiert ab sofort zwar U18-Trainer Christian Brand. Wenn der FC Luzern im Sommer aber sein neues Stadion bezieht, sind neben sportlicher Klasse und taktischem Geschick auch Glanz und Gloria gefragt. Der Mann, der in Luzern für Showtime sorgen soll, heisst ebenfalls Yakin – Murat Yakin.
Es gilt als beschlossene Sache, dass der Basler im Sommer vom Berner Oberland an den Fuss des Pilatus disloziert. Damit schlägt Stierli zwei Fliegen mit einer Klappe. Er holt den Shootingstar der Trainerszene nach Luzern. Und er dürfte auch Hakan Yakin kurzfristig wieder auf die Sprünge helfen. An der langen Leine seines grossen Bruders wird der Ballzauberer wieder mehr rennen und weniger rauchen. Trotzdem drängen sich Fragen auf: Ist der doppelte Yakin für den FC Luzern nicht ein Yakin zu viel? Zerstört Stierli zugunsten eines kurzatmigen Regisseurs nicht die beeindruckende Aufbauarbeit eines Trainers, der den FCL vom Abstiegskandidaten wieder zur internationalen Adresse gemacht hat?

Wie viel Kommerz ist noch erträglich?

Thomas Renggli am Montag den 2. Mai 2011
Sie waren die ersten: Eintracht Braunschweig mit Spieler Paul Breitner wirbt 1973 mit Jägermeister auf der Brust.

Sie waren die ersten: Eintracht Braunschweig mit Spieler Paul Breitner wirbt 1973 mit Jägermeister auf der Brust.

Eintracht Braunschweig steht vorzeitig als Aufsteiger in die zweite Fussball-Bundesliga fest. Was soll daran interessant sein, werden Sie sich jetzt wohl fragen? Die Niedersachsen gewannen unter Helmuth Johannsen in grauer Vorzeit zwar einmal (1967) die deutsche Meisterschaft, doch danach sorgten sie nur als Hauptakteure im Bundesligaskandal (1971) für die ganz grossen Schlagzeilen.

Und trotzdem hat der Klub den Fussball revolutioniert. Er trat am 24. März 1973 als erste deutsche Mannschaft mit Trikotwerbung an – obwohl das vom Fussball Bund verboten wurde. Die Braunschweiger beförderten das Logo des lokalen Likörproduzenten Jägermeister zum Klubemblem und dribbelten das Werbeverbot elegant aus.

Kein Käse: Der SC Langnau implantierte bereits in den 50er-Jahren ein kommerzielles Motiv ins Vereinslogo.

Kein Käse: Der SC Langnau implantierte bereits in den 50er-Jahren ein kommerzielles Motiv ins Vereinslogo.

Im Schweizer Eishockey liess sich der SC Langnau schon in den 1950-er Jahren von den strengen Regularien nicht einschränken – und klebte sich kurzerhand den Tiger aufs Trikot. Der war im Emmental kein Raubtier, sondern eine Käsesorte.

Die Schlaumeier von gestern reiben sich heute verwundert die Augen, wenn sie ein Super-League-Stadion betreten – und in die akustische und visuelle Berieselung geraten. War früher die Verdankung des Matchball-Spenders durch den Speaker noch die einzige kommerzielle Botschaft gewesen, sind inzwischen alle Dämme gebrochen.

Wer keinen Presenting-Sponsor für Aufstellung, Auswechslungen, Corner-Verhältnis, Pausenpfiff, Totomat-Einblendungen, Nachspielzeit sowie gelbe und rote Karten vorweisen kann, gehört marketingstrategisch auf die Ersatzbank. Die verletzten Spieler werden längst nicht mehr auf der Bahre vom Platz getragen, sondern auf einem Elektromobil chauffiert. Letztere sind zwar nicht so schnell wie Formel-1-Boliden, aber mit fast ebenso vielen Firmenlogos vollgepflastert.

Tschüss, Dich wird wohl niemand vermissen: Obi-Biber bei den Young Boys.

Tschüss, Dich wird wohl niemand vermissen: Obi-Biber bei den Young Boys.

