Autorenarchiv

Liebeserklärung an den Letzigrund

Steilpass-Redaktion am Dienstag den 11. Februar 2014
Letzi._cropped

0:2, 38 Zuschauer, keine GC-Stürmer in Sicht.
Nur ein Zwischenstand, es besteht noch Hoffnung

Nach meiner Hommage an das Brügglifeld wurde ich von selbst gebackenen Rüeblitorten und VIP-Einladungen an AKW-Besichtigungen nur so überhäuft. Das schönste Geschenk war aber der Presseausweis für das Spiel zwischen dem FC Aarau und meinem FCZ, in knapp 2 Wochen, der auch in der Spielergarderobe seine Gültigkeit behält! Der Medienverantwortliche beim FC Aarau, Remo Conoci, erlief meinen Steilpass und spielt ihn als Gastblogger mit einer Liebeserklärung an den Letzigrund zurück.
Sportliche Grüsse nach Aarau und besten Dank, Remo!
Simon Zimmerli

Immer wird geschimpft, der Letzi sei für leichte Athleten gebaut worden, aber sicher nicht für Fussball-Schwergewichte. Und dennoch sind Woche für Woche für viele Sektoren gar keine Tickets erhältlich. Die Nähe, die Wärme im Stadion gehen so weit, dass, wenn ein Tor fällt, man hier spontan mit dem Sitznachbarn abklatscht, selbst wenn man dafür ein paar Sektoren rutschen muss. Auf dem Weg zurück in den kuscheligen Sitz Nr. 48 in der idyllisch mittig gelegenen Reihe 15 empfiehlt sich ein kleiner Abstecher an den Burger-Stand ganz hinten auf der Terrasse in der Ecke des Sektors F. Ohne lange anstehen zu müssen, bekommt man seinen Hamburger, der, durch beide Handflächen gewärmt, ganz ordentlich schmeckt. Hier trifft man Menschen, und es entwickeln sich freundschaftliche Gespräche wie: «Wo sitzt du? – Im Sektor A. – Ach so, du bist das.» Und man weiss, hier ist man zu Hause, hier ist man nicht allein.

 

Ich schreite durch den gefühlt 500 Meter langen Gang vom Medienraum zum Spielfeldeingang. Ach was, ich flaniere. Links und rechts das stilvolle Nichts von farblos gehaltenen Wänden. Ich spüre das Leben und die Leidenschaft dahinter, auf dem aufgeschütteten Uetliberg, der quasi den Grenzstein bildet zwischen GC und FCZ, eine Linie, die hier quer durchs Stadion führt. Dann ein Zwischenruf des Speakers, vielleicht etwas unmotiviert «Foschini» aussprechend, wie es geschrieben wird. Es steht 1:2 gegen das Heimteam, wer mag es ihm verübeln. Ich habe die Fototasche vergessen, also zurück in den Medienraum, diesmal über die Alternativroute via Tribüne, Terrasse und Burger-Stand im Sektor F, wo es auch Bier gibt. 1,8 Kilometer mit 7 Metern Höhenunterschied, ich erwarte jeden Moment einen Hauptwegweiserstandort.

 

Das Spiel ist aus, das Eventparadies ist schnell verlassen, doch Parkieren im Letzipark erwies sich als eigentlicher Höhepunkt des Tages. 20 Franken kostet das Parkhausticket oder so viel wie zweieinhalb Burger im Sektor F. Wir fahren am Grinsen des Parkhauswächters vorbei, stellen fest, dass es bei den Verrichtungsboxen weiter oben deutlich mehr Zuschauer gibt als im Sektor A, und lassen uns in der 60er-Zone auf der A 1 bei Altstetten für 40 Franken ein Blitzbild anfertigen. Dann hat uns der Aargau wieder. Und mit uns drei Punkte. Merci Letzigrund, wir kommen gern wieder.

 

Remo Conoci

 

Darum gewinnt heute …

Steilpass-Redaktion am Samstag den 25. Mai 2013

Heute könnte der Abend sein, an dem der Weihnachtsmann noch das nachliefern könnte, was jeder, dessen Herz für Gelb-Schwarz schlägt, zuoberst auf dem Wunschzettel hatte: den Champions-League-Titel für Borussia Dortmund. Oder aber, er belohnt Philipp und Bastian dafür, dass sie die ganze Saison über so brav waren und ihre Kameraden via London, Turin und Barcelona nach Wembley geführt haben. Es gibt also gute Gründe, dass beide Mannschaften von einem Triumph im historischen deutschen Finale träumen können.


Hier sind – von Thomas Kobler – die besten Gründe,
warum der FC Bayern siegen wird:


Erstens: Bastian Schweinsteiger. Verletzungsfrei, enorm fit und in der Form seines Lebens war er ein Schlüsselfaktor für den bayrischen Durchmarsch zur deutschen Meisterschaft mit sagenhaften 25 Punkten Vorsprung auf den heutigen Finalgegner Dortmund. Perfekt ergänzt und unterstützt von Xavier Martínez lenkt Schweinsteiger das Bayern-Spiel aus der Schaltzentrale des modernen Fussballs – dem defensiven Mittelfeld – heraus. Sein Radius auf dem Feld ist einzig von der Spielfeldbegrenzung beschränkt, was aus ihm bei Bedarf letzter Mann oder Torschütze werden lässt. Kein anderer Mittelfeldspieler dominiert den Fussballplatz mehr im Moment.

Zweitens: Die Bayern-Bank. Jupp Heynckes kann fast seine ganze Startelf praktisch 1 : 1 ersetzen. Gomez und Pizzaro stehen hinter Mandzukic bereit. Shaqiri kann für Ribéry, Müller oder Robben eingewechselt werden. Luiz Gustavo könnte Martínez vertreten. Dante, Van Buyten oder Boateng sind die Qual der Wahl in der Innenverteidigung. Boateng könnte auch für Lahm einspringen und Lahm ist auch Alabas Position hinten links nicht fremd. Tom Starke ist als Nr. 2 im Tor beinahe eine Verschwendung. Und wie wichtig eine starke Bank ist, zeigte sich als Real im Viertelfinale Manchester United ab der 60. Minute mit frischen Kräften bezwang, darunter Modric, Kaká und Pepe.

