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Warnsignale aus Glasgow

Mämä Sykora am Donnerstag den 16. Februar 2012


Die Nachricht vom Dienstag erschütterte die Fussballwelt. «Glasgow Rangers beantragen Insolvenz», titelten die Zeitungen Europas und lösten bei den Lesern Unglauben aus. Einer der ältesten Klubs der Welt, mit mehr Meistertiteln als irgendein anderer Verein (54), eine Institution – ja gar eine Religion – in Schottland, mit einer Stadionauslastung von über 90 Prozent trotz meist bescheidenen Gegnern… Dieser Verein soll Pleite sein?

Meldungen von konkursiten Fussballklubs sind längst keine Ungewöhnlichkeit mehr. Doch fast ausschliesslich betrifft es kleinere Vereine, die sich übernommen oder auf zwielichtige Investoren eingelassen haben. Die Rangers gehören in eine andere Kategorie. Auch wenn der Glanz vergangener Tage mit drei Europacupfinals und einem Titel zwischen 1961 und 1972 etwas verblasst ist, gehören die Rangers noch immer zu den grossen Namen in Europas Fussball. Ein letztes Ausrufezeichen setzte man 2008, als man den Final des Uefa-Cups erreichte (0:2 gegen Zenit St. Petersburg).

Dass selbst ein Verein mit derart guten Voraussetzungen in finanzielle Nöte geraten kann, sollte als Warnsignal gelten. Die Rangers spielen in jedem Jahr europäisch, schliessen einträgliche Werbeverträge ab, generieren gutes Geld dank TV-Verträgen und das Stadion ist stets gut gefüllt. Dennoch waren die drohenden Steuernachzahlungen und Strafen in der Höhe von umgerechnet über 70 Millionen Franken zu viel für den Traditionsverein. So wurde die Insolvenz beantragt, was auch einen Abzug von 10 Punkten und damit die Vorentscheidung im Meisterrennen zur Folge hatte.

Vereine mit gewissen Ansprüchen bewegen sich stets auf einem schmalen Grat. Wer mit zu viel Risiko die hoch gesteckten Ziele (und die der Fans und Sponsoren) erreichen will und dann doch scheitert, dem droht ein schneller und tiefer Fall. Im Selbstverständnis der Rangers gehört man zu Europas Spitzenteams, die Realität sieht indes anders aus: Nach dem Absturz Schottlands in der Uefa-Fünfjahreswertung scheiterten die Rangers letzten Sommer in der Champions-League-Qualifikation an Malmö, danach blieben sie sogar in die Europa-League-Qualifikation an Maribor hängen. Trotz regelmässigen Teilnahmen in Europas Königsklasse gelang nur ein einziges Mal der Sprung in die K.o.-Phase.

Eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen, ist für die Glasgower Vereine wahrlich keine leichte Aufgabe. Herausragende Spieler sind kaum zu halten, Verstärkungen kann man nur mit hohen Ablösesummen und stolzen Löhnen davon überzeugen, fortan gegen Dunfermline und St. Mirren aufzulaufen. Zudem steigert kaum ein Spieler in Schottland seinen Marktwert, die meisten teuren Neueinkäufe verliessen den Verein später zu einem Bruchteil des Einkaufspreises. So erwirtschaften die «Gers» jedes Jahr ein Minus von 15 Mio. Franken. Dies kann man nur stemmen, wenn der sportliche Erfolg dauerhaft ist. Schon ein düsteres Jahr lässt das Wasser bis zum Hals steigen. Noch ein solches kann schon den Untergang bedeuten.

Die Klubführungen von grossen Vereinen aus kleineren Ligen, wie etwa Ajax Amsterdam, PSV, Sporting Lissabon oder eben der FC Basel, sollten die Vorgänge in Britanniens Norden aufmerksam verfolgen. Es braucht wahrlich nicht viel, bis aus hochtrabenden Träumen ein Scherbenhaufen wird. Der FCB handelt bislang in jeder Hinsicht höchst vernünftig, es ist zu hoffen, dass er dies auch beibehalten wird, wenn mal Anspruch und Realität nicht übereinstimmen sollten. Auch er fährt nämlich in dürren Saisons einen 10-Millionen-Verlust ein.

Noch hält sich bei den Rangers-Fans die Hoffnung, dass die Insolvenz lediglich ein Trick sei. Chairman Craig Whyte hatte im Mai 2011 85 Prozent der Aktien des hoch verschuldeten Vereins für den symbolischen Betrag von einem Pfund übernommen, dafür überschrieb der Klub seine Bankschulden auf ihn. Im Falle einer Insolvenz dürfte er als erster Ansprüche anmelden, während die Steuerbehörde ganz hinten anstehen müsste. Müsste der Verein Konkurs anmelden, könnte Whyte den Klub neu gründen und schuldenfrei neu starten. Ob der Verein jedoch gleich wieder in der Premier League mittun könnte, ist hingegen noch ungewiss.

Wie auch immer diese traurige Geschichte ausgeht: Mögen die Warnsignale an den richtigen Stellen ankommen und damit weitere solche Schicksale verhindert werden!

Der erweiterte Kreis der Verlierermannschaften

Mämä Sykora am Dienstag den 14. Februar 2012


Die Rollenverteilung vor dem Endspiel des Afrika-Cups hätte einseitiger nicht sein können. Auf der einen Seite die Elfenbeinküste, bestklassiertes Team Afrikas, gespickt mit Weltstars von den führenden Vereinen Europas, von denen selbst die Bankdrücker einen höheren Marktwert haben als das gesamte Kader des Finalgegners. Auf der anderen Seite Sambia, in der Weltrangliste neben dem Irak, China und Albanien klassiert, mit YB-Profi Mayuka als einem von lediglich zwei Europa-Legionären, als einzigen Erfolg in den letzten 15 Jahren einen Viertelfinaleinzug beim Afrika-Cup vorweisend. Klarer kann eine Angelegenheit auf dem Rasen wahrlich kaum sein.

Doch die Ivorer versagten auf der ganzen Linie. Die hochgelobte Generation um Didier Drogba, Yaya Touré und Kolo Touré musste gar froh sein, sich gegen die frech aufspielenden Underdogs wenigstens ins Elfmeterschiessen gerettet zu haben, dort flatterten – einmal mehr – die Nerven und Sambia feierte einen nicht für möglich gehaltenen Triumph.

