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Auf ein Bier mit dem Enfant terrible des Schweizer Fussballs

Simon Zimmerli am Freitag den 28. März 2014
«Ich bin ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt»: Carlos Varela im Dress des FC Köniz. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

«Ich bin ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt»: Carlos Varela im Dress des FC Köniz. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

Ich treffe Carlos Varela auf dem Juchhof in Zürich-Altstetten. An einem Unort für einen Fussballer seiner Klasse. Und zu einer Unzeit. Während ich mit Varela spreche, läuft nämlich die zweite Halbzeit des Erstliga-Spitzenspieles zwischen YF Juventus und dem FC Köniz. Varela, im Gespräch bescheiden und herzlich, schaut immer wieder besorgt auf das Spielfeld. Doch die frühere Super-League-Attraktion fürchtet, dass YF Juventus verkürzt und alles noch einmal zu wackeln beginnt. In der Nachspielzeit fällt tatsächlich der Anschlusstreffer für den Gegner und Varela verschwindet alleine in der Kabine, um den Schlusspfiff herbeizusehnen.

Carlos, du hast das 1:0 vorbereitet und das 2:0 selbst erzielt. Du bist auch mit 36 Jahren noch der auffälligste Spieler, hast aber Ermüdungserscheinungen gezeigt. Bist du deshalb nicht zur zweiten Halbzeit angetreten?

Nein, ich habe Rückenprobleme. Ermüdungserscheinungen habe ich in den Spielen der 1. Liga Promotion kaum. Ich respektiere das Niveau hier, aber es ist natürlich nicht derselbe Rhythmus wie in der Super League. Ich kann mir durch meine Erfahrung die Kräfte besser einteilen und muss nicht jedem Ball hinterherrennen.

Nach einer halben Stunde wurdest du gefoult, worauf dich die Fans von YF Juventus provozierten. Zwei Minuten später erzielst du mit einer herrlichen Direktabnahme das 2:0 und bekommst anschliessend die Gelbe Karte, weil du während deines Torjubels schnurstracks auf die YF-Fans zuliefst und sie beleidigt hast. Du pendelst immer noch zwischen Genie und Wahnsinn.

Ach was, ich lief zum Präsidenten und seiner Frau, die sich auch dort aufhielten.

Ich stand ja gleich daneben…

Es ist einfach so, dass auch die Erstligaschiedsrichter von meinem Image des unbelehrbaren Provokateurs beeinflusst werden und oft gegen mich pfeifen.

Dein Image kommt ja nicht von ungefähr. Du hast in der Super League über 100 Gelbe Karten gesammelt und warst, wenn man alles zusammenzählt, eine ganze Saison lang gesperrt.

Ich habe 15 Jahre lang in der Super League Fussball gespielt und habe in all den Jahren nur zwei direkte rote Karten erhalten. 100 Verwarnungen in 400 Spielen – das ist eine Gelbe Karte in jedem vierten Spiel. Wow.

Trotzdem, hättest du mit deinem Talent nicht eine grössere Karriere einschlagen können, wenn du deine Emotionen besser unter Kontrolle gehabt hättest?

Meine Emotionen, das ist Herzblut. Ich will den Menschen, die ins Stadion kommen, und dem Verein, der mir meinen Lohn bezahlt, etwas zurückgeben. Natürlich will ich auch den Sieg, denn dann habe ich meinen Job gemacht. Ich habe mit meinen Clubs in der Schweiz immer vorne mitgespielt, wurde mehrmals Schweizer Meister und Cupsieger und habe in der Champions League gespielt. Es gab einfach keinen Grund, wegzugehen. Mir wurden ständig Verträge zwischen zwei und fünf Jahren angeboten und ich habe mich stets für die langfristigen Offerten entschieden. Das entspricht meinem Naturell. Ich habe mir immer überlegt, was passieren könnte, wenn ich eine Familie habe und dann plötzlich nicht mehr Fussball spielen kann. Meine Frau ist da anders. Sie nervt sich manchmal über mein Sicherheitsdenken, aber so bin ich halt.

Du wärst auch beinahe Nati-Spieler geworden.

Ja, Enzo Trossero wollte mich unbedingt. Wenn du dich erinnern kannst, sie hatten damals keinen schnellen Spieler auf der Seite. Ich spielte bei Basel und mein Trainer Christian Gross hat den gesamten Papierkrieg für meine Einbürgerung erledigt. Trossero war dann aber bereits nach ein paar Monaten weg und ich habe das Einbürgerungsverfahren gestoppt.

Nach dem Cupspiel gegen GC vor einem halben Jahr habe ich dich mit deiner Tochter auf dem Arm als fürsorglichen Familienvater erlebt. Ist deine Familie heute nicht hier?

Nein, wir haben vor einem Monat unsere zweite Tochter bekommen und selbst an den Heimpartien in Köniz muss derzeit die Sonne scheinen, damit mich meine Familie an den Spielen unterstützen kann.

Köniz spielte vor zwei Jahren noch in der 2. Liga. Mit einem Sieg heute könntet ihr zu Spitzenreiter Le Mont aufschliessen und später vielleicht den 3. Aufstieg in Folge feiern.

Ja, es ist unglaublich. Letzte Saison waren wir während den Halbfinal-Playoffs in die 1. Liga Promotion (Hinspiel gegen Zug 94 1:2) eigentlich schon tot. Wir lagen im Rückspiel mit einem Mann weniger 0:1 zurück, dann 82. Minute Varela-Eckball, 1:1, 90. Minute Varela-Flanke, 2:1 und alle haben sich schon auf die Verlängerung eingestellt, als Tchouga in der Nachspielzeit plötzlich das 3:1 schiesst. Drei Tage später haben wir im Hinspiel gegen Terre-Sainte mit einem 3:0 die Basis für den Aufstieg geschaffen. Wir sind vielleicht nicht die beste Mannschaft in der 1. Liga Promotion, aber viele Spieler bringen eine riesige Erfahrung mit. Und was noch viel wichtiger ist, wir haben einen tollen Teamcharakter und den unbedingten Siegeswillen. Wir zerreissen uns für diesen Club und warum sollten wir nicht das Ziel haben, in die Challenge League aufzusteigen, wenn wir ganz vorne mitspielen?