Bei den Berner Young Boys läuft es sportlich zwar nicht ganz rund. Werbetechnisch stehen die Berner aber in der Pole-position. In-House-TV-, Stadionmoderator, Pausenspiel, pausenlose Einspielungen auf dem Big-Screen (je nach Drehbuch kreischende Fans, eigene Junioren oder verletzte Spieler) – und sportfreundliche Sponsoren für jede fussballerische Lebenslage. Man hat das Gefühl, im Stade de Suisse verkomme der Fussball zum Lückenfüller in einem Dauerwerbespot.

Am Samstag während der innerkantonalen Bauchlandung gegen den FC Thun waren die Fans auch in demokratischer Hinsicht gefordert. Sie mussten abstimmen, ob YB künftig noch ein Maskottchen braucht. Wegen des Abgangs der Migros wird der Obi-Biber den ewigen Jagdgründen für Glücksbringer zugeführt.

Sehr geehrte Leser. Brauchen die Young Boys ein Maskottchen? Oder müsste man (angesichts der sportlichen Tatsachen) den Fans ganz andere Fragen stellen: Braucht YB einen neuen Trainer? Oder ein besseres (Sport-)Management?

1994: Das Jahr, als der Fussball sexy wurde

Thomas Renggli am Samstag den 30. April 2011

Früher roch der Fussball nach Bratwurst und Rumpunsch. Wer sich im Stadion eine kulinarische Extravaganz leistete, kaufte Magenbrot oder gebrannte Mandeln. Die Rentner auf der Tribüne schimpften über die Grossverdiener auf dem Platz und schwärmten von den guten alten Zeiten. Ihr Stumpenqualm machte alle zu Passivrauchern. Der Schweizer Nationaltrainer trug einen dicken Bart und hiess Paul Wolfisberg. Er war sympathisch und populär, erinnerte aber eher an einen Alpaufzug als an die grosse weite Welt. Seine Spieler rannten in unvorteilhaften Hosen und schlecht geschnittenen Trikots dem Erfolg hinterher.

Vier Jahre nach dem Rücktritt des Innerschweizers qualifizierte sich die Nationalmannschaft erstmals seit 1966 wieder für eine WM – auf dem altehrwürdigen Hardturm mit dem 4:0 gegen Estland am 17. November 1993. Der Trainer hiess nun Roy Hodgson.

Der englische Whiskey-Liebhaber schaffte mit dem historischen Erfolg nicht nur einen sportlichen Quantensprung. Er hievte den Schweizer Fussball auch gesellschaftlich in neue Sphären. Im folgenden Sommer blickte das ganze Land gebannt in die USA, feierte das längste Fussball-Fest seit 1954 und lag sich nach dem 4:1 gegen Rumänien freudentrunken in den Armen. Zwar wurden Hodgsons Himmelstürmer von den Spaniern im Achtelfinal zurück auf den Boden der Realität geholt. Ein anderer Prozess liess sich aber nicht mehr aufhalten. Quasi über Nacht war der Fussball in der Schweiz mehrheitsfähig geworden – generationenüberspannend, geschlechterübergreifend. Jeder und Jede wollte Chapuisat, Bregy oder Knup sein.

Der Video-Screen hiess damals noch Grossleinwand, das Public-Viewing nannte man öffentliche Fernsehaufführung, die Fanmeile passte in eine Lagerhalle, doch plötzlich konnte der Fussball auch bei der Jugend mit dem Discobesuch oder dem Ausflug ins Niederdorf mithalten. Wer seine Kollegen und Kolleginnen beeindrucken wollte, wies die lückenlose Panini-Sammlung seit 1974 vor, entdeckte seine Liebe zum FC St. Pauli oder besass die letzten zehn WM-Songs auf Vinyl.

Die Kreativen und Intellektuellen zogen nach: Studenten, Kunstgewerbsschüler, Werber, Designer, Architekten, Journalisten, Kulturschaffende, Alternative – alle kokettierten mit dem Unterschichts-Phänomen. Der Fussball war szenenfähig und sexy geworden – und der Mode-Fan geboren!