Es war nicht das erste Mal, dass die «Elefanten» trotz bester Voraussetzungen versagten. Am Afrika-Cup 2006 verlor man das Elfmeterschiessen im Finale gegen Ägypten, 2008 war das Halbfinal-Debakel wiederum gegen Ägypten, 2010 gar das Viertelfinal-Out gegen inferiore Algerier – trotz Führungstreffer in der 89. Minute! Und nun dieses unrühmliche Endspiel gegen die «Chipolopolo» aus Sambia. In der Schweiz hat sich für solche Auftritte ein Verb verbreitet: «veryoungboysen», angelehnt an die typische Eigenheit der Berner, selbst beste Ausgangslagen grandios zu vergeigen.

Die Elfenbeinküste ist das jüngste Mitglied im erlauchten Kreis der – salopp formuliert – «Verlierermannschaften», die sich dadurch auszeichnen, in schöner Regelmässigkeit durch Unvermögen haarscharf an Titeln und Trophäen vorbeizuschrammen. YB ist dabei der Schweizer Vertreter, nach immerhin drei aus der Hand gegebenen Cupfinals gegen Sion und den in den letzten Jahren verspielten Meisterschaften.

Vorzeigeverlierermannschaft ist indes Bayer Leverkusen, mit stolzen 5 Vizemeister-Titeln und 2 Pokalfinal-Niederlagen in den letzten 15 Jahren. Daran gemessen nimmt sich das Versagen der Nationalteams eher bescheiden aus. Portugal etwa blieb mit der «Geração de Ouro» – der Goldenen Generation mit Figo, Pauleta, Rui Costa & Co. – unter sämtlichen Erwartungen, die Titellosigkeit hält weiter an. Argentinien schafft es trotz herausragenden Spielern nicht einmal in die Nähe der Weltspitze. Und Russland stolpert mir verlässlicher Konsequenz in jedem für eine WM-Qualifikation essentiellen Spiel über irgendeinen Kleinen.

Hat eine Mannschaft mal so einen Ruf, hat sie es in entscheidenden Partien sehr schwer, besonders wenn sie noch als Favorit ins Rennen steigt. Trotz aller Sportpsychologen und mentalem Training: In so einem Match will keiner derjenige sein, der einen verhängnisvollen Fehler begeht und damit eine neuerliche Niederlage herbeiführt. Die Folge ist ein auf Sicherheit bedachtes Spiel, doch alleine damit kann man nicht gewinnen. Schon gar nicht gegen einen Gegner, der kaum etwas zu verlieren hat. Dieser Fehler kostete den oben genannten Mannschaften schon einige Titel, die Elfenbeinküste war die jüngste in der Reihe derer, die aus Angst jegliches Risiko gescheut haben, und genau darum gescheitert sind.

So traurig es für die betroffenen Mannschaften ist, so schön ist es doch für den Fussball. Wie jede Soap braucht auch das Fussballtheater seine Darsteller mit klaren Charakterzügen. Die Bösen, die Guten, die jungen Wilden – und eben auch die sympathischen Versager, die selbst beste Ausgangslagen nicht zu nutzen wissen. Die Donald Ducks des Fussballs, denen man einen Triumph so gönnen würde, aber jederzeit weiss, dass mit Sicherheit nichts draus werden wird. Im Gegensatz zum Unglücksraben aus Entenhausen können Fussballmannschaften aus dieser Rolle herauswachsen. Auch Spanien gehörte nämlich einst in diese Kategorie.

Schildbürgertum vor dem Zürcher Derby

Mämä Sykora am Donnerstag den 9. Februar 2012
Wird während des nächsten Derbys leer sein: Die Zürcher Südkurve.

Wird während des nächsten Derbys leer sein: Die Zürcher Südkurve, 2. Oktober 2011. (Bild: Keystone)

Am Sonntag ist es soweit, dann steht das von vielen gefürchtete nächste Zürcher Derby an. Es ist das erste Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften seit dem unrühmlichen Fackelwurf, der «Schande von Zürich», im Oktober letzten Jahres. Dieses Mal wird die Südkurve gesperrt sein, die Saisonkarten-Inhaber konnten sich aber gegen einen Aufpreis ein Ticket für die Haupttribüne kaufen.

Wenig Freude an dieser Idee des FCZ hatte man bei GC. Boris Smiljanic, Alain Sutter und Ricardo Cabanas liessen im «Blick» verlauten, dass sie alle ihre Familien zu Hause lassen werden. Smiljanic, der eigentliche GC-Captain, liess sogar offen, ob er überhaupt anwesend sein werde. Das sagt einiges darüber aus, wie weit sich gewisse Profis von den Fussballfans entfernt haben. Dass sich nur die allerwenigsten getrauen, in heiklen Momenten beschwichtigend einzugreifen, und auch sonst die Kommunikation mit den Fans darauf beschränken, nach dem Spiel halbherzig in Richtung Kurve zu klatschen, ist schon nicht eben heldenhaft. Dass sich nun aber sogar ein gestandener Mann wie Smiljanic nicht ins Stadion getraut, weil im gleichen Sektor Fans der gegnerischen Mannschaft sitzen könnten, schlägt dem Fass dem Boden aus.

Fast ausnahmslos alle, die mehr oder weniger regelmässig ein Stadion besuchen, halten die mediale Darstellung der dortigen Zustände für masslos übertrieben. Lediglich jene, die nur dann etwas vom Fussball sehen, lesen oder hören, wenn über Scharmützel berichtet wird, haben die Vorstellung, dass solches bei Fussballspielen an der Tagesordnung sei und für jeden Besucher Lebensgefahr bestehe. Und nun stellen sich Fussballer hin, die es wahrlich besser wissen müssten, und bestärken die Ahnungslosen auch noch in ihrem Glauben, anstatt klarzustellen, dass solche Szenen wie am 2. Oktober keinesfalls an der Tagesordnung seien. Damit erweisen sie dem Schweizer Fussball einen Bärendienst.