Dieser Club scheint auch über grosse finanzielle Mittel zu verfügen, wenn er Spieler wie Urdanetta, Friedli, Portillo, Tchouga und Varela engagieren kann.

Darum kümmere ich mich nicht. Ich weiss nur, dass der Club hervorragend geführt wird. Der Präsident ist menschlich top. Er würde nie einen Spieler verpflichten, der nicht ins Team passt. Wenn einer Starallüren aufweist, weil er vielleicht aus der Challenge League oder aus der Super League kommt, dann passt er nicht zum FC Köniz und muss wieder gehen.

Du geniesst doch bestimmt einen speziellen Status.

Den Status machen andere. Ich bin Carlos Varela, ein Spieler wie jeder andere auch. Vielleicht rauche ich eine Zigarette vor dem Spiel, aber wenn es losgeht, dann bin ich, wie alle anderen auch, bereit. Wenn ich ins Stadion gehe, um Real Madrid spielen zu sehen, dann inmitten der Fans. Ich bin auch ein Fan. Ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt. Wenn ich zufällig mal eine Sperre absitzen musste, dann habe ich es genossen, bei den Fans zu sein. Die VIP-Cüpli-Sache, das ist nicht meine Welt, ich hasse das. Als wir mit Basel den Meistertitel in einer grossen Disco feierten, waren wir von den Fans getrennt. Ich dachte, das ist völliger Blödsinn und räumte die Absperrung weg. Die Varela-Sprechchöre waren mir dann auch etwas unangenehm, aber wenigstens konnte ich etwas dazu beitragen, dass die Party ins Laufen kam. Die Fans haben diese Geste nicht vergessen und sprechen mich heute noch darauf an.

Charakterköpfe wie du sterben in der Super League aus. Mir fällt eigentlich nur Daniel Gygax ein, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Das ist lustig, ich habe schon unabhängig von drei verschiedenen Personen gehört, dass er mein bester Freund geworden wäre, wenn wir zusammen gespielt hätten. Es ist als Fussballprofi nicht immer hilfreich, so zu sein, wie man ist, und das zu sagen, was man denkt. Auch in Interviews nicht. Wenn ich beispielsweise sage, dass Basel billigen Fussball spielt.

Du sprichst auf das Interview an, das mittlerweile schon über eine Viertelmillion Menschen auf Youtube angeklickt haben. An wen ging eigentlich deine Schlittentirade?

Das weiss ich nicht mehr genau. Es waren mehrere Basler. Die stellten sich hinter mir auf und provozierten mich. Das Spiel war wirklich schrecklich. Basel hatte zwei Standardsituationen und gewann 2:1. Dabei lief spielerisch kaum etwas – wie kürzlich beim Sieg in Salzburg.


Zur Person: Carlos Varela war eine der schillerndsten Figuren, die die Super League je hervorbrachte. Bis 2010 spielte er für Xamax, YB, Aarau, Basel und Servette. Seine Schnelligkeit und seine Torgefährlichkeit zeichneten ihn ebenso aus wie seine Disziplinlosigkeit. Bereits 2009 feierte er die 100. Gelbe Karte in der Super League. Das ist Rekord. Nach einem kurzen Engagement in den USA bei D.C. United kehrte Varela zu Servette zurück und gab ein kurzes Gastspiel beim FC Wohlen. Heute spielt der 36-jährige Heisssporn seine 2. Saison beim FC Köniz in der 1. Liga Promotion.


Mit den Beiträgen dieser Woche verabschieden sich Simon Zimmerli und Fabian Ruch als Autoren vom Steilpass-Fussballblog. Der Blog macht nun einige Wochen Pause und kehrt dann mit neuen Autoren zurück.

Schafft endlich die Champions League ab!

Simon Zimmerli am Freitag den 21. März 2014
Die Fetten werden immer fetter: Bayern Münchens Arjen Robben mit der Champions-League-Trophäe nach dem Sieg gegen Dortmund am 25. Mai 2013. (Foto: Andreas Gebert, Keystone)

Die Fetten werden immer fetter: Bayern Münchens Arjen Robben mit der Champions-League-Trophäe nach dem Sieg gegen Dortmund am 25. Mai 2013. (Foto: Andreas Gebert, Keystone)

Champions League schauen ist wie jeden Tag Uncle-Ben’s-Fertigreis essen: Es ist todlangweilig. Sämtliche Spiele in den Achtelfinals waren, mal abgesehen von der Partie zwischen Olympiakos Piräus und Manchester United, bereits nach dem Hinspiel entschieden. Es sind immer die gleichen Mannschaften, die wie Hyänen über den Champions-League-Pokal, der nicht nur mit teurem Champagner, sondern ab der Gruppenphase auch mit über einer Milliarde Schweizer Franken an Prämien gefüllt ist, herfallen.

Den Brei der europäischen Clubwettbewerbe haben aber nicht mehrere Köche verdorben, sondern nur einer. Der belgische Schulkantinenkoch Jean-Marc Bosman, der mit seiner aufmüpfigen Art vor einem belgischen Gericht seinen Wechsel zum französischen Zweitligisten USL Dünkirchen erzwang. Daraufhin forderte das Gericht den Europäischen Gerichtshof auf, eine einheitliche Regelung zur freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb Europas zu schaffen. Die Konsequenzen sind bekannt, und zudem dürfen seither beliebig viele Ausländer aus aller Welt in den europäischen Fussballligen eingesetzt werden.

