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Was beim FCZ alles falsch läuft

Thomas Renggli am Freitag den 1. Oktober 2010
Sitzt auf der Ersatzbank und stellt sich ins Schaufenster: FCZ-Präsident Ancillo Canepa.

Sitzt auf der Ersatzbank und stellt sich ins Schaufenster: FCZ-Präsident Ancillo Canepa.

Als Tabellendritter könnte der FC Zürich nach einem Viertel der Meisterschaft eine versöhnliche Zwischenbilanz ziehen. Er liegt nur einen Verlustpunkt hinter Double-Gewinner Basel und hat selbst den Leader Luzern in Griffnähe. Beim genaueren Hinschauen werfen die Zürcher Auftritte aber mehr Fragen auf als dass sie beantworten. Von einer gefestigten Organisation ist ebenso wenig zu sehen wie von einer intakten Leistungskultur. Dem Grossteil der Mannschaft fehlen die totale Hingabe und die Bereitschaft zur Selbstkritik – und Trainer Urs Fischer Konzept und Autorität.

Spätestens seit vergangenem Samstag und der Bruchlandung gegen Basel ist eine Verklärung der Situation unmöglich. Was die Zürcher gegen den Erzrivalen geboten haben, war erbärmlich. Sie schenkten den Gästen vier Tore, kamen (trotz einem Corner-Verhältnis von 11:0) kaum zu Abschlussgelegenheiten und verschafften sich nicht einmal dann sichtbare Vorteile, als der Gegner zu Neunt auf dem Platz stand.

Der selbsternannte Titelfavorit steht vor wegweisenden Wochen – mit den Partien gegen die Grasshoppers (am Sonntag), in Sion (23.10.) und Luzern (27.10). Schon das Derby wird zum Spiel der Wahrheit – «Crunch-Time» wie man im amerikanischen Sport sagt. Findet der FCZ nicht zu grösserer Konstanz und mehr Stilsicherheit, muss auf dem Letzigrund vieles hinterfragt werden – vor allem die Strategie und Kommunikation der Klubführung.

«Die Partie gegen Basel abhaken, im Derby vom nächsten Sonntag gegen GC die richtige Reaktion zeigen – und gewinnen», kommentierte Ludovic Magnin das Debakel gegen den FCB fast schon fahrlässig nonchalant. Gefordert wäre eine schonungslose und ehrliche Analyse. Schliesslich waren schon die Leistungen bei den glückhaften Siegen gegen GC, Xamax und Thun alles andere als zwingend. Hätten jeweils nicht die Schiedsrichter ein FCZ-Herz bewiesen, der zwölffache Meister befände sich schon jetzt in einer höchst ungemütlichen Lage.

Fehlen Konzept und Autorität: FCZ-Trainer Urs Fischer.

Fehlen Konzept und Autorität: FCZ-Trainer Urs Fischer.

Der Mannschaft fehlt eine klare Hierarchie. Trainer Fischer nimmt in seinen Personalentscheiden auf zu viele Interessen Rücksicht – und destabilisiert so immer wieder das Teamgefüge. Wie lässt sich erklären, dass er erfolgsverwöhnten und leistungsschwachen Grossverdienern (Magnin, Margairaz, Alphonse, Hassli) auf Kosten von frischen Nachwuchskräften immer wieder zu Spielgelegenheiten verhilft? Wie kann er es verantworten, an einem Torhüter (Guatelli) festzuhalten, der ein notorischer Unsicherheitsfaktor darstellt und dessen Abschläge mit erschütternder Regelmässigkeit beim Gegner landen?

Man wird den Verdacht nicht los, dass die Kompetenzverteilung im Zürcher Personalmanagement aus den Fugen geraten ist. Dabei ginge es anders. Am erfolgreichsten agierte der FCZ auf wie neben dem Platz, als die finanziellen Mittel beschränkt waren, Sportchef Bickel und Trainer Favre in einem permanenten (aber konstruktiven) Konflikt standen und der Präsident (Hotz) diskret im Hintergrund blieb. Heute präsentiert sich ein gegenteiliges Bild: Die Mannschaft ist so gross und teuer wie noch nie, der Trainer scheint im personellen Überangebot die Orientierung zu verlieren, der Präsident sitzt auf der Ersatzbank und stellt sich ins Schaufenster.

Es ist kaum anzunehmen, dass sich daran kurzfristig etwas ändert – zu wohl scheinen sich die Hauptdarsteller in ihren Rollen zu fühlen. Dabei liegen die Lösungsansätze für eine Bewältigung der aufkeimende Krise auf der Hand: Leoni ins Tor, Hassli zum FCB (es wäre fahrlässig, auf diese Million zu verzichten), Margairaz und Magnin auf die Bank, der Präsident auf die Tribüne – und eine sofortige Sperre bis zur Winterpause für jeden Klubangestellten, der die Wörter «Champions League» oder «Schweizer Meister» in den Mund nimmt.

Für unsere Nati kanns nur ein Sturm-Duo geben

Thomas Renggli am Mittwoch den 29. September 2010
Jubeln hoffentlich auch bald gemeinsam wieder für die Nati: FCB-Topstürmer Streller und Frei (r.).

