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Mehmedi: Die nächste Karriere, die aufs Abstellgleis führt

Mämä Sykora am Montag den 9. Januar 2012
Admir Mehmedi.

Auf den Zürcher wartet in Kiew vermutlich vor allem die Tribüne: Admir Mehmedi. (Bild: Keystone)

Dynamo Kiew ist ein grossartiger Verein. Unter Trainerlegende Walerij Lobanowskyi gehörte die Mannschaft zu den besten der Welt, verblüffte mit einer aufgrund von wissenschaftlich ermittelten Daten entwickelten und höchst modernen Spielweise, und brachte einige grossartige Spieler hervor, wie beispielsweise den heutigen ukrainischen Nationaltrainer Oleg Blochin, mit dem zwei europäische Titel (1975, 1986) geholt wurden.

Heute duelliert sich Dynamo jedes Jahr mit Schachtjor Donezk um den Meistertitel und ist ununterbrochen im Europacup vertreten. Man könnte meinen, der zahlungskräftige ukrainische Rekordmeister sei tatsächlich ein gutes Sprungbrett für junge Talente. Im Falle von Admir Mehmedi trifft dies hingegen keineswegs zu. Sein Wechsel nach Kiew ist so ein Entscheid, den viele kopfschüttelnd kommentieren, weil er mit grosser Wahrscheinlichkeit eine viel versprechende Karriere aufs Abstellgleis führen wird.

Gerne und oft wird bei unverständlichen Transfers die «Schuld» bei den Beratern gesucht, die ihr Juwel einfach an den Meistbietenden verscherbeln wollen, um dabei auch zünftig abzukassieren. Doch niemand wird gegen seinen Willen verhökert, und von einem jungen Erwachsenen wie Admir Mehmedi darf man sehr wohl erwarten, dass er die Situation genau abklärt, bevor er einen entscheidenden Schritt in seiner Karriere macht. Und da gehört es dazu, dass man sich ein genaues Bild über seinen potenziellen zukünftigen Arbeitgeber macht.

Dabei hätte ihm einiges auffallen müssen. Erstens: Nachdem Konkurrent Donezk mit teuer eingekauften Brasilianern zur neuen Nummer Eins im Lande wurde, versuchte es Dynamo ebenfalls mit diesem Konzept. Dann kam das erniedrigende Aus gegen den kleinen FC Thun in der Champions-League-Qualifikation 2005, in der Folge äusserte Präsident Surkis sehr explizit seinen Unmut über die «drittklasssigen Ausländer», bemängelte deren Einstellung zum Verein und forderte eine Rückbesinnung. Seither dominieren bei Dynamo wieder einheimische Kräfte, die Legionäre werden sehr genau beobachtet und schnell (und sehr heftig) kritisiert.

Zweitens: Ein kurzer Blick auf die Kaderliste hätte Mehmedi genügt, um seine Einsatzchancen abzuschätzen. In Dynamos Sturm spielen meistens Ex-Xamaxien Ideye Brown und der neue ukrainische Superstar Andriy Yarmolenko. Die beiden stehen in der Torschützenliste auf Platz 2 und 3. Dazu trägt auch der «Tank» Artem Milevsky das Dynamo-Shirt, ebenso wie der vergötterte Altmeister Andriy Shevchenko. Also ob das noch nicht genug wäre, stehen als Ergänzungsspieler Artem Kravets und Andrey Voronkov bereit, freilich ebenfalls Nationalspieler. Auf Mehmedi hat in Kiew gar niemand gewartet, und gebraucht wird er da ebenso wenig, wie diverse Spieler vor ihm, die der Verein geholt hat – Geld ist ja genug vorhanden – und nach wenigen Monaten wieder gehen liess. Einige können sich vielleicht noch an GC-Chancentod Demba Touré erinnern, der – warum auch immer – 2006 geholt wurde und bei Dynamo zu drei Teileinsätzen kam. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ist er heute in Rumänien bei Astra Ploiesti. Auf der Bank.

Drittens: Die Ukraine ist nicht gerade das einfachste Land für die erste Auslandstation. Selbst Überflieger Doumbia hat als Stammspieler seine Probleme mit dem Leben im Osten, noch mehr setzt es dem Ex-Basler Samuel Inkoom zu. Er leidet an der Kälte und der Einsamkeit und gibt freimütig zu, in Dnjepropetrowsk nicht glücklich zu sein. «Es war ein Fehler, Basel zu verlassen», gestand er im «Blick», «ich will zurück!». Heute spielt er – wie zukünftig Mehmedi auch – in riesigen Arenen, in die sich ausser bei Topspielen kaum Zuschauer verirren.

Mit all diesem Wissen müssten doch die Alarmglocken läuten. Als grosses Talent und Nationalspieler ist Mehmedi auf Spielpraxis angewiesen. Er muss sich beweisen, eine gute Position in der Mannschaft erkämpfen und Fortschritte machen. Dazu wird er in Kiew keine Gelegenheit haben. Es ist mir ein Rätsel, wie Mehmedi – und viele andere Jungprofis – diese eindeutigen Warnsignale übersehen konnte und seine Karriere leichtsinnig aufs Spiel setzt, nur weil am Ende des Monats fortan jeweils ein schöner Scheck wartet. Kurzfristiger Wohlstand auf Kosten der Karriere.

Sollte Mehmedi wie erwartet demnächst frierend auf der Tribüne Dynamo-Partien verfolgen müssen, ist das nicht das Resultat des bösen Spiels von «windigen Beratern» mit dem «armen Mehmedi», sondern ganz alleine sein Verdienst. Er wird seinen Entscheid schon sehr bald bereuen, nur wird dann sein Marktwert halbiert sein. Und er selber ein weiteres leuchtendes Beispiel für unsinnige, alleine vom Geld gesteuerte Transfers.