Ich bin Nostalgiker. Die Partien zwischen Real Madrid und Neuchâtel-Xamax oder zwischen Wettingen und Napoli bleiben unvergessen. Der kleine David aus der Schweiz durfte den grossen Goliath aus Spanien oder Italien fordern. Exoten fehlen nun gänzlich in der Champions-League-Gruppenphase. Warum qualifiziert sich der Drittplatzierte der deutschen Bundesliga direkt für die Champions League, St. Patrick’s Athletic geht aber leer aus? Die Chance, wenigstens an den Brosamen der Europa League zu riechen, ist für diesen Verein sehr gering, und trotzdem könnte der irische Landesmeister – wie einst der FCZ, Wettingen oder Neuchâtel-Xamax – die ganz Grossen in zwei Spielen fordern. Nur würde dann die Uefa nicht so viel Geld verdienen.

Die Europa League wurde angeblich aufgewertet. Das ist völlig lächerlich. Die Europa League ist ein über Jahre verdorbenes Stück Fleisch, das jetzt mit einer rassigen Sauce und etwas Kräutern vergeblich aufzupimpen versucht wird. Auch mit der erhöhten Prämienausschüttung, die immer noch lediglich ein Fünftel des Champions-League-Fleischtopfes beträgt, mag in der Europa League einfach keine Stimmung aufkommen.

Auch die Meisterschaften werden von den internationalen Wettbewerben beeinträchtigt. Sie verkommen zur Farce. Basel führt mit ungenügenden 5 Punkten Vorsprung, PSG führt in der französischen Meisterschaft mit 8 Punkten, der FC Bayern München bringt es auf stattliche 23 und Juventus Turin auf 14 Zähler Vorsprung. Eine Zumutung ist mittlerweile auch der früher prestigeträchtige Cup oder Pokal, der in England, Deutschland, Spanien oder Italien nur noch zu Testspielzwecken mit Rotationsversuchen dient.

Die Fetten werden immer fetter. Die Schweiz, die dieses Jahr einen direkten Champions-League-Platz geschenkt bekommt, ist ein Paradebeispiel dafür. Wir dürfen davon ausgehen, dass der Schweizer Meister leider auch diese Saison FC Basel heisst und allein mit der Qualifikation zur Champions League zusätzlich ein Jahresbudget eines Super-League-Spitzenvereins einstreicht und der Konkurrenz in noch grösseren Schritten enteilt.

Jeder Landesmeister, auch die Düdelinger, die per Zufall in der letztjährigen Champions-League-Kampagne die Millionärstruppe von Red Bull Salzburg rausbugsierten, sollte eine Chance erhalten. Und warum sollte es dem FC Lusitanos aus Andorra nicht in zwei perfekten Spielen gelingen, den FC Basel zu überfordern? Ich würde mich jedenfalls freuen.

Pyrotechnik kontrollieren statt verbieten

Simon Zimmerli am Freitag den 14. März 2014
Fans zünden Pyros während des Spiels zwischen dem FCZ und GC am 1. März 2014. Foto: Ennio Leanza (Key)

Fans zünden Pyros während des Spiels zwischen dem FCZ und GC am 1. März 2014. Foto: Ennio Leanza (Key)

Vor vier Jahren war es Xherdan Shaqiri, der mit leuchtenden Kinderaugen und voller Freude über den Cupsieg seines FC Basel eine Pyrofackel abbrennen liess, vor zwei Jahren Aleksandar Dragovic, der an der FCB-Meisterfeier mit einem Pyromaterial rumhantierte, und nun Josip Drmić. Letzterer liess sich an einer privaten Feier mit Ultras des 1. FC Nürnberg ablichten, wie er mit einem Schal vermummt und mit gefährlicher Pyrotechnik in der Hand posiert. Und selbst wenn sich Carlos Bernegger, Trainer des FC Luzern, in einem Interview mit dem Fussballmagazin «Zwölf» nicht als Pyrogegner-Extremist outet, ist das dem Blick die Titelseite im Sport wert. Das ist völlig lächerlich.

Unbestritten ist, dass Pyrotechnik verboten ist und seit 2007 vom Schweizer Strafgesetz als gewalttätiger Akt definiert wird. Sowohl innerhalb wie auch ausserhalb des Stadions ist es verboten, Feuerwerkskörper abzubrennen. Abgesehen von Silvester und dem Nationalfeiertag, wo jeder weitaus harmlosere Feuerwerkskörper zünden darf und es trotzdem ständig Verletzte gibt.

Zauberhaftes Ambiente

In den grossen europäischen Ligen wird rigoros gegen das Abbrennen von Pyrotechnik durchgegriffen. Durch Repression wird das Problem aber lediglich in die unteren Ligen ausgelagert, und wenn wir in der Schweiz von fehlenden finanziellen Mitteln reden, um die Pyrotechnik aus dem Stadion zu verbannen, dann frage ich mich, warum nicht ein Teil der Polizisten, die während des Spiels manchmal zu Hunderten vor dem Stadion rumlungern, abgezogen und neben der Kurve positioniert werden. Das Problem wäre ja ziemlich einfach zu lösen, und ob das grosse bengalische Feuer dann auf der Wohler Niedermatten oder der Bieler Gurzelen gezündet wird, ist ebenfalls fraglich.

In der Schweizer Medienlandschaft wird die Pyrotechnik stets verteufelt. Ich bin auch gegen Knallpetarden und Leuchtspurgeschosse. Aber Ultras, die Pyrotechnik abbrennen, sind keine rücksichtslosen Idioten, sondern heissblütige Fans, die mit aufwendigen Choreografien und bengalischem Feuer für eine tolle Stimmung sorgen. Angesichts dessen, dass kaum Unfälle passiert sind, wäre es einen Versuch wert, sich für einen kontrollierten und verantwortungsbewussten Umgang mit zertifizierter Pyrotechnik einzusetzen, denn wer das Zürcher Derby vor zwei Wochen gesehen hat, der möchte dieses zauberhafte Ambiente nicht mehr missen.