Drittens: Redemption – Wiedergutmachung. Heute könnte der FC Bayern die 2:5-Klatsche gegen den BVB im letztjährigen DFB-Pokalfinale ausmerzen und die Niederlage vor Jahresfrist gegen den FC Chelsea im «Finale dahoam» vergessen machen – wenigstens fast. Darauf brennen die Münchner Spieler geradezu.


Und hier schreibt Fabian Ruch,
warum Borussia Dortmund am Ende ein Fass aufmacht:


Erstens: Robert Lewandowski. Der Pole ist zu einem der weltbesten Torjäger aufgestiegen, und die Bayern fürchten sich vor ihm. Lewandowski entschied letzte Saison den Pokalfinal (5:2) mit drei Toren, er traf als einziger im entscheidenden Ligaspiel in Dortmund, und er ist mit seiner Klasse, Torgefährlichkeit, Schlauheit auch am Samstag in der Lage, die Bayern-Defensive zu beschäftigen. Vor allem Münchens Innenverteidiger Jerome Boateng ist nicht aufmerksam genug für Lewandowski.

Zweitens: Jürgen Klopp. Natürlich haben die Bayern die besseren Einzelspieler, natürlich fehlt Dortmund der geniale Künstler Mario Götze. Aber: Jürgen Klopp ist nicht nur ein erstklassiger Trainer, wunderbarer Spielerversteher und fantastischer Taktiker, er ist vor allem auch ein sensationeller Motivator. Er wird seinen Akteuren zu verstehen geben, dass sie sich mit einem weiteren Erfolg gegen die Bayern unsterblich machen können.

Drittens: Lockerheit. Borussia Dortmund hat absolut nichts zu verlieren. Der gesamte Druck liegt auf den Schultern der Bayern, die zum dritten Mal in kurzer Zeit und nach 2010 und 2012 ein Champions-League-Endspiel verlieren könnten. Zudem sind die Dortmunder der Angstgegner Münchens. Auch das wird am Samstagabend eine entscheidende Rolle spielen.

Haben wir noch etwas übersehen, Sportsfreunde?

Die Abseitsregel gehört abgesetzt!

Steilpass-Redaktion am Mittwoch den 10. April 2013

Dortmund schafft dank einem Offsidetreffer zum 3:2 den Einzug in die Halbfinals der Champions League. Das ist falsch, aber trotzdem fair. Denn auch das 2:1 von Malaga war ein Tor im Abseits. Die Regel hat ausgedient, findet Newsnet-Sportredaktor Sebastian Rieder.

Wut? Verzweiflung? Oder einfach nur Ohnmacht? Die Gefühle der Malaguenõs nach dem Aus gegen den BVB im Viertelfinalrückspiel sind nur schwer in Worte zu fassen. Einfach zu beschreiben, sind die wohl verrücktesten 69 Sekunden der Fussballgeschichte. Wie Manchester United beim 2:1-Sieg von 1999 im Champions-League-Final gegen Bayern München gelingt Dortmund in der Nachspielzeit gegen Malaga die Sensation: Marco Reus besorgte den Ausgleich, ehe Santana im Offside die Spanier ins Elend stürzte. Malaga-Scheich Nasser al-Thani wittert eine Verschwörung: «Ich hoffe, es kommt zu Untersuchungen durch die Uefa, nachdem der spanische Club auf diese Art und Weise ausgeschieden ist. Das schadet dem Geist des Sports. Das hat mit Fussball nichts zu tun, das ist Rassismus – eindeutig.»


Das Wort Rassismus ist eine verbale Eruption der Emotionen, völlig deplatziert. Die Kritik ist aber angebracht, auch wenn sich der Clubbesitzer nicht beschweren darf. Denn Eliseu stand beim 2:1 von Malaga genau so klar im Abseits wie Santana beim Siegestreffer. Dass der Schiedsrichter und seine Assistenten gleich zweimal eine Offsideposition übersehen, ist eine Schande für den Fussball. Immer wieder proklamiert die Uefa und die Fifa das Fairplay, bei der Umsetzung des Reglements scheitern die Schiedsrichter aber jede Woche – in allen Ligen – von der Königsklasse bis zur Alternativliga.

Offensichtlich ist das menschliche Auge damit überfordert, Passabgabe und Position der Spieler auf Höhe des Abwehrriegels gleichzeitig zu erfassen. Entsprechend verärgert äusserte sich Malaga-Verteidiger Martin Demichelis: «Es ist unglaublich, dass fünf Schiedsrichter das nicht sehen. Was für ein Diebstahl!» Auch wenn er den illegalen Führungstreffer zum 2:1 verschweigt, hat er recht. Die Fehlentscheide wie beim BVB-Sieg verfälschten das Spiel massiv. Die englische Fussball-Legende Gary Lineker hat das Skandalspiel auch gesehen, und kann sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. «In Dortmund haben sie mit der Keine-Abseitsregel experimentiert.»

Die zynische Analyse müsste die Fifa zum Umdenken bewegen: Die Abseitsregel gehört abgesetzt! Verfechter der Regel argumentieren damit, dass weniger spielstarke Teams nach der Aufhebung dann nur noch mit hohe Bällen operieren. Gut möglich, aber wird das Spiel dadurch unattraktiv? Wohl kaum. Für die sturen Offsidebefürworter dürfte vielleicht dieser Vorschlag deutlich mehr Anklang finden: Die Absetzung der Abseitsregel innerhalb des Strafraums. Wer den entscheidenden Pass innerhalb der Strafraumgrenze schlägt, ist von der Abseitsregel befreit. Wäre diese Idee bereits im Reglement verankert, hätte zumindest das erste Offsidetor in Dortmund gezählt.

Sebastian Rieder ist Sportredaktor und Videojournalist bei Newsnet.

Grazie Cavaliere!

Steilpass-Redaktion am Donnerstag den 7. März 2013

Ein Gastblog von Vincenzo Capodici*

Silvio Berlusconi ist ein übler Zeitgenosse. Sein Aufstieg zum reichsten Unternehmer und lange Zeit mächtigsten Politiker Italiens gründet nicht zuletzt auf Tricks und Täuschungen, Betrug und Bestechung. Der Cavaliere müsste eigentlich längst hinter Gittern sitzen.

