In unserer Serie «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schrieb Samuel Reber, wie er GC-Fan wurde. Seine Sympathie für die Grasshoppers hatte jedoch einen Grund: Sie verhalfen 1989 dem FC Luzern indirekt zum einzigen Meistertitel. Das konnte Tobias Meyer*, ein echter GC-Fan, nicht auf sich sitzen lassen.

Ein Spiel, das in Erinnerung blieb: Das Zürcher Derby am 5. Mai 1984. (Keystone/Str)
Als Sohn von Pfadi-Eltern im fussballerischen Niemandsland des Zürcher Weinlandes war Fussball bei uns nie Thema – bis ein Familienfreund mir aus unbekanntem Motiv ein GC-Leibchen schenkte. Noch im Vorschulalter, war ich sofort fasziniert: symmetrisch und gegengleich blau und weiss nach dem Zürcher Wappen, das wir auf unserer Autonummer hatten? So cool. Ein Club der sich «Heugümper» nennt? Klasse.
In kindlicher Neugier brachte ich alsbald die Namen sämtlicher Spieler in Erfahrung und repetierte sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit (Kader 1983 – wer erinnert sich an Livio Zanetti?). Mein Vater hatte mir fortan, etwas widerwillig, jeden Montag die Resultate des vergangenen Spieltages samt Tabellenlage aus dem Sportteil der «Schaffhauser Nachrichten» vorzulesen, worauf ich jeweils ungeduldig wartete – an «FC Zürich – Grasshoppers 3:2» im Mai 1984 und das anschliessende Getobe erinnere ich mich noch lebhaft.

Platini unter Trapattoni live für 15 Franken: Ticket für das Juve-Spiel vom 7. November 1984. (Bild: grassmokers.ch)
Ein besonderes Prozedere auch bei Meistercup-Spielen an Abenden unter der Woche: Weil ich längst vor dem Abpfiff im Bett war, schriebt die Mutter, mittlerweile wohlwollend desinteressiert, die Resultate an die Wandtafel in meinem Zimmer, so dass ich am Morgen beim Aufwachen sofort Bescheid wusste. Und so muss ich eines Morgens – ungläubig, da siegesgewiss – lesen: GC – Juventus 2:4.
Auch der erste Besuch im Hardturm ist eine bleibende Erinnerung – über einen Militärfreund meines Vaters erhielten wir Plätze auf der alten Haupttribüne, Gegner war Xamax: der Vater mühsam bemüht, die Buben einigermassen still zu halten; Heinz Hermann mit wehendem Haar und langen Schritten durchs Mittelfeld; Maurizio Jacobacci dribbelt uns an der Seitenlinie schwindlig; ein Mann in der Nähe brüllt stakkatomässig «Hopp GC, Hopp GC». (Erst viel später lerne ich, dass er ein Habitué ist und aufgrund seiner salvenartigen Ausrufe den Spitznamen «Maschinegwehr» trägt.) Das Spiel, dramatisch, endete 4:4.

Und weg war er: Heinz Hermann verliess GC für Xamax, wo er unter Gilbert Gress spielte. (Bild: Keystone, 5. Oktober 1988)
Als Weihnachtsgeschenk einer Tante lag nun der «Sport» dreimal die Woche im Briefkasten; am Montag, Mittwoch und Freitag eilte ich jeweils von der Schule nach Hause, um vor dem Mittagessen mehr Zeit zur Lektüre zu haben. Heinz Hermann geht zu Xamax!? Eine Welt brach zusammen. Ein gewisser Mats Gren kommt aus Schweden und trifft im ersten Spiel gegen YB viermal? Euphorie!
Als Halbwüchsiger dann die ersten selbständigen Matchbesuche im Hardturm mit einer Gruppe Gleichgesinnter aus dem Dorf. HB, Tram Nummer 4 bis Station Hardturm, Estrade Ost – eine neue Welt tat sich auf: Bier; Schlachtgesänge («Der Meister vom See» – jeweils dann am Montag auf dem Schulweg grölend repetiert); Hooligans im Fanblock; die Dynamik der Masse. Wir sahen grosse und weniger grosse Spiele. (Ewigen Dank, Alain, für das Traumtor und die absolute Weltklasseleistung gegen die AS Roma (4:3 nach 0:2 Rückstand), aber was genau war im Cupfinal gegen Lugano (1:4) los?)
Verbannung in die Abstiegsrunde 1992 und die Erkenntnis: GC-Fan zu sein, ist charakterbildend. Nicht nur lehrt es, die Häme und Schadenfreude Dritter zu ignorieren. Es lehrt überdies, eine unpopuläre Minderheitsposition zu vertreten, mithin ein «Contrarian» zu sein; die blosse Erwähnung, GC-Fan zu sein, macht einen oft im Handumdrehen zur Persona non grata, evoziert zuweilen gar Hass – gerade in intellektuelleren Kreisen, welche sich gerne als «Fans» des «Arbeiterklubs» ausgeben und im Allgemeinen vorgeben, «Toleranz» gegenüber anderen Positionen hochzuhalten. So be it.

6:5 gegen den Stadtrivalen: Nunez bezwingt FCZ-Goalie Taini am Derby vom 3. März 2004. (Bild: Keystone)
Apropos FCZ. Die Rivalität der beiden Klubs war in den Achtziger- und Neunzigerjahren kein prägendes Element (meines) GC-Fantums. Wohl schlicht, weil der FCZ in jenen Jahren keine bestimmende Rolle spielte (ausser in der Auf-/Abstiegsrunde gegen Schaffhausen im Letzigrund, wo Jogi Löws Freistoss an der Latte statt im Tor landete, was für den FCZ NLA und für Schaffhausen NLB bedeutete). Im Gegenteil, ich empfand für den FCZ, dessen Handvoll Fans und den damaligen Präsidenten eine Art Achtung. Dies änderte sich erst mit den Hipstern und anderen Modefans, welche den FCZ in den letzten zehn Jahren wie eine Plage befielen. Hierüber ist anderenorts zur Genüge geschrieben worden. Der Aufstieg des FCZ zu einem ernsthaften Rivalen macht die GC-Fanexistenz jedenfalls spannender. Man gewinnt lieber 6:5 nach hartem Kampf, als 6:0 bei Einbahnfussball (Resultate jetzt nur so als Beispiel).
Mit den Jahren hat sich die Fussballpassion etwas abgekühlt (zu den Gründen eine treffliche Analyse von Simon Kuper im «FT Magazine»), geblieben ist das Leiden mit und die Leidenschaft für die Grasshoppers. Im Ausland lebend, schätze ich die sechs Stunden Zeitverschiebung am Spieltag – die Anspannung ist verkürzt, in der Regel kenne ich den (in letzter Zeit zum Glück wieder öfters positiven) Matchausgang schon vor dem Lunch. Bei den periodischen Besuchen in der Schweiz gehe ich wann immer möglich in den Fanblock (obwohl an sich nicht mehr ganz meine Altersklasse), um «Hopp GC» in das halbleere Rund zu schleudern.
*Tobias Meyer lebt und arbeitet als Anwalt in den Vereinigten Staaten. Er spielt in einer Hobbymannschaft und glaubt bis heute, dass er es irgendwann einmal noch zu GC ins «Eins» schafft.