Der FCZ braucht einen Umbruch

Mämä Sykora am Donnerstag den 5. Januar 2012


Es wird wahrlich kein spannendes nächstes halbes Jahr für den FC Zürich. Zurzeit weiss man nicht einmal genau, auf welchem Platz man steht, irgendwo zwischen Platz 6 und Platz 8. Lediglich der Rückstand auf Leader Basel ist klar: stolze 17 Punkte. Und das, obwohl man diese Saison zum ersten Mal seit Urzeiten wieder mal ein Direktduell für sich entscheiden konnte, und der Meister zudem einen sehr schwachen Saisonstart hinlegte.

17 Punkte sind uneinholbar. Zwar nicht für jede Mannschaft, schliesslich hat vor wenigen Jahren der FCB einen ähnlichen Rückstand auf die Berner Young Boys auch wettmachen können, aber beim aktuellen Zustand des FCZ und der Formstärke der Basler ist dies schlicht illusorisch. Keine Mannschaft der Liga ist wohl kühn genug, um ernsthaft das Gefühl zu haben, noch ein Wörtchen mitreden zu können im Meisterrennen. Und weil der traurigen Vorgänge in Neuchätel und Sion wegen nicht damit zu rechnen ist, dass es dieses Jahr einen direkten Absteiger geben wird, kann man allerorts schon in Ruhe die nächste Saison planen.

Beim FCZ zeichnen sich die grössten Veränderungen ab. Sah man sich vor Saisonbeginn noch als Titelanwärter, sieht es nun ganz so aus, als hiesse das neue Ziel für diese Saison Ausmisten, Lohnsumme reduzieren und den Umbruch herbeiführen. Erst kürzlich verlängerte der ebenfalls in die Kritik geratene Sportchef Fredy Bickel seinen Vertrag bis 2014, auf ihn wartet eine Menge Arbeit. Denn Trainer Fischer wird auch in Zukunft nicht zum Thema werden – jetzt noch weniger, da der Abstieg ausgeschlossen werden kann. Den Umschwung einleiten will der Verein nun mit dem Verkauf einiger (ehemaliger) Teamstützen, damit endlich wieder Geld vorhanden ist für neue Spieler.

Admir Mehmedi weilt derzeit in Kiew, um mit Dynamo zu verhandeln. Ricardo Rodriguez und der VfL Wolfsburg stehen kurz vor einem Vertragsabschluss. Xavier Margairaz ist immerhin vom FC Sion umworben. Und der einst so hoch gelobte Dusan Djuric hat offenbar das Interesse von mediokren Vereinen wie Valenciennes, Montpellier und Terek Grosny geweckt. Das sind zwar alles aus meiner Sicht nicht die besten Transfers für die Spieler selber – in Kiew sind schon einige «No-Names» versauert und Wolfsburg hat nach dem jüngsten Kaufrausch von Felix Magath jetzt bereits sagenhafte 37 Spieler im Kader – doch für den FCZ ist es der richtige und einzige Weg.

Der zweite Platz in der letzten Saison hat über die Tatsache hinweg getäuscht, dass die Mannschaft neuen Wind braucht. Praktisch ohne personelle Veränderungen wurde die neue Saison in Angriff genommen, dabei waren die Leistungen nicht mal unbedingt schlechter als in der spielerisch ebenfalls bescheidenen Rückrunde der letzten Spielzeit, doch irgendwie fehlte nun diese Siegermentalität. In der Krisenbewältigung offenbarte die Führungsetage eklatante Schwächen, derweil gelang es der Mannschaft nicht, zu beweisen, dass sie den Karren aus dem Dreck ziehen kann. Nicht einmal der Wille war zu erkennen. Einem lustlosen und uninspirierten Auftritt folgte der nächste, man vertraute zu sehr auf die eigenen Stärken – immerhin war man doch Titelanwärter – und auf die Rückkehr des «Messias» Chikhaoui.

Nach einer halben Saison muss man nun konstatieren: In dieser Zusammensetzung wird die Mannschaft kein Titelanwärter mehr sein, zu viel stimmt da nicht. Man entschied sich, weiterhin mit Fredy Bickel zu arbeiten, an ihm liegt es nun, einen klaren Schnitt zu machen. Nun ist der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von Altlasten zu befreien und endlich von der Vorstellung abzukommen, dass mit diesem Kader ins Meisterrennen eingegriffen werden kann. Zu viele stehen (noch) auf der Lohnliste, die in sonnigeren Zeiten Teamstützen sein können, in Krisenzeiten aber eher durch ihre Lustlosigkeit auffallen. Beim FCZ hat man das spät erkannt, wenn jetzt aber radikal gehandelt wird und Bickel noch einmal sein gutes Händchen bei Transfers unter Beweis stellen kann, dürfen sich die Fans schon in der nächsten Saison wieder über einen FCZ freuen, der sich mit dem FCB und YB messen kann. Es wäre wünschenswert für die momentan arg einseitige Liga.

Die Fifa ist am längeren Hebel – noch

Mämä Sykora am Donnerstag den 29. Dezember 2011
Christian Constantin spricht nach einer Anhörung bei der Uefa mit der Presse, 4. November 2011. (Bild: Keystone).

Der Sion-Präsident wird niemals einen Punktabzug akzeptieren: Christian Constantin spricht nach einer Anhörung im Uefa-Hauptquartier in Nyon mit der Presse, 4. November 2011. (Bild: Keystone).

Winterpause, das ist, wenn die Vereine Bussen für jedes Kilo zu viel auf den Rippen ihrer Profis festlegen, sich einige Südamerikaner am heimischen Strand schon Ausreden ausdenken, warum sie nicht rechtzeitig zu Trainingsbeginn zurück sein werden, und die Medien jedes noch so irrwitzige Transfergerücht breitschlagen, damit die Fussballspalten doch irgendwie gefüllt werden können. In dieser Zeit reicht es bereits, wenn ein Spieler sich in einem Interview dahingehend äussert, dass ihm Spanien gefällt, um am nächsten Tag «im Visier von Real Madrid» zu stehen.