Jubeln hoffentlich auch bald wieder gemeinsam für die Nati: FCB-Topstürmer Streller und Frei (r.).

«Fussball ist ein Spiel, bei dem 22 Spieler 90 Minuten lang einem Ball nachrennen und am Ende gewinnen immer die Deutschen.» Der Auftritt von Bayern München im St.Jakob-Park hat die legendären Worte des englischen Ex-Internationalen Gary Lineker mit schmerzvoller Deutlichkeit in Erinnerung gerufen. Für einmal ist die Adhoc-Analyse des Basler Trainers Thorsten Fink auch am Tag danach noch gültig: «Wir hatten Pech.»

So ärgerlich die Basler Niederlage gegen den deutschen Meister auch war, sie könnte für den Schweizer Fussball in diesem Herbst kurzfristig positive Signalwirkung haben – falls Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld in der 18. Minute genau hingeschaut hat. Es war der grosse Auftritt von Alex Frei – mit einem Schuss, der an die besten Zeiten des Nationalmannschafts-Captains im internationalen (Klub-)Fussball erinnerte. Dieser Treffer hätte mehr verdient als auf den Papierbergen der Uefa-Statistiken als Randnotiz zu landen.

Können im Umgang mit den Medien ganz charmant sein: Streller, Frei.

Können im Umgang mit den Medien ganz charmant sein: Streller, Frei.

Freis Abschluss war grossartig. Die Vorbereitung von Marco Streller war Weltklasse. Wie der schlaksige Stürmer seinem Partner den Ball mit dem Absatz auflegte, zeugte von blindem Verständnis, perfekter Intuition und einem Gefühl fürs Spiel, das auf diesem Tempo in der Schweiz ganz selten zu sehen ist. Vor allem machte die Entstehung des Treffers klar: Nur in Verbindung mit Marco Streller verkörpert Alex Frei noch jene Klasse, die er für sich in Anspruch nimmt. Der Rekordtorschütze braucht seinen kongenialen Nebenmann, um international noch Akzente setzen zu können.

Damit ist die Frage nach der einzig richtigen Sturmbesetzung der Schweizer Nationalmannschaft fürs kapitale EM-Qualifikationsspiel in Montenegro vom 8. Oktober vorzeitig beantwortet: Neben Frei muss Streller auflaufen. Wer ja sagt zu Frei, sagt auch ja zu Streller. Missverständnisse ausgeschlossen.

Streller und Frei kennen sich seit der Kindheit.

Vertraut: Streller und Frei kennen sich seit der Kindheit.

Und noch eine andere Personalie dürfte sich für Hitzfeld gestern Abend endgültig geklärt haben – diejenige von Xherdan Shaqiri. In dieser Verfassung ist die grösste Zukunftshoffnung im Schweizer Fussball schon ein Trumpf-Ass für die Gegenwart. Shaqiris Punch, die ansatzlosen Schüsse und explosiven Rushes brachten die Bayern-Defensive immer wieder in höchste Schwierigkeiten.

Und Hitzfeld kennt zweifellos auch das richtige Rezept, um den 18-jährigen Youngstar vom «Valentin-Stocker-Virus» zu befreien. Das permanente Lamentieren und Händeverwerfen nach jeder umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidung ist unnötig, unsympathisch und kontraproduktiv. Das müsste sich eigentlich schon bis an den Rhein herumgesprochen haben.

Streller hat Recht!

Thomas Renggli am Montag den 27. September 2010


Mit zwei Toren war Marco Streller der Matchwinner beim 4:1 des FC Basel in Zürich. Und trotzdem tobte der Nationalstürmer nach dem Spiel, dass im Letzigrund die Wände wackelten. Seine Wut galt der Leistung von Schiedsrichter Jérôme Laperrière, der in der letzten halben Stunde zwei Basler vom Platz gestellt hatte – zunächst Safari wegen einer angeblichen Tätlichkeit gegen Chermiti, dann Ferati nach wiederholtem Foulspiel. «Das ist lächerlich. Wenn Laperrière pfeift, gibts immer Probleme. Er ist ein Selbstdarsteller vor dem Herrn. Ich kann Urs Meier nicht verstehen, dass er in so einem brisanten Spiel so eine Besetzung wählt», sagte Streller jedem, der es hören wollte.

Sein Frust war nachvollziehbar. Die Szene, die zum Ausschluss Safaris führte, war höchst unglücklich: Nachdem die Basler den Ball aus dem Spiel spediert hatten, damit ein Zürcher gepflegt werden konnte, wollte FCZ-Mittelfeldspieler Margairaz den Gegner wieder in Ballbesitz bringen. Chermiti durchkreuzte den Fairplay-Gedanken, erlief sich den Ball und traf mit einem Schlenzer die Latte. Nun stürmte Safari auf Chermiti los. Nach einer leichten Berührung liess sich der FCZ-Tunesier theatralisch fallen. Laperrière zückte Rot – gegen Safari.