Trotzdem: Berlusconi verdient auch Lob und Anerkennung, weil er als Präsident der AC Milan viele Jahre ein bedeutender Förderer des spektakulären Fussballs war. Die Befreiung des Calcio aus seiner Langeweile ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Der kürzliche 2:0-Sieg im Hinspiel des CL-Achtelfinals gegen den scheinbar übermächtigen FC Barcelona erinnert an die Glanzzeiten von Milan. Dem Berlusconi-Club hat der Fan des attraktiven Fussballs denkwürdige Spiele und unvergessliche Momente zu verdanken.

Vor 27 Jahren hatte der damals aufstrebende Medienunternehmer die AC Milan gekauft. Böse Zungen behaupten, dass Berlusconi in seiner Jugend Inter-Fan gewesen war. Inter und Milan – das verträgt sich gar nicht. Von einem zum anderen Mailänder Grossklub überzulaufen, ist Hochverrat. Opportunisten wie Berlusconi ist dies allerdings ziemlich egal.

Wie dem auch sei: Berlusconi und Milan sollten bestens zusammenpassen. Der einst stolze Traditionsclub war beim Einstieg von Berlusconi sportlich nur noch Mittelmass und finanziell am Ende. Berlusconi sanierte Milan rasch und holte zwei der spannendsten Spieler der Achtzigerjahre, Ruud Gullit und Marco van Basten; Franco Baresi und den jungen Paolo Maldini hatte er bereits im Team. Vor allem traf der Milan-Präsident die visionäre Entscheidung, Arrigo Sacchi, einen unbekannten Trainer der Serie B, zu verpflichten.

Die Liaison von Sacchi und Berlusconi veränderte den italienischen Fussball zum Guten. Plötzlich gab es Offensivspektakel in der Serie A. Und ganz Europa schaute verblüfft und begeistert nach Italien. Mit taktischen Innovationen wie Pressing oder Zonendeckung entwickelte Sacchi seine Version des holländischen «Total Voetbal» – damit legte er die Grundlagen des zeitgenössischen Fussballspiels. Die Milan-Mannschaft von Sacchi bot vor allem im Meistercup 1988/89 berauschende Vorstellungen – in Erinnerung bleiben vor allem das 5:0 gegen Real Madrid im zweiten Halbfinalspiel und das 4:0 gegen Steaua Bukarest im Endspiel. Das war brillanter Fussball.

Auch die zweite grosse Milan-Ära der Berlusconi-Regentschaft begann mit einer eigenwilligen Trainerwahl. Der damalige Trainer-Neuling Fabio Capello predigte zwar eine defensivere Spielweise, formte aber um virtuose Spieler wie Dejan Savicevic eine Mannschaft, die für Furore sorgte. Capellos Milan gewann vier Scudetti und die Champions League der Saison 1993/94. Eine Meisterleistung gelang den Mailändern im Final, als sie das furchterregende Barcelona von Trainer Johan Cruyff und Stürmerstar Romario mit 4:0 demütigten.

Nach Sacchi (1986 bis 1991) und Capello (1991 bis 1996) war es Carlo Ancelotti (2001 bis 2009), der eine spielstarke und erfolgreiche Mannschaft formte. Diese Milan-Ära mit zwei Champions-League-Siegen (2002/03 und 2006/07) prägten grossartige Spieler wie Andrej Schewtschenko, Pippo Inzaghi, Kakà, Alessandro Nesta, Paolo Maldini (immer noch er), Clarence Seedorf und Andrea Pirlo.

Seit sechs Jahren sucht Milan Glanz und Grösse früherer Tage. Das neuste Team hat zwar eine sehr bescheidene Hinrunde hinter sich, kommt aber immer besser in Fahrt, wie auch der jüngste CL-Sieg gegen Barcelona zeigt. Und weil es ein flexibles Spielsystem pflegt und hochbegabte Spieler wie El Shaarawy und Mario Balotelli hat, wächst bei Milan wieder eine vielversprechende Mannschaft heran.

Fazit: Für Milan und den italienischen Fussball hat sich Berlusconi als Segen erwiesen – ganz anders als für die Politik. Wie viel der Cavaliere wirklich über Fussball weiss, ist bis heute nicht klar, obwohl er sich gerne in Taktik-Debatten einmischt und Ratschläge erteilt. Immerhin hat es der heutige Ehrenpräsident der AC verstanden, in der Milan-Chefetage fähige Leute um sich zu scharen. Bei der Trainerwahl hatte er oft den richtigen Riecher und für Spielereinkäufe das nötige Geld. Berlusconi ermöglichte Milan-Teams, die Spektakel boten und in die Geschichte des Fussballs eingingen. Berlusconi sei dafür gedankt, obwohl er ein übler Zeitgenosse ist. Grazie Cavaliere!

*Vincenzo Capodici ist Reporter bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Obwohl er Fan von Juventus Turin ist, musste er immer wieder anerkennen, dass Milan den besseren Fussball spielte.

Warum GC in Basel die nächste Schlappe kassiert

Steilpass-Redaktion am Samstag den 23. Februar 2013

Ein Gastblog von Florian A. Lehmann*


4:0, 6:3, 4:1 – das sind nicht etwa irgendwelche Resultate aus der 4. Liga, sondern das Skore der letzten drei Heimsiege des FC Basel gegen die Grasshoppers in der Super League. Am Sonntag hat die rot-blaue Offensivwelle die nächste Gelegenheit, die blau-weisse Maginot-Linie aus Niederhasli zu demütigen und mit einer gesegneten Packung über den Bözberg nach Hause zu schicken. Das Schlimme aus Zürcher Sicht: Es gab noch eine höhere Niederlage im schmucken Stadion St. Jakob an der Birs. Das 1:8 vom 12. September 2004 ist legendär und vor allem für GC-Anhänger noch gegenwärtig. Von «Ohrfeigen-Wetter für GC» schreibt das nationale Boulevardblatt im Hinblick auf den Schlager vom Sonntag. Kein Wunder, bekommen GC-Fans automatisch Kopfschmerzen, wenn sie einen Trip nach Basel unternehmen.

