
Aston-Villa-Spieler Thomas Hitzlsperger (r.) im Zweikampf mit Tottenham-Spieler Helder Postiga, 23. November 2003. (Keystone/Sean Dempsey)
Meine erste Erinnerung an Thomas Hitzlsperger ist, dass alle im Stadion von Aston Villa immer «Shoot!» riefen, wenn der Mittelfeldspieler mit dem gewaltigen Schuss irgendwo in der gegnerischen Platzhälfte an den Ball kam. Über das, was Hitzlsperger so treibt, wenn er nicht auf dem Platz steht, habe ich mir nie Gedanken gemacht. Und es interessiert mich auch jetzt nicht wirklich.
Was mich dennoch irritiert, ist Folgendes: Es gibt tatsächlich Leute, die nach dem Coming-out des früheren deutschen Nationalspielers angerannt kommen und sagen: «Dass der Hitzlsperger schwul ist, das hab ich immer gewusst.» Und dann würde ich gern fragen: «Erwartest du jetzt eine Packung Kekse oder eine Tafel Schokolade als Belohnung dafür, dass du es keinem verraten hast? Und hast du es seinen Bewegungen angesehen oder doch seiner Nasenspitze?» Das ist ein Benehmen wie beim Täterraten anlässlich des Sonntagskrimis. Und das «Verbrechen» lautet Homosexualität. Auch wenn es schon x-mal gesagt wurde, sage ich es nochmal: Es ist ziemlich beschämend für alle, die den Fussball lieben, dass es noch immer so eine Kuriosität ist, wenn ein Mann, der mit dem runden Leder besser umgehen kann als wir Theoretiker, andere Männer begehrt, sie liebt, küsst und mit ihnen schläft.
Unabhängig davon hat Hitzlsperger meinen grössten Respekt dafür, dass er sich diesem ganzen Wirbel aufhalst, weil er etwas gegen die latent homophobe Haltung der Fussballgemeinde tun will. Nur glaube ich nicht daran, dass sich nun irgendetwas ändern wird. Reinhard Rauball, der Präsident der Deutschen Fussball-Liga (DFL), hat leider recht, wenn er sagt, dass die Reaktionen weiterhin schwer kalkulierbar wären, sollte es zum Coming-out eines noch aktiven Fussballers kommen. Da hilft es auch nichts, dass Hitzlsperger sogar ein Lob von der Bundesregierung bekommen hat. Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fussball-Bunds, sicherte dem nun offiziell Homosexuellen derweil «jede erdenkliche Unterstützung» zu. Und das – obwohl sicher gut gemeint – klingt so, als leide Hitzlsperger an einer Art schwer heilbaren Krankheit, die verhindert, dass er künftig normal lebt.
Keiner von all jenen, die sich aus irgendeinem Grund zu diesem Thema äussern mussten, scheint zu wissen, wie er sich aus der Affäre ziehen soll. Was man auch sagt, es wirkt seltsam. Warum, frage ich mich, sind Fussballer und überhaupt Sportler im Gegensatz zu Musikern, Schauspielern, Eiskunstläufern oder SRF-Moderatoren eine Sonderspezies, die von dumm bis angeberisch alles sein dürfen, nur eben nicht homosexuell? Ich käme nie auf die Idee, einen Fussballer «Schwuchtel» oder «Tunte» zu nennen, nur weil er lieber Männer als Frauen mag. Gegen ein gepflegtes «Wichser» oder «Vollwichser» für einen, der Tore gegen den FCZ schiesst, habe ich aber nichts einzuwenden. Ob der Empfänger der Schmähung nun hetero- oder homosexuell ist, spielt dabei keine Rolle.