Es war eine Sanktion, die aufgrund der Reaktion des Linienrichters im Interpretationsspielraum des Schiedsrichters lag. Trotzdem hätte eigentlich Chermiti den Marschbefehl erhalten müssen – für seine doppelte Unsportlichkeit. Laperrières Fehlgriff in die Brusttasche, spiegelt zwei der grössten Schwächen vieler Schweizer Unparteiischer: ihr zuweilen ausufernder Geltungsdrang und das fehlende Fingerspitzengefühl. Dabei ist Laperrière kein Einzelfall, sondern das Produkt eines Systems, das auf Minderwertigkeitskomplexen, Missverständnissen und Argwohn zu beruhen scheint. Man wird den Verdacht nicht los, dass sich viele Schweizer Schiedsrichter notorisch ungerecht behandelt fühlen und dieses mentale Defizit mit einer übertriebenen Selbstdarstellung und einer unnötigen Arroganz kompensieren: Nase hoch, Brust raus, Widerspruch zwecklos. – Und Ober-Schiedsrichter Urs Meier macht gute Miene zum bösen Spiel.

Der Schlüssel, um diesen Missstand zu beheben, liegt in einer Akzeptanzsteigerung der Referees. Die Einführung des Profistatus ist über kurz oder lang unumgänglich – wie im Eishockey erfolgreich praktiziert. Dabei geht es nicht nur um die bessere Vorbereitung der Referees auf ihre Einsätze, sondern auch um den psychologischen Faktor: Urteile von einer professionellen Instanz werden automatisch schneller akzeptiert als solche von einem Feierabendfunktionär.

Das Imageproblem der Referees ist aber auch selbstgemacht. Das schlechte Beispiel liefert ausgerechnet Massimo Busacca, Schweizer Vorzeige-Ref und (angeblich) bester Schiedsrichter der Welt. Während der Tessiner in internationalen Spielen fast ausnahmslos souverän pfeift, erweckt er im heimischen Geschäft zuweilen den Eindruck, als betrachte er diese Aufgabe als lästige Pflicht. Dass er den YB-Fans vor Jahresfrist an einem Cupspiel in Baden den Mittelfinger zeigte, passte ins Bild. Busacca war auch der Hauptgrund, weshalb Laperrière in Zürich zum Zug kam. Der Tessiner hatte vor zwei Wochen in Thun den FCZ dermassen bevorteilt, dass er kurzfristig kaum mehr für eine Partie der Zürcher nominiert wird. – Übrigens: Laperrière war am Samstag schlecht, aber bei weitem nicht der schlechteste Mann auf dem Platz. Die «Auszeichnung» der goldenen Pfeife geht in corpore ans Zürcher Personal: Von A wie Alphonse bis Z wie Zouaghi.

Warum der FC Basel nicht Meister wird

Thomas Renggli am Freitag den 24. September 2010


Alex Frei & Co. könnten sich freuen. Morgen spielen sie gegen den FC Zürich. Seit 17 Spielen und dem 26. November 2006 sind die Bebbi gegen den Erzrivalen ungeschlagen – und ein Ende dieser Serie ist nicht absehbar. Denn unabhängig von Tagesform, Biorhythmus, Klimaerwärmung oder Platzbedingung, findet Basel gegen den FCZ immer einen Weg in die Erfolgsspur.

Und trotzdem besteht im Lager des Doublegewinners Anlass zur Sorge: der Champions-League-Fluch lastet wie ein dunkler Schatten über Thorsten Fink und seinen Mannen. Es ist ein Fluch, der den Schweizer Klubs seit 13 Jahren schwer zu schaffen macht, der schon in den nächsten zwei Monaten für eine Entscheidung in der Super League sorgen kann – zum Nachteil des FCB.

Dieser Einschätzung liegt weder notorische Schwarzmalerei noch der „Anti-Basel-Reflex“ zugrunde, sondern eine statistische Tatsache: Sechsmal (bis 2009) erreichte ein Schweizer Klub die Gruppenphase der Königsklasse – je zweimal GC und der FCB sowie je einmal Thun und der FCZ –, nur einmal (GC 1996) führte das danach nicht zum Verlust der Meisterschaft. Krassestes Beispiel ist der FC Zürich, der im Vorjahr im europäischen Millionen-Rausch zunächst die Orientierung und dann komplett den Boden unter den Füssen verlor.

In Basel akzentuieren sich die Zeichen, dass sich die Vergangenheit wiederholen wird. Die Doppelbelastung geht auch am ewigen Favoriten nicht spurlos vorbei. In der Super League bot er zuletzt grosse Angriffsflächen und gewann in 6 Spielen nur 6 Punkte. Und in der Champions League war der Besuch bei Cluj in Transsilvanien wie ein Schauermärchen.

Die Basler Achillesferse ist die Defensive. Die Innenverteidigung (Abraham, Cagdas) liess sich am Mittwoch von ein paar GC-Jünglingen schwindlig spielen. Aussenläufer Inkoom scheint gedanklich im Vaterschaftsurlaub, und im zentralen Mittelfeld kommt Benjamin Huggel derzeit fast immer einen Schritt zu spät. Abnützungserscheinungen? Der Zustand seiner Mannschaft muss bei Thorsten Fink vor dem Champions-League-Schlager gegen Bayern München vom Dienstag Albträume auslösen.

