Dynamo Kiew ist ein grossartiger Verein. Unter Trainerlegende Walerij Lobanowskyi gehörte die Mannschaft zu den besten der Welt, verblüffte mit einer aufgrund von wissenschaftlich ermittelten Daten entwickelten und höchst modernen Spielweise, und brachte einige grossartige Spieler hervor, wie beispielsweise den heutigen ukrainischen Nationaltrainer Oleg Blochin, mit dem zwei europäische Titel (1975, 1986) geholt wurden.
Heute duelliert sich Dynamo jedes Jahr mit Schachtjor Donezk um den Meistertitel und ist ununterbrochen im Europacup vertreten. Man könnte meinen, der zahlungskräftige ukrainische Rekordmeister sei tatsächlich ein gutes Sprungbrett für junge Talente. Im Falle von Admir Mehmedi trifft dies hingegen keineswegs zu. Sein Wechsel nach Kiew ist so ein Entscheid, den viele kopfschüttelnd kommentieren, weil er mit grosser Wahrscheinlichkeit eine viel versprechende Karriere aufs Abstellgleis führen wird.
Gerne und oft wird bei unverständlichen Transfers die «Schuld» bei den Beratern gesucht, die ihr Juwel einfach an den Meistbietenden verscherbeln wollen, um dabei auch zünftig abzukassieren. Doch niemand wird gegen seinen Willen verhökert, und von einem jungen Erwachsenen wie Admir Mehmedi darf man sehr wohl erwarten, dass er die Situation genau abklärt, bevor er einen entscheidenden Schritt in seiner Karriere macht. Und da gehört es dazu, dass man sich ein genaues Bild über seinen potenziellen zukünftigen Arbeitgeber macht.
Dabei hätte ihm einiges auffallen müssen. Erstens: Nachdem Konkurrent Donezk mit teuer eingekauften Brasilianern zur neuen Nummer Eins im Lande wurde, versuchte es Dynamo ebenfalls mit diesem Konzept. Dann kam das erniedrigende Aus gegen den kleinen FC Thun in der Champions-League-Qualifikation 2005, in der Folge äusserte Präsident Surkis sehr explizit seinen Unmut über die «drittklasssigen Ausländer», bemängelte deren Einstellung zum Verein und forderte eine Rückbesinnung. Seither dominieren bei Dynamo wieder einheimische Kräfte, die Legionäre werden sehr genau beobachtet und schnell (und sehr heftig) kritisiert.
Zweitens: Ein kurzer Blick auf die Kaderliste hätte Mehmedi genügt, um seine Einsatzchancen abzuschätzen. In Dynamos Sturm spielen meistens Ex-Xamaxien Ideye Brown und der neue ukrainische Superstar Andriy Yarmolenko. Die beiden stehen in der Torschützenliste auf Platz 2 und 3. Dazu trägt auch der «Tank» Artem Milevsky das Dynamo-Shirt, ebenso wie der vergötterte Altmeister Andriy Shevchenko. Also ob das noch nicht genug wäre, stehen als Ergänzungsspieler Artem Kravets und Andrey Voronkov bereit, freilich ebenfalls Nationalspieler. Auf Mehmedi hat in Kiew gar niemand gewartet, und gebraucht wird er da ebenso wenig, wie diverse Spieler vor ihm, die der Verein geholt hat – Geld ist ja genug vorhanden – und nach wenigen Monaten wieder gehen liess. Einige können sich vielleicht noch an GC-Chancentod Demba Touré erinnern, der – warum auch immer – 2006 geholt wurde und bei Dynamo zu drei Teileinsätzen kam. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ist er heute in Rumänien bei Astra Ploiesti. Auf der Bank.
Drittens: Die Ukraine ist nicht gerade das einfachste Land für die erste Auslandstation. Selbst Überflieger Doumbia hat als Stammspieler seine Probleme mit dem Leben im Osten, noch mehr setzt es dem Ex-Basler Samuel Inkoom zu. Er leidet an der Kälte und der Einsamkeit und gibt freimütig zu, in Dnjepropetrowsk nicht glücklich zu sein. «Es war ein Fehler, Basel zu verlassen», gestand er im «Blick», «ich will zurück!». Heute spielt er – wie zukünftig Mehmedi auch – in riesigen Arenen, in die sich ausser bei Topspielen kaum Zuschauer verirren.
Mit all diesem Wissen müssten doch die Alarmglocken läuten. Als grosses Talent und Nationalspieler ist Mehmedi auf Spielpraxis angewiesen. Er muss sich beweisen, eine gute Position in der Mannschaft erkämpfen und Fortschritte machen. Dazu wird er in Kiew keine Gelegenheit haben. Es ist mir ein Rätsel, wie Mehmedi – und viele andere Jungprofis – diese eindeutigen Warnsignale übersehen konnte und seine Karriere leichtsinnig aufs Spiel setzt, nur weil am Ende des Monats fortan jeweils ein schöner Scheck wartet. Kurzfristiger Wohlstand auf Kosten der Karriere.
Sollte Mehmedi wie erwartet demnächst frierend auf der Tribüne Dynamo-Partien verfolgen müssen, ist das nicht das Resultat des bösen Spiels von «windigen Beratern» mit dem «armen Mehmedi», sondern ganz alleine sein Verdienst. Er wird seinen Entscheid schon sehr bald bereuen, nur wird dann sein Marktwert halbiert sein. Und er selber ein weiteres leuchtendes Beispiel für unsinnige, alleine vom Geld gesteuerte Transfers.