Osterfussball: Zürcher Narren und Vogel Frei

Thomas Renggli am Mittwoch den 27. April 2011


Die Narren des Osterwochenendes kommen aus Zürich. In einer Mischung aus Nonchalance, Blauäugigkeit und Tiefschlaf verspielte der FCZ gegen Xamax die Chance auf einen Titel grobfahrlässig. Einen kürzeren Weg zu einer Pokalübergabe wird es in den nächsten Jahren kaum mehr geben.

Kompliment den Neuenburgern für ihre kämpferische, solidarische und disziplinierte Leistung – für ihre meisterliche Effizienz im Penaltyschiessen (die Engländer könnten sich ein Beispiel nehmen). Auch in Tschetschenien prosteten sich die örtlichen Oligarchen auf das Xamax-Wohl zu. Aber bei ein bisschen mehr Zürcher Engagement und Inspiration hätte das kaum für die Finalqualifikation gereicht.

Damit steht der FC Zürich vor dem donnerstäglichen «Rückspiel» unter erhöhtem Druck. In der Super League muss er die «X-Files» lösen – sonst wird Xamax für ihn zum Ende aller Titelträume. Innerhalb von drei Tagen vom Double-Kandidaten zum Aspiranten auf den Trostpreis. Es wäre die Höchststrafe für die Fischer-Crew. Oder hat der FCZ nicht mehr verdient? War seine Serie von sechs Siegen ein Trugbild? Hätte er in dieser Phase nicht ebenso gut viermal verlieren können?

Bei allem Ärger über das Cup-Out dürfen die Zürcher die montägliche Bauchlandung auch als gutes Omen werten. Einerseits müssen sie in dieser Saison nicht mehr nach Basel (dort verlieren sie ja bekanntlich immer), andererseits schöpfen sie Mut aus der eigenen Vergangenheit. 2007 spielte der FCZ in einer praktisch identischen Ausgangslage im Cup-Halbfinal gegen Luzern. Alles sprach für die Zürcher. Das Spiel lief lange für sie. Am Schluss jubelten aber die Innerschweizer. Wenig später wurde der FCZ Meister.

Trotzdem schlägt das Pendel in diesem Krimi gefühlsmässig wieder für Basel aus – Stockers Kreuzbandriss hin oder her. Schiesst Alex Frei die Tore weiterhin im Akkord, führt kein Weg am Titelverteidiger vorbei. Apropos Frei: Sein Siegestreffer gegen die Young Boys wurde an der Birs gefeiert wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Dass der Ex-Nationalspieler das Tor aber überhaupt schiessen durfte, war ein Skandal. Nach einem (zu Recht) nicht gegebenen Abseits-Tor zu Beginn der zweiten Halbzeit, rastete Frei vollkommen aus. Er reklamierte, dass sich im St. Jakob Park die Balken bogen und zeigte dem Schiedsrichter-Assistenten mehrmals den Vogel. Jeder Amateurfussballer wäre sofort des Feldes verwiesen worden. Jeder Junior hätte darüber hinaus zwei Wochen Hausarrest bekommen. Aber bei Frei gelten offenbar andere Massstäbe…

Wie viele Mode-Fans erträgt der Fussball?

Thomas Renggli am Samstag den 23. April 2011


Charlotte steht auf Haute Couture. Sie trägt Prada, Gucci, Dolce & Gabbana. Aber Charlotte ist kein Mode-Fan. Für den FC Zürich opfert sie die Freizeit und den Schlaf. Den Extrazug zum Uefa-Cup-Spiel in Empoli bestieg sie nach Ende des Nachtdiensts am Newsdesk. Ein Ferientag musste für den Abstecher in die Toscana reichen. Am Morgen nach dem Spiel erschien sie pünktlich zur Sitzung auf der Redaktion.

Fussball als reine Männerdomäne ist im Letzigrund Schnee von vorgestern. Die Südkurve ist auch ein Laufsteg, die Osttribüne eine Flirtzone.