Freuen darf sich nicht nur der deutsche Meister, sondern auch die heimische Konkurrenz. Das Feld der Super League ist ausgeglichener denn je. Leader Luzern und den Siebten Bellinzona trennen nur fünf Punkte – und dahinter lauert mit GC die unberechenbarste Mannschaft der Liga. Der Druck auf den Meister wird bis im Dezember nicht abnehmen.

Basel verdient mit der Champions-League-Teilnahme mindestens 25 Millionen Schweizer Franken. Aber der sportliche Sieger dieses Europacup-Herbstes könnte paradoxerweise ein Schweizer Klub werden, der keine europäischen Perspektiven besitzt. Der FC Luzern, die dominierende Kraft der ersten Saisonphase? Oder vielleicht doch der FCZ, der noch grosses Steigerungspotenzial besitzt?

Keine Steuermillionen für den FC St. Gallen!

Thomas Renggli am Mittwoch den 22. September 2010
Habens immer noch lustig in ihren undurchschaubaren Konstrukten: Rainer Sigrist (Mitte), VR-Präsident der Betriebs AG AFG Arena, und Michael Hüppi (r.), VR-Präsident FC St. Gallen AG, hier mit Dölf Früh (l.), Vertreter einer privaten Investorengruppe.

Habens immer noch lustig in ihren undurchschaubaren Konstrukten: Rainer Sigrist (Mitte), VR-Präsident der Betriebs AG AFG Arena, und Michael Hüppi (r.), VR-Präsident FC St. Gallen AG, hier mit Dölf Früh (l.), Vertreter einer privaten Investorengruppe.

Grün ist die Farbe der Hoffnung. Das gilt auch in der Super League. Der FC St. Gallen hofft auf bessere Zeiten – sportlich, wirtschaftlich, atmosphärisch. Wer im schönsten Stadion des Landes spielt, sogar in der sportlichen Düsternis des Tabellenkellers durchschnittlich über 11‘000 Zuschauer anlockt und mindestens einmal pro Jahrhundert Meister wird, mag sich mit dem Mittelmass nicht zufriedengeben.

Der Zufall diktierte die Personalrekrutierung: FCSG-Trainer Uli Forte.

Der Zufall diktierte die Personalrekrutierung: FCSG-Trainer Uli Forte.

Zweifelsfrei besässen die Ostschweizer alle Voraussetzungen, um in der Super League langfristig eine Hauptrolle zu spielen. Besässen. Der Konjunktiv ist im Sport die Ausdrucksform der Verlierer und Versager. In St. Gallen spiegelt sich dies in einer Mannschaft, die schon beim Erreichen des Barrage-Platzes wunschlos glücklich sein muss. Dass man heute mit einem Sieg gegen YB den Anschluss ans Mittelfeld herstellen kann, ändert nichts. Zu viel Substanz wurde im Sommer auf dem Transfermarkt verloren, zu ungeschickt das spärliche Kapital investiert. Der Zufall diktierte die Personalrekrutierung. Wie sonst käme man auf die Idee, Leute wie Bakens, Calabro oder Martic zu verpflichten? Trainer Uli Forte, der als Mitglied der Sportkommission das letzte Wort hat, bewies kein glückliches Händchen.

Noch stärker als ein handlungsfähiger Sportchef wird in der AFG-Arena aber die wirtschaftliche Sicherheit vermisst. Im kaum durchschaubaren Konstrukt von drei Aktiengesellschaften (FC St. Gallen AG, Betriebs AG AFG Arena, Stadion AG) scheint sich das Geld in Luft aufzulösen. Zuletzt riss der 12 Mio. Franken teure Innenausbau der Arena, der mit Bankkrediten finanziert wurde, ein grosses Loch in die Kasse. Dem ältesten Schweizer Klub fehlen 16 Millionen Franken.

Schönstes Stadion der Schweiz: AFG Arena in St. Gallen.

Schönstes Stadion der Schweiz: AFG Arena in St. Gallen.

Die St. Galler rufen «SOS» – und stossen unter anderem bei den öffentlichen Instanzen auf offene Ohren. Stadt und Kanton wollen sechs Millionen Franken zum Rettungspaket für den maroden Fussballklub beisteuern. Das zeugt von politischem Sportgeist, wirft aber vor allem eine Frage auf: Weshalb soll der Steuerzahler für das Missmanagement von selbsternannten Visionären geradestehen?

Bliebe es bei einer einmaligen Unterstützungszahlung, könnte man im Sinne des sozialromantischen Gedankenguts und der kultivierten Halbzeit-Verpflegung ein Auge zudrücken. Doch angesichts des Ostschweizer Bratwurst-Managements ist zu befürchten: Nach der Betteltour ist vor der Betteltour. Ein radikaler Neuanfang mit all seinen Konsequenten wäre das kleinste Übel – und das einzig richtige Bekenntnis zur St. Galler Fussballkultur.

Bremst die Spielervermittler!