Chikhaoui muss beim FCZ bleiben

Simon Zimmerli am Freitag den 7. März 2014
FUSSBALL, SUPER LEAGUE, NLA, LNA, NATONALLIGA A, MEISTERSCHAFT, SAISON 2013/14, FC ZUERICH, FCZ, FC THUN,

Spektakulärer Ballkünstler: Yassine Chikhaoui jubelt mit seinen Teamkollegen vom FCZ. (Keystone)

Ich muss mein Urteil über den FC Zürich, dem ich vor zwei Wochen eine gewisse Farblosigkeit zur Last legte, revidieren. Urs Meier scheint das Kunststück zu gelingen, aus bis anhin genügsamen Individualisten mit schwierigen Charakteren eine funktionierende Mannschaft zu formen.

Der FCZ spielte im Derby am letzten Samstag phasenweise berauschenden Fussball. Kein Zufall, stand doch wieder einmal Yassine Chikhaoui in der Anfangsformation, den wir zuletzt nur beim tunesischen Nationalteam mit derart viel Spielfreude und sogar kämpferischen Qualitäten sahen. Ob seiner Ballannahme mit der Fusspitze und dem Pässchen, mit der er die ganze Verteidigung des Gegners aushebelt, können sich bestimmt auch Fussballfans vom Rheinknie oder aus Niederhasli erfreuen. Selbst Kollege und Gleisseiten-Konvertit Kühn – wir mussten aus Sicherheitsgründen auf der Westtribüne Platz nehmen – liess sich zu verhaltenem Applaus hinreissen. Yassine hatte Dutzende solcher Szenen, die seinen Übernamen «la perle tunesienne» rechtfertigen.

Dies war in den Spielen der letzten sechseinhalb Jahre leider selten der Fall. Die Krankenakte des 27-jährigen Ausnahmekönners benötigt viel Platz im Büro des Mannschaftsarztes. Vor sechs Jahren noch mit dem FC Bayern München und anderen Spitzenclubs in Verbindung gebracht, sind heute wohl lediglich noch Scouts aus finanzschwachen Ligen hinter dem sensiblen Ballkünstler her.

Trainer Urs Meier sagte der NZZ nach dem Derby: «Chikhaoui hat finanzielle Ansprüche. Da können wir nicht mithalten.» Alles, was dem FCZ im Fall Chikhaoui entgeht, ist eine angemessene Ablösesumme. Sein Lohn, eine geschätzte Million pro Jahr, inklusive Handgeld und Prämien, wurde zu einem grossen Teil von der Versicherung finanziert. Und selbst wenn der FCZ keinen Versicherungsschutz hätte; Yassine wäre auch so jeden Franken wert gewesen.

Der Entscheid, den spektakulärsten und elegantesten Fussballer aller Zeiten in der Super League ablösefrei ziehen zu lassen, ist falsch.

Sicher, wir dürfen nicht vergessen, dass Yassine derzeit um einen neuen Vertrag spielt, aber in erster Linie spielt er für den von ihm geliebten Stadtclub und dessen neu entfachten Ambitionen. Nicht nur ihm fehlte die Motivation, als sich der FCZ in den Niederungen der Tabelle einrichtete. Jeder einzelne Spieler erinnerte mich damals an das traurige Kind aus der Sanostol-Werbung, das einfach nicht spielen will.

Lieber Ancillo Canepa, ich habe Verständnis für Ihren Entscheid, aber setzen Sie sich doch mit Yassine nochmals an einen Tisch. Denken Sie daran, dass er vermutlich die Hälfte seiner jährlichen Forderung mit Zuschauereinnahmen einspielt. Zuschauer, die nur seinetwegen ins Stadion pilgern. Glauben Sie daran, dass er gesund bleibt und geben Sie ihm doch den gewünschten Vertrag. Ich stelle mir das so grausam vor, Yassine nächste Saison im rotblauen Trikot feiern zu müssen.

Ponte und der Totomat

Simon Zimmerli am Freitag den 28. Februar 2014

Zurück im Rampenlicht: Raimondo Ponte trainiert den FC Sion. (Keystone/Maxime Schmid)

Raimondo Ponte ist in der langen Liste der Trainer des FC Sion ein Sonderfall. Erstmals hatte Präsident Christian Constantin nach zwei Partien noch mehr Vertrauen in den Mann auf der Bank als die Öffentlichkeit. Gerade hier in Zürich wäre in diesen regnerischen Februartagen wohl eher ein blühender Kirschbaum zu finden gewesen als ein Fussballfan, der in Ponte den richtigen Mann am richtigen Ort gesehen hätte. Nicht nur weil er einst beim FCZ aus dem Bürofenster flüchtete oder in Zürich und Lugano wegen zu vieler Ausländer auf dem Matchblatt Forfait-Niederlagen kassierte. Pontes grösste Hypothek beim Fussballvolk ist sein Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen mürrisch, skeptisch und leicht beleidigt liegt.

Ciriaco Sforza hat diese Mimik ebenfalls drauf. Ich bezeichne sie darum in Anlehnung an die Heimatorte der beiden Aargauer Fussballgrössen als Windisch-Wohlen-Gesicht und kann mir gut vorstellen, dass Ponte und Sforza schon zusammen vor dem Spiegel geübt haben. Nun hat es aber dieses Sittener 3:0 gegen YB gegeben, diesen überzeugenden Auftritt einer Mannschaft, die beim 1:3 in Thun sportlich noch mausetot schien. Natürlich könnte ich einfach behaupten, dass die 11-Nationen-Auswahl trotz Ponte gewonnen hat, weil ja jede Negativserie irgendwann einmal zu Ende gehen muss. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass der Sieg durchaus mit Pontes Art des Krisenmanagements zu tun hat, mit seiner Weigerung, das Spiel in Thun zu thematisieren, mit seiner Fähigkeit, dem Sturm zu trotzen, weil er schon so viele Stürme überstanden hat.