In der sportlichen Düsternis der 1980er und 1990er Jahre war das noch ganz anders. Die Südkurve hiess Letzi-Egge und war eine Anlaufstelle für masochistisch veranlagte Sportfreunde. Während die Grasshoppers die Titel reihenweise abräumten, verpasste der FCZ kein Fettnäpfchen. Er verlor gegen Kriens, Delsberg und Brüttisellen. Zwischen 1988 und 1990 tauchte er in die Nationalliga B.

Am 13. Mai 2006 drehte der Wind. Einwurf Nef, Flanke Stahel, Schuss Filipescu. Zuberbühler am Boden. Zürich ganz oben. Ein Fussballspiel dauert 93 Minuten.

Das Tor der Tore bescherte dem FCZ den ersten Titel seit einem Viertel Jahrhundert – und öffnete die Türen des Letzigrunds einer neuen Kundschaft. Sozusagen über Nacht galt es wieder als chic zum FCZ zu gehören. Die Auferstehung der Prügelknaben war eines der aufregendsten Kapitel der jüngeren Schweizer Sportgeschichte. Wer das Verlieren kultiviert, feiert die Siege umso euphorischer.

Charlotte steht noch immer in der Südkurve – mittlerweile in bester und grosser Gesellschaft. Ihre Schwester Barbara, die früher nur fürs Leichtathletik-Meeting vorbeischaute, besitzt nun auch eine FCZ-Saisonkarte. Selbst Arbeitskollegin Pascale, sonst eine passionierte Theaterbesucherin, begibt sich gelegentlich in die gesellschaftlichen Niederungen des städtischen Fussballs – aber nur wenn es nicht regnet und die Bise Pause macht. Dass sie die Offside-Regel nicht kennt, ist egal. Schliesslich leiden auch viele Schiedsrichter unter diesem Defizit.

Durchschnittlich 11‘000 Zuschauer besuchen in dieser Saison die Heimspiele des FC Zürich – zwar deutlich weniger als in Basel und Bern, aber doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Den Unterschied machen die Schönwetterfans. Wer damit nicht leben kann, bleibt besser zuhause – oder kauft ein Abonnement bei den Grasshoppers.

Die schlechteste Schiedsrichterleistung der Saison

Thomas Renggli am Donnerstag den 21. April 2011


Für einmal waren sich Freund und Feind einig. «Diese Schiedsrichter-Leistung ist unverantwortlich. Hier geht es um Titel und Abstieg. Der Mann war nicht Super-League-tauglich», sagte FCB-Trainer Thorsten Fink nach dem 2:2 gegen Xamax. Sein Neuenburger Berufskollege Ollé-Nicolle legte noch einen drauf und sprach von einer «katastrophalen Leistung des Referees».

Der Mann, der sich in den Vordergrund (bzw. ins Abseits) pfiff, ist 31 Jahre alt und heisst Ludovic Gremaud. Am Mittwoch leitete er den sechsten Super-League-Match. Es ist zu hoffen, dass es sein letzter gewesen ist.

Die 5450 Zuschauer in der Maladière wähnten sich im falschen Film. Beim 1:0 der Gäste in der 24. Minute übersahen die Unparteiischen, dass vier Basler im Offside standen – beim Ausgleich der Neuenburger kurz vor der Pause kompensierten sie den Fehlentscheid auf groteske Weise. Linienrichter Brosi hob die Fahne. Alle Basler blieben stehen. Goalie Costanzo wendete sich ab. Gremaud überstimmte seinen Assistenten und liess weiterspielen. Niasse schob den Ball über die Linie.
In der zweiten Halbzeit drohte das Geschehen zu eskalieren. Nach einem Gerangel zwischen Almerares und Dragovic stürmte Fink auf den Platz – und wurde dafür auf die Tribüne geschickt. Es war der einzige korrekte Entscheid des Referees.

Nach dem Last-Minute-Ausgleich durfte sich Xamax als moralischer Sieger fühlen. Basel verschenkte zwei Punkte und spürt den Atem von Verfolger Zürich im Nacken. Der grosse Verlierer an diesem Abend war aber Schiedsrichter-Chef Urs Meier. Würde sich ein Trainer eine derartige personelle Fehlbesetzung leisten, er wäre seinen Job wohl noch vor dem Schlusspfiff los…

Ist Urs Fischer doch ein Meistertrainer?