Thomas Renggli am Montag den 20. September 2010

Die Schweizer Klubs sorgen auf europäischem Parkett derzeit nicht nur für positive Schlagzeilen. Aus den jüngsten Niederlagen von Basel, YB und Lausanne aber gleich den generellen Leistungszerfall in der hiesigen Meisterschaft abzulesen, wäre verfehlt. Dass die Super League periodisch einen Substanzverlust zu beklagen hat, ist system- und strukturbedingt. Für Spieler mit ganz grossen Ambitionen bietet die Schweiz einen zu kleinen Rahmen. Daran lässt sich nichts ändern. Viel bedenklicher ist die künstliche Form der Talentvernichtung – durch dubiose Spielervermittler, selbsternannte Berater und umtriebige Personalagenten, die vor allem eine Taktik verfolgen: die Optimierung der eigenen Gewinnaussichten.

Nassim Ben Khalifa (18) und Haris Seferovic (18) sind zwei der begabtesten Jungprofis, die der Schweizer Klubfussball im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat. Sie waren im Herbst 2009 massgeblich am WM-Triumph der U17-Auswahl beteiligt. Sie besassen bei den Grasshoppers die hervorragende Option, in die erste Mannschaft hineinzuwachsen, sich auf A-Niveau zu etablieren und im Europacup Erfahrungen zu  sammeln. Beide hatten die Geduld nicht. Beide wählten den schnellen Abgang ins Ausland – Seferovic im vergangenen Winter nach Florenz, Ben Khalifa diesen Sommer nach Wolfsburg. Gelandet sind die Himmelstürmer am gleichen Ort: Auf der Tribüne. Wolfsburg ohne Ben Khalifa (nicht im Kader), Fiorentina ohne Seferovic (nicht im Aufgebot) hiess es an diesem Wochenende. Das gleiche Schicksal teilt Mario Gavranovic (20). Der Schweizer Junioreninternationale sorgte bei Xamax im vergangenen Herbst für Furore. Im Februar wechselte er zu Schalke. Nun darf er nur noch im Training aufs Tor schiessen. Im Match übernehmen dies Raul, Huntelaar, Edu oder Farfan. Unwesentlich besser geht es Pajtim Kasami in Palermo. Der 18-jährige Mittelfeldspieler erhält in der Serie A dann Auslauf, wenn die arrivierten Kräfte an Krücken gehen oder gesperrt sind. Am Sonntag gegen Inter sass er 90 Minuten auf der Ersatzbank.

Der Mechanismus bei Auslandtransfers von jungen Spielern ist simpel: Ein Agent wird bei den Grossklubs vorstellig, präsentiert sein «Portefeuille» und leistet beim Spieler und dessen Eltern Überzeugungsarbeit mit finanziellen Argumenten. Bei erfolgreichem Vertragsabschluss erhält er eine Provision oder einen Anteil am Spielerlohn. Dass die Berater nicht immer mit offenen Karten spielen,  ist Teil des Systems. Max Urscheler, Inhaber der Agentur «Goldkick», beteuerte im Zug des U17-Triumphs im Schweizer Fernsehen, dass er seinen jugendlichen Klienten rate, sich zuerst in der Super League zu etablieren. Gleichzeitig schickte «Mischler Max» einen Fax an diverse europäische Grossklubs, in dem er fast das gesamte Tafelsilber des Schweizer Fussballs anbot.

Die sportlichen Träume gehen im Ausland nicht automatisch in Erfüllung. Dies können Sandro Burki und Jonas Elmer bestätigen. Beide schlossen sich schon im Juniorenalter europäischen Grossklubs an – Burki Bayern München, Elmer Chelsea –, beide schafften es nie über den Status des Lehrlings hinaus. Im vergangenen Frühling stiegen sie mit dem FC Aarau in die Challenge League ab.

Joel Untersee liess sich von diesen Beispielen nicht abschrecken. Der 16-jährige Verteidiger des FC Zürich sprang vergangene Woche – trotz weiterlaufendem Vertrag – Hals über Kopf zu Juventus Turin ab. Der Winterthurer spielte seit vier Jahren beim Stadtklub und besass beste Aussichten auf eine baldige Bewährungschance bei den Profis. Nun sucht er sein Heil in Italien. Die Zürcher reagierten mit Bedauern: «Der FCZ hätte Untersee gerne selbst bis in die erste Mannschaft geführt und weiter ausgebildet», schrieben sie im Communiqué. Dass dem Klub gemäss Fifa-Reglement eine Entschädigung von 90‘000 Euro pro Ausbildungssaison zusteht, ist ein schwacher Trost. Denn betrüblich oft gibt es bei Geschäften mit minderjährigen Fussballern fast nur Verlierer – und bloss einen Gewinner: den Spieleragenten.

Die ärgerlichste Niederlage seit Marignano

Thomas Renggli am Donnerstag den 16. September 2010
Würde für seine gestrige Aussage von der deutschen Boulevardpresse geteert und gefedert: Thorsten Fink.

Würde für seine gestrige Aussage von der deutschen Boulevardpresse geteert und gefedert: Thorsten Fink.