Wer auf die Absenzenliste der Hoppers schaut, ahnt Ungutes für die Mannschaft von Trainer Uli Forte, die ja erstaunlicherweise die Tabelle immer noch anführt. Captain Vero Salatic, die Seele des Teams, ist verletzt, der Walliser Abwehrturm Stéphane Grichtig ist gesperrt – das sieht aus Zürcher Sicht gar nicht gut aus. Und wenn der Schiedsrichter einen solchen Mist pfeift wie Herr Daniel Wermelinger bei seinem Abschied am 18. November 2012, dann kann GC-Keeper Roman Bürki noch so viele Penaltys halten, am Ende wird es bei ihm deftig einschlagen, um im Jargon der Maginot-Linie zu bleiben. Die Ausnahme bestätigt auch hier die Regel: Das 1:2 der Basler gegen die Zürcher am 6. März 2010 war eher ein Betriebsunfall und hielt den rot-blauen Fussball-Express nicht davon ab, wieder Champion zu werden.

Der Hauptgrund, dass sich der FCB auch am Sonntag klar durchsetzen wird, liegt nicht an der Statistik, sondern an der Stärke dieser Elf. Die Mannschaft ist mittlerweile wieder gut drauf, das hat sie gegen diesen ukrainischen Verein mit dem unaussprechlichen Namen bewiesen. Dass Alex Frei nicht mehr dabei ist, beflügelt die rot-blaue Harmonie sichtlich. Und selbst den Ausfall von Captain Marco Streller scheint die Fussball-Clique um Murat Yakin zu verkraften.

Wobei nun der Hauptgrund kommt, warum der FCB spätestens in zwei Wochen das überraschende GC von der Spitze verdrängen wird: der Trainer. Murat Yakin ist ein schlauer Fuchs. Und er bringt reichlich Erfahrung von einem Club mit, der vor gar nicht allzu langer Zeit grosse Erfolge feierte und die beste Mannschaft des Landes war – GC. Yakin verbrachte seine beste Zeit als Aktiver, als er das blau-weisse Dress trug und sogar in der Champions League überzeugend auftrat.

Ein Trost wird es morgen Abend nach Spielschluss aus Zürcher Sicht dennoch geben: Schlappe hin oder her – Entwicklungshilfe fängt östlich vom Bözberg an.

*Florian A. Lehmann ist Sportjournalist bei Tagesanzeiger.ch.

Wie ich GC-Fan wurde, Teil 2

Steilpass-Redaktion am Donnerstag den 21. Februar 2013

In unserer Serie «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schrieb Samuel Reber, wie er GC-Fan wurde. Seine Sympathie für die Grasshoppers hatte jedoch einen Grund: Sie verhalfen 1989 dem FC Luzern indirekt zum einzigen Meistertitel. Das konnte Tobias Meyer*, ein echter GC-Fan, nicht auf sich sitzen lassen.

Das Zürcher Derby am 5. Mai 1984. (Keystone/Str)

Ein Spiel, das in Erinnerung blieb: Das Zürcher Derby am 5. Mai 1984. (Keystone/Str)

Als Sohn von Pfadi-Eltern im fussballerischen Niemandsland des Zürcher Weinlandes war Fussball bei uns nie Thema – bis ein Familienfreund mir aus unbekanntem Motiv ein GC-Leibchen schenkte. Noch im Vorschulalter, war ich sofort fasziniert: symmetrisch und gegengleich blau und weiss nach dem Zürcher Wappen, das wir auf unserer Autonummer hatten? So cool. Ein Club der sich «Heugümper» nennt? Klasse.

In kindlicher Neugier brachte ich alsbald die Namen sämtlicher Spieler in Erfahrung und repetierte sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit (Kader 1983 – wer erinnert sich an Livio Zanetti?). Mein Vater hatte mir fortan, etwas widerwillig, jeden Montag die Resultate des vergangenen Spieltages samt Tabellenlage aus dem Sportteil der «Schaffhauser Nachrichten» vorzulesen, worauf ich jeweils ungeduldig wartete – an «FC Zürich – Grasshoppers 3:2» im Mai 1984 und das anschliessende Getobe erinnere ich mich noch lebhaft.

Platini live für 15 Franken: Ticket für das Juve-Spiel vom 7. November 1984. (Bild: grassmokers.ch)

Platini unter Trapattoni live für 15 Franken: Ticket für das Juve-Spiel vom 7. November 1984. (Bild: grassmokers.ch)

Ein besonderes Prozedere auch bei Meistercup-Spielen an Abenden unter der Woche: Weil ich längst vor dem Abpfiff im Bett war, schriebt die Mutter, mittlerweile wohlwollend desinteressiert, die Resultate an die Wandtafel in meinem Zimmer, so dass ich am Morgen beim Aufwachen sofort Bescheid wusste. Und so muss ich eines Morgens – ungläubig, da siegesgewiss – lesen: GC – Juventus 2:4.

Auch der erste Besuch im Hardturm ist eine bleibende Erinnerung – über einen Militärfreund meines Vaters erhielten wir Plätze auf der alten Haupttribüne, Gegner war Xamax: der Vater mühsam bemüht, die Buben einigermassen still zu halten; Heinz Hermann mit wehendem Haar und langen Schritten durchs Mittelfeld; Maurizio Jacobacci dribbelt uns an der Seitenlinie schwindlig; ein Mann in der Nähe brüllt stakkatomässig «Hopp GC, Hopp GC». (Erst viel später lerne ich, dass er ein Habitué ist und aufgrund seiner salvenartigen Ausrufe den Spitznamen «Maschinegwehr» trägt.) Das Spiel, dramatisch, endete 4:4.