Zum Glück gibt es in Zürich ja auch noch das Polizeidepartement, das eine Lösung zur Gefahrenpotenzialminderung vorgeschlagen hat, die selbst für Zürcher Verhältnisse absurd anmutet. Schon vorletzten Sommer wollte die Stadt ernsthaft den Gartenbeizen verbieten, die abendlichen WM-Partien mit Ton zu übertragen. Dieses Mal will sie die Brisanz aus dem Derby nehmen, indem sie ein Alkoholverbot in und ums Stadion erlassen hat. Keine neue Idee. Sinnigerweise setzt aber dieses Verbot exakt um 16 Uhr ein, also just in dem Moment, in dem das Spiel angepfiffen wird, womit die Fussballfans überhaupt nicht tangiert werden. Sie könnten sich – sofern gewünscht – gleichwohl vor dem Match volllaufen lassen. (Was im Übrigen auch passieren würde, wenn das Verbot früher einsetzen würde, dann einfach am Rand der Verbotszone.)

Diese Schildbürger-Aktion ist das jüngste Beispiel dafür, mit welchem Aktionismus allerorts Massnahmen gegen Fussballfans durchgeführt werden. Politiker sind sich bewusst, dass die Öffentlichkeit jegliche Repressalien begrüsst, gleichwohl wollen sie keinem Gewerbe schaden und wissen selber, dass sie keine patente Lösung zur endgültigen Verbannung der Gewalt aus den Stadien bereit haben. So wird denn halt einfach ein bisschen was verboten, ein bisschen was vorgeschrieben. Sachunkundige lesen vom diesem Alkoholverbot und sind zufrieden, «dass endlich etwas gemacht wird». Andere schütteln nur den Kopf und fragen sich, wer zur Hölle sich diesen Unsinn ausgedacht hat.

Nun muss man für das Après-Match-Bier halt ein paar Meter weiter gehen. Wer weiss, vielleicht trifft man da ja Boris Smiljanic an.

Sinnlose Freistösse

Mämä Sykora am Montag den 6. Februar 2012


Für die Aussage, dass Standardsituationen im modernen Fussball immer wichtiger werden, wären in der Sport1-Sendung «Doppelpass» bestimmt 3 Euro fürs Phrasenschwein fällig. Angesichts der Penetranz, mit der Übungsleiter dies aber immer wieder betonen, ist es doch erschreckend, mit welcher Einfallslosigkeit und Ineffizienz ihre Spieler eine Freistossgelegenheit nach der anderen verschenken.

Am vergangenen Samstag, im Viertelfinale des Afrika-Cups zwischen der Elfenbeinküste und Gastgeber Äquatorialguinea, gab es wieder einmal eines der seltenen Highlights zu bewundern. Yaya Touré, Afrikas Fussballer des Jahres, zimmerte einen Freistoss aus 30 Metern genau ins Lattenkreuz, wobei der Ball zuvor in einem wunderbaren Bogen die 4-Mann-Mauer passiert hatte. Traumhaft! Dieser Treffer wird mit Sicherheit noch eine ganze Weile in Eurosport-Trailern zu sehen sein, und jeder Profi träumt beim Zuschauen davon, dass ihm demnächst auch sowas gelingt.

Leider. Denn die Realität sieht anders aus, die Zahlen sind geradezu erschreckend. In der Premier League, der stärksten Liga der Welt, resultierten letzte Saison pro Team und Match gerade mal 0,8 Schüsse aufs Tor aus Freistössen, selbst die besten Mannschaften erreichten dabei keinen besseren Schnitt als 0,1 Tore pro Spiel. Und der grosse FC Barcelona erzielte aus den ihm zugesprochen 537 direkten Freistössen in der Meisterschaft ein mickriges Törchen.

Diese Statistik scheint kein Hindernis zu sein. In jedem Match werden reihenweise Freistösse auf die oberen Ränge oder in die Weichteile der wackeren Männer in der Mauer geschossen, die Balljungen sind weit öfter gefordert als die Torhüter. Jeder, der selbst mal gekickt hat, weiss, dass es wahrlich nicht ganz einfach ist, einen Ball hart, dabei aber auch sehr genau zu treten. Und gerade deswegen ist es völlig unsinnig, dass sich bei jedem Foulpfiff in der gegnerischen Hälfte der Freistossspezialist den Ball zurecht legen darf, während seine Mitspieler gelangweilt herumstehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Was dann folgt, ist null überraschend, und ebenso wenig erfolgversprechend.

Dabei bräuchte es so wenig, um mehr aus Freistössen zu machen. Man erinnere sich an die WM 1994 zurück: Im Viertelfinale Schweden gegen Rumänien gibt es Freistoss für die Skandinavier aus 22 Metern, sechs Rumänen erwarten den Direktschuss. Doch Schwarz steigt über den Ball, Ingesson spielt flach rechts an der Mauer vorbei und Brolin steht alleine vor dem Tor und trifft. So simpel und so erfolgreich, dass die Argentinier diese Variante vier Jahre später erfolgreich kopierten.

Es muss ja nicht immer eine so komplexe Version sein. Doch die meisten Trainer befinden es nicht einmal für notwendig, bei einem Freistoss aus zentraler Position einen Rechts- und einen Linksfuss hinzustellen, geschweige denn die restlichen Mitspieler dazu aufzufordern, sich ebenfalls anzubieten. Ausser dem Schützen sind alles nur unbeteiligte Zuschauer, die einen hoffnungslosen Versuch beobachten. Die verteidigende Mannschaft braucht sich nie zu fragen, wer wohl schiessen wird, oder ob gar erst ein Pass gespielt wird.

Unihockeyaner verbringen im Training einen beachtlichen Teil der Zeit mit dem Einüben von Freistossvarianten und dementsprechend oft fallen daraus Tore. Fussballer hingegen wollen alle – wie wir früher auf dem Pausenplatz – so gerne kleine Beckhams, Mihajlovics oder Juninhos sein, und für die gibt es nur den Direktschuss. Zumindest so lange ihnen niemand beibringt, dass für den Erfolg der Mannschaft deutlich besser wäre, endlich einige Varianten einzustudieren. Also bitte, liebe Trainer, unternehmt etwas! Etwas mehr Brolin und dafür weniger Ronaldo würde den meisten Mannschaften gut tun.

Eine überflüssige Rückrunde

Mämä Sykora am Donnerstag den 2. Februar 2012


Das Transferfenster ist geschlossen, die Mannschaften haben sich weniger verstärkt, dafür umso mehr ausgemistet. Dieses Wochenende startet eine Rückrunde, die grosses Potenzial hat, als eine der langweiligsten Halbsaisons aller Zeiten in die Geschichte einzugehen. Was kann denn schon Überraschendes passieren? Der Meister steht fest, einen Absteiger gibt es ebenso wenig wie einen zweiten Champions-League-Platz. Die täglichen Gruselstorys aus Neuchâtel gehören der Vergangenheit an, und langsam ist es sogar egal, wie viele Punkte Sion schlussendlich abgezogen werden. Eine Vorschau auf eine überflüssige Rückrunde.