Normalerweise ist es für einen Schweizer Klub schon ein Erfolg, in der Champions League dabei zu sein. Spieler und Trainer des FC Zürich beispielsweise erlebten im letzten Herbst Weihnachten und Ostern im Zweiwochen-Rhythmus, vergassen beim gegenseitigen Schulterklopfen aber, dass die Realität nicht Mailand und Madrid, sondern Bellinzona und Aarau heisst.

Dem FC Basel wird das in diesem Jahr nicht passieren – so die landläufig Meinung. Der Double-Gewinner besitzt nicht nur ein breites Kader und die internationale Erfahrung. Vor allem hat er einen Trainer (Thorsten Fink), der quasi die Personifizierung der deutschen Siegermentalität verkörpert. Das war zumindest bist am Mittwochabend in Cluj so.

Dann wurden Fink und Co. innerhalb von zwölf Minuten auf den Boden der europäischen Realität zurückgeholt – und die Vorfreude von Alex Frei («Ich will diese Champions-League-Spiele einfach geniessen») ad absurdum geführt. Am Schluss stand eine 1:2-Niederlage, die das grosse Kopfschütteln hinterliess. Der FCB war besser. Er besass die grösseren Spielanteile und ein klares Chancenplus. Er hätte dieses Spiel gewinnen müssen. Letztlich scheiterte er aber auch an der eigenen Arroganz und dem (zu) ausgeprägten Selbstvertrauen seines Trainers. Wer den Start zum bisher wichtigsten Rendez-vous der Saison im Tiefschlaf verbringt, war offenbar nicht bereit – oder schlecht eingestellt.

Die verpatzte Champions-League-Premiere der Basler in Transsilvanien ist eine ärgerlichsten und unnötigsten Schweizer Niederlagen seit der Schlacht von Marignano (1515). Was Fink danach zu sagen hatte, hinterlässt die grosse Ratlosigkeit: «Letztlich kann man mit der Leistung sogar zufrieden sein. Nur mit dem Resultat nicht.» – Für ein ähnliches Statement würde Christian Gross von der deutschen Boulevardpresse geteert und gefedert.

Ärgernis Kunstrasen

Thomas Renggli am Dienstag den 14. September 2010

In den neuen Schweizer Fussball-Arenen in Luzern, Thun oder Schaffhausen wird bald auf Kunstrasen gespielt. Eine Dummheit. Das zeigen auch zwei Beispiele, wo man zur Einsicht gekommen ist.

Der neue YB-Chef Ilja Kaenzig hat in den ersten Wochen seiner Berner Amtszeit nicht viel lachen: Zuerst die verpuffte Parforceleistung im Hinspiel der Champions-League-Qualifikation gegen die Tottenham Hotspurs, dann die ernüchternde Bilanz in der Meisterschaft (im Vergleich zum Vorjahr fehlen den Bernern 13 Punkte) und zuletzt der dramatische Zwischenfall von Abwehrchef Dudar. Trotzdem setzt Kaenzig in den Medien ein Zeichen, das für die Zukunft des Schweizer Fussballs von grosser Bedeutung sein kann – und für die meisten Spieler, Trainer und Fans ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk darstellt: „Die Rückkehr zum Naturasen steht auf unserer Traktandenliste ganz oben“, sagt der frühere Bundesliga-Manager (Leverkusen, Hannover) gegenüber der „NZZ am Sonntag“ zur infrastrukturellen Ausrichtung im Stade de Suisse.

Damit lanciert Kaenzig eine Diskussion neu, die je länger je mehr auf eine bürokratische Ebene abgeglitten ist – in der vor allem die ökonomischen und nicht die sportlichen Gedanken eine Rolle spielen. Sowohl in Bern als auch in Neuenburg beruhte der Entscheid zugunsten des Kunstrasens auf wirtschaftlichen Kriterien. Der Erwerb und die Installation einer künstlichen Unterlage kosten zwar rund dreimal mehr (ca. 1 Mio. Franken) als bei einem Naturrasen, aber in Sachen Pflege und Haltbarkeit zahlt sich die Investition aus. Im Zürcher Letzigrund betragen die Kosten für die Rasenerneuerung nach den U2-Konzerten 250‘000 Franken.

So wollen auch die Verantwortlichen in Luzern im neuen Stadion einen Kunstrasen ausrollen. Gleiches gilt für die neuen Arenen in Thun und Schaffhausen. Im Norden von Frankreich (Lorient, Nancy) hat man sich aus klimatischen Überlegungen für Plastikgras entschieden.

Sportlich läuft die Argumentation in die gegenteilige Richtung. Ausserhalb von Bern und Neuenburg bekennt sich momentan kaum ein Schweizer Fussballer zum Kunstrasen. Plastik mag als Trainingsunterlage im Winter eine hervorragende Alternative sein. Als echter Rasenersatz wird er sich in unseren Breitengraden aber nie durchsetzen – zu sehr verändert sich das Spiel auf der schnelleren und härteren Unterlage. Zu keimfrei und synthetisch wirkt das Geschehen aufs Publikum.