Und weg war er: Heinz Hermann verliess GC für Xamax, wo er unter Gilbert Gress spielte. (Bild: Keystone, 5. Oktober 1988)

Und weg war er: Heinz Hermann verliess GC für Xamax, wo er unter Gilbert Gress spielte. (Bild: Keystone, 5. Oktober 1988)

Als Weihnachtsgeschenk einer Tante lag nun der «Sport» dreimal die Woche im Briefkasten; am Montag, Mittwoch und Freitag eilte ich jeweils von der Schule nach Hause, um vor dem Mittagessen mehr Zeit zur Lektüre zu haben. Heinz Hermann geht zu Xamax!? Eine Welt brach zusammen. Ein gewisser Mats Gren kommt aus Schweden und trifft im ersten Spiel gegen YB viermal? Euphorie!

Als Halbwüchsiger dann die ersten selbständigen Matchbesuche im Hardturm mit einer Gruppe Gleichgesinnter aus dem Dorf. HB, Tram Nummer 4 bis Station Hardturm, Estrade Ost – eine neue Welt tat sich auf: Bier; Schlachtgesänge («Der Meister vom See» – jeweils dann am Montag auf dem Schulweg grölend repetiert); Hooligans im Fanblock; die Dynamik der Masse. Wir sahen grosse und weniger grosse Spiele. (Ewigen Dank, Alain, für das Traumtor und die absolute Weltklasseleistung gegen die AS Roma (4:3 nach 0:2 Rückstand), aber was genau war im Cupfinal gegen Lugano (1:4) los?)

Verbannung in die Abstiegsrunde 1992 und die Erkenntnis: GC-Fan zu sein, ist charakterbildend. Nicht nur lehrt es, die Häme und Schadenfreude Dritter zu ignorieren. Es lehrt überdies, eine unpopuläre Minderheitsposition zu vertreten, mithin ein «Contrarian» zu sein; die blosse Erwähnung, GC-Fan zu sein, macht einen oft im Handumdrehen zur Persona non grata, evoziert zuweilen gar Hass – gerade in intellektuelleren Kreisen, welche sich gerne als «Fans» des «Arbeiterklubs» ausgeben und im Allgemeinen vorgeben, «Toleranz» gegenüber anderen Positionen hochzuhalten. So be it.

6:5 gegen den Stadtrivalen: Nunez bezwingt FCZ-Goalie Taini am Derby vom 3. März 2004. (Bild: Keystone)

6:5 gegen den Stadtrivalen: Nunez bezwingt FCZ-Goalie Taini am Derby vom 3. März 2004. (Bild: Keystone)

Apropos FCZ. Die Rivalität der beiden Klubs war in den Achtziger- und Neunzigerjahren kein prägendes Element (meines) GC-Fantums. Wohl schlicht, weil der FCZ in jenen Jahren keine bestimmende Rolle spielte (ausser in der Auf-/Abstiegsrunde gegen Schaffhausen im Letzigrund, wo Jogi Löws Freistoss an der Latte statt im Tor landete, was für den FCZ NLA und für Schaffhausen NLB bedeutete). Im Gegenteil, ich empfand für den FCZ, dessen Handvoll Fans und den damaligen Präsidenten eine Art Achtung. Dies änderte sich erst mit den Hipstern und anderen Modefans, welche den FCZ in den letzten zehn Jahren wie eine Plage befielen. Hierüber ist anderenorts zur Genüge geschrieben worden. Der Aufstieg des FCZ zu einem ernsthaften Rivalen macht die GC-Fanexistenz jedenfalls spannender. Man gewinnt lieber 6:5 nach hartem Kampf, als 6:0 bei Einbahnfussball (Resultate jetzt nur so als Beispiel).

Mit den Jahren hat sich die Fussballpassion etwas abgekühlt (zu den Gründen eine treffliche Analyse von Simon Kuper im «FT Magazine»), geblieben ist das Leiden mit und die Leidenschaft für die Grasshoppers. Im Ausland lebend, schätze ich die sechs Stunden Zeitverschiebung am Spieltag – die Anspannung ist verkürzt, in der Regel kenne ich den (in letzter Zeit zum Glück wieder öfters positiven) Matchausgang schon vor dem Lunch. Bei den periodischen Besuchen in der Schweiz gehe ich wann immer möglich in den Fanblock (obwohl an sich nicht mehr ganz meine Altersklasse), um «Hopp GC» in das halbleere Rund zu schleudern.

*Tobias Meyer lebt und arbeitet als Anwalt in den Vereinigten Staaten. Er spielt in einer Hobbymannschaft und glaubt bis heute, dass er es irgendwann einmal noch zu GC  ins «Eins» schafft.

Impotent durch Feminisierung

Steilpass-Redaktion am Mittwoch den 20. Februar 2013

Unter dem Motto «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schreiben verschiedene Autorinnen und Autoren über das, was sie an der populärsten Sportart der Welt stört – oder fasziniert. Bloggerin heute ist Michèle Binswanger*.

Fussball leidet anscheinend an «Penetrationsarmut»: Softie-Trainer Pep Guardiola an einer Pressekonferenz im Zürcher Kongresshaus, 7. Januar 2013. (Keystone/Walter Bieri).

Fussball leidet anscheinend an «Penetrationsarmut»: Softie-Trainer Pep Guardiola an einer Pressekonferenz im Zürcher Kongresshaus, 7. Januar 2013. (Keystone/Walter Bieri).

Es steht nicht gut um den Fussball. Jeder weiss, dass die Fifa korrupt ist, die Fussballer überbezahlt, die Hooligans Idioten und die ganz normalen Fans ganz einfach bemitleidenswert, weil die ganze Chose langweiliger wird, je mehr Geld drin steckt. Aber Gefahr droht nicht nur von aussen, der Feind lauert auch im Innern, im tiefsten Herzen des Fussballs, dort wo er gemacht wird: Auf dem Trainingsfeld. Dies behaupte nicht ich, sondern der Philosoph Wolfram Eilenberger, der die deutsche Fussballnation mit seiner These von der «Feminisierung des Fussballs» verstörte.