FC Basel: Trotz heftigen Werbens keine nennenswerte Abgänge beim Vorzeigeklub der Schweiz. Der FCB wird voraussichtlich etwa Anfang April als Meister feststehen. Der grosse Nachteil dieser Geschichte: Es dürfte nach so einer Saison, die ausser den Champions-League-Highlights nichts zu bieten hatte, sehr schwierig werden, die besten Spieler nochmals von einer weiteren Saison Super League zu überzeugen. Prognose: Meister mit Rekordvorsprung, Double, und Exodus zum Saisonende.

FC Luzern: Den jüngsten Transfertätigkeiten nach zu urteilen, strebt Trainer Yakin eine Serie von 16 torlosen Unentschieden an. Das Kreativzentrum Hakan Yakin ist weg, der Sturm besteht nach Ianus Abgang noch aus zwei Junioren. Es scheint, als wolle der einstige Defensivspieler Murat Yakin der Welt endlich beweisen, dass die Stürmer hoffnungslos überschätzt sind, man könne durchaus auch ohne sie Erfolg haben. Prognose: Absturz, kein Europacup-Platz.

Young Boys: Sie holten mit Raúl Bobadilla den einzigen grossen Namen an Land, mit ihm kamen auch zwei venezolanische Wundertüten an. Im Gegenzug schob man mit Affolter und Marco Schneuwly zwei der wenigen Identifikationsfiguren ab, sehr zum Unmut der Fans. Mit Erfolgen wären diese zwar schnell zu versöhnen, aber Titel sind auch dieses Jahr unerreichbar. Prognose: Platz 2 und lauter werdende Forderungen nach einer Rückkehr Petkovics.

Servette: Die gute Stimmung im Verein nach der tollen Hinrunde wurde in der Winterpause getrübt. Präsident Pishyar versucht derzeit vergeblich, die Genfer zu finanziellem Support zu überreden, ohne dafür etwas von seiner Macht abzugeben. Er entlässt Trainer trotz sportlichem Erfolg, behält Löhne zurück und spricht Drohungen in alle Richtungen aus. Das erinnert an seine Zeit bei Admira Wacker, die er in den Konkurs und die Regionalliga führte. Prognose: Sportlich Platz 4, trotzdem das nächste Xamax.

FC Thun: «Lustrigoal» ist zurückgetreten, Thun fehlt in der Rückrunde seine gefährlichste Waffe. Da kann Challandes auch in der Rückrunde nach jeder Schiedsrichterentscheidung gegen seinen Verein toben, wie er will, die Kurve zeigt nach unten. Prognose: Platz 7.

FC Zürich: Wenn die Tunesier-Fraktion vom Afrika-Cup zurückkehrt, wähnt sie sich wohl erst mal auf dem falschen Trainingsplatz. 5 Stammspieler sind weg, ebenso viele Neue sind da. Sie kommen aus der japanischen, serbischen und der 3. brasilianischen Liga. Mutig. Wenn diese Transfers einschlagen, gilt Fredy Bickel zu Recht wieder als der Sportchef mit dem besten Näschen. Doch erst mal gilt es, ein Team neu aufzubauen. Prognose: Platz 6, schrumpfende Südkurve, wachsender Rückstand auf die nationale Spitze.

Grasshoppers: Die ohnehin schon löchrige Abwehr muss nun auch noch den Abgang von Guillermo Vallori verkraften. Kompensiert soll das mit der Reaktivierung von Johann Vogel werden. Und er ist auch gleich Captain. Doch vertragen sich die Ansprüche des einstigen Stars mit dem Leistungsvermögen seiner Mitspieler? Kaum. Prognose: Keine Relegation, aber auch kein Aufwärtstrend.

Lausanne: Das Aufatmen am Lac Léman nach dem Lizenzentzug von Xamax war bis nach Zürich zu hören. Der zuvor designierte Absteiger kann nun in aller Ruhe die Barrage-Spiele planen, zu mehr reicht die Qualität nicht. Prognose: Klassenerhalt.

FC Sion: Wegen den 6 Neuzuzügen erlebten wir so ein Theater, nun sind 4 davon schon wieder weg. CC langte dafür bei Xamax kräftig zu, 8 Neuzuzüge in der Winterpause. Selbst wenn die absurden 36 Minuspunkte bestätigt werden sollten, dürfte Sion noch an Lausanne vorbei ziehen. Prognose: Mit der zu erwartenden drastischen Reduktion der Strafe ist Sion gar ein Kandidat für den Europacup. Und 2012/13 erster Herausforderer von Basel.

Verpasst Fussball-Afrika den Anschluss?

Mämä Sykora am Donnerstag den 26. Januar 2012


Das waren noch Zeiten: Die ganze Welt liegt Kameruns Nationalmannschaft zu Füssen.

Als Kamerun an der WM 1990 mit dem nimmermüden Roger Milla für Furore sorgte und erst in der Verlängerung des Viertelfinals gegen England nach einem Foulelfmeter ausschied, nahm die Welt erstmals Notiz von den fussballerischen Fortschritten auf dem Schwarzen Kontinent. Und nach Nigerias Auftritten vier Jahre später in den USA meinten die Experten nahezu einstimmig, es sei nicht die Frage, ob Afrika mal den Weltmeister stellen würde, sondern lediglich wann.

Heute, 20 Jahre später, ist Afrika weiter von diesem Ziel entfernt als damals. Trotz einem zusätzlichen Startplatz strichen 5 der 6 WM-Teilnehmer in Südafrika nach der Vorrunde bereits die Segel, 3 davon als Gruppenletzte, in Deutschland 2006 schieden 4 von 5 vorzeitig aus. Die einst führenden Nationen kämpfen mit allerlei Problemen. Für den momentan laufenden Afrika-Cup konnten sich Nigeria, Kamerun, Ägypten und Südafrika nicht einmal qualifizieren, im Gegensatz zu Ländern wie Libyen, Sudan und Niger.