Ernsthafte Arbeit haben zurzeit nur die Juristen der Swiss Football League (SFL), des FC Sion, der Uefa und der Fifa. Die unendliche Geschichte, die durch die Verpflichtung des ägyptischen Keepers Essam El-Hadary im Frühjahr 2008 (!) losgetreten wurde, spitzt sich langsam zu und mit Spannung wird das Finale erwartet. Bis zum 13. Januar erwartet die Fifa eine angemessene Bestrafung des Walliser Vereins durch die SFL, ansonsten droht der Ausschluss des SFV und damit auch aller seiner Mannschaften.

Die SFL hat sich in eine höchst ungünstige Situation manövriert. Erst die irrtümliche Lizenzierung der Neuzuzüge, dann die Sperren, die wiederum vom Zivilgericht aufgehoben wurden, dann die grossspurige Ansage, Sion werde alle betroffenen Spiele forfait verlieren und schliesslich das erneute Zurückkrebsen. Gegen den FC Sion und CC scheint die Liga nicht anzukommen, nun verlangt die Fifa indes genau das, was wiederholt fehlgeschlagen ist.

Mit meinem bescheidenen juristischen Verständnis kann ich mir nicht vorstellen, wieso dem FC Sion Punkte abgezogen werden sollten. Nach der ersten Sperre erstritt sich CC eine provisorische Spielberechtigung für seine Neuzuzüge, in den folgenden Partien traten einige Vereine unter Protest an. Nun sollen daraus nach dem Willen der Fifa Forfaitniederlagen werden. Ich vergleiche die Situation mit einem Wirt, der ein Restaurant neu eröffnet, das kurz nach der Eröffnung wegen einigen Unzulänglichkeiten wieder geschlossen werden muss. Der Wirt erstreitet sich das Recht, sein Lokal provisorisch weiter zu betreiben, bis ein endgültiges Urteil gefällt wird. Egal wie dieses ausfallen wird, kann er dann kaum für die Zeit gebüsst werden, in der er mit der provisorischen Bewilligung gewirtet hat. So sagt es mir zumindest mein gesunder Menschenverstand.

Wäre nicht Monsieur Constantin beteiligt, liefe wohl alles auf einen gutschweizerischen Kompromiss heraus, bei dem alle ihr Gesicht wahren könnten. Alle würden ein bisschen Recht kriegen, niemandem würden alle Forderungen erfüllt. Doch während die SFL und die Fifa bestimmt Abstriche machen würden, wird der streitlustige Sion-Präsident mit Sicherheit keinen einzigen Punktabzug hinnehmen. Die Fifa hat mit ihrer Suspensions-Androhung, die Constantin als «terroristischen Akt» bezeichnete, einen ohnehin schon komplizierten Fall zu einem praktisch unlösbaren gemacht, und dabei die SFL derart in die Enge getrieben, dass eine baldige Lösung in noch weitere Ferne gerückt ist.

Sepp Blatter versuchte noch kürzlich, die Ausschlussandrohung zu verharmlosen, indem er anmerkte, sowas komme häufiger vor, zuletzt im Schnitt einmal pro Jahr. Dies kommt aber jeweils dann vor, wenn sich die Regierung in die Arbeit des nationalen Fussballverbands einmischt, wie zuletzt in Nigeria, als Staatspräsident Jonathan Goodluck nach der missratenen WM 2010 eine 2-Jahres-Sperre für das Nationalteam ausrief. Im Fall des FC Sion hat der Weltverband indes andere Absichten: Ein Verein, der sich erdreistet, seine Rechte nicht innerhalb der «Fussballfamilie» zu erstreiten, sondern auf zivile Gerichte zurückgreift, die dann gar das Urteil des Landesverbandes umstossen, muss hart bestraft werden. Die Fifa fürchtet nichts mehr, als dass dies Schule machen könnte, deshalb lässt sie in diesem Machtkampf, in dem sie (noch) am längeren Hebel sitzt, nun die Muskeln spielen. Der SFV könnte dabei zum Bauernopfer werden.

Was immer auch im Januar entschieden wird, es wird nicht das letzte Kapitel in dieser leidigen Geschichte sein. Vielleicht wird der Hebel der Fifa in der Folge gar deutlich kürzer sein als bislang.

Wenn Fussballer Weihnachten feiern

Mämä Sykora am Donnerstag den 22. Dezember 2011

Weihnachten steht nicht nur für uns Normalsterblichen vor der Tür, auch Profifussballer begehen dieses sinnliche Fest gerne gemeinsam. Was alles passieren kann, wenn die Herren Kicker nach ein paar Gläschen bei der vereinseigenen Weihnachtsparty so richtig in Feierlaune kommen, zeigt diese Zusammenstellung. Es muss vermutet werden, dass es die allerwildesten Geschichten gar nie bis an die Öffentlichkeit schaffen. Schade eigentlich.

Bernt Haas

Bernt Haas

West Bromwich Albion (2004)
Der Schweizer Aussenverteidiger Bernt Haas erschien 2004 an der Weihnachtsfeier von West Bromwich Albion stilecht als Robin Hood. Von den reichen Klubbesitzern nahm er vor allem eines, nämlich Hochprozentiges, das unter den Armen verteilen er indes unterliess. So landete Haas sturzbetrunken im Spital, woraufhin Manager Bryan Robson – selbst der Flasche nicht abgeneigt – künftige Weihnachtsfeiern untersagte. Haas wehrte sich vergebens: «Ich habe wahrscheinlich bloss etwas Falsches gegessen.»

Marco Ambrosio

Marco Ambrosio

Grasshoppers (2004)
Ein Zauberer sollte GC die Magie vergangener Tage zurückbringen. Chelsea-Leihgabe Marco Ambrosio interessierte sich herzlich wenig für verschwindende Karnickel und plauderte so lange weiter, bis er des Saales verwiesen wurde. Aus Solidarität mit ihrem Goalie verliessen die Spieler mitsamt Partnerinnen ebenfalls das Restaurant, und es brauchte einiges Verhandlungsgeschick von Trainer Bernegger und Sportchef Brigger, bis wieder alle vereint waren. Zwei Wochen später verliess Ambrosio den Verein.

