Autorenarchiv

Spiele ohne Schiris – für mehr Fairness

Mämä Sykora am Donnerstag den 3. Mai 2012
Nimmt Entscheidungen ab: Schiedsrichter Massimo Busacca im Stade de Suisse. (Bild: Keystone)

Nimmt Entscheidungen ab: Schiedsrichter Massimo Busacca im Stade de Suisse. (Bild: Keystone)

Letzten Sonntag startete die Zürcher Alternativliga in ihre 35. Saison. Seit einigen Jahren wird der erste Spieltag ohne Schiedsrichter gespielt, die Mannschaften müssen es unter sich ausmachen, ob und für wen ein Einwurf, Freistoss oder Penalty fällig ist. Weil Offside-Entscheidungen deutlich schwieriger zu beurteilen sind, einigen sich viele Teams darauf, wenigstens Linienrichter aus ihren Reihen zu stellen.

Am Tag nach diesen Auftaktspielen stand in der englischen Premier League das vielleicht meisterschaftsentscheidende Manchester-Derby an. Es war ein sehr intensives Spiel, mit einigen harten Tacklings und viel Körpereinsatz, das einen verdienten Sieger fand und zu keiner Zeit unfair war. Im Anschluss daran – nachdem der fantastische Yaya Touré genug gewürdigt worden ist – schlitterten wir an der Bar irgendwie in die Diskussion, wie denn diese Partie gelaufen wäre, hätte sie wie tags zuvor bei uns ohne Unparteiische ausgetragen werden müssen.

Bei solch hypothetischen Fragen kann man sich gerne verlieren. Und tatsächlich herrschte alles andere als Einigkeit. Ich vertrat die Ansicht, dass ja eigentlich jeder Spieler selber wisse, wann er ein Foul begangen und ob er den Ball zuletzt berührt hat, bevor er ins Aus ging. Steht ein Referee auf dem Platz, versuchen die Kicker selbstverständlich, möglichst nahe an dessen Toleranzgrenze zu gehen. Wenn dieser eine klare Linie hat, werden sich die Beschwerden und Ausrufe auch in Grenzen halten. Grössere Probleme ergeben sich dann, wenn sich die Profis darauf verlegen, den Schiedsrichter zu täuschen, um daraus einen Vorteil zu gewinnen. Das betrifft in erster Linie Schwalben, aber auch Handspiele, versteckte Tätlichkeiten etc.

Fällt ein Schiri auf so etwas rein, wird dies beim Nutzniesser als Erfolg gefeiert. Wenn die Entscheidungsgewalt ganz beim Mann in Schwarz liegt, dürfen die Spieler getrost Gewissen und Sportmanship ablegen, der Ärger bei offensichtlichen Fehlentscheidungen trifft nicht sie, sondern prasselt auf den «blinden Schiri» nieder. Diesen zu täuschen, hat anscheinend kaum etwas Verwerfliches mehr an sich. Und genau hier sollte man meiner Ansicht nach den Hebel ansetzen.

Ist kein Unparteiischer anwesend, kann die Entscheidung nicht abgeschoben werden und es ist niemand da, den man reinlegen kann. Liegt ein Spieler auf dem Boden, müssten es die Spieler untereinander ausmachen, wie nun weitergespielt wird. Und in 99 Prozent der Fälle ist es jedem Beteiligten klar, wie die Entscheidung sein muss. Es ist lediglich eine Frage der Grösse und des Charakters, ob man ein Vergehen zugibt oder ob es einem nichts ausmacht, dem Gegenspieler geradewegs ins Gesicht zu lügen und vor Tausenden von Zuschauern im Stadion und am TV als Betrüger dazustehen.

In der Alternativliga, in der es zugebenermassen nicht um Millionen und Weltruhm geht, funktioniert das bestens. Und selbst im Profifussball fällt ab und dann ein Akteur mit einem ausprägten Gerechtigkeitssinn auf. Vor drei Wochen etwa gab Pauli-Stürmer Marius Ebbers ein Handspiel vor einem Torerfolg zu, der Treffer wurde annulliert. Und dies im Aufstiegsrennen. Mit Leuten wie Ebbers dürfte ein Spiel ohne Schiri problemlos möglich sein. Beim grossen Rest der kickenden Zunft äusserten meine Freunde hingegen grosse Bedenken.