Eilenberger, Chefredakteur des «Philosophie Magazins» und Fussballfan, sah sich angesichts der Meldung über den Transfer von Trainer Josep Guardiola zum FC Bayern genötigt, in die Tasten zu greifen um die Fussballwelt vor drohender Verweiblichung zu warnen. Denn Guardiola ist zwar phänomenal erfolgreich, aber zu welchem Preis! Er hat, so Eilenbergs These, den Fussball sozusagen kastriert. Dies zeigt sich einerseits in der Person Guardiolas, denn der ist «ultimativ empathisch, taktisch genial, auf nachhaltige Jugendförderung setzend, stets bescheiden, intuitiv, edel und gut, ein asketischer Poet», also eigentlich eine Frau in Männerkleidern. Aber nicht nur das, er zwingt seine weibischen Eigenschaften auch den Spielern, ja dem Spiel auf, mit verheerenden Folgen. Und so sind im Fussball Guardiolascher Prägung kaum mehr «Physis, Kampf, Durchsetzungskraft, Distanzschüsse und Ichbezogenheit» zu sehen, sondern «kurze Pässe und kleinteilige Ballkontrolle» mit dem Resultat, dass der Fussball unter empfindlicher «Penetrationsarmut» leidet.

Warum das allerdings schlecht sein soll, verstehe ich nicht ganz. Ich dachte immer, Homosexualität sei auf dem Fussballfeld nicht gern gesehen. Aber im Kern ist Eilenbergers Botschaft klar: Die viel diskutierte These vom «Ende des Mannes» hat den Fussball erreicht. Und das heisst, in den Worten Eilenbergers: «permanentes Vorspiel ohne erkennbares Abschlussverlangen». Mit der drohenden Konsequenz, dass einem «ganzen Kontinent die Lust am Fussball» vergehen könnte. Ja, da hilft dann auch kein Viagra mehr.

Marco Streller weint sich an der Schulter von Daniel Gygax aus. (Foto: EPA/Bernd Thissen)

Marco Streller weint sich an der Schulter von Daniel Gygax aus, 26. Juni 2006. (Foto: EPA/Bernd Thissen)

Ich kann mitfühlen. Denn auch mir ist die Lust am Fussball vergangen und ich weiss auch noch genau, wann. Es war der 26. Juni 2006. Die Schweiz zeigte mal wieder eine Glanzleistung in «Penetrationsarmut» und Abschlussschwäche, sekundiert von einem dieser hilflosen SRF-Kommentatoren, die sich auch noch in der kläglichsten spielerischen Misere nicht zu blöd sind zu bemerken, wie gut die Schweizer doch eigentlich spielen und wie sehr sie das Tor doch eigentlich verdient hätten. Aber weil «eigentlich» im Fussball genau so wenig zählt wie «hätten» und «würden», fuhren die Schweizer gegen die Ukraine eine der beschämendsten Niederlagen ever ein, gekrönt von Marco Strellers spektakulärem Fehlschuss im Penaltyschiessen.

Ich sass derweil vor dem Fernseher und fragte mich, ob es sich so wohl anfühlt, wenn einem das Gehirn im Schädel vor Langeweile verfault. Zu oft musste ich das schon erleben. Und in diesem Moment der Wahrheit erkannte ich, dass es vielleicht ein bisschen an den Schweizer Fussballern liegt und auch ein bisschen an mir. Aber vor allem und in erster Linie am Spiel selbst: Fussball ist als Spiel dumm, langweilig, überbewertet. Dank Eilenberger weiss ich nun, dass dies vor allem an der Feminisierung liegt, die den Schweizer Fussball schon vor sieben Jahren impotent gemacht hat.

*Michèle Binswanger ist Autorin und Journalistin.

Warum mir die Freude am Fussball verging

Steilpass-Redaktion am Donnerstag den 14. Februar 2013

Unter dem Motto «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schreiben verschiedene Autorinnen und Autoren über das, was sie an der populärsten Sportart der Welt stört – oder fasziniert. Heute: Nina Merli*


Mein Sommer 1982 war legendär: Ich war knapp sieben Jahre alt, durfte bis spät am Abend wach bleiben und erst noch laut schreiend auf dem Sofa rumhüpfen – einen ganzen Monat lang. Denn es war WM und als Tochter eines Italieners hatte ich gar keine andere Wahl als jedes Mal mitzufiebern, wenn die Azzurri den Rasen betraten. Ich sah meinen Vater und seine Freunde weinen vor Freude und Paolo Rossi heilig sprechen.

Und auch nach diesem magischen 1982 – als Italien Deutschland im Finale mit 3:1 besiegte (tut mir leid, aber das muss ich an dieser Stelle einfach mal kurz in diesen Blogbeitrag einfliessen lassen) –, schlug mein Herz noch einige Jahre für die Italiener weiter, obwohl es ganze 24 Jahre dauerte, bis sie endlich wieder die begehrte Coppa nach Hause brachten. So fieberte auch ich 2006 noch mit und freute mich über den Sieg der Squadra Azzurra. Doch meine Freude am Fussball, die sich inzwischen komplett in Luft aufgelöst hat, hatte zu jenem Zeitpunkt schon arg nachgelassen. Aus verschiedenen Gründen. Ich werde versuchen zu erklären, wieso mich die Fussballwelt – leider – mittlerweile nur noch zutiefst deprimiert.

Mein erster Fussball-Dämpfer kam schon früh. 1985. Um genauer zu sein am 29. Mai 1985, als der FC Liverpool in Brüssel auf Juventus Turin traf. Was mehrere Stunden vor dem Spiel mit gegenseitigen Pöbeleien der Fans anfing, endete kurz vor Spielbeginn in der Katastrophe von Heysel – 39 Menschen, darunter auch Kinder, starben, mehrere Hundert wurden verletzt. Knapp zehn Jahre alt, sass ich ungläubig vor dem Fernseher und konnte nicht glauben, was ich da sah. Genau so wenig wie die Gewalt verstand ich, weshalb das Spiel am Ende doch noch angepfiffen wurde. Wieso weigerten sich die Fussballer nicht? Und wieso wollten die Fans dieses Spiel überhaupt noch sehen?