Franz Beckenbauer

Franz Beckenbauer

Bayern München (1999)
Kaiser Franz Beckenbauer nahm an der Weihnachtsfeier die Nachwuchsförderung in die eigene Hand. Das Resultat war Joel Maximilian, seine Mutter ist die damalige Sekretärin des deutschen Rekordmeisters, Heidrun Burmester, 33. Der kaiserliche Kommentar dazu: «Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.»

Rio Ferdinand

Rio Ferdinand

Manchester United (2004)
50’000 Pfund sollen die Spieler in einem Club versoffen haben. Da erstaunt es wenig, dass Gary Neville, Rio Ferdinand, Darren Fletcher und Wes Brown gleich zweimal in jener Nacht in Prügeleien verwickelt waren, nachdem sie von «einem pickeligen Kollegen eines Reservespielers» provoziert worden waren. Es wird Wayne Rooney noch heute ärgern, dass er das verpasst hat. 2007 folgte schon der nächste Skandal nach einer wilden Feier mit Dutzenden Models, die gar eine Vergewaltigungsklage nach sich zog. Seither gibt’s bei Alex Ferguson keine Weihnachtspartys mehr. Viel zu feiern gäbe es dieses Jahr ohnehin nicht.

Robbie Fowler

Robbie Fowler

Liverpool FC (1998)
Die «Spice Boys» um Robbie Fowler, Jamie Redknapp und Steve MacManaman waren ohnehin schon für ihre Skandale berüchtigt. Die Weihnachtsfeier 1998 setzte die Latte aber selbst für ihre Massstäbe hoch. «The Independent» nannte sie die «Verdorbenste Christmas Party aller Zeiten». Was genau geschah, wissen wohl nicht einmal mehr die Beteiligten. Verbürgt ist der Einsatz von Kostümen, einer Menge Schlagrahm und Sexspielzeugen, sowie das Auftauchen einer Reihe von Prostituierten, die einiges an Arbeit hatten. Als Zuschauer im Hintergrund: der gerade mal 19-jährige Michael Owen, der laut eigenen Aussagen «erstaunt» war.

Spezial-Trikot für Van der Vaart.

Spezial-Trikot für Van der Vaart.

Hamburger SV (2007)
Captain Rafael van der Vaart wollte seinen Wechsel zu Valencia unbedingt durchstieren und liess sich bereits im Trikot der Spanier fotografieren. Als Geschenk erhielt er deswegen von seinen Mannschaftskameraden ein Valencia-Shirt mit der Aufschrift «VAN DER VERRAT» überreicht. «Das ist Humor», lächelte der Holländer gequält, und verschwand im Sommer zu Real Madrid.

Auch wenn’s bei euch nicht ganz so wild zu und her gehen sollte in den nächsten Tagen: Ich wünsche euch fröhliche Weihnachten! Und wenn eine Gruppe Fussballer euren Weg kreuzen sollte: Hinterher! Das wird sicher interessant.

Die Sackgasse in der Pyro-Frage

Mämä Sykora am Montag den 19. Dezember 2011

Die Zeit, in der TV-Kommentatoren Pyros als «tolle südländische Stimmung» feierten, ist lange vorbei. Heute sind sie für die Medien ein Beweis für die Gewaltbereitschaft der Fussballfans, der Einfachheit halber meist pauschal «Hooligans» genannt. Die Öffentlichkeit lechzt nach Repressionen, die Politiker nehmen diesen Steilpass gerne auf und entwickeln in Rekordzeit Aktionsprogramme und Vorstosspakete mit grösstenteils unsinnigen Punkten. Aber Hauptsache, es wird etwas gefordert, was ein Grossteil der Wahlberechtigten unterstützt. Egal, ob die Forderungen umsetzbar oder hilfreich sind. Dazu wird mit Heinrich Schifferle ein neuer Ligapräsident gewählt, der in seinem ersten Interview von sich gibt, dass er «nie in eine Fankurve gehen würde», weil es da zu gefährlich sei. In diesem Umfeld werden also Massnahmen gefordert, die per sofort greifen sollen.

Das kann nicht gut gehen. GC-Präsident Leutwiler fordert Spielabbruch bei Pyroeinsatz und sperrt nach den Vorfällen in Lausanne beim nächsten Heimspiel die Kurve. Beim FC Luzern werden Fahnen und Doppelhalter verboten, weil sich die Fans nicht ans Fackelverbot hielten. Weitere Entscheide in diese Richtung – etwa Kleidungsvorschriften – werden sicherlich noch folgen, denn sowohl Hooligan-Experte Dölf Brack wie auch Staatsanwalt Simon Burger loben solche Vorgehen. Die Pyrodiskussion verkam zu einem Machtkampf zwischen Fans und Vereinsführung. Zu einem der lächerlichen Art noch dazu.

Wenn sich einige nicht an die Spielregeln halten, wird kollektiv bestraft. Ganz wie bei Kleinkindern wird alles Spielzeug weggenommen, wenn einige Wenige weiterhin unartig sind. Den Fans, die sich zu Recht als integraler Bestandteil eines Vereins sehen, fühlen sich durch so eine Behandlung herabgewürdigt und kontern mit Provokationen, die wiederum eine härtere Gangart zur Folge haben werden. Erste Unterstützung für die Luzerner Kurvenfans gibt es nun von den Sitzplätzen. Schon 60 Saisonabo-Inhaber gaben ihre Sitzplatz-Karten zurück und wechselten aus Solidarität auf die billigeren Stehplätze (allmend-united.org).

Schon die ersten Aktionen von Vereinsoberen haben gezeigt, dass solche Erziehungsmassnahmen eine Spirale lostreten, die nicht gesund ist für den Schweizer Fussball. Der Machtkampf vertieft den Graben zwischen Führungsetage und Fans zusehends. Eine Versöhnung ist nicht in Sicht, denn die Fans wollen die Kurve «als Freiraum behalten», auf die Selbstregulierung vertrauen und sich schon gar nicht durch Strafaktionen des eigenen Vereins vergraulen lassen.