Diese seien schlicht zu sehr darauf konditioniert, sich stets einen Vorteil erschleichen zu wollen, dass sie die Zeit, in der sie auf Bolzplätzen selber noch ohne Schiri spielen mussten, längst vergessen haben. Zudem, setzte einer drauf, der schon öfters mit Profifussballern zu tun hatte, seien die meisten nun wirklich keine Menschen mit Vorzeigecharakter. Für ihn war klar, dass der Match am Montag ohne Schiri schlicht unspielbar gewesen wäre.

Ein Versuch wäre allemal spannend. Wenn analog zur Alternativliga die erste Meisterschaftsrunde in Europa ohne Schiri gespielt würde, die Medienaufmerksamkeit gewiss ist und sich die Spieler darauf vorbereiten können, ja dann müsste es doch möglich sein, dass 22 erwachsene Männer eine Einigung in der Frage finden könnten, wer denn nun wen getreten hat. Es würde hoffentlich etwas dazu beitragen, dass die Fairness und die Sportmanship nicht ganz verkümmern. Oder etwa nicht?

YB in der Sackgasse

Mämä Sykora am Montag den 30. April 2012
Enttäuschte YB-Spieler nach dem Aus gegen Winterthur im Cup, 27. November 2011.

Enttäuschte YB-Spieler nach dem Aus gegen Winterthur im Cup, 27. November 2011.

Was ist eigentlich mit YB los? Der selbsternannte erste Herausforderer des FC Basel durchlebt eine desaströse Saison: Das Aus im Cup gegen Winterthur, in der Europa-League-Qualifikation gescheitert, zudem 25 Punkte Rückstand auf jenen Verein, dem man im Kampf um die Meisterschaft fordern wollte. Wäre das diesjährige Championat nicht derart verzerrt, sähe es noch viel bitterer aus für die Berner: Mit den bescheidenen 1,379 Punkten pro Partie steht man hierzulande zwar immerhin auf Platz 3, in England würde es Platz 9 bedeuten, in Deutschland und Spanien Platz 7, und in Österreich wäre man damit schon in der hinteren Tabellenhälfte.

Dass sich derzeit eine Welle des Spotts über den BSC ergiesst, mag nicht verwundern. Das Image des Verlierers wollte man ein für allemal loswerden und präsentierte selbstbewusst das 3-Phasen-Modell, dessen Schlusspunkt der Meistertitel bilden sollte. Dafür wurde viel finanzieller Aufwand betrieben, dank der Unterstützung der Brüder Rihs konnte Verwaltungsratspräsident Benno Oertig stolz den Trainer mit dem grossen Namen vorstellen. Es kam einer Art Verzweiflungstat gleich, nachdem frühere Konzepte nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatten.

Da war etwa die seltsam anmutende Geschichte mit der Fussballakademie in der Côte d’Ivoire, dank der YB Spieler wie Doumbia oder die Doubaï-Brüder verpflichten konnte, und die dem Verein Einnahmen von ca. 20 Millionen Franken bescherten. Dennoch wurde die Zusammenarbeit gekippt, weil es sich finanziell nicht lohne, so CEO Ilja Kaenzig. Angesichts dieser Zahlen klingt das etwas wunderlich, einige sahen in dieser Aktion eher eine Abrechnung mit dem geschassten Stefan Niedermaier, der diese Kooperation aufgegleist hatte.

Auch anderes Bewährtes wurde kurzerhand über Bord geworfen. Der bei den Fans beliebten Vladimir Petkovic – immerhin der Trainer mit dem höchsten Punktschnitt seit dem letzten Meistertitel – musste ebenso gehen wie eine Reihe talentierter Eigengewächse wie etwa François Affolter oder die Schneuwlys, andere verdiente Akteure wie Raimondi fanden sich plötzlich auf der Bank wieder. Die vielen Neuverpflichtungen vermochten derweil längst nicht alle zu überzeugen. Nuzzolo konnte nie an seine Leistungen bei Xamax anknüpfen, bei Josh Simpson wurde der Grund für seine Verpflichtung nie offensichtlich, und selbst die Leistungsträger der Vorsaison konnten ihr Potenzial nicht mehr abrufen. Namentlich Farnerud trat längst nicht mehr so dominant auf wie in den Monaten zuvor.