Mir kommt keine andere Sportart in den Sinn, die dermassen gewaltbereite Fans wie der Fussball hat. Sogar wenn sie einen Grund zum Feiern haben, kommen sie nicht darum herum, auf irgendeine Art und Weise andere fertig zu machen – sei es verbal oder körperlich. Warum, liebe Fussballfans, ist das so? Ich denke da zum Beispiel an die Meisterfeier des FC Zürich, als dieser 2009 zum zwölften Mal Schweizermeister wurde und die Fans bis früh in den Morgen im Zürcher Langstrassenquartier «feierten» – so freute sich ein ganz einfallsreicher Fan derart über den Sieg seines Clubs, dass er mein auf der Strasse parkiertes Velo mit Fusstritten traktierte, um am Ende noch genüsslich – entschuldigen Sie die Wortwahl – darüber zu pissen. Wow, it’s party time! Aufgehört hat er übrigens erst, als ich ihm aus meiner Wohnung aus dem 2. Stock aus ein dickes Buch auf seinen Hohlkopf knallte. Gewalt erzeugt nun mal Gewalt.

Doch den randalierenden Fans allein die Schuld an meiner Anti-Fussball-Haltung zu geben, wäre unfair. Denn auch Figuren wie Luciano Moggi haben dazu beigetragen, dass ich den sportlichen Gedanken beim Fussball nicht mehr erkennen kann. Ausgerechnet Moggi, der in Italien als der Fussballkenner und als Ziehvater einiger der grössten Kickertalente Italiens galt, wurde 2006 dank der «Gazzetta dello Sport» als Hauptakteuer des grössten Fussballskandals in der Geschichte Italiens entlarvt. Gekaufte Schieds- und Linienrichter, Mafia-Verstrickungen und Unsummen von Geld. Wo wir schon beim Thema Geld sind: Ist es gerechtfertigt, dass Top-Fussballer über zehn Millionen Euro im Jahr verdienen und dass sie bis zu 100 Millionen Euro Marktwert haben? Und auch die Fifa-Vergabe der WM 2018 und 2022 an Russland und Katar bestätigt, dass die Welt des Fussballs vor allem noch eins ist: käuflich.

Dieser Blog-Beitrag wird sehr vielen Fussballfans mit Sicherheit sauer aufstossen. Ich lasse mich aber gern eines Besseren belehren und bitte an dieser Stelle um einen Blog, der mir die Freude an diesem Sport wieder gibt. Der mich überzeugt, dass es sich immer noch lohnt mitzuleiden, über grandiose Pässe zu staunen, magische Tore immer und immer wieder auf Youtube anzuschauen und sich im freudigen Jubel zu umarmen, wenn der Schlusspfiff fällt. Denn darum geht es doch im Fussball.

*Nina Merli ist Reporterin bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet und leitet den Mamablog.

Modefans sind die wahren Fussballliebhaber

Steilpass-Redaktion am Dienstag den 12. Februar 2013

Unter dem Motto «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schreiben verschiedene Autorinnen und Autoren über das, was sie an der populärsten Sportart der Welt stört – oder fasziniert. Heute: Boris Müller*

Anziehungspunkt: Wenn der FCZ gewinnt, kommen die Fans. (Bild: Keystone)

Anziehungspunkt: Wenn der FCZ gewinnt, kommen die Fans. (Bild: Keystone)

Das Gekicke war unterirdisch, die Stimmung im Keller, die Temperaturen im Minusbereich und der FC Zürich schoss wieder einmal null Tore. Es war das letzte Züri-Spiel, das ich live über mich ergehen lassen musste – eine Mischung aus Solidarität und Mitgefühl trieb mich damals ins Stadion. Mein Erbarmen galt jedoch nicht etwa dem erbärmlich spielenden Verein. Nein, eine nette Kollegin musste etwas über die Südkurve schreiben, und ich begleitete sie.

Vor ein paar Jahren, als der FCZ unter Lucien Favre für Schweizer Verhältnisse tadellosen Fussball zeigte, war ich einige Male im Letzigrund. Wenn die Tore auf der richtigen Seite fallen sowie Alkohol- und Lärmpegel stimmen, dann kann so ein Fussballmatch durchaus unterhaltsam sein. Als sogenannter Modefan dem FCZ beim Siegen zuzuschauen war also ganz okay, nur Sitzplätze hätte ich mir damals gewünscht in der Südkurve – aber das ist ein anderes, furchtbar kontroverses Thema.

Der Begriff Modefan wird von hartgesottenen Supportern gerne für Menschen wie mich verwendet. Für Menschen also, die sich höchstens dann im Stadion zeigen, wenn die Sonne lacht und der Meistertitel winkt. Aber was diskreditierend gemeint ist, ist in Tat und Wahrheit als Auszeichnung zu verstehen. Schliesslich ist ein Modefan ein richtiger Connaisseur, ein Fussballgourmet, der sich mit Kenntnis und Sachverstand nur die qualitativ hochwertigen oder Spannung versprechenden Spiele rauspickt. Denn wie ein echter Musikliebhaber nicht regelmässig im Dorfpub langweiligen Coverbands lauscht oder ein Cineast ungern dauernd im falschen Film sitzt, sollte sich doch auch ein wahrer Fussballliebhaber nicht die ganze Zeit mediokre Spiele antun müssen. Aber genau dies tun jedes Wochenende Tausende. Warum nur?

Diskutiere ich diese Thematik mit Freunden des FCZ, betonen sie stets, sie hätten als echte Fans eben solidarisch zu sein. Gerade auch in schlechten Zeiten müssten sie ihre Clubtreue beweisen, mitleiden mit dem Verein, ihn unterstützen. Ein wahrer Fan könne nicht anders – wie rührend.

Es gibt durchaus einige Dinge, die man aus Solidarität und Mitgefühl machen kann oder muss: kranke Menschen im Spital besuchen, schlechte Kinderzeichnungen loben, Vegetarier werden oder eben Arbeitskollegen unterstützen. Aber einem streng marktwirtschaftlich geführten Verein, einem völlig abstrakten, seelenlosen Gebilde, Solidaritäts oder gar Schuldgefühle entgegenzubringen, ohne wirklich etwas dafür zu erhalten, scheint mir doch ziemlich bizarr.

Auch die Spieler geben in der Regel kaum Anlass, sie ins Herz zu schliessen. Taugen sie doch meist weder als Leistungs- noch als Sympathieträger. Ihr Handwerk beherrschen sie oft nur mittelmässig, zudem tragen sie affige Frisuren, zupfen ihre Brauen und wechseln ohne mit der Wimper zu zucken auch zum Lokalrivalen, wenn die Kohle stimmt.