Die fehlende Motivation der Stars

Bleibt der Elfenbeinküste am Afrika-Cup treu: Chelsea-Star Didier Drogba beim Match gegen den Sudan am 22. Januar 2012. (Keystone)

Die Probleme sind vielseitig. Zwar sind afrikanische Profis in Europa nach wie vor sehr begehrt – in den Top-5-Ligen beträgt der Anteil afrikanischer Spieler über 20 Prozent –, dennoch haben sämtliche Nationen grosse Mühe, eine schlagkräftige Nationalelf zusammenzustellen. Ein Grund dafür ist sicher die fehlende Motivation der Stars. Die meisten spielen seit Jahren in Europa und verdienen gutes Geld, nicht allen gefällt die Vorstellung, mitten in der Meisterschaft nach Gambia oder Äthiopien zu reisen und sich auf dem Platz zu zerreissen für vergleichsweise mickrige Beträge. Wer es schon nach Europa geschafft hat, braucht das Sprungbrett Afrika-Cup nicht mehr. Und wer seinem Verein zu Beginn der Rückrunde des Afrika-Cups wegen gleich einen ganzen Monat fehlt, der läuft Gefahr, seinen Platz im Team zu verlieren. Jüngstes Beispiel für diese Prioritätensetzung ist der Ghanaer Kevin-Prince Boateng von Milan, der mit gerade mal 24 Jahren den Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündet hat, aufgrund der körperlichen Belastung, wie er sagte. Auch sein Landsmann Essien spielt lieber für Chelsea, den Afrika-Cup lässt er sausen.

Wenn Funktionäre nicht funktionieren

Hinzu kommt der in beinahe allen Ländern herrschende Ärger mit Funktionären und Politikern, die sich gerne und oft einmischen, sowie der ewige Zank um die Prämien. Der Ghanaer Samuel Opoku Nti, in den 80ern bei Servette und Aarau aktiv, sagte mir einst: «Das Problem sind nicht die Fussballer, sondern die Funktionäre. Was der Kontinent braucht, ist eine Wende zum ‹Beckenbauer-Modell›: Alle wichtigen Positionen sollen mit ehemaligen Fussballern besetzt werden, die sich im Geschäft auskennen.»

Doch auch in fussballerischen Belangen steht es nicht zum Besten. Die Zeiten, in denen afrikanischen Teams grosse Spielfreude, aber mangelndes Taktikverständnis attestiert wurde, sind zwar längst vorbei. Doch jede Nationalelf kränkelt in irgendeiner Hinsicht. Ghana etwa, momentan Afrikas Vorzeigeteam, verfügt – zumindest in Vollbesetzung – zwar über ein beeindruckendes Mittelfeld, doch der Sturm ist ein laues Lüftchen. Der einzige Stürmer mit Format, WM-Held Asamoah Gyan, erlag dem Ruf des Geldes und spielt derzeit bei Al Ain in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dahinter folgt die grosse Leere, und so schaffte Ghana gestern gerade mal ein mühsames 1:0 gegen Afrika-Cup-Neuling Botswana, in der Quali erwies sich selbst die Defensive des Sudan als unüberwindbar.

Zu wenig Klasse für eine Weltmeisterschaft

Zerreist keine Stricke: Malis Nationalelf beim Training mit Coach Alain Giresse. (Keystone)

Die Elfenbeinküste mit ebenso grossem Potenzial konnte dieses bislang in entscheidenden Partien nie abrufen und die Teamstützen sind bereits alle um die 30. Bei Kamerun tobt derzeit ein Streit zwischen den Stars Samuel Eto’o und Alex Song, zudem fehlt es an überdurchschnittlichen Spielern, so dass gleich mehrere Profis aus niederen Ligen im Aufgebot stehen. In Nigeria verlaufen die Karrieren der auffälligsten Spieler an Junioren-WMs regelmässig im Sand, zudem mischt sich die Politik dort besonders dreist ein. Präsident Goodluck Jonathan hat nach der enttäuschenden WM den Super Eagles gar ein zweijähriges Spielverbot auferlegt, das er nach einer Warnung der Fifa allerdings wieder zurückzog.

Sämtlichen anderen Mannschaften fehlt es schlicht an Klasse, um an einer WM auftrumpfen zu können. Dass die Kleinen mit den Favoriten mithalten können, ist leider weniger eine Verbreiterung der Spitze, sondern eher eine Nivellierung nach unten. Und so wartet man weiterhin vergebens, bis das schlummernde Potenzial geweckt wird.

Von den Asiaten ausgespielt?

Derweil hat man anderswo den Anschluss an die Spitze schneller geschafft. Als Nigeria Mitte der 90er-Jahre die Fussballwelt entzückte, waren Asiens Nationalmannschaften noch Kanonenfutter. Seither hat es Südkorea in den WM-Halbfinal geschafft, und der Rivale Japan machte in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte und ist die neue Macht auf dem Kontinent. Die Prognosen von einst müssen leider revidiert werden. Wenn die Dominanz der Südamerikaner und der Europäer zumindest angekratzt werden kann, dann eher von den asiatischen Vertretern. Afrika droht, den Anschluss zu verpassen.

Real Madrids Pepe: Ein Fussballer dreht durch

Mämä Sykora am Montag den 23. Januar 2012


Am vergangenen Mittwoch kam es zum Clásico. Mal wieder. Und übermorgen folgt der nächste. Der zehnte in den letzten 5 Monaten. Bei so einer Übersättigung musste selbst Real-Torhüter Casillas in der Sportzeitung «Marca» zugeben: «Mit so vielen Begegnungen sind die Clásicos eher fade geworden. Es ist ermüdend.» Tatsächlich gleicht die Liga im Lande des Weltmeisters immer mehr der schottischen. Ausser den zwei Giganten hat kein Verein auch nur bescheidene Aussichten auf Meisterehren. In den letzten 10 Jahren vermochte lediglich Valencia die Phalanx der beiden ewigen Rivalen zu durchbrechen, die Punktrückstände des Dritten auf den Vizemeister nehmen laufend zu. 2009 waren es noch 8 Punkte, ein Jahr später schon 15, und letzte Saison schon 21.