Bei YB wollte man den Erfolg erzwingen. Es ist zwar verständlich, dass man nicht ständig nur die zweite Geige spielen will, doch immerhin schaffte man es mit etwas Kontinuität, den Branchenprimus Basel einige Male bis zuletzt zu fordern. Nach den vielen tiefen Schnitten ist man nun so weit von der Spitze entfernt wie schon lange nicht mehr – und dies bei stark gestiegenen Ausgaben. Dass die Berner den Afrika-Cup-Triumph ihres Stürmer Emmanuel Mayuka mit dem Hinweis feierten, er habe nun einen Marktwert von 14 Millionen Franken, ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr man die Realität in der Hauptstadt verkennt. Denn diese Zahl ist mehr als absurd, wenn man bedenkt, dass etwa Dortmunds Goldfüsschen Shinji Kagawa für den gleichen Betrag zu haben ist.

Eine Mannschaft wie Basel kann man nicht fordern, indem man seine Pläne regelmässig verwirft und einen Grossteil des Budgets für einzelne Personen aufwendet. Geld alleine reicht bei Weitem nicht, vor allem im Wissen, dass den FCB aus den bevorstehenden Transfers grosse Summen erwarten. Es wäre die Chance der Young Boys gewesen, in aller Ruhe ein funktionierendes Team aufzubauen, eigene Junioren einzubauen, von der Afrika-Connection zu profitieren und kleine Schritte nach vorne zu machen, denn so hätte man in der nächsten Saison, wenn der Konkurrent einige Schlüsselpositionen neu besetzen muss, bereit für den Zweikampf sein können.

Doch YB wählte den falschen Weg. Weil es einige Male knapp nicht gereicht hat, änderte man wiederholt das ganze Konzept, übrig geblieben ist ein Scherbenhaufen, ein extrem teurer noch dazu, der sich in der Meisterschaft mit Thun und Servette messen muss. Nun steckt der Verein geradezu in einer Sackgasse: Erwartet wird trotz dieser ernüchternden Saison auch nächstes Jahr wieder der Titel, nun ist man aber weiter davon entfernt als noch vor der Zündung der «Phase 3». Ein erster Weg aus der Krise wäre sicherlich, die Ansprüche auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren und jetzt nach der Entlassung von Trainer Christian Gross nochmals da zu beginnen, wo Vladimir Petkovic vor knapp vier Jahren angefangen hat.

Plädoyer gegen Penaltys

Mämä Sykora am Donnerstag den 26. April 2012
Der Anfang vom Ende für Real: Cristiano Ronaldo schiesst, Neuer hält. (Bilder: Keystone)

Der Anfang vom Ende für Real: Cristiano Ronaldo schiesst, Neuer hält. (Bilder: Keystone)

Zwei wahrlich tolle Halbfinals sahen wir in der diesjährigen Champions League. Es gab es zwar bestimmt schon fussballerisch höherklassige Begegnungen, aber an Spannung waren die Partien kaum zu überbieten. Gestern fielen bei Real gegen Bayern schon in der ersten Halbzeit drei Tore, wodurch das Hinspiel-Ergebnis egalisiert wurde, zwei davon auf Penaltys. Und ich mag schlicht und einfach keine Penaltys.

1891 wurde der Elfmeter eingeführt, eine Erfindung des irischen Leinenfabrikants und Torwarts William McCrum. Seine Idee wurde umgesetzt, nachdem ein Spieler von Notts County auf der Torlinie ein absichtliches Handspiel begangen hatte, worauf man sich nach Möglichkeiten für eine gerechte Bestrafung umgeschaut hatte. Damit wird auch klar, was die ursprüngliche Absicht gewesen ist: Wem eine klare Torchance regelwidrig vereitelt wird, der soll durch den Strafstoss mit einer ähnlich erfolgsversprechenden Situation entschädigt werden.