Thomas Renggli am Mittwoch den 20. April 2011
Die Trainer-Entdeckung: FCZ-Trainer Urs Fischer.

Die Trainer-Entdeckung: FCZ-Trainer Urs Fischer.

«Das ist emol ä Goal». Die gesellschaftliche Nachricht der Woche kommt aus Basel: Alex Frei hat geheiratet. Und zwar seine langjährige Lebensabschnittspartnerin Nina aus Dortmund. Bei der Gravur des Eheringes orientierte er sich der ewige Rekordtorschütze aber an den wahren Prioritäten des Lebens: «Marco – 84/42».

Sportlich verschieben sich die Gewichte nach Zürich. Der FCZ gewinnt die Spiele plötzlich wie von Geisterhand – zuletzt sechsmal in Serie und auch dann, wenn er eigentlich verlieren müsste. Man könnte schon fast von Meistersymptomen sprechen.

Obwohl die Favoritenrolle beim FC Basel bleibt, ist hiermit eine Berichtigung angesagt: «Der Trainer entscheidet die Meisterschaft» hiess es an dieser Stelle am 7. März – nach dem 1:3 des FCZ in Basel. Thorsten Fink, der siegessichere und selbstbewusste deutsche Titel-Garant, hatte seinem ungleichen Zürcher Branchenkollegen Urs Fischer eine Lektion erteilt.

Seither ist erstaunlich viel Wasser geflossen – sowohl den Rhein wie die Limmat hinunter. Seit vergangenem Wochenende kann der FCZ wieder aus eigener Kraft Meister werden. Der Dank gebührt den wackeren Grasshoppers – und Urs Fischers Einsicht. Seit der Mann mit der leicht antiquierten Frisur mit einem richtigen Torhüter spielen lässt, ist seine Defensive fast so sicher wie einst die Bank von England. Vier Tore hat sie in den letzten sechs Partien zugelassen. Zuvor waren es in 23 Spielen 33 gewesen.

Fischer, schon als Spieler ein Mann fürs Grobe und Rustikale, hat das Zürcher Spiel um eine entscheidende Dimension erweitert. Wo der Erfolg seit der Ära Favre fast ausschliesslich mit technischer Souplesse und Kurzpassspiel gesucht wurde, wird nun um jeden Grashalm gekämpft. Diese Qualität überbrückt selbst die grössten personellen Handicaps. Gegen YB fehlte Fischer die halbe Mannschaft. Auf dem Platz stand eine verstärkte Nachwuchsauswahl – Doyen war Goalie Johnny Leoni mit 26 Jahren.

Selbst wenn der Meisterpokal Ende Mai nach Basel gehen sollte, hat Urs Fischer einen Titel schon jetzt auf sicher. Er ist die Schweizer Trainer-Entdeckung der Saison – und der letzte echte Arbeiter im Zürcher Arbeiterklub.

Sehr geehrte Leser – was ist Ihre Meinung? Welcher Schweizer Trainer leistet momentan die beste Arbeit. Lucien Favre, der in Gladbach den schwerstmöglichen Job angenommen hat, die «Mission impossible» aber noch immer erfüllen kann? Marco Schällibaum, der mit dem FC Lugano praktisch schon aufgestiegen ist, Martin Rueda, der mit Lausanne-Sport ein europäisches Wunder möglich machte, Philippe Perret, der den FC Biel sensationell in den Cup-Halbfinal geführt hat – oder Urs Fischer?

Das Steilpass-Ranking der Schweizer Fussball-Trainer:

Hat der Schweizer Fussball ein Secondo-Problem?

Thomas Renggli am Montag den 18. April 2011


Im Frühling 2009 brach für Josip Drmic eine Welt zusammen. Zum zweiten Mal zeigten die gestrengen Einbürgerungsbehörden in Freienbach dem gebürtigen Kroaten die Rote Karte – obwohl der Eidgenosse in spe in der Schweiz aufgewachsen ist und akzentfrei «Züridüütsch» spricht. Mögliche Gründe: Drmic konnte die Schweizer Nationalhymne nicht rückwärtssingen und bekundete Mühe mit dem hohen C auf dem Alphorn.