Ponte während eines Spiels zwischen Sion und Thun. (Keystone/Marcel Bieri)

Man könnte durchaus sagen, dass Ponte ein gutes Vorbild für seine Spieler ist, weil er nach Jahren des Rumwurstelns in der Zweitklassigkeit die Rückkehr in die Super League geschafft hat, obwohl ihm das noch viel weniger zugetraut worden war als Sion in den schlimmsten Zeiten der Ligaerhalt. Das hier soll aber keine Lobeshymne für Raimondo Ponte werden, obwohl ich schon noch erwähnen möchte, dass er mit Konjic, Bartlett, Nonda und Lima einst eine ganze Reihe von Spielern auf den Letzigrund holte, die später in grossen Ligen Karriere machten. Vielmehr geht es mir um die Frage, wie viel die tatsächlichen Fähigkeiten eines Fussballtrainers und sein Image miteinander zu tun haben.

Auf die Frage, ob Ponte ein guter Trainer sei, hätten vor einer Woche wohl 80, 90 Prozent mit Nein geantwortet, nun dürften sich die Zahlen sehr zu seinen Gunsten verlagert haben. Nicht weil er kein Windisch-Wohlen-Gesicht mehr machen würde, sondern wegen eines einzigen Resultats. «Positive Energie im FC Sion» titelte die NZZ am Tag nach dem Erfolg über die Young Boys, und die «Aargauer Zeitung» sah gar eine «Auferstehung des FC Sion». Es stimmt eben schon, was Sions Präsident Constantin sagt: «Der Totomat entlässt die Trainer, nicht ich.» Und der Totomat entlässt nicht nur, er verhilft bisweilen auch den Untoten des Trainerbusiness zum vierten, fünften oder sechsten Frühling.

Doch zurück zu Ponte: Wer seine Arbeit wirklich beurteilen will, muss wohl oder übel für ein paar Wochen ins Wallis reisen, Morgen für Morgen das Training der Sittener beobachten und Ponte zuhören, wenn er mit den Spielern spricht. Das kann Ponte übrigens in vier Sprachen. Wer nicht bereit ist, dies zu tun, ob im Fall von Ponte oder einem anderen Trainer, sollte sich vielleicht mit seinem Urteil ein wenig mehr zurückhalten und nicht gleich «Fehlbesetzung!» schreien, wenn einer mit einem Windisch-Wohlen-Gesicht einen Job bekommt. Die meisten von uns haben nämlich unter dem Strich auch nicht mehr Ahnung von diesem komplexen Business als der impulsive Monsieur Constantin oder der zahlenorientierte Totomat.

Gygax zum FCZ

Simon Zimmerli am Freitag den 21. Februar 2014
Gygax

FCL-Spieler Daniel Gygax erzielt ein Tor gegen den FC Basel, 21. April 2013. (Keystone/Georgios Kefalas)

Der Vertrag von Daniel Gygax mit dem FC Luzern wird nicht verlängert, sodass der FC Zürich den Offensivspieler im Sommer ablösefrei verpflichten könnte. Er täte gut daran, dem farblosen Verein mit der Integrationsfigur und Führungspersönlichkeit einen neuen Anstrich zu verpassen.

Gygax polarisiert in Luzern. Für die einen ist er der FCZler, der sein Herz im Letzigrund liess und deshalb in Luzern nichts zu suchen hat, andere haben grosse Achtung vor ihm, weil er keinen Wert darauf legt, der Allgemeinheit zu gefallen, und sich stets treu blieb. Grossen Respekt bei den Luzerner Fans verdiente sich der 32-jährige Aargauer während eines Fanprotestes. Als das Luzerner Publikum während des Spiels gegen die Grasshoppers den Support im Stadion eingestellt hatte und er das 1:1 erzielte, schwieg er ebenfalls und brachte so die Luzerner Fans zum Entzücken (siehe Video unten).

Grossartige Aktion von Gygax (ab Min. 4:00) und Interview (ab 5:20).

Mit einem Monatssalär von 35’000 Franken konnte er aber die sportliche Erwartungshaltung des anspruchsvollen Luzerner Publikums nie erfüllen. In dieser Saison absolvierte Gygax aufgrund einer Verletzung lediglich fünf Teileinsätze, und so ist der Grossteil der Luzerner Fans zufrieden mit dem Entscheid der Führungsriege, seinen Vertrag nicht mehr zu verlängern.

Mit seiner Schnelligkeit, seiner Kopfballstärke und seinem strammen Schuss war der talentierte Offensivspieler beim FCZ Symbol des Zürcher Aufschwungs 2004. «Gigiii» war unumstrittener Publikumsliebling im Letzigrund und nahm sich nach den Spielen viel Zeit für seine Fans in der legendären Flachpassbar. Er zeigte keinerlei Starallüren und nahm sich und den Fussball nie so wichtig, wie dies andere Spieler taten. Unvergessen bleiben seine drei Tore beim 5:6 gegen die Grasshoppers, die am Schluss leider nutzlos blieben.

Vielleicht blieb Gygax die ganz grosse Karriere verwehrt, da es für ihn auch neben dem Fussballplatz ein Leben gab und ihm so die leistungsmässige Konstanz fehlte. 15 Jahre ist Gygax nun im Profifussballgeschäft tätig und blickt auf einen Cupsieg mit dem FCZ, auf den Aufstieg mit Nürnberg und auf drei Teilnahmen als Nationalspieler an grossen Turnieren zurück. Gygax ist nach wie vor hungrig und möchte unbedingt noch einen Meistertitel gewinnen. Ins Ausland wird er wohl kaum wechseln, und der FC Basel und die Grasshoppers sind sicher keine Option für ihn. Deshalb kann sein zukünftiger Verein eigentlich nur FC Zürich heissen.