Die Neuerung wurde nicht nur positiv aufgenommen. C. B. Fry von Southampton liess verlauten: «Es ist eine Beleidigung des Ansehens von Sportleuten, wenn sie unter einer Regel spielen müssen, die unterstellt, dass die Spieler ihrem Gegner absichtlich ein Bein stellen, treten und schlagen und sich benehmen wie üble Kerle der gewissenlosesten Sorte.» Und der Corinthian FC aus London setzte Elfmeter jeweils absichtlich daneben. Gab es Strafstoss gegen sie, stellten sie keinen Torwart ins Tor. Würden diese Spieler heutige Fussballpartien schauen, sie würden sich angeekelt abwenden.

Genial daneben: Der dreifache Weltfussballer Lionel Messi verschiesst einen Penalty gegen Chelsea, Barcelona verpasst den Finaleinzug.

Genial daneben: Der dreifache Weltfussballer Lionel Messi verschiesst einen Penalty gegen Chelsea, Barcelona verpasst den Finaleinzug.

Bei praktisch jedem Körperkontakt im Strafraum, bei jeder Ballberührung eines Verteidigers mit etwas anderem als dem Fuss schreien Fussballer nach einem Elfmeter. Und viel zu oft haben sie damit Erfolg. Was vor über 100 Jahren als ultimative Bestrafung für eine sich in höchster Not mit unfairen Mitteln wehrende Defensive eingeführt wurde, entscheidet heute regelmässig wichtige Spiele, ohne dass überhaupt eine gute Tormöglichkeit verhindert wurde. So weit hat William McCrum damals nicht gedacht, und das machen sich die cleveren Stürmer von heute zunutze.

Dass die modernen Profis deutlich häufiger ein Foul vortäuschen als früher, ist hinlänglich bekannt. Und laut Reglement zieht jedes Vergehen im Strafraum einen Elfmeter nach sich. Hier kann man also den Schiedsrichtern keinen Vorwurf machen, denn es gibt keinen Grund, warum eine von den Unparteiischen als Foul taxierte Aktion im Strafraum anders beurteilt werden soll, als wenn sie im Mittelfeld passiert wäre. Die Stürmer sind geschickt und wissen, wie sie fallen müssen, um einen Pfiff zu provozieren. Zu lange wurde hier tatenlos zugeschaut, zu wenig abschreckend sind die Strafen für Schwalbenkönige, als dass sich hier in absehbarer Zeit etwas ändern würde.

Der Effekt davon ist, dass der Strafraum wohl der Bereich des Spielfeld ist mit den meisten «Fouls» pro Quadratmeter. Ob Schubser im Gewühl an der Sechzehner-Grenze oder ungestümes Herauslaufen des Torwarts und Stürmerkontakt an einer Stelle, von der ein Torschuss schon gar nicht mehr möglich ist – das Verdikt heisst stets Elfmeter, ganz egal, ob es eine Torchance gewesen wäre oder nicht. Und dann kommt auch noch dieses vermaledeite Hands dazu, das in meinen Augen viel zu oft zur Höchststrafe führt.

Wir nehmen nochmals das Regelbuch hervor: «Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich berührt. Dabei achtet der Schiedsrichter auf die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand).» Gestern bekam Alaba einen Di Maria-Volley aus zwei Metern an den Arm geschossen, wie das Video unten zeigt. Hat jemand eine Absicht bemerkt? Ging etwa die Hand zum Ball? Wohin soll Alaba seinen Arm versorgen, wenn er grätscht? Darf man bald nur noch die Arme hinter dem Rücken verschränkt haben in der Verteidigung, wie es heute tatsächlich bereits viele Spieler machen in solchen Situationen? Ist das dann etwa die viel zitierte «natürliche Handhaltung»?