Die Kommunikation mit den Fans gestaltet sich ohnehin schwierig. Anders als ein Verein hat die Kurve keinen Chef, nach dessen Pfeife alle tanzen. Da steht ein bunt gemischter Haufen von Tausenden von jungen Leuten, und der ist anscheinend nicht gewillt, des öffentlichen Geschreis wegen auf seine Traditionen zu verzichten. Der Vorschlag, Pyros kontrolliert abzubrennen, kommt nicht gut an. In Deutschland wurden kürzlich die Bestrebungen in diese Richtung auf Eis gelegt. Es scheint, als ginge der Reiz der Pyros verloren, wenn man kontrolliert und überwacht «Blödsinn» anstellen müsste, obwohl zumindest optisch der gleiche Effekt erzielt werden könnte.

Für mich haben Pyros wenig Faszinierendes. Ich schaue vor allem auf den Rasen, das Geschehen dort interessiert mich deutlich mehr. Als sogenannter Softcore-Fan bin ich an der Pyrodiskussion (zum Glück) nicht beteiligt. Und doch rege ich mich derzeit über alle Beteiligten auf. Medien, die Pyroabbrenner kurzerhand zu Hochkriminellen machen und die Situation so darstellen, als wäre das Stadion ein rechtsfreier Raum, in dem Fackelwerfer und ähnliche Delinquenten straffrei davonkommen; SFL-Obere, die die Kurve als lebensgefährlich einstufen; Politiker und Experten, die Denunziantentum und ein Kaskaden-System fordern, bei dem nach jeder Verfehlung härtere Massnahmen greifen; und nicht zuletzt auch einzelne Mitglieder der Kurven, die in der aufgeheizten Stimmung noch Öl ins Feuer giessen, und in diesem Machtkampf keinen Millimeter von ihren Vorstellungen abweichen und sich als die einzigen wahren Fussballfans sehen. Bei derart verhärteten Fronten ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Tribünengänger mitbestraft werden, sei dies durch bussenbedingte Erhöhungen der Ticketpreise und/oder massive Eingangskontrollen.

Nein, auch ich habe keine patente Lösung parat. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich eine finden würde, wenn sich die Parteien nicht so gebären würden. Vereinspräsidenten, die Fans sind euer Kapital und sie lieben euren Klub! Mit unsinnigen Drohungen und Bestrafungen löst ihr das Problem nicht, ihr erntet lediglich weitere Provokationen und Proteste. Und von den Fans würde wohl nur schon als Zeichen des guten Willens ein zeitweiliger Verzicht auf Pyro genügen, damit die Wogen geglättet und die Diskussion auch wirklich zu einer wird. Das ist mein Wunsch für 2012. Damit wieder über Fussball berichtet wird, und die Stadien wieder als Sportstätten, nicht als lebensbedrohliche Zonen wahrgenommen werden.

Die 10 Gewinner der Hinrunde

Mämä Sykora am Montag den 12. Dezember 2011

Seit gestern ist fertig mit Schweizer Fussball für dieses Jahr. Zumindest für jene, die der süssen Verlockung widerstehen können, am Mittwoch im Letzigrund bei 2° Celsius und Regen das für den FCZ vollkommen unbedeutende Europa-League-Spiel gegen den grossen FC Vaslui aus Rumänien trotz der total moderaten Ticketpreise – 100 bis 140 Franken auf der Tribüne, 50 Franken in der Kurve – schauen zu gehen.

Die erste Phase der Super-League-Saison 2011/12 hat mehr Verlierer als Gewinner hervorgebracht, unter anderem auch deswegen, weil das sportliche über lange Zeit in den Hintergrund gerückt ist. Gerichtsentscheide, Lizenzfragen, dubiose Vereinsbosse, das Zürcher Derby und die Pyrodiskussion nehmen in den Sportzeitungen mehr Platz ein als die Spielberichte. Dennoch habe ich mal versucht, meine total subjektiven 10 Gewinner der Hinrunde zu bestimmen. Und hier sind sie:

Wer gehört eurer Meinung nach auch in diese Top 10? Und wer ist fehl am Platz?

Blatters lächerliche «Revolution»

Mämä Sykora am Samstag den 10. Dezember 2011


Wie sagte doch Sepp Blatter vor einigen Jahren, als das Gespräch auf Profischiedsrichter und Torkameras fiel? «So etwas kann man nicht machen, sonst verliert der Fussball sein menschliches Antlitz, die Spontaneität und hat keine Emotion mehr. Solange ich hier bin, werde ich dafür sorgen, dass dies nicht geschieht.» Nun gibt sich der FIFA-Präsident plötzlich – und einmal mehr – als Retter des Fussballs und verkündet die baldige Einführung exakt dieser umstrittenen Neuerungen.

Seltsam, denn noch wenige Monate vor der WM in Südafrika hatten sich die Regelhüter des Weltverbandes vehement gegen den Einsatz von technischen Hilfsmitteln ausgesprochen. «Wir waren uns alle einig, dass die Technik nicht Einzug in den Fussball halten darf. Es ist unser Wunsch, dass der Fussball menschlich bleibt, denn das macht seine Schönheit aus», sagte etwa der Brite Patrick Nelson, Mitglied des International Football Association Board (IFAB), das über Regeländerungen entscheidet. Sein Landsmann Jonathan Ford setzte gar noch einen drauf: «Strittige Entscheidungen sind doch gerade das Schöne an diesem Sport.»

Woher kommt denn diese plötzliche Kehrtwendung? Was ist seither passiert, dass nun auf einmal alle geschlossen hinter der Neuerung stehen? Eine entscheidende Rolle spielten zwei Daten: Der 27. Juni 2010 und der 2. Dezember 2010. Im Juni sprang ein Knaller von Frank Lampard im WM-Achtelfinale Deutschland-England deutlich hinter der Linie auf. Das Tor wurde aber aberkannt und auf der Insel schrie man nach der Torkamera. Und im Dezember schockte die FIFA England mit der Vergabe der WM 2018 nach Russland statt ins siegessichere Königreich. Seither trägt das Mutterland des Fussballs einen Kleinkrieg mit Blatters Weltverband aus und lässt keine Gelegenheit aus, Stimmung gegen den Walliser zu machen. Erst war es die Korruptionsdebatte im Anschluss an die Vergabe der WM, bei der viele Köpfe – freilich mit Ausnahme dessen von König Sepp – rollten, kürzlich wurde eine mediale Schlammschlacht angezettelt, weil die FIFA den Engländern verboten hatte, im Freundschaftsspiel gegen Spanien Mohnblüten auf dem Trikot zu tragen, um den Kriegsopfern zu gedenken.