Der Zwiespalt kommt auch in der Haltung der Fifa zum Ausdruck. Der internationale Verband hat sich die Förderung des Kunstrasens zwar auf die Fahne geschrieben, dennoch musste er zurückbuchstabieren. Die vor Jahren geäusserte Absicht von Präsident Joseph S. Blatter, die WM 2010 in Südafrika auf Kunstrasen auszutragen, wurde stillschweigend auf dem Komposthaufen deponiert.

Selbst in der fussballerischen „Retorten-Hochburg“ von Red Bull Salzburg hat man das synthetische Zeitalter beendet. Seit diesem Sommer wird in der Mozartstadt wieder auf Naturrasen gespielt. Freuen tut dies den österreichischen Verband. Ab sofort kommt die Red Bull Arena wieder für Länderspiele in Frage.

Auch in der Schweiz muss man über die Bücher. Es kann nicht sein, dass die Super League die einzige ernstzunehmende Liga südlich des Polarkreises ist, in der das Plastikgras fast ebenso üppig spriesst wie der Naturrasen. In Zürich liegen sich die beiden A-Klubs schon auf Vorrat in den Haaren. FCZ-Boss Ancillo Canepa sagt: „Wir vom FCZ sind klar der Meinung, dass im neuen Stadion auf Naturrasen gespielt werden soll.“ GC-Verwaltungsratspräsident Urs Linsi, ein altgedienter Fifa-Funktionär, dagegen kontert: „Kunstrasen ist die Zukunft des Fussballs.“

Anders als in Bern ist diese Diskussion in Zürich allerdings von virtueller Natur. Bevor man über die Spielfeldunterlage diskutieren kann, braucht man ein Stadion. Und das wächst in der Zürcher Bürokratie bekanntlich noch langsamer als Kunstrasen.

Plädoyer für Leoni

Thomas Renggli am Montag den 13. September 2010


Der FCZ kann nach dem 3:1 in Thun der Fortsetzung der Meisterschaft gelassen entgegenblicken. Mit dem vierten Saisonsieg hat er sich in der Spitzengruppe etabliert. Wer den Match gesehen hat, dem wurde schnell klar: Die individuellen Leistungen deuten darauf hin, dass im Letzigrund eine vielversprechende Gruppe zusammenwächst. Die jugendlichen Aussenläufer Koch und Rodriquez bringen frischen Wind und Tempo ins Spiel, im zentralen Mittelfeld ist Kukuruzovic ein grosses Versprechen. Und im Sturm hat der Tunesier Amine Chermiti seine spielerische Klasse und läuferische Eleganz erstmals demonstriert. Mit zwei Assists und einem Tor war er der Machtwinner.

Und trotzdem sieht sich Trainer Urs Fischer mit einer grossen Baustelle konfrontiert – einer, die er selber geschaffen hat, die das neue Glück im Stadtklub akut gefährdet. Die Rede ist von der Torhüterposition. Aufgrund seiner WM-Teilnahme hat der langjährige Stammkeeper Johnny Leoni den Grossteil der Vorbereitung verpasst. Es war deshalb legitim, dass Andrea Guatelli, die stets loyale Nummer 2, zum Saisonbeginn den Vortritt erhielt. Spätestens nach dem Auftritt im Berner Oberland ist nun aber eine Situationsanalyse angesagt – und die kann nur zu einem Schluss führen: Guatelli – physische Präsenz hin, Ausstrahlung her – ist mehr Sicherheitsrisiko als Lebensversicherung.

Trotz seiner hünenhaften Gestalt (197 cm) offenbart er bei Standardsituationen und Flanken beängstigende Schwächen – eine Tatsache, die beim Stadtklub eigentlich bekannt sein müsste. Schliesslich hatte Guatelli schon zu Beginn der vergangenen Saison (als Leoni verletzt war) seine Chance erhalten. Nach dem verkorksten Meisterschaftsstart und dem Debakel im Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Maribor (mit Guatelli als tragisch-komischem Hauptdarsteller) zog der damalige Trainer Bernard Challandes aber die Notbremse und stellte die alte Torhüter-Hierarchie wieder her.

Fortschritte sind seither bei Guatelli nicht zu erkennen. Der Italiener schafft es kaum einmal, einen hohen Ball unter Kontrolle zu bringen, sondern interveniert praktisch immer mit den Fäusten. Das sorgt für unberechenbare Querschläger und verunmöglicht einen kultivierten Spielaufbau schon im Ansatz. Nicht Guatelli, sondern ein anderer italienischsprechender Wettkampfteilnehmer hielt die Zürcher in Thun auf Erfolgskurs – der deroutierte Schiedsrichter Massimo Busacca mit seinen kurzsichtigen Assistenten.


Guatelli patzt gegen Maribor.