Dieser Blog ist der wundervollen Cátia gewidmet <3.

Liebeserklärung an das Brügglifeld

Simon Zimmerli am Freitag den 7. Februar 2014


Wenn der FCZ gleichzeitig im Letzigrund spielt, und meine Begleitung und ich viel Geld in Zugtickets nach Aarau investieren, dann ist es an der Zeit, dem FC Aarau zu huldigen und eine Hommage an das altehrwürdige Brügglifeld und seine Besucher zu schreiben. Und sich stolz zu outen, dass man in Berikon AG aufgewachsen ist. Trotzdem fühle ich mich verpflichtet, anzufügen, dass der stolze und mächtige Zürcher Grenzstein gleich hinter unserem Haus trohnte. Ich möchte ja dann auch nicht ständig gegen Klischeevorwürfe ankämpfen müssen wie beispielsweise die Kollegen aus dem Freiamt.

Während «The Final Countdown» durch die Stadionlautsprecher erklingt und die Spieler einlaufen lodert eine wunderbare Pyroshow im St. Galler Block, welcher aus einem aufgeschütteten Grashügel besteht. Vereinzelte Hopp-Aarou-Rufe dickeingepackter und älterer Herren auf der Tribüne gehen im Lärm der St. Galler Fans vorerst unter. Es ist ein packendes Spiel und als Sven Lüscher das Heimteam in Führung bringt, brechen alle Dämme. «34. Minute, Goal für de FC Aarou, Torschütz mit de Nommere Vierzäh Sven Lüüüüüscheeer, Sven Lüüüüüscheeer, Sven  Lüüüüüscheeer, neue Spielstand Aarou Eeeeis, St. Galle nuuuuuull, Danke, Biiiitttte», wechseln sich der Stadionspeaker, der hoch oben im Holzgebälk amtet, und die Zuschauer ab.

Zur Pause gibt es zur Feier des Rückrundenstarts Gratis Punsch. Wir entscheiden uns in der scharfen Kurve jedoch für den Kafi Zwetschge und den prächtigen Fackelspiess, der uns mit viel Freundlichkeit verkauft wird.  Das Musikkonzept zur Pause hat noch Luft nach oben aber selbst Haddaways «What is Love» ist in diesem grossartigen Ambiente nicht störend und passt zu Faserpelzjacken und Buffalo Schuhen wie die Faust aufs Auge.

Der Rasen verhindert in der zweiten Halbzeit einen gepflegten Spielaufbau und die Aarauer müssen kurz nach der Pause den Ausgleich hinnehmen. In einer unterhaltsamen Partie bleibt es dann auch bei der Punkteteilung.

Abgesehen vom Liebelei-Verbot am Stammtisch werden wir im Restaurant Sportplatz mit Herzlichkeit nur so überschüttet. Hier sind St. Gallen- und Aarau-Fans vereint und wir als Zürcher Willkommen. Roli gibt eine Runde aus und die junge Familie aus Gränichen überlässt uns temporär die kleine Mirja, welche mir versprochen hat, in zwei Wochen im FCZ-Tenue aufzulaufen, so dass den ersten Punkten gegen Aarau diese Saison nichts mehr im Wege stehen sollte. Aarau und sein Brügglifeld – das ist ein Stück Schweizer Fussballkultur, die uns hoffentlich noch lange erhalten bleibt.

Achtung: Hooligans!

Simon Zimmerli am Freitag den 31. Januar 2014
FCL-Fans während eines Europaleague-Spiele gegen Genk, 23. August 2012. (Keystone/Urs Flüeler)

FCL-Fans während eines Europa-League-Spiels gegen Genk, 23. August 2012. (Keystone/Urs Flüeler)

«Hooligan-Alarm im FCL-Trainingslager» titelte Blick.ch vergangene Woche und legte auf der Titelseite der Printausgabe noch einen nach: «FCL-Hooligans wüten in Spanien». Auch die «Neue Luzerner Zeitung» sparte nicht an Druckerschwärze für diesen hochbrisanten Fall. Machte sie doch das «pikante» Detail öffentlich, dass sich die drei FC-Luzern-Hooligans nicht nur im gleichen Hotel wie die Mannschaft einquartierten, sondern dass im feudalen Gran Hotel Guadalpin Banus (5 Sterne), direkt am Strand der Costa del Sol, auch Präsident Stäger, Ehrenpräsident Stierli und weitere wichtige FCL-Persönlichkeiten ein- und ausgingen. So etwas! Der Fussballpöbel nächtigt im gleichen Hotel wie die elitäre Vereinsführung?

Während des Testspiels des FC Luzern gegen Steaua Bukarest (1:0) etwas ausserhalb des Stadtzentrums verhielten sich die drei jungen Luzerner Fans friedlich. Auch im Hotel attestierten ihnen die FCL-Verantwortlichen Freundlichkeit, Interesse und schlicht Freude, unter ihren Lieblingen zu sein. Ich wäre auch freundlich, interessiert und glücklich bei der Vorstellung, mit Yassine Chikhaoui am Frühstückstisch zu sitzen, das Brotkörbchen mit ihm zu teilen und ihm ab und an ein Honigschnittli zu streichen.