Und es wird so weitergehen. Als fatal erweist sich die Verteilung der Fernsehgelder: Real und Barça zweigen die Hälfte der stolzen Fernsehgelder für sich ab, den Rest teilen sich die restlichen 18 Mannschaften. FC Getafe etwa musste sich mit lächerlichen 6 Mio. Euro begnügen, die Katalanen hingegen garnierten 158 Mio. Ein Irrsinn, vergleicht man es etwa mit der englischen Premier League, wo Ligakrösus Manchester United kaum mehr einnimmt als ein Aufsteiger. José María del Nido, Präsident des FC Sevilla, bezeichnete angesichts dieser Umstände die Primera Divisíon als «die grösste Schweinerei der Welt». Wegen der fehlenden Gelder aus den TV-Verträgen kämpfen viele Vereine ums finanzielle Überleben, viele Löhne bleiben unbezahlt. Genau deswegen kam es anfangs dieser Saison zum Spielerstreik, die Liga konnte erst mit Verspätung beginnen.

Dass auch am Mittwoch Millionen von Zuschauern einschalten werden beim nächsten Clásico, ist ironischerweise nicht nur den Ballzauberern in den Reihe der Traditionsvereine zu verdanken, sondern auch einem der übelsten Figuren, die sich derzeit auf Europas Fussballplätzen tummeln: Képler Laveran Lima Ferreira, 28 Jahre alt, Portugiese, besser bekannt unter dem Namen Pepe.

Eigentlich bringt der Defensivspieler alles mit, um zu den Besten seiner Zunft zu gehören: Er ist extrem laufstark, ein harter und guter Zweikämpfer, kopfballstark und ein Antreiber erster Güte. Bekannt und berüchtigt ist er indes vor allem wegen seiner geradezu demonstrativen Unfairness, die nicht nur die gegnerischen Fans, sondern auch die neutralen Zuschauer auf die Palme bringt. Die jüngste Kostprobe lieferte er am Mittwoch ab: Nach einem Foul an Messi bedrängte er nicht bloss – wie nach nahezu jedem Foulpfiff – gestikulierend den Schiedsrichter, er trat auch noch mit voller Absicht auf die Hand des am Boden liegenden Argentiniers (siehe Video in der Bildstrecke). Kurz darauf entschuldigte er sich auf der Real-Website und bereute, seine Aktion sei unbeabsichtigt gewesen, obwohl die TV-Bilder zeigen, wie er erst mit dem Blick Messis Hand sucht, ehe er drauftritt. Er setzte gar noch einen drauf: «Mir würde es niemals einfallen, einem Spieler Schaden zuzufügen.»

Wir blenden zurück: Im April 2009 trat er den von ihm im Strafraum zu Fall gebrachten Getafe-Spieler Casquero zweimal heftig, drückte danach dessen Kopf ins Gras, und rammte ihm noch mehrmals seine Stollen ins Fleisch, ehe er noch einen weiteren Spieler ins Gesicht schlug und dann als Supplement noch den Linienrichter beleidigte (siehe Video in der Bildstrecke). Aus der Sperre von 10 Spielen hat der jähzornige Portugiese rein gar nichts gelernt. Kaum wird eine Partie angepfiffen, verwandelt er sich in eine Bestie, seine Profikarriere brachte ihm schon 65 gelbe Karten und 7 Platzverweise ein. Und es hätten weit mehr sein sollen, wären alle seine Vergehen geahndet worden.

Nicht wenige sahen einst in Milan-Urgestein Gennaro Gattuso seiner teilweise harten Spielweise wegen eine Hassfigur. Pepe «spielt» aber in einer ganz anderen Liga. «Der Spieler hat halt einen starken Charakter», nannte es ein Real-Sprecher. Mehr schönreden geht nicht. Für ein ähnliches Vergehen wie Pepes Attacke gegen Messi wurde Schalkes Jermaine Jones – für einen Fusstritt gegen Gladbachs Wunderkind Marco Reus – für 8 Wochen gesperrt. Es ist zu hoffen, dass in Spanien noch härter durchgegriffen wird. Ein derart lernresistenter, unfairer und gefährlicher Spieler wie Pepe sollte am besten erst nach Monaten wieder auf den Rasen dürfen. Und auch dann nur auf Bewährung. Das einzig Gute an Pepes wahnsinnigem Auftreten: Obwohl gemäss einer Umfrage von Goal.com die Hälfte der Besucher der Ansicht ist, der Clásico-Überfluss schlüge aufs Interesse, werden viele am Mittwoch wieder einschalten – nur um zu sehen, was der wütende Portugiese wieder alles anstellen wird.

Xamax: Patient tot, Liga funktioniert

Mämä Sykora am Donnerstag den 19. Januar 2012
Xamax-Präsident Tschagajew.

Der Schuldige ist schnell gefunden: Xamax-Präsident Tschagajew. (Bild: Keystone)

Das Ende hat niemanden mehr überrascht. Mit sofortiger Wirkung hat die Swiss Football League (SFL) jenem Schweizer Verein die Lizenz entzogen, der mich als erster zu begeistern vermochte. Es war lediglich der Abschluss einer traurigen Geschichte, deren Ausgang schon alle kannten. So habe ich mein Xamax-Trikot aus besseren Zeiten bereits am letzten Wochenende dem Sportmuseum vermacht, damit in Zukunft interessierte Besucher an den einst grossen Verein erinnert werden.

Natürlich geht nach einem solchen Paukenschlag umgehend die Suche nach den Schuldigen los. Klar: Bulat Tschagajew hat vom ersten Moment keine Zweifel offen gelassen, dass unter seiner Regentschaft das Chaos herrschen wird. Neuzuzüge mit völlig überrissenen Löhnen sowie Trainer- und Spielerentlassungen waren noch das Harmloseste, bald folgten gefälschte Bankgarantien und haltlose Vorwürfe in alle Richtungen. Das konnte nicht lange gut gehen. Aber wer hätte ihn aufhalten sollen?

In vielen zu diesem Thema erschienen Artikeln wird dem ehemaligen Präsidenten Sylvio Bernasconi auch ein grosser Teil der Schuld an diesem Desaster unterstellt. Der Bauunternehmer, der 2005 den Verein vom langjährigen Mäzen Gilbert Facchinetti übernommen hatte, durfte das neue Stadion bauen und hat damit ein gutes Geschäft gemacht, der sportliche Erfolg blieb indes aus. Kurzfristig musste Xamax gar in die Challenge League. Auch finanziell war die Lage bei den Neuenburgern stets angespannt. Wiederholt musste Bernasconi die Löhne seiner Angestellten aus seiner Privatschatulle berappen und diverse Betreibungen waren hängig. Kein Wunder also, wollte er sein Spielzeug so bald wie möglich wieder loswerden. Denn Bernasconi ist Geschäftsmann, kein Fan wie vor ihm Facchinetti.