Es war also höchste Zeit für Blatter, sich mit den Briten wieder besser zu stellen. Er hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass er keine Probleme damit hat, seine Meinung von einem Tag auf den nächsten zu ändern, so lange es zu seinem Vorteil ist. Im eingangs erwähnten Gespräch hat er beispielweise angekündigt, mit Sicherheit spätestens 2006 abzutreten. Von seinen tollen angekündigten Regeländerungen wie etwa weniger Spieler auf dem Feld, damit nicht so gut verteidigt werden kann (2006), grössere Tore (1996) und natürlich knappere Höschen im Frauenfussball (2004) kam er ebenfalls schnell wieder ab.

Nun gibt er sich aus taktischen Gründen unterwürfig und reumütig, um nicht die Unterstützung der Briten zu verlieren, wohl wissend, dass die Einführung von Torkameras und Profischiedsrichtern keineswegs eine «Revolution» ist. Ob Profis tatsächlich besser pfeifen, wird sich erst noch weisen müssen, und die so oft geforderte Torkamera ist gelinde gesagt ein Witz. Millionen wurden bereits in die Entwicklung dieser Technologie gebuttert, die in der gesamten WM-Historie in gerade mal zwei Fällen in 1479 (!) Spielen Klärung hätte schaffen können.

Wenn schon Revolution, dann richtig: Regelmässig für Ärger sorgen nämlich nicht strittige Torentscheide, sondern Offsides, Schwalben und Fouls. Dafür braucht es keine zusätzliche teure Technik, denn die Spiele werden ohnehin von unzähligen Kameras begleitet. Es wäre also ein Leichtes, Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen, indem man bei grossen Turnieren jedem Team – analog zum Tennis – 3 «Challenges» gibt. Nach einer unschlüssigen Szene kann der Captain vom Unparteiischen verlangen, sich an der Seitenlinie die Bilder im TV anzuschauen, um danach klar entscheiden zu können. Dabei gingen höchstens jene Minuten verloren, die jetzt durch unnötiges Reklamieren und Lamentieren draufgehen. DAS wäre eine Revolution.

Die Hoffnung darauf, dass so etwas bald eingeführt wird, ist schwindend klein. Es sei denn, Blatter verkracht sich demnächst mit einem anderen einflussreichen Landesverband, der sich genau diese Neuerung wünscht.

Vogel ist die richtige Wahl

Mämä Sykora am Mittwoch den 7. Dezember 2011
Will nach oben: Heiko Vogel mit dem FC Basel in Lissabon. (Bild: Keystone)

Will nach oben: Heiko Vogel mit dem FC Basel in Lissabon, 2. November 2011. (Bilder: Keystone)

Die Gegensätze auf der Trainerbank könnten grösser kaum sein. Bei Manchester nimmt heute Abend bei den Gästen einmal mehr Sir Alex Ferguson Platz, 69 Jahre alt und seit einem Vierteljahrhundert Kaugummi kauend an der Seitenlinie der United. Er wurde mit den Red Devils zwölf Mal englischer Meister, gewann fünf Mal den FA Cup, vier Mal den League Cup und zwei Mal die Champions League, dazu kamen noch diverse weitere Titel. Heiko Vogel, sein heutiger Konkurrent, ist knapp halb so alt, noch ohne Titel, und betreut seit zwei Monaten seine erste Mannschaft als Cheftrainer. Und er weiss momentan noch nicht, was in Zukunft seine Aufgaben sein werden.

Vogels Vorgänger Thorsten Fink hat nicht lange gezögert, als das Angebot des HSV kam. Zwar hat er stets betont, wie viel man in Basel erreichen könne und wie sehr ihm das entspreche, andere Töne hat er kürzlich in einem Interview mit «Welt Online» angeschlagen, in dem er seinen Weggang damit begründete, er sei «doch noch nicht im Rentenalter» und wolle nach oben. Andere hätten an seiner Stelle «für zehn Jahre in Basel unterschrieben, sich zu ihrer Frau auf die Couch gelegt und Rotwein getrunken.»

Vogels heutiger Gegner: Sir Alex Ferguson.

Vogels heutiger Gegner: ManU-Legende Ferguson.

Für den FC Basel entpuppte sich der Wechsel zu Heiko Vogel als Glücksfall. Finanziell ohnehin: Für Fink kassierte der FCB nicht nur eine Ablöse von 1 Million Franken, gleichzeitig hatte man einen Grossverdiener weniger auf der Payroll. Und der sportliche Erfolg stellte sich umgehend ein. Zum Zeitpunkt von Finks Abgang bereitete vor allem die Defensive grosse Sorgen. In der Meisterschaft lag man mit 5 Punkten Rückstand im Mittelfeld, nun wurden daraus in gerade Mal 6 Wochen 6 Punkte Vorsprung. Und das Team überzeugt in allen Wettbewerben. Heute Abend könnte der FC Basel gar das grosse Manchester United aus dem wichtigsten Klubwettbewerb der Welt werfen.

Auf den Trainerentscheid dürfte die heutige Partie keinen Einfluss haben. Die Vereinsführung betonte zwar regelmässig, es bestehe kein Grund zur Eile, doch alles andere als weiterhin mit Heiko Vogel zu arbeiten, wäre nur schwer verständlich. Die Resultate stimmen und Vogel ist bei den Spielern äusserst populär. Captain Streller etwa liess verlauten: «Ich habe keine Zweifel, dass Heiko bleibt. Denn wenn jemand gegen ihn ist, muss er mir zuerst ein Argument liefern.»