Zu später Stunde wurden jedoch zwei der Luzerner Fans verhaftet, nachdem sie den Sieg ihrer Mannschaft in der südspanischen Stadt Marbella mit einigen Drinks gefeiert hatten. Über den Grund der beiden Verhaftungen sind keine Details bekannt. Wer jedoch weiss, wie aggressiv die spanische Polizei gegen Touristen vorgeht, die sich etwas ausserhalb der Norm bewegen, kann sich vielleicht denken, wie viele Zeilen diese Bagatelle den seriös arbeitenden Journalisten wirklich wert gewesen wäre. Untermauert wird diese Vermutung durch die Tatsache, dass die verhafteten Fans schon am übernächsten Tag ohne Hinterlegung einer Kaution oder dergleichen aus der Haft entlassen wurden.

Weit dramatischer als die Verhaftung der beiden FCL-Fans ist die Berichterstattung der Schweizer Medien. Ohne die genauen Hintergründe der Verhaftung zu kennen, wird von Randalen und Schlägereien geschrieben und die Fans als Hooligans oder Ultras an den Pranger gestellt. Dass die Vorkommnisse in keinem direkten Zusammenhang mit einem Fussballspiel stehen und solche Verhaftungen in spanischen Ferienorten an der Tagesordnung sind, spielt hierbei keine Rolle. Schlagzeilen sorgen für Klicks und Umsatz und scheinen für gewisse Medien mittlerweile wichtiger als die Wahrheit. Aus Angst, eine Titelgeschichte zu verpassen, wird abgeschrieben, ohne die Richtigkeit der Geschichte zu hinterfragen. Dass sich solche Falschmeldungen anschliessend wie ein Lauffeuer verbreiten, hat die vermeintliche Verpflichtung von Ailton durch den 5.-Liga-Club Olympique Lucerne eindrücklich gezeigt.

Die Medien erweisen dem Fussball-Liebhaber, aktuell auch im Hinblick auf die Berner Abstimmung zur Verschärfung des Hooligan-Konkordats in einer Woche, immer wieder einen Bärendienst. Und so bleibt der Fussballfan eine grölende, saufende und prügelnde Steuergeldschleuder. Schade.

«Das ist alles völlig krank»

Simon Zimmerli am Freitag den 17. Januar 2014
Steilpass_Zlatan

Links: Zlatan Ibrahimović kämpft um den Ball, 7. Dezember 2013. (Foto: Keystone/Christophe Karaba) Rechts: Umschlag des Buches «Ich bin Zlatan Ibrahimović». (Foto: Malik)

 

Das dämlichste Geschenk, das ich dieses Jahr zu Weihnachten erhalten habe, ist ein Buch. Bücher sind ja generell nicht etwas Schlechtes, aber ich suche sie mir lieber selber aus. Was bei einem solchen Geschenk erschwerend hinzukommt, ist der Druck, es in nützlicher Frist lesen zu müssen. Insbesondere wenn dich die Wohltäterin ab dem 27. Dezember in regelmässigen Abständen bedrängt und fragt, ob dir das Buch denn gefalle. Es ist das Buch über die Geschichte von Zlatan Ibrahimović, erzählt von David Lagercrantz.

Ibrahimović kommt in seiner Biografie mit drei Adjektiven aus und beschreibt damit meist beeindruckende Situationen oder prägende Momente. Entweder ist es «krass», «krank» oder «gross», und jedes dieser drei Eigenschaftswörter könnte er mit einem der anderen beiden ersetzen, da sie in seinem speziellen Fall die gleiche Bedeutung haben. Ich habe Zlatan nicht eben als hellste Birne im Kronleuchter wahrgenommen. Sei das nun, weil er für seine fette Töle Hoffa Pizza bestellt oder mit seinem kleinen Sohn auf dem Schoss nächtelang primitive Ego-Shooter-Games auf der Playstation spielt. Das Interesse hält sich bei mir auch in Grenzen, dass Hoffa die Pizza jedes Mal von innen nach aussen isst und die Teigränder stehen lässt oder dass Zlatan als Familienvater mit 325 km/h in seinem Ferrari Enzo durch Schweden rauscht, Unfälle verursacht und der Polizei in halsbrecherischer Art und Weise entflieht.

Die Geschichte von Zlatan ist das moderne Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär. Oder in seinem Fall vom Velodieb, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, zu den bestbezahlten Fussballern. Ibrahimović zeigt in seiner Biografie ohne jegliche Scham, welch riesiger Egozentriker er auch neben dem Platz ist, und lässt jegliche Empathie oder Sozialkompetenz vermissen. Selbst bei der Geburt seines ersten Sohnes Maxi (eventuell eine Anspielung auf seinen Lieblingsfilm «Gladiator», per Zufall auch der Lieblingsstreifen der Degen-Brüder) scheint es für ihn das wichtigste Ereignis gewesen zu sein, wie er dem Medien- und Paparazzirummel entkommen konnte: Securitas-Männer zogen ihm nämlich einen Arztkittel über und rollten ihn in einem grossen Wäschekorb durch die unterirdischen Gänge im Spital. Und das alles war natürlich völlig «krank».

Dennoch habe ich Zlatan Ibrahimović an der Gala zum Weltfussballer des Jahres vermisst. Er bleibt für mich der derzeit spektakulärste Spieler. Und sein Buch lebt auch von der Beschreibung seiner «krassesten» Tore, die ich mir dann alle auf Youtube anschauen musste. Auch die Interna aus der Kabine oder seine Abrechnungen an die Adressen von Rafael van der Vaart oder Pep Guardiola sind gross.

