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Depressive Bälle

Stefan Büsser am Dienstag den 26. Juni 2012
Ein Spieler steht auf einem Ball am Sonntag, 9. Oktober 2011 in Jona, anlaesslich des Trainings der Fussball Nationalmannschaft. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)

Wer hat ein Herz für Bälle? Ein Schweizer Nati-Spieler steht während des Trainings auf einem Ball, 9. Oktober. (Foto: Keystone)

Morgen geht’s los mit den Halbfinals! Und dann, FIIINNNAAALLLEEE – und dann! Ja, und dann was…? Was passiert mit uns, wenn wir uns abends nicht mehr über Jogis Pulli, Cristianos Frisur und Benis Halbweisheiten aufregen können? Wir fallen in ein tiefes Loch. Nach der EM ist vor dem Psychiater. Aber nicht nur für uns Menschen. Nein, auch Fussbälle können in eine Depression verfallen, wie mir mein lieber Freund, der Comedy-Veranstalter Danny Gundelfinger, mal bei einem Mittagessen scherzhaft erklärte.

Und wenn man sich es genau überlegt, haben Fussbälle tatsächlich alles, was es für einen richtigen Psycho-Absturz braucht. In ärmlichen Verhältnissen von Kinderhand erschaffen werden sie in Industrieländer verschleppt, um dort von überbezahlten Multimillionären getreten zu werden. In riesigen Stadien werden sie vor zigtausenden Zuschauern vor Ort und Abermillionen vor dem Fernsehen vorgeführt. «Du Scheiss-Teil, warum gehst du nicht rein» ist noch eine der freundlicheren Beschimpfungen, die sich ein Ball während dem Match anhören muss. Und kaum wird er nicht mehr gebraucht, wird ihm die Luft rausgelassen.

Wären die Bälle etwa Menschen oder Tieren, so hätten Amnesty International oder PETA längst eingegriffen. Aber Bälle haben eben keine Lobby, kein Ort, wo sie sich Hilfe holen können. Oder doch? Vielleicht gibt es einen geheimen Ort, wo sich alte, abgenutzte und depressive Bälle treffen. Eine Art Selbsthilfegruppe der AB (Anonymen Bälle). Und so könnte die Vorstellungsrunde dort aussehen:

Zuerst meldet sich ein alter, zerquetschter Fussball zu Wort: «Hallo zusammen, ich bin Freddy der Fussball und ich habe eine gespaltene Persönlichkeit. Ich weiss nicht, ob ich im Tor war oder nicht.» Freddy ist der 1966-Wembley-Final-Ball. Als nächstes spricht ein kleines, weisses Ding: «Hallo zusammen, ich bin Gerry der Golfball und ich wurde von Tiger Woods unsittlich berührt.» Ein mitleidiges Raunen geht durch die Runde, die weiblichen Bälle nuscheln empört. Da bricht es plötzlich aus einem gelben Filzball heraus: «Hallo zusammen, ich bin Teddy der Tennisball und ich musste trotz Gras-Allergie in Wimbledon arbeiten.» «Eine Sauerei», findet Maggy, die früher mal als Massage-Ball bei der Unia tätig war. Und schon klagt der Nächste sein Leid: «Hallo zusammen, ich bin Barry der Basketball, ich bin zu dick für den Korb und muss darum hier mal etwas Luft ablassen.» Der Gruppenleiter reicht ihm die Nadel und mahnt: «Aber nicht, dass du dich wieder nur ritzt! Du musst einmal richtig reinstechen.» Dann meldet sich etwas, das aussieht wie ein Ball, aber keiner ist: «Hallo zusammen, ich bin Kelly die Kugel und ich bin eine Niete.» Kelly war Kugel bei Benissimo.

Und ganz zum Schluss öffnet sich nochmals ein ganz übel aussehender Fussball gegenüber der AB-Gruppe. Leise sagt er: «Hallo zusammen. Ich bin Eddy, der EM-Ball der Schweizer Nati. Ich fühle mich so nutzlos und ungebraucht.»

Schaust du noch oder tippst du schon?

Stefan Büsser am Mittwoch den 20. Juni 2012
Verwandtschaft auf den ersten Blick: Mesut Özil und Eveline Widmer-Schlumpf. (Bilder: Keystone)

Verwandtschaft auf den ersten Blick: Mesut Özil und Eveline Widmer-Schlumpf. (Bilder: Keystone)

Mangels Schweizer Beteiligung sucht sich der hiesige Fussballfan ohne Migrationshintergrund eine alternative Mannschaft aus. Ich habe ich mich für Deutschland entschieden, wie ich das schon seit Jahren mache. Wer seinen Nervenkitzel nicht nur auf eine Mannschaft begrenzen möchte, dem empfehle ich, in ein Tippspiel einzusteigen.