Arm dran: Alaba konnte nicht anders, als einen Penalty zu verursachen. (Quelle: Youtube)

Meiner Ansicht nach sind die vielen ausgesprochenen Elfer Gift für das Spiel. Nicht wenige Angreifer suchen zuerst den Penaltypfiff und erst in zweiter Linie den Torerfolg. Dem entgegenwirken könnte man gleich doppelt: Einerseits die Handsregel wieder so anwenden, wie sie ursprünglich geplant war, nämlich indem nur offensichtlich absichtliche Handspiele gepfiffen würden, andererseits auch die Elfmeter wieder nur bei «Notbremsen» verhängen. Die ganzen restlichen Vergehen im Strafraum – und die machen den Grossteil aus – sollten lediglich einen Freistoss zur Folge haben. Das ergäbe noch immer eine gute Gelegenheit für ein Tor, aber es wäre bei Weitem nicht mehr so fatal wie diese unsäglichen Penaltys. Ich denke, das wäre durchaus im Sinne von Mister McCrum.

Raubbau an Fussballerkörpern

Mämä Sykora am Montag den 23. April 2012
Lionel Messi während des Spiels gegen Real, 21. April 2012.

Die Fussballprofis spielen bis zum Umfallen: Lionel Messi während des Spiels gegen Real, 21. April 2012.

Fussballprofis in Top-Vereinen verdienen viel Geld. Verdammt viel Geld. Dafür – so die weit verbreitete Meinung – darf man auch einiges von ihnen erwarten. Noch vor nicht allzu langer Zeit, bestand das Pflichtprogramm für die Profis aus den Meisterschaftspartien, einigen Cup-Fights sowie bei den wenigen Vereinen, die europäisch spielten, aus einer Handvoll internationalen Partien. Der Rest der Zeit diente dem Training und der Regeneration, die besten aus den Top-Nationen spielten zudem alle zwei Jahre noch ein paar EM- oder WM-Spiele.

Die Anzahl der in einer Saison zu absolvierenden Spiele ist seither massiv gestiegen. Bei einem erfolgreichen Champions-League-Teilnehmer kommen noch circa 10 Partien (und damit ebenso viele englische Wochen) hinzu, wenn’s ganz dumm (bzw. erfolgreich) läuft, stehen als Bonus noch Dinge wie der UEFA-Supercup oder die FIFA Klub-WM an. Und wenn andere Fussballer in die Ferien fahren, dürfen die Besten der Besten im Sommer direkt im Anschluss an die Meisterfeier ins EM- oder WM-Trainingslager einrücken, im Winter sind sie zudem verpflichtet, mit ihren Vereinen sportlich höchst fragwürdige, aber finanziell sehr einträgliche Freundschaftsspiel-Serien in Asien zu spielen. Den überspielten Stars eine Pause zu gönnen liegt nicht drin, Sponsoren und Zuschauer erwarten deren Einsatz.

Die Folgen dieses Raubbaus an den Körpern der Stars werden jedes Jahr spätestens im Frühling offensichtlich. Dieses Wochenende blieb Lionel Messi gegen Real Madrid derart ohne Einfluss, dass schon wenige Stunden nach dem Schlusspfiff folgender Witz die Runde machte: «Was haben ich und Lionel Messi gemeinsam? – Wir haben beide am Samstag beim ‹Clásico› zugeschaut.» Sicher, das lag nicht nur daran, dass der kleine Argentinier am Ende seiner Kräfte ist, denn immerhin verteidigte Real hervorragend, aber dass es bereits sein 54. Pflichtspieleinsatz in dieser Saison war, ist bestimmt auch ein Grund dafür. Und die grossen Entscheidungen stehen erst noch an…

Die Engländer leisten sich sogar weiterhin zwei Pokalwettbewerbe, je nach Runde sogar mit Hin- und Rückspiel bzw. mit einem Wiederholungsspiel im Falle eines Remis. Auch wenn einige Vereine zumindest im Carling Cup mehrheitlich Ergänzungsspieler auflaufen lassen, kommen die grossen Stars wie ihre Kollegen in Spanien auf über 60 Spiele pro Jahr – und das nahezu ohne Pause. Und just wenn mit dem Schlusspfiff des letzten Meisterschaftsspiel die letzten Kraftreserven aufgebraucht sind, beginnt die EM. Es kann nicht erstaunen, dass die Affichen zwischen den besten Mannschaften des Kontinents unter diesen Umständen nur selten halten können, was sie versprechen.