Zlatans Palmarès ist erschreckend. In seiner ersten Saison mit Malmö FF steigt er zwar ab, danach aber gleich wieder auf. Er wechselt für drei Jahre nach Amsterdam, gewinnt zweimal die holländische Meisterschaft und einmal den holländischen Pokal. Debütiert zudem in der Champions League und schiesst in seinem ersten Spiel der Königsklasse gleich zwei Tore. Er wechselt für zwei Jahre zu Juve nach Italien und gewinnt beide Male den Scudetto (die italienische Meisterschaft). Spielt drei Jahre für Inter Mailand, gewinnt dreimal den Scudetto und wird 2008/09 mit 25 Toren Torschützenkönig der Serie A. Danach wird er vom FC Barcelona verpflichtet und holt sich zwischen 2009 und 2011 einmal die spanische Meisterschaft, wechselt für eine Saison zur AC Milan und gewinnt mit ihr den Scudetto. 2012 wird der Transfer zu Paris Saint-Germain bekannt. Gewinnt auch hier die Meisterschaft und wird Torschützenkönig der Ligue 1. Seine Erfolge mit der schwedischen Nationalmannschaft, Gewinne des Supercups oder des UEFA-Supercups. sowie sonstige Auszeichnungen sind hier nicht mit eingerechnet.

«Zlatan, du bist dumm im Kopf, aber auch ganz lustig», pflegt Helena, seine Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder, jeweils zu sagen. David Lagercrantz gelingt es in seinem Buch hervorragend, dem Leser diesen Satz auf jeder der 394 Seiten immer und immer wieder zu verinnerlichen. Und da es das einzige Geschenk war, das ich zu Weihnachten erhalten habe, ist es auch das beste.

Ein Weltfussballer muss Emotionen auslösen

Simon Zimmerli am Dienstag den 14. Januar 2014

Bayern-Präsident Uli Hoeness ist ein Mann der klaren, oft richtigen Worte. Und in gewisser Weise hatte er auch mit seiner Vorhersage für die Vergabe des Ballon d’Or der Fifa recht. Hoeness wusste nämlich schon vor Cristiano Ronaldos Krönung im Zürcher Kongresshaus, dass Franck Ribéry die Auszeichnung nicht erhalten würde. «Weil es dem einen oder anderen nicht in die Politik passt, dass der FC Bayern alles gewinnt», orakelte Hoeness am Wochenende. Schon im November hatte der starke Mann beim deutschen Rekordmeister erklärt, dass es in seinen Augen eine Riesensauerei wäre, sollte Ribéry trotz des perfekten Jahrs des FC Bayern Ronaldo den Vortritt lassen müssen. Hintergrund war der Entscheid der Fifa, die Wahlperiode ausserplanmässig zu verlängern, und in der Extrafrist drehte der Stürmer von Real Madrid noch einmal ganz gewaltig auf.

Doch ist es wirklich so daneben, dass Ronaldo und nicht Ribéry gewonnen hat? Vielleicht ist es ein ganz klitzekleines Schweinereichen, wenn man ganz nüchtern die sportlichen Verdienste im abgelaufenen Jahr betrachtet. In den Augen des Fussballästheten muss der Weltfussballer des Jahres aber Ronaldo heissen. Und überhaupt: Der Ballon d’Or ist eine Auszeichnung für Individualisten, für die grossen Spektakelmacher – und in dieser Beziehung kann Ribéry dem siegreichen Ronaldo nun einmal nicht das Wasser reichen, auch wenn er 2013 mit dem Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League bedeutend mehr erreicht hat als der Portugiese. Ribéry ist bei den Bayern ein äusserst wichtiges Rädchen im System, aber längst kein unersetzbares. Ronaldo dagegen würden alle vermissen, wenn er nicht auf dem Platz stünde: sein Verein, seine Fans und all jene, die ihn nicht ausstehen können und über ihn schimpfen wollen.

Ein Weltfussballer muss nicht nur exzellent kicken können, sondern auch Emotionen auslösen. Das tut Ronaldo weit mehr als der Flügelspieler Ribéry. Er entzückt vielleicht nicht so sehr wie der nun abgelöste Abonnementssieger Messi, aber er beeindruckt ungemein. Weil er sich in der Epoche der flachen Hierarchien im Fussball als Exzentriker gebärdet und dieses Verhalten mit dem angesprochenen Spektakel und starken Leistungen rechtfertigt. Das Wahlergebnis als Schweinerei zu bezeichnen, impliziert zudem zwei Möglichkeiten. Dass gemogelt wurde – oder dass die Stimmberechtigten von ihrem Business nichts verstehen. Das mit dem Mogeln gehört ins Reich der Verschwörungstheorie, das mit der Ahnungslosigkeit des Wahlvolks ist Unsinn, denn dieses besteht aus den Trainern und Captains der Nationalteams.

Vielleicht sollte man das ganze Brimborium mit dem Ballon d’Or auch gar nicht so ernst nehmen. Denn seit der Preis diesen Namen trägt, ist er auch eine Auszeichnung für Verlierer geworden. Ronaldo gewann mit Real 2013 keine bedeutende Trophäe, Messi scheiterte 2012 mit dem FC Barcelona in der Champions League an Chelsea und 2010 mit Argentinien an der WM auf klägliche Weise gegen Deutschland. Oder anders formuliert: Als Spieler, der nie Weltfussballer war, ist man in hervorragender Gesellschaft. Hier nur eine kleine Auswahl: Andrés Iniesta, Andrea Pirlo, Roberto Carlos, Gianluigi Buffon. Allesamt Weltmeister und prägende Figuren beim Titelgewinn, aber keine Weltfussballer. Man könnte auch noch eine Erörterung über Sinn und Unsinn der ganzen Wahl niederschreiben, man könnte erwähnen, dass Defensivspieler und Torhüter gegenüber Angreifern und Spielmachern benachteiligt sind und man könnte wieder und wieder der Fifa irgendeine Manipulation unterstellen. Nur schlauer wird man dabei nicht. Freuen wir uns doch einfach, dass es Spieler gibt, die mit dem Ball solche Kunststücke hinbekommen wie Ronaldo, Messi oder Ribéry. Ärgern können wir uns immer noch an der WM. Dann tut es wirklich weh, wenn der persönliche Liebling verliert.