
Wer hat ein Herz für Bälle? Ein Schweizer Nati-Spieler steht während des Trainings auf einem Ball, 9. Oktober. (Foto: Keystone)
Morgen geht’s los mit den Halbfinals! Und dann, FIIINNNAAALLLEEE – und dann! Ja, und dann was…? Was passiert mit uns, wenn wir uns abends nicht mehr über Jogis Pulli, Cristianos Frisur und Benis Halbweisheiten aufregen können? Wir fallen in ein tiefes Loch. Nach der EM ist vor dem Psychiater. Aber nicht nur für uns Menschen. Nein, auch Fussbälle können in eine Depression verfallen, wie mir mein lieber Freund, der Comedy-Veranstalter Danny Gundelfinger, mal bei einem Mittagessen scherzhaft erklärte.
Und wenn man sich es genau überlegt, haben Fussbälle tatsächlich alles, was es für einen richtigen Psycho-Absturz braucht. In ärmlichen Verhältnissen von Kinderhand erschaffen werden sie in Industrieländer verschleppt, um dort von überbezahlten Multimillionären getreten zu werden. In riesigen Stadien werden sie vor zigtausenden Zuschauern vor Ort und Abermillionen vor dem Fernsehen vorgeführt. «Du Scheiss-Teil, warum gehst du nicht rein» ist noch eine der freundlicheren Beschimpfungen, die sich ein Ball während dem Match anhören muss. Und kaum wird er nicht mehr gebraucht, wird ihm die Luft rausgelassen.
Wären die Bälle etwa Menschen oder Tieren, so hätten Amnesty International oder PETA längst eingegriffen. Aber Bälle haben eben keine Lobby, kein Ort, wo sie sich Hilfe holen können. Oder doch? Vielleicht gibt es einen geheimen Ort, wo sich alte, abgenutzte und depressive Bälle treffen. Eine Art Selbsthilfegruppe der AB (Anonymen Bälle). Und so könnte die Vorstellungsrunde dort aussehen:
Zuerst meldet sich ein alter, zerquetschter Fussball zu Wort: «Hallo zusammen, ich bin Freddy der Fussball und ich habe eine gespaltene Persönlichkeit. Ich weiss nicht, ob ich im Tor war oder nicht.» Freddy ist der 1966-Wembley-Final-Ball. Als nächstes spricht ein kleines, weisses Ding: «Hallo zusammen, ich bin Gerry der Golfball und ich wurde von Tiger Woods unsittlich berührt.» Ein mitleidiges Raunen geht durch die Runde, die weiblichen Bälle nuscheln empört. Da bricht es plötzlich aus einem gelben Filzball heraus: «Hallo zusammen, ich bin Teddy der Tennisball und ich musste trotz Gras-Allergie in Wimbledon arbeiten.» «Eine Sauerei», findet Maggy, die früher mal als Massage-Ball bei der Unia tätig war. Und schon klagt der Nächste sein Leid: «Hallo zusammen, ich bin Barry der Basketball, ich bin zu dick für den Korb und muss darum hier mal etwas Luft ablassen.» Der Gruppenleiter reicht ihm die Nadel und mahnt: «Aber nicht, dass du dich wieder nur ritzt! Du musst einmal richtig reinstechen.» Dann meldet sich etwas, das aussieht wie ein Ball, aber keiner ist: «Hallo zusammen, ich bin Kelly die Kugel und ich bin eine Niete.» Kelly war Kugel bei Benissimo.
Und ganz zum Schluss öffnet sich nochmals ein ganz übel aussehender Fussball gegenüber der AB-Gruppe. Leise sagt er: «Hallo zusammen. Ich bin Eddy, der EM-Ball der Schweizer Nati. Ich fühle mich so nutzlos und ungebraucht.»