Doch wer übernimmt einen maroden Klub mit einer erfolglosen Juniorenabteilung und einem sehr bescheidenen Zuschaueraufkommen? Nur ein Käufer stand bereit, und dies war der undurchsichtige Tschetschene. Mit der Alternative – einem freiwilligen Abstieg und dem damit verbundenen Neuanfang – wollte sich in Neuenburg niemand abfinden. Im Xamax-Umfeld klammerten sich alle an diesen dünnen Strohhalm, bei der Aktionärsversammlung votierten lediglich 3 von fast 300’000 Stimmen gegen den Verkauf. Denn bei den Anhängern nährte Tschagajew die Hoffnung auf viel Geld und baldige Erfolge. Der Demonstrationszug gegen Tschagajews Einstieg umfasste gerade mal eine Handvoll Fans, der Traum des grossen Rests platzte bald.

Auch der Swiss Football League (SFL) wird gerne eine Mitschuld zugeschoben. Die Liga mag im Falle Sions keine gute Figur abgegeben haben, sie aber für die Vorgänge bei Xamax mitverantwortlich zu machen, ist nicht korrekt. Hierzulande kennt man keine 50+1-Regel wie in Deutschland, die eine Übernahme der Stimmenmehrheit verhindern würde. Dass die Liga in Zukunft mehr Möglichkeiten braucht, um bei einem Besitzerwechsel genauer hinschauen zu können, hat sie selber erkannt und arbeitet daran. Doch wenn ein Verein unbedingt so einen Weg gehen will, kann man ihn diesen nicht verbieten. Der tiefe Fall von Xamax hat gezeigt, dass die Mittel der SFL greifen. Nach lediglich einem halben Jahr konnte die SFL hart durchgreifen, und das ist eine markante Verbesserung gegenüber von vor 10 Jahren, als ähnlich dubiose Vereinsbosse bei Lugano, Xamax, Sion und Servette so lange geduldet wurden, bis nur noch Scherbenhaufen – und im Falle von Lugano zwei Selbstmordopfer – übrig blieben.

Xamax musste sterben, weil zu viele Leute in dessen Umfeld sich nicht damit abfinden wollten, nicht mehr an der Spitze mitspielen zu können, weil die Realität verkannt wurde. Kaum jemand wollte den (langsamen) Weg der Rückbesinnung und des Neuaufbaus gehen, die allermeisten hingen unerreichbaren Träumen nach. Mit dieser Haltung provozierten sie den unvermeidbaren Untergang des Traditionsklubs, und bestraften damit eine ganze Region, die fortan ohne Profifussball auskommen muss.

Das einzig Positive an dieser Geschichte ist der damit gelieferte Beweis dafür, dass die Liga aus den Fehlern der Vergangenheit im Umgang mit ähnlich wirr geführten Vereinen wie Lugano unter Helios Jermini, Sion unter Gilbert Kadji, Lausanne unter Waldemar Kita und Servette unter Marc Roger gelernt hat, und heute deutlich schneller zur Stelle ist, wenn Auflagen nicht erfüllt werden. Die Kontrollmechanismen der Liga greifen also, und dies soll als Warnung an andere Vereine verstanden werden, die mit dem Einstieg eines schwer greifbaren Investors liebäugeln. Denn die Saison 2001/02 war anscheinend nicht Warnung genug.

Quo vadis, FC Luzern?

Mämä Sykora am Montag den 16. Januar 2012


Diese Saison bietet eigentlich alle Voraussetzungen, um eine der erfolgreichsten aller Zeiten zu werden für den FC Luzern. Ausser dem uneinholbaren FC Basel spielt die gesamte Konkurrenz den Zentralschweizern in die Hände: YB kann einmal mehr die Erwartungen nicht erfüllen, die Zürcher Klubs kriseln, Sion wird mit massiven Punktabzügen bestraft und Xamax liegt in den letzten Zügen. Dank des neuen Stadions darf sich der FCL zudem über stolze Zuschauereinnahmen freuen. Die Ausgangslage, sich in dieser Spielzeit als Herausforderer des Seriensiegers aus Basel zu etablieren und den momentanen zweiten Platz zu halten, könnten besser nicht sein.

Dennoch sind Zeichen zu erkennen, dass dem FCL in der Rückrunde langsam die Puste ausgehen könnte. In der ersten Hälfte der Hinrunde holte man 21 Punkte, bis zur Winterpause kamen lediglich 10 weitere dazu. Zudem musste die ohnehin schon wenig produktive Offensivabteilung schwerwiegende Abgänge hinnehmen. Nachdem Nick Proschwitz, notabene momentaner Leader im Torschützenklassement der 2. Bundesliga, von Trainer Murat Yakin verstossen wurde, packten nun auch Hakan Yakin und Cristian Ianu ihre Koffer, die zusammen 10 Skorerpunkte zu den 25 Saisontoren der Innerschweizer beitrugen.

Wintertransfers sind immer eine heikle Angelegenheit. Erst kürzlich äusserte Arsène Wenger seine Bedenken: «Man findet da Spieler, die in ihrem alten Klub kaum gespielt haben und deshalb im Januar unbedingt weg wollen». Deshalb sei es auch unwahrscheinlich, dass sich diese Spieler dann in der Stammelf einer neuen Mannschaft zurechtfinden würden. Luzern präsentierte als Yakin-Nachfolger den Israeli Moshe Ohayon. Das letzte Länderspiel des ehemaligen Challenge-League-Profis ist drei Jahre her, die letzten Monate verbrachte er mehrheitlich auf der Ersatzbank von Legia Warschau (4 Teileinsätze). Es ist höchst fraglich, ob dieser Spieler Yakin vergessen machen kann.

Das System von Murat Yakin ist zwar in erster Linie auf defensive Stabilität ausgelegt, dennoch braucht auch er mindestens einen Knipser in der Spitze. Im Kader des FCL finden sich momentan lediglich zwei gelernte Mittelstürmer: Nico Siegrist (20) und Dejan Sorgic (22). Siegrist steht in seiner vierten Spielzeit beim FCL unter Vertrag und kam 2011/12 über 124 Minuten zum Einsatz, Sorgic hat in seiner Profikarriere noch gar nie getroffen und durfte unter Yakin erst eine einzige Minute ran. Auch wenn der FCL mit Ferreira, Gygax, Hyka und Winter einige Seitenspieler im Kader hat, die immer für ein Tor gut sind, ist das nicht die Offensive, die Angst und Schrecken verbreitet.