Für eine Mannschaft wie den FC Basel ist ein Trainer vom Schlage Vogels in der Tat ideal. Auch wenn er es selber als Aktiver nicht über den Dorfverein SV Edenkoben hinaus gebracht hat, ist seine fussballerische Kompetenz unbestritten. Bei Bayern München lernte er bei der Arbeit mit dem Nachwuchs vieles, als Finks Assistent lernte er die Arbeit mit Profis kennen und konnte sich in Ruhe mit Taktik und Analysen befassen. Nun, da er selber entscheiden darf, sieht man, dass ihm diese Arbeit das Zeug zu einem Erfolgstrainer gegeben hat.

Mit 36 Jahren ist er nur wenig älter als die Routiniers im Team. Er pflegt mit seinen Spielern ein eher freundschaftliches Verhältnis, und genau das könnte die Leistungssteigerung des Teams beeinflusst haben. Das Kader des FCB ist fast schon zu gut für die Super League. Es geht also in erster Linie darum, die Spieler dazu bringen zu können, ihre Leistung auch dann abzurufen, wenn der Gegner Thun oder Lausanne heisst. Dafür braucht es keinen Trainer mit einem grossen Namen und unzähligen Titeln im Palmarès, sondern einen, für den die Spieler auch bereit sind, alles zu geben. Einer wie Vogel eben.

Vogel ist indes mehr als nur ein «netter Typ». Die Arbeit im Hintergrund kennt er bereits bestens, nun hat er auch in der Champions League gezeigt, dass er seinen Profis auch etwas vermitteln kann, was diese auch umzusetzen wissen. Vielleicht wird das Spiel von heute Abend sein erstes Meisterstück. Und auch wenn es nicht gelingen sollte: Heiko Vogel muss auf jeden Fall Cheftrainer bleiben!

Zum Abschied des Allergrössten

Mämä Sykora am Montag den 5. Dezember 2011

Niemand spielte eleganteren Fussball als er. Unendlich grazil trotz seiner Körperlänge von 192 Zentimetern, kein Schritt zu viel, den Kopf stets oben und dabei das gesamte Spielfeld im Blick. Gesegnet mit einer stupenden Technik und einem unvergleichlichen Auge für die Mitspieler und offene Räume. Aus dem Nichts kreierte er völlig neue Spielsituationen, seine Pässe spielte er mit einer unglaublichen Nonchalance und bevorzugt mit der Hacke. Wenn Sócrates spielte, sah es zu keinem Zeitpunkt nach Anstrengung oder gar Kampf aus. Ihm zuzuschauen war ein ebensolcher Genuss, wie für ihn selber der Fussball offensichtlich auch war.

Gestern verschied der virtuose Brasilianer geschwächt von den Folgen übermässigen Alkoholkonsums – im Alter von 57 Jahren an den Folgen eines septischen Schocks, der von einer Entzündung im Darm herrührte. Mit ihm verstarb der letzte grosse Künstler, den der Weltfussball hervorgebracht hatte, das Idol unzähliger Jugendlicher in den Achtzigern und Sinnbild des schönen brasilianischen Fussballs.

Wäre er in der heutigen Zeit aktiv gewesen, er hätte es wohl kaum über die Fussballplätze der Provinz herausgebracht. Gegenspieler wären ihn hart angegangen, mit der Athletik wäre er nicht zurechtgekommen, den Raum und die Zeit, die er mit seinen Geistesblitzen füllte, hätte man ihm nicht gelassen. Und vor allem wäre ihm selber die Lust vergangen. Schon den Weltmeistertitel seiner Landsleute von 1994 kommentierte der studierte Arzt so: «Das war eine echte Qual. Mir taten die Augen weh, wenn ich mir die Spiele meines Landes anschaute. Grausam.»

Bei Sócrates war Fussball Kunst. Als Captain führte er die Seleção an der WM 1982 an und bildete zusammen mit Zico, Falcão und Toninho Cerezo das «magische Quartett» im Mittelfeld, das das ergreifende Offensivspiel der Mannschaft orchestrierte (siehe Videos in der Bildstrecke). «Von taktischem Geplänkel halte ich ganz und gar nichts», sagte die bärtige Nummer 8 einst. «Für mich darf der Sieg nie die Mittel heiligen. Es lebe der schöne Fussball!» Es war diese Einstellung, die Brasilien damals den WM-Titel kostete. Anstatt das 2:2 gegen Italien in der Zwischenrunde zu verwalten, das für die Halbfinalqualifikation gereicht hätte, stürmte die Mannschaft munter weiter nach vorne, bis Paolo Rossi ihr den Todesstoss versetzte. Bedauern? «Was bedeuten schon Titel? Gar nichts.»

Sócrates lebte, um zu spielen. Nicht für Trophäen. Er trainierte nur ungern, genoss dafür das Leben umso mehr. Er spielte und feierte, rauchte und revolutionierte. Bei seinem Stammverein Corinthians führte er die «Democracia Corinthiana» ein, die Hierarchien abschaffte und die Mannschaft über Trainingszeiten, Aufstellung und Menüwahl abstimmen liess. Als Aufruf zur Wahlbeteiligung prangte auf ihren Trikots «DIA 15 VOTE». Diese Kommunalwahl ebnete den Weg zur Beendigung der 20-jährigen Militärdiktatur. Am Tag von Sócrates’ Tod wurde Corinthians zum fünften Mal in der Vereinsgeschichte brasilianischer Meister.

Nur ein einziges Auslandsengagement erlebte der Ausnahmekönner als Profi. Trotz Angeboten vieler Grossklubs suchte er sich die Fiorentina aus, angeblich weil es der einzige Verein war, der Sex auch später als drei Tage vor dem Spiel erlaubte. Glücklich wurde er indes in Italien nie. Denn wer ihn einschränkte, nahm ihm die Lust am Fussball. Und ohne diese wollte er nicht leben.