Interessanterweise bedeutet nämlich den meisten Spielern Clubtreue, ganz im Gegensatz zu ihren Unterstützern, herzlich wenig. Der Verein ist der Arbeits- und Geldgeber, mehr nicht. Heute heisst er FCZ, morgen GC, übermorgen Basel. Wenn die Leistungen woanders besser sind, zieht man weiter und kommt vielleicht eines Tages auch wieder zurück. Warum sollte man das als Zuschauer denn nicht genau gleich handhaben?

Genaugenommen macht einen diese Praxis dann natürlich zum Modefan, der auch noch fremdgeht. Da holt man sich wenig Credibility-Punkte in der Kurve, aber was solls.

Auf alle Fälle ist das rigorose Einfordern von reiner Leistung nirgends angebrachter als im Passivsport. Ich sehe überhaupt kein Problem, den Verein des Herzens nach Lust und Laune zu wechseln. Denn mal ehrlich: Ein Fussballclub ist in der Unterhaltungsbranche tätig und muss für Unterhaltung sorgen, für nichts sonst. Und da ich, wie eben ausführlich erläutert, weder für den Club als Unternehmen noch für seine Angestellten echte Gefühle entwickeln kann und ich auch für lokalpatriotisches Geschwurbel enorm unempfänglich bin, bleibe ich bis auf weiteres zuhause. Und schaue mir Spiele des FC Barcelona an, die könnens wenigstens.

*Boris Müller ist Bildredaktor bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Vereinstreue ist ihm so wichtig wie den meisten Profifussballern.

Maradona bleibt trotz Messi der Grösste

Steilpass-Redaktion am Freitag den 8. Februar 2013

Unter dem Motto «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schreiben verschiedene Autorinnen und Autoren über das, was sie an der populärsten Sportart der Welt stört – oder fasziniert. Heute: Vincenzo Capodici*.

Auf den Höhepunkt: Diego Maradona stemmt nach dem Finalspiel der WM 1986 die Siegertropäe in die Höhe. (Bild: AFP)

Auf den Höhepunkt: Diego Maradona stemmt nach dem Finalspiel der WM 1986 die Siegertrophäe in die Höhe. (Bild: AFP)

Lionel Messi ist ein Fussballer der Superlative, ohne Zweifel. Mit dem FC Barcelona gewann er alles, was es zu gewinnen gibt. Obwohl erst 25 Jahre alt, ist er vierfacher Gewinner des Ballon d’Or. Und mit seinen 91 Toren im letzten Jahr hat sich «La Pulga» («Der Floh») unsterblich gemacht. Viele Experten und Fans sind der Ansicht, dass Messi der beste Fussballer aller Zeiten sei. Einspruch: Diego Maradona muss höher eingeschätzt werden als Messi.

Während Messi der geniale Vollstrecker eines perfekten Ensembles ist und von der Spielkunst seiner Teamkameraden Xavi und Iniesta profitiert, verkörperte Maradona magistral mehrere Rollen. Maradona war Spielmacher, Torschütze und Spiritus Rector von Mannschaften, die er praktisch im Alleingang zu unerwarteten Triumphen führte. Wie kein Spieler vor und nach ihm prägte Maradona eine WM – die WM 1986 in Mexiko. Das damalige Argentinien war solid, aber keine Übermannschaft, dank Maradona wurde es aber verdientermassen Weltmeister. Vier Jahre später, an der WM 1990 in Italien, ging Maradona mit einer biederen Mannschaft von Fussballhandwerkern ins Turnier – und erreichte den Final. Hier drängt sich ein Vergleich mit Messi auf: Bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 scheiterte Argentinien bereits in den Viertelfinals – und Messi blieb blass.

Messi brilliert nur, wenn hinter ihm ein starkes Team steht. Ganz anders Maradona: «El Pibe de Oro» («Der Goldjunge») war weniger als Messi auf hochbegabte Mitspieler angewiesen – er war selbst genial genug, um den Unterschied auszumachen. Nach dem WM-Sieg mit Argentinien führte Maradona praktisch im Alleingang die SSC Napoli zum allerersten italienischen Meistertitel der Vereinsgeschichte. Drei Jahre später, 1990, holte Neapel den zweiten «Scudetto». Notabene: Es war die Zeit der grossartigen Milan-Mannschaft von Franco Baresi, Paolo Maldini, Ruud Gullit und Marco van Basten. Dank Maradona gelang es Napoli, die Vormacht der norditalienischen Klubs Milan, Inter und Juventus zu brechen. Wäre Maradona nicht der Kokainsucht und dem Lotterleben verfallen, hätte er noch ein paar Jahre für Furore gesorgt – sowohl mit Argentinien als auch mit Napoli. Jedenfalls wird er dort zu Recht als Fussballgott verehrt.

Diesen Status wird Messi kaum erreichen.

Was fehlt Messi zum Maradona? Einerseits müsste er in der Lage sein, eine eher durchschnittliche Mannschaft, zum Beispiel Real Sociedad in Spanien, zum Erfolg zu führen. Andererseits sollte er dafür sorgen, dass Argentinien wieder einmal ein starkes WM-Turnier gelingt. Messi ist zugute zu halten, dass er noch jung ist und viele gute Jahre vor sich hat. Mit Argentinien dürfte er noch an mindestens zwei Weltmeisterschaften teilnehmen können. Falls Messi im nächsten Jahr oder 2018 oder gar 2022 – im Alter von 35 Jahren – doch noch Weltmeister werden sollte, rückt er Maradona entscheidend näher.

In der Zwischenzeit gilt die Einschätzung, die Messi selber über Maradona geäussert hat: «Auch in Millionen Jahren werde ich nicht nur annähernd wie Maradona sein. Und ich will mich gar nicht annähern. Denn er ist der Grösste aller Zeiten.» Selbst Messi verbeugt sich vor Maradona.

*Vincenzo Capodici ist Reporter bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Er hat Diego Maradona längst verziehen, dass Argentinien an der WM 1990 im Halbfinal die Squadra Azzurra aus dem Turnier warf.