Es ist aus FCZ-Sicht zu hoffen, dass Urs Fischer genauer hingeschaut hat als das Schiedsrichter-Trio. Dann wird er bis zum nächsten Meisterschaftstermin – am übernächsten Samstag zuhause gegen Basel – nicht darum herumkommen, die Goalie-Frage neu zu stellen. Dass Leoni mit seinen ständigen Abwanderungsgedanken auf dem Letzigrund Sympathien verloren hat, darf nicht das Hauptthema sein – auch nicht, dass er punkto Charisma im Schatten von Guatelli steht. Nur die sportlichen Fakten dürfen zählen: Und die sprechen eindeutig für Johnny Leoni.

Der 26-jährige Walliser ist der erfolgreichste FCZ-Goalie seit dem legendären Karl Grob. Er wurde dreimal Meister und gehörte in der vergangenen Rückrunde zu den wenigen Spielern der Mannschaft, die nicht komplett den Boden unter den Füssen verloren. Sein WM-Aufgebot war kein Zufall. Dass ihm nun in Zürich aber ausgerechnet der Abstecher nach Südafrika zum Verhängnis werden könnte, ist schon fast absurd und steht im krassen Widerspruch zum Leistungsgedanken, der im Spitzenfussball eigentlich gelten müsste.

Sforza sollte bei GC aufhören

Thomas Renggli am Freitag den 10. September 2010
Geniesst bei GC einen suboptimalen Rückhalt: Ciriaco Sforza.

Geniesst bei GC suboptimalen Rückhalt: Ciriaco Sforza.

Die Grasshoppers geniessen ein wettkampffreies Wochenende – nicht ganz freiwillig allerdings. Das Zürcher Gastspiel der irischen Rockband U2 lässt im Letzigrund keinen Platz für Triviales wie Super-League-Fussball. Trotzdem überraschte die Medienstelle des Rekordmeisters diese Woche mit einer Meldung von der Personalfront: «Wir haben uns in gegenseitigem Respekt vor der gemeinsamen Vergangenheit und in freundschaftlicher Verbundenheit entschieden, vorerst eigene Wege zu gehen.» Was wie die übliche Floskel nach der Entlassung eines führenden Angestellten tönt, hat diesmal einen anderen Hintergrund. Die Breaking-News betrifft die Beziehung von Cheftrainer Ciriaco Sforza und dessen Ehefrau Nicole. Wayne Rooney pflegt ähnliche Fälle weniger formell zu lösen.

Sforza am Scheideweg. Im Privaten – aber auch im Beruflichen. Denn bei den Grasshoppers gibts für ihn nichts mehr zu gewinnen. Hatte der Aargauer den darbenden Nobelklub in der vergangenen Saison trotz wirtschaftlichem Gegenwind, notorischem Personalengpass und Liebesentzug des eigenen Publikums sensationell auf den dritten Platz geführt, musste er diesen Sommer faktisch wieder von vorne anfangen. Das GC-Krisenmanagement lässt keine andere Wahl, als die hoffnungsvollsten Spieler jeweils sofort auf den Transfermarkt zu werfen. Ben Khalifa, Seferovic, Lulic und Zarate verliessen den Klub. Das spülte dem Generalbevollmächtigten Urs Linsi zwar geschätzte fünf Millionen Euro in die Kasse, hinterliess sportlich aber die grosse Leere. Nach sieben Runden stehen die Grasshoppers mit bloss sechs Punkten zu Buche – und angesichts der Spielplankonstellation (die hinter ihnen klassierten Teams aus Neuenburg und St. Gallen spielen gegeneinander) droht ihnen an diesem Wochenende sogar der Fall auf den Barrageplatz.

Sforza bleibt nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen: «Dieser Punkt ist Gold wert», sagte er nach dem biederen 1:1 in Bellinzona. Dass der Goldpreis derzeit über 40‘000 Franken pro Kilo liegt, ignorierte er tapfer.

Wichtiger Bestandteil von Sforzas Arbeit: Trösten der Nachwuchsspieler.

Wichtiger Bestandteil von Sforzas Arbeit: Trösten der Nachwuchsspieler.

Sforza steckt mit GC in der sportlichen Sackgasse – ohne grosse Perspektive auf einen baldigen Turnaround. Der verletzungsbedingte Ausfall von Captain Boris Smiljanic verschärft die Situation ebenso wie das knappe Scheitern in der Qualifikation zur Europa League. Dieser Wettbewerb hätte zwar nicht den grossen Geldregen ausgelöst, aber mit Einnahmen von circa fünf Millionen Franken wenigstens einen Teil des strukturellen Defizits gedeckt.

«Wir müssen langfristig planen», sagt Sportchef Georges Perego bei jeder Gelegenheit. Die Worte müssen in Sforzas Ohren wie Hohn und Spott klingen. Wie soll man langfristig planen, wenn die erste Mannschaft für den eigenen Nachwuchs zum Durchlauferhitzer im Sinne der finanziellen Symptombekämpfung verkommt? Diese Frage wird sich je länger je mehr auch Ciriaco Sforza stellen. Der Erfolgsmensch, der als Spieler mit Bayern München zweimal die Deutsche Meisterschaft, die Champions League und den Weltpokal gewonnen hat, dürfte früher oder später die Perspektivelosigkeit seiner Sisyphusarbeit eingestehen – und froh darüber sein, dass er einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit regulärer Kündigungsfrist besitzt.