Noch mit 50 Jahren versuchte er, diese Lust wieder zurückzugewinnen und liess sich zu einem einmonatigen Abenteuer beim englischen Provinzklub Garforth Town überreden. Doch lange hielt sie nicht an. Sócrates fiel tief und verlor gestern Sonntag seinen letzten Kampf. «Kein Spieler gibt seine Fussballkarriere auf. Der Fussball ist es, der sich von den Spielern abwendet», sagte er einmal. Für ihn, den Artisten, war dies nur schwer zu ertragen.

Sócrates hinterlässt eine Ehefrau und sechs Kinder, und bei Fussballfans auf der ganzen Welt die süssesten Erinnerungen an wunderbare Momente der Magie auf dem Platz. Er hat vielen Zuschauern gezeigt, wie unendlich schön dieser Sport sein kann, und sie für immer in seinen Bann gezogen. Ich bin einer davon. Danke, Dr. Sócrates!

Die belgische Lösung gegen Fussball-Krawalle

Mämä Sykora am Samstag den 3. Dezember 2011
Fans von Hannover 96 feiern freidlich im Stadion, Lüttich am 30 November.

Die Präventionsmassnahmen in Belgien haben das Gegenteil bewirkt: Fans von Hannover 96 feiern noch friedlich im Stadion, Lüttich am 30. November.

Belgien und die Schweiz haben einiges gemeinsam. Sie sind von vergleichbarer Grösse und haben ähnlich viele Einwohner. Beide nehmen für sich in Anspruch, die beste Schokolade der Welt zu produzieren, und beide Nationalmannschaften waren einst – im Gegensatz zu heute – gefürchtete Gegner, wobei die belgische Vergangenheit mit einem EM-Finale (1980), einem WM-Halbfinale (1986) und Spielern wie Enzo Scifo, Paul Van Himst oder Jean-Marie Pfaff doch noch ein bisschen stolzer ist. Und in beiden Ländern gibt es derzeit einige Politiker, die seltsame Programme präsentieren, wie dem Problem der Ausschreitungen rund um Fussballspiele Herr zu werden sei.

Wir blenden zurück: Im Juli dieses Jahres trifft der FC Zürich in der 3. Runde der Qualifikation für die Champions League auf Standard Lüttich, das dank des unglaublich irrsinnigen Modus der belgischen Liga bis dahin gekommen ist. Schon vor dem Spiel werden die 800 angereisten FCZ-Fans auf ihrem Weg in die Innenstadt von einheimischen Gruppierungen mit Pyro-Material beschossen und tätlich angegriffen. Es kommt zu Ausschreitungen und Verhaftungen auf beiden Seiten.

Was der Schweiz ihre Karin Keller-Sutter, ist in Belgien Willi Demeyer, Bürgermeister und Polizeichef von Lüttich. Nach den Randalen rund um das FCZ-Spiel hatte er endgültig genug von den Fussballfans und traf auf die Europa-League-Partie vom vergangenen Donnerstag gegen Hannover 96 drastische Massnahmen. Er erklärte die Innenstadt kurzerhand für die Gästefans zur verbotenen Zone. In einer Sonderverordnung schrieb er ihnen vor, ausschliesslich in Bussen anzureisen, die die belgische Grenze erst zwei Stunden vor dem Anpfiff überqueren dürfen und direkt zum Stadion fahren. Wer mit Trikot oder Schal in der Stadt aufgegriffen werde, müsse mit einer Verhaftung rechnen, liessen die Behörden verlauten. Zudem wurden verstärkte Alkoholkontrollen bereits an der Grenze angekündigt. Promillebeladene Gästefans sollten erst gar nicht ins Land gelassen werden.

Vergebens haben sich Personen aus dem Umfeld der 96er – von Funktionären bis Politikern – versucht, den Dialog mit dem Bürgermeister zu suchen und doch den Fans des eigenen Vereins doch noch eine vergnügliche Europacup-Reise zu ermöglichen. Doch Demeyer liess sie alle abprallen.

Tatsächlich blieb es dank diesen rigorosen Massnahmen ruhig – in der Innenstadt zumindest. Denn von den 1700 mitgereisten Deutschen fühlten sich ein paar Dutzend durch die unliebsamen Massnahmen derart schikaniert und provoziert, dass sie nach dem Spiel aus dem Stadion stürmten und die bereit stehenden Polizisten mit Flaschen und ähnlichem bewarfen. Diese antworteten mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Tränengas, vier Hannoveraner wurden festgenommen.

Es ist einerseits verständlich, dass in dem Land, in dem Hooligans 1985 für die Katastrophe von Heysel und den Tod von 39 Menschen verantwortlich waren, die Angst vor Gewaltakten rund um ein Fussballspiel gross ist. Seither hat sich aber einiges getan, und in vielen Bereichen trat Besserung ein. Dieses Lütticher-Modell – Gäste zwar zuzulassen aber wo nur möglich zu schikanieren – kann wahrlich nicht die Lösung sein. Wie die Partie am Donnerstag, bei der sich übrigens beide für die nächste Runde qualifiziert haben, gezeigt hat, lassen sich Fans auch mit solchen Auflagen nicht von einer Anreise abhalten. Es besteht so noch viel mehr die Gefahr, dass sich der Ärger über die entgangene Freude über den nun mal zu einem Auswärtsspiel gehörenden Bummel durch die Stadt, dieses speziellen Europacup-Erlebnisses, in Aggressionen gegen das Sicherheitspersonal entlädt.

In Lüttich lief es noch einigermassen glimpflich ab. Es ist zu vermuten, dass deshalb die Massnahmen in Belgien als Erfolg gewertet werden. Sollte dieses Modell erst einmal Schule machen und die Auswärtsfans bald auch anderswo ähnlich behandelt werden, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit bis es irgendwo zu einem heftigeren Zusammentreffen zwischen Fans und Polizei kommen wird. Was natürlich wiederum jenen in die Karten spielt, die eine noch härtere Gangart fordern. Eine Negativspirale, die nicht erst in Lüttich ihren Anfang genommen hat, sich aber am Donnerstag ein gutes Stück weiter gedreht hat.