Plötzlich wird nicht nur jeder Match, nein, sogar jedes Tor – ach, was sage ich – jede Minute zum Spektakel! Man hofft nicht nur auf Sieg oder Niederlage, man hat ja auf die Anzahl Tore gewettet. Wer nicht auf ein Zu-Null tippt, der fiebert also automatisch mit beiden Mannschaften auf dem Platz. Dabei muss es nicht einmal um Geld gehen, den meisten reicht es schon, im Büro mit gewonnen Punkten angeben zu können. Wir bei Radio Energy tippen via egli-gress.ch und an der Spitze der Tabelle steht eine Frau, die ein Hockey-Saison-Abo hat. Eine Schmach für viele Hobby-Experten in unserem Team, ganz besonders für den Fussballchef einer national bekannten Zeitung, der auch bei uns mitmacht und den ich hier nicht namentlich blamieren möchte.

Vergangenes Wochenende habe ich bei den Grossen mitgetippt. Nebst Sportjournalisten war auch YB-Boss Ilja Känzig mit von der Partie (meinen Hinweis während des Schweden-Spiels, dass man im gelben Trikot ja doch Tore schiessen könne, hat er mit Humor genommen). Unter diesen Profis wird nicht nur auf Tore gesetzt, sondern auch auf folgende Faktoren gewettet:

  • Wie lautet der Halbzeit-Stand?
  • Wie viele gelbe und rote Karten gibt es?
  • Gibt es ein Kopfball-Tor?
  • In der wievielten Minute fällt das letzte Tor?
  • Wie lautet die Summe der Rückennummern aller Torschützen?
  • Wird jemand auf der Bahre rausgetragen oder nicht?

Wem das immer noch nicht nicht reicht, für den habe ich ein paar spassige Faktoren mehr ausgedacht:

  • Auf welche Seite wird Ronaldo seine Haare im Viertelfinal gegen Tschechien kämmen?
  • Wie viele Sätze wird Lukas Podolski im Interview nach dem Griechenland-Spiel verständlich formulieren?
  • Wie viele Minuten werden die italienischen Spieler insgesamt simulierend auf dem Feld rumliegen?
  • Wie viele Wochen nach dem 0-Punkte-Aus der Holländer lässt sich Sylvie van der Vaart von ihrem Loser-Mann scheiden?
  • Und zum Schluss – Augen auf! Ich wette, dass Mesut Özil der uneheliche Sohn von Evelyne Widmer-Schlumpf ist.

Stefan Büsser, 27, ist Comedian und Moderator beim Radiosender Energy Zürich.

Orakel, Orakel – wer ist der Sieger im EM-Land?

Stefan Büsser am Donnerstag den 14. Juni 2012
Ein Rüssel für Polen: Elefantendame Citta beim Tippen. (Bild: Carl de Souza, AFP)

Ein Rüssel für Polen: Elefantendame Citta beim Tippen. (Bild: Carl de Souza, AFP)

Wenn Fussball-Experte Paul das noch erleben könnte! Sie wissen, welchen Fussball-Experten-Paul ich meine? Natürlich nicht Breitner und schon gar nicht RTL-EM-Experte Bachelor Paul. Nein, ich meine den Kraken Paul. Der Maradona unter den Tier-Orakeln, der Godfather of Tipp-Spiel – DAS Original! Krake Paul war 2010 das WM-Wunder im Sea Life Center Oberhausen und erlangte als sogenanntes Okrakel internationale Berühmtheit. Er sah in acht von acht Spielen das richtige Resultat voraus und hat heute zurecht ein Denkmal. Am 26. Oktober 2010 ertrank Paul friedlich im Schlaf.

Das Orakel ist tot – es lebe das Orakel! Kaum war Paul in die ewigen Meeresgründe abgetaucht, riefen Zoos und Medien weltweit seine Nachfolger aus.