Deshalb fiel der FCZ-Junior für die U-17-WM in Nigeria ausser Rang und Traktanden. Aus der Heimat musste er zuschauen, wie seine Kollegen die Konkurrenz schwindlig spielten und als erste Schweizer einen WM-Titel gewannen.

Mittlerweile besitzt Drmic den Schweizer Pass. Weltmeister darf er sich aber nicht nennen. Stellt sich die Frage, wie schlimm dies für die Fortsetzung seiner Karriere ist. Eine Auslegeordnung über den Karriereverlauf der Schweizer Junioren im «Sonntagsblick» dürfte ihn beruhigen. Die Himmelsstürmer von Nigeria landeten fast ausnahmslos auf dem Boden der Realität. Sie sind Ergänzungskräfte in der Super League (z.B. der Basler Granit Xhaka oder die Zürcher Rodriguez und Buff), träumen in der Challenge League von der Champions League (Gonçalves/Aarau, Mijatovic/Locarno), suchen den Erfolg in der Juniorenabteilung eines ausländischen Grossklubs (Seferovic/Fiorentina, Veseli/Manchester City) oder kommen allmählich zur Erkenntnis, dass es ein Fehler gewesen ist, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen (Ben Khalifa/Nürnberg).

Das Beispiel des Supertalentes Nassim Ben Khalifa zeigt, wie schwierig es ist, den richtigen Moment für den Schritt ins Ausland zu treffen. Nachträglich würden ihm wohl alle für ein weiteres Lehrjahr bei den Grasshoppers raten. Vor Jahresfrist standen aber andere Interessen im Vordergrund – diejenigen des Spielervermittlers, des Klubs und der Eltern. Gerade bei Junioren mit Migrationshintergrund löst diese Mischung nicht selten eine Kurzschlusshandlung aus. Aber wer will es ihnen verübeln? Es fällt sehr schwer nein zu sagen, wenn einem das Blaue vom Himmel versprochen wird und sich das Salär mit einer Unterschrift verzehnfachen lässt. Wer denkt dann noch an eine langfristige Karriereplanung?

15 der 21 Spieler aus dem Kader der siegreichen U-17-Auswahl haben ausländische Wurzeln – stammen (tendenziell) aus finanziell nicht überprivilegierten Familien. Es liegt auf der Hand, dass ein Auslandtransfer in diesem Umfeld eher forciert wird, als wenn die Eltern eine Villa an der Goldküste oder eine Yacht auf dem Genfersee besitzen. Nicht selten liegt die wirtschaftliche Zukunft einer ganzen Familie in den Füssen des Sohnes.

Das Schicksal der U-17-Weltmeister ist allerdings nur eine Momentaufnahme. Die meisten von ihnen sind erst 19 Jahre alt und noch mitten im sportlichen und sozialen Reifeprozess. Kennen Sie in der Privatwirtschaft einen 19-Jährigen in einer führenden Position?

Dany Ryser, Trainer der erfolgreichen Schweizer Junioren, sagt: «Je früher ein Spieler ins Ausland wechselt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich durchsetzt.»

Rysers Gedanke ist nachvollziehbar, aber nicht korrekt. Was ist mit Johan Djourou, Marco Padalino oder Gelson Fernandes? Sie gingen früh (oder sehr früh) ins Ausland und haben sich durchgesetzt.

Alle Wege führen nach Rom – und viele Wege führen zu einem internationalen Topklub. Trainer, Klubs, Berater und (vor allem) die Eltern stehen in der Verantwortung. Letztlich liegt die Wahrheit aber auf dem Platz. Und dort muss jeder junge Fussballer für sich selber entscheiden, wann und wo er sich wie viel zutrauen will. Da geht es ihnen nicht anders als vielen Gleichaltrigen, die auf dem Büro oder in einem Handwerksbetrieb arbeiten.