Trotz akuter Stürmernot verschmähte man in der Leuchtenstadt Challenge-League-Topskorer Igor Tadic (20 Saisontore) vom Nachbarn Kriens, der geht lieber zu St. Gallen. Noch ist das Transferfenster geöffnet, vielleicht überrascht Luzern uns alle mit einem Top-Neuzuzug. Vor einigen Monaten bereits wurde über Mladen Petric spekuliert, dessen Vertrag im Sommer ausläuft. Um einen Spieler von seinem Kaliber zu ködern, müssen aber – neben dem Lohn – auch das Umfeld und die Perspektiven stimmen. Sollte der FCL die jetzige Ausgangslage verspielen und gar die europäischen Plätze verpassen, sinken die Chancen darauf enorm.

Zu diesen Personalproblemen kommt noch der weiterhin schwelende Konflikt zwischen den Fans und Präsident Stierli, der im Dezember mit aller Härte und Kollektivstrafen gegen die eigene Kurve vorgegangen ist. Man bekommt wirklich den Eindruck, die Verantwortlichen im Verein wüssten nicht um die Bedeutung dieser Saison. So eine Chance kommt so bald nicht mehr, sich so einfach eine Spitzenplatzierung zu sichern, für Europa zu qualifizieren und damit ein tolles Argument bei Vertragsofferten zu haben, Zusatzeinnahmen zu generieren und weiterhin einen beachtlichen Zuschauerschnitt zu haben. Der FCL droht all dies zu verschlafen.

Zahlenspielereien aus dem Schweizer Fussballjahr 2011

Mämä Sykora am Donnerstag den 12. Januar 2012
Eren Derdiyok.

Erfolgreichster Schweizer Profi im Ausland war 2011 Eren Derdiyok, der 6 Tore in der Bundesliga erzielte: Der Leverkusen-Spieler feiert seinen Ausgleich gegen Hertha BSC, 26. November 2011.

Noch immer dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis hierzulande wieder gekickt wird. Damit man sich zwischen all den Transfergerüchten und Spekulation mal wieder an etwas Handfestem orientieren kann, hier als Zwischenmahlzeit ein paar Zahlen, die das Schweizer Fussballjahr 2011 erklären. Zum Lesen, Staunen, Abhaken – und wohl gleich wieder vergessen.

  • Die Super League ist weltweit die einzige Liga, in der der Tabellenletzte ein positives Torverhältnis aufweist.
  • Im Schnitt fielen in der Super League 2,71 Tore. In der letzten Winterpause waren es noch 3,10.
  • Sions Keeper Andris Vanins blieb in über der Hälfte seiner Partien ohne Gegentor.
  • Drei Spieler wurden bislang mit der «Höchststrafe» belegt, also die Ein- und spätere Auswechslung ohne Verletzung. Dies betraf Tibert Pont (Servette), Evan Melo (Sion) und Max Veloso (Xamax).
  • Die Schweizer Schwäche bei Elfmetern ist bekannt. In dieser Spielzeit wurden in der Super League von 19 verhängten Strafstössen gleich 9 versemmelt. Besser sieht es in der Challenge League aus, wo nur 2 von 24 nicht verwandelt wurden. Beide übrigens von Oscar Scarione (FCSG), der allerdings auch 3 Mal vom Punkt traf.
  • Xamax Neuzugang Kalu Uche war an 60 Prozent der Tore seines Teams beteiligt.
  • Der FC Thun braucht noch lediglich einen Punkt, um den FC St. Gallen in der ewigen Rangliste der Super League zu überholen und Platz 5 zu übernehmen.
  • Gegenüber der Meisterschaft vor 6 Jahren hat der Zuschauerschnitt der Super League um 56 Prozent (oder 4500 Besucher) zugenommen.
  • Der Challenge-League-Aufsteiger und mit 5 Punkte abgeschlagenes Schlusslicht SC Brühl hat im Schnitt doppelt so viele Zuschauer wie der selbsternannte Aufstiegsaspirant FC Vaduz.
  • Bis jetzt holten Schweizer Vereine in dieser Saison 5,600 Punkte für die Uefa-Fünfjahreswertung. Das ist mehr als die darüber klassierten Dänen und Türken, aber deutlich weniger als die dahinter lauernden Österreicher (7,125) und Zyprer (8,375), die beide auch noch je einen Verein im Europacup haben. Damit liegt die Schweiz auf Platz 14, bis Platz 15 dürfen 2 Teilnehmer in die Champions-League-Quali geschickt werden.
  • 90 Schweizer Profis spielen derzeit im Ausland, lediglich 25 aber in einer der Top-5-Ligen. Die meisten davon sind in der Bundesliga (10) tätig.
  • Gerade mal 24 dieser 90 Auslandprofis kamen in mehr als der Hälfte der bisherigen Meisterschaftspartien in der höchsten Liga zum Einsatz, einige davon allerdings oft nur für ein paar Minuten. Almen Abdi etwa spielte zwar 12 Partien, insgesamt aber nur 317 Minuten. Dauerbrenner ist Reto Ziegler, der 1554 Minuten für Fenerbahçe absolvierte.
  • Insgesamt erzielten die Schweizer Auslandprofis 26 Tore in den obersten Ligen dieser Welt, 10 davon in den Top-5-Ligen. Erfolgreichster Knipser ist in dieser Spielzeit Leverkusens Eren Derdiyok mit 6 Ligatreffern, gefolgt von Mijat Maric (KSC Lokeren, Belgien) mit 4.
  • Die Schweizer Nati erreichte 2011 in 9 Spielen 4 Siege, 4 Unentschieden und nur eine Niederlage. Der in der Fifa-Weltrangliste bestklassierte Besiegte war Bulgarien, das auf Platz 84 (zwischen Angola und Oman) rangiert.
  • Von den 9 erzielten Schweizer Toren erzielte Shaqiri deren 3, allesamt gegen Bulgarien. Im letzten Aufgebot war Philippe Senderos bester Torschütze im Natidress mit 5 Toren
  • Die WM-Qualifikationsgruppe der Schweiz ist die einzige, aus der sich kein Team für die EM 2012 qualifizieren konnte.