Es wurde in den letzten Tagen in diesem Blog viel über Korruption, Falschspieler und Mauschelei diskutiert. Zu Recht. Die sportpolitischen Machtspiele der Verbandsoberen tauchen die ganze Szene in ein schiefes Licht. Die Faszination des Sports und die Leidenschaft der Fans können sie aber nicht zerstören. Die Fussballkultur lebt weiter, Blatter hin oder her. Im Folgenden eine Aufzählung von aufregenden Adressen auf der «Rückseite» der Fussball-Welt.
Nottingham. Das gibts nur in England. Ein zweifacher Meistercupsieger krebst in der Anonymität der Zweitklassigkeit umher – Nottingham Forest. Der Klub lockt regelmässig über 20‘000 Fans in den City-Ground und hat nach dem 2:0 gegen Ipswich Town Land in Sicht. Der Playoff-berechtigte 6. Platz ist nur zwei Punkte entfernt.
Berlin. Dynamo Berlin regierte den DDR-Fussball. Doch im Westen wartet man seit Jahrzehnten auf Neues. Hertha BSC Berlin gewann seine einzigen beiden Meistertitel in den Zwischenkriegsjahren (1930/1931). Seither hofft der Hauptstadtklub permanent auf bessere Zeiten – derzeit als Leader der zweiten Liga. Am Freitag sahen 40‘000 Fans das 2:0 gegen Greuther Fürth.
Madrid. Zugegeben – Atletico Madrid passt nur bedingt in diese Aufzählung. Neun Meistertitel und der Gewinn der Europa-League im vergangenen Frühling stehen für eine der erfolgreichsten Adressen im Land des Weltmeisters. Doch im Vincente-Calderon-Stadion, wo zu den Heimspielen stets über 40‘000 Fans kommen, stehen Anspruch und Wirklichkeit seit Jahrzehnten meist in einem krassen Widerspruch. 2000 stieg der Klub sogar ab. Und wer Real Madrid zum Stadtrivalen hat, ist quasi per definitionem der sympathische Underdog.
Neapel. Ob Camorra, Konkurs oder ein Vulkanausbruch, die Popularität der SSC Napoli kann nichts erschüttern. Der Klub steht für die Identität einer ganzen Region und den Widerstand des Südens gegen den Norden. Zweimal (1987/1990) gewann er den Titel. Maradona machte das Stadio San Paolo zu einem Wallfahrtsort. Nach turbulenten Jahren hat sich der Klub gefangen und wieder in der Spitzengruppe der Serie A etabliert. Am Montagabend empfängt er die AC Milan – Klassenkampf und emotionale Eruptionen garantiert.
Essen. Rotweiss Essen zählt zu den traditionsreichsten Klubs Deutschland. Doch im Hier und Jetzt haben die Fans in der grössten Stadt des Ruhrpotts wenig zu lachen. Dass das prominenteste Klubmitglied (Pelé) am Samstag seinen 70. Geburtstag feierte, ändert daran nichts. «Nordrhein-Westfalen-Liga» heisst die triste Wirklichkeit – die fünfthöchste Klasse im Land. Immerhin: Nach einem 2:0 gegen die Sportfreunde Siegen ist Rotweiss Tabellen-Leader.
Turin. Mit 27 Meistertiteln ist Juventus Turin italienischer Rekordmeister. Doch die Sympathien der Turiner gehören «Il Toro» – egal, ob der nun AC oder FC Torino heisst, gerade bankrott gegangen ist oder (wie jetzt) als 11. der Serie B im sportlichen Niemandsland gefangen ist. Im Stadio Comunale schlägt das Herz des Turnier Fussballs.
Salzburg. Die Sportvereinigung Austria Salzburg – einer der traditionsreichsten österreichischen Fussballklubs und 1994 im Uefa-Cup erst im Final von Inter Mailand gestoppt – wurde 2005 durch die Übernahme von Red Bull faktisch ausgelöscht. Die Fans hielten den Mythos am Leben und gründeten den Sportverein Austria Salzburg. Nach vier Meistertiteln hat es der Klub wieder bis in die dritthöchste Liga (Regionalliga West) geschafft. Momentan belegt er den 9. Platz.
Dresden. Der achtfache DDR-Meister Dynamo dümpelt in den Niederungen der dritten Liga umher. Trotzdem mobilisiert er die Massen. Durchschnittlich 18‘000 Fans kommen zu den Heimspielen des früheren Polizeiklubs. Am vergangenen Wochenende sahen 29‘300 Zuschauer das 2:2 gegen Hansa Rostock im Rudolf-Harbig-Stadion.
München. Mit seinen sportlichen Erfolgen und der wirtschaftlichen Sonderstellung überstrahlt der FC Bayern alles. Doch es gibt ein Leben jenseits der Fussball-Schickeria. Im Herzen eines echten Münchners wird es immer Platz haben für den TSV 1860 München. Die «Löwen» repräsentieren Arbeiterklasse und Volkskultur. Doch sportlich bringen sie in der zweiten Bundesliga keinen Fuss vor den anderen. Am Samstag kamen sie gegen den Tabellenletzten Arminia Bielefeld nicht über ein 0:0 hinaus – vor 20‘000 Zuschauern.
Winterthur. Seit der FCZ zum FC C(anepa) geworden ist, gibt es im Zürcher Profi-Fussball nur noch einen Ort, an dem Sozialromantiker wirklich auf ihre Rechnung kommen: Die Winterthurer Schützenwiese. Die Fan-Szene in der Bierkurve wäre bereit für den sportlichen Klassenkampf, und die angestaubte Arena böte die perfekte Kulisse für eine fussballerische Revolution. Leider bleiben die Kultivierung der Niederalge und das Schwärmen von vergangenen Zeiten derzeit der einzige Trost für die bittere Realität im Halbdunkeln der Challenge League.
Diese Auflistung stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Liebe Leser, welches ist Ihr bevorzugter Aussenseiter? Welches Ihr Tipp für eine Reise in die «Unterwelt» des Fussballs?