Sehr geehrte Leser. Was ist Ihre Meinung? Können Sie es nachvollziehen, wenn Fussballer schon im Juniorenalter den Schritt ins Ausland wagen – wenn sie zugunsten des kurzfristigen finanziellen Gewinns die vernünftige Karriereplanung über Bord werfen? Oder sollte man regulierende Massnahmen ergreifen? Beispielsweise ein Alterslimit für internationale Transfers?

Der FC Basel spielt Goalie-Roulette

Thomas Renggli am Samstag den 16. April 2011

Ist es purer Leichtsinn oder sichere Zukunftsplanung? Roulette oder Kapitalanlage? Personelles Vabanquespiel oder strategische Weitsicht?

Würden Sie einen Blue-chip im Portefeuille gegen eine risikoreiche Option tauschen – grosse Gewinnchancen hin oder her?

Vor diese Frage sahen sich die Verantwortlichen des FC Basel gestellt. Sollen sie auf der Torhüter-Position weiterhin auf den 30-jährigen Argentinier Franco Costanzo setzen – oder auf den acht Jahre jüngeren Schweizer Yann Sommer? Die sportliche Momentaufnahme liesse nur einen Schluss zu: Costanzo ist die klare Nummer 1 der Liga und massgebend dafür verantwortliche, dass sich der FCB nach Dreiviertel der Saison auf Meisterkurs befindet. Würde Costanzo das Trikot des FC Zürich tragen, die Hierarchie an der Spitze könnte anders aussehen.

Yann Sommer gilt als grösstes Schweizer Talent. Es spielte 2009/2010 eine überragende Saison bei den Grasshoppers und hat als Stammkeeper der U-21-Auswahl auch international tiefe Spuren hinterlassen. Neben dem Alter spricht das Preisleistungsverhältnis für ihn: Costanzo verdient pro Saison angeblich 1,4 Millionen Franken, Sommer einen Viertel davon.

Trotzdem sei die Frage an dieser Stelle erlaubt: Sparen die Basler nicht am falschen Ort? Läuft alles nach Drehbuch, spielen sie nächste Saison erneut in der Champions League – und haben zusätzliche Einnahmen von 25 Millionen Franken auf sicher. Ausserdem besitzen sie personelles Kapital (Stocker, Shaqiri), das auf dem Transfermarkt Millionenerträge abwerfen wird.

Die Halbwertszeit eines Torhüters dauert wesentlich länger als die eines Feldspielers. Costanzo könnte noch mindestens fünf Jahre auf höchstem Niveau spielen – und die Konkurrenz endgültig um den Verstand bringen. Ein Transfer in eine ausländische Topliga wäre (bei einer Vertragsverlängerung in Basel) wohl für immer vom Tisch. Sommer dagegen steht im Frühling seiner Karriere. Mit dem Abstecher zum FC Vaduz sind seine Ausland-Ambitionen kaum schon erfüllt.
Drei Szenarien sind denkbar:

  1. Yann Sommer wird seinem Talent von Beginn weg gerecht, erfüllt alle Erwartungen – erliegt dann aber früher oder später den Avancen aus dem Ausland.
  2. Sommer erweist sich als solider Super-League-Torhüter à la Leoni, Vailati oder Zibung, kann Costanzo aber nie vergessen machen.
  3. Sommer bezahlt Lehrgeld, erleidet auf europäischem Rasen eine schmerzhafte Bauchlandung und destabilisiert die FCB-Defensive auch auf heimischem Terrain.

Liebe Leser, wie hätten Sie entschieden? Costanzo oder Sommer? Teure Lebensversicherung? Günstigere Risikoalternative? Oder spielt es keine Rolle? Von der Richtigkeit der Basler Antwort hängen die künftigen Kräfteverhältnisse in der Super League ab.

PS: Eigentlich müsste der FCZ von der neuen Ausgangslage profitieren – und Costanzo auf die nächste Saison hin in den Letzigrund locken. Der «Yapi-Effekt» könnte in der Meisterschaft doch noch zum grossen Umbruch führen.