An der diesjährigen EM tippen unter anderem:

  • Die Elefantendame Citta, die im Zoo Krakau für Polen orakelt.
  • Der Eber Funtik, 380-Kilo-Koloss und Orakel der Ukraine.
  • Die Heuschrecke Kassandra, die zweifelhafte Expertin des sonst so seriösen «Handelsblatt Deutschland».
  • Die Dackel-Dame Heidi, neben Bachelor Paul für RTL im Einsatz. Beide orakeln auf Augenhöhe, finde ich.
  • Die Kuh Yvonne, das renitente Rindvieh, das sich wochenlang nicht einfangen liess, tippt für Deutschland via «Bild»-Zeitung. Nachdem sie zum Start eine Deutschland-Niederlage getippt hatte, wurde sie als dumme Kuh beschimpft und man ferndiagnostizierte sogar Rinderwahn.
  • In der Schweiz schicken die Kollegen von Blick.ch ihre süssen Hasen – nicht zu verwechseln mit dem Star des Tages – ins Rennen. Diese arbeiten allerdings nur bei schönem Wetter. Erinnert ein wenig an die Schönwetter-Fussballer in unserer Nati.

So wie Justin Bieber nie der neue Michael Jackson werden kann, so werden auch diese Orakel niemals dem Pulpo Paul das Aquarium-Wasser reichen können. Deshalb haben andere Länder längst auf Tier-Orakel verzichtet und vertrauen auf altbewährte Vorhersagen. In Portugal orakelt man den Spielstand weiterhin daran, wie Ronaldo seine Frisur in der zweiten Halbzeit trägt. Die Griechen fragen bei Angela Merkel nach, was sie tippen sollen und lassen sich den Wetteinsatz von der Europäischen Zentralbank bezahlen. In Russland delegiert Wladimir Putin das Tippen an Medwedew, um ihn später als Tipp-Chef wieder abzusetzen und doch selber zu entscheiden. Die Spanier setzen beim Tippen aus und machen stattdessen eine Siesta.

In Italien wird übrigens komplett aufs Orakeln verzichtet. Da fragt man das Schlussresultat traditionell im Wettbüro nach.

Stefan Büsser, 27, ist Comedian und Moderator beim Radiosender Energy Zürich.

Fussballer bashen statt Phrasen dreschen

Stefan Büsser am Mittwoch den 6. Juni 2012
König der Phrasendrescher: Lothar Matthäus, hier mit seiner ukrainischen Ex Liliana.

König der Phrasendrescher: Lothar Matthäus, hier mit seiner ukrainischen Ex Liliana.

Endlich! König Fussball regiert wieder. Das Runde muss wieder ins Eckige. Ein Spiel dauert 90 Minuten, und Abseits ist, wenn der Schiri pfeift. Wo Experten Kolumnen schreiben, da sind die abgedroschenen Phrasen nicht weit. Nicht so hier! Denn wer mich als Experten sieht, der glaubt auch, dass Wayne Rooney ein genialer Dichter sei. Wenn es um Fussball geht, siegt bei mir das Herz über den Verstand. Und mein Herz schlägt – wie immer wenn die Schweiz nicht dabei ist – auch an dieser EM für Deutschland.

Der Verstand würde ja sagen: Wo so viele Bayern-Spieler mitkicken, liegt maximal der Vize-Titel drin. Das wollte ich auch mit meiner Schwiegermutter in spe – einer gebürtigen Deutschen – diskutieren. Leider hält sie alle Fussballer für Buben, deren Coming-out noch bevorsteht. «So wie die sich an den Shirts reissen und ihre Frisur ihnen wichtiger als jeder Kopfball ist», versuchte sie mir diese Theorie zu erklären. Und genau so will ich Ihnen diese EM von einer anderen Seite näherbringen.

Statt Phrasen dreschen lieber Fussballer bashen. Oder anders gesagt: Während drei Wochen schreibe ich für Sie so, dass es auch die Zuschauer von Heidi Klums Topmodel-Show oder vom Bachelor begeistern wird. Der Bachelor hat übrigens auch eine EM-Kolumne – bei RTL natürlich! Laut RTL soll es in «Pauls Fussball-Flirt» um Themen rund um das Fussball-Fest gehen, «die Frauen besonders interessieren». Besonders an Frauen interessiert ist übrigens mein Lieblings-Fussball-Experte: Lothar Matthäus. Der ehemalige deutsche Nationalspieler, der alle Frauen abkriegt, die für Carl Hirschmann zu alt geworden sind, sieht seine Heimat übrigens nicht als EM-Favorit. Aber wie floskelte er schon Anfang 2000 in schönstem Englisch: «I hope we have a little bit lucky.»

Stefan Büsser, 27, ist Comedian und Moderator beim Radiosender Energy Zürich.