Das Rotationsprinzip, das Ottmar Hitzfeld bei den Bayern einst eisern angewandt hatte, findet bei Europas führenden Vereinen kaum Anwendung. Gerade in Spanien und England, wo die Meisterschaften meistens zu Zweikämpfen verkommen, will kein Trainer Gefahr laufen, sich im Falle eines Ausrutschers unangenehme Fragen zur Aufstellung gefallen lassen zu müssen. Die Superstars und Leistungsträger laufen somit immer auf, egal ob Auswärtspartie beim Tabellenvorletzten, Champions-League-Halbfinale oder Freundschaftsspiel gegen die thailändische Nationalmannschaft.

Über einige Saisons hält ein gut trainierter Körper diese irre Belastung aus, mit der Zeit lässt das Leistungsvermögen indes nach. Für uns Zuschauer bedeutet das, dass wir an den grossen Endrunden Akteure sehen, die schon auf dem Zahnfleisch gehen, und damit ist die Gesundheit der Spieler in Gefahr. Nach dem tragischen Tod des Livorno-Profis Piermario Morosini vor einer Woche meldete sich Ex-Nationalspieler Antonio Di Natale zu Wort: «Wir müssen weniger und nicht so schnell hintereinander spielen. Fussball ist schön und wichtig, aber wir müssen auch auf unsere Gesundheit achten.» Und selbst Sepp Blatter sieht die Bedrohung für seine einträgliche WM und liess die Engländer wissen, dass bei ihnen zu viel Fussball gespielt werde.

Nur: Die heimischen Championnats waren schon immer da, während die zusätzlichen Termine immer mehr wurden. Die EM und die WM wurden massiv vergrössert, die Anzahl Qualifikationsspiele nahm laufend zu, die Europacup-Wettbewerbe aufgeblasen, neue Turniere geschaffen und zudem gibt’s nun auch noch statt Ferien Sponsorentours. Ob das lange gut geht? Wie es scheint, versuchen die Vereine derzeit, die Schmerzgrenze auszuloten. Denn mehr Partien ergeben auch mehr Einnahmen, und solange die Spieler es irgendwie aushalten, wird daran nichts geändert. Für die Klubs liegt die Schuld ohnehin beim dichten Kalender der Nationalmannschaften. Erst kürzlich wurden höhere Entschädigungszahlungen für Nationalspieler erstritten, damit bleibt der Terminkalender weiterhin randvoll.

Ein weiterer Ausbau der Anzahl Spiele pro Jahr ist kaum mehr möglich, eine Reduktion hingegen ebenso undenkbar. Die aktuelle Generation Superstars wird so lange am körperlichen Limit spielen müssen, bis ihren Vereinen – ihren «Besitzern» – daraus ein Nachteil entsteht. Und das ist erst der Fall, wenn diese Kicker ihre Leistung nicht mehr bringen können oder gar von ständigen Verletzungen geplagt sind.

Ist Balotelli zu dumm für den Fussball?

Mämä Sykora am Donnerstag den 19. April 2012

Er ist zweifellos einer der talentiertesten Fussballer unseres Planeten: unberechenbar, vielseitig einsetzbar, mit einem tollen Antritt und einem harten Schuss gesegnet, physisch und technisch äusserst stark. Mehr als Mario Balotelli kann man nicht mitbringen, um auch zu einem der besten Spieler der Welt zu werden. Und doch ist fraglich, ob es «Super Mario» so weit bringen wird. Nicht wegen seinen Leistungen auf dem Feld, sondern wegen der nicht abreissen wollenden Serie an Undiszipliniertheiten und Eskapaden.

Sein oft als schwierig bezeichneter Charakter fiel schon früh auf. Nachdem sein Förderer Roberto Mancini bei Inter Mailand entlassen wurde, schwelte zwischen Balotelli und dem neuen Trainer José Mourinho ein offener Konflikt, worauf der Stürmer tatsächlich in einem Trikot der AC Milan in einer italienischen TV-Sendung auftrat. Im ersten Spiel nach seiner Sperre wusste er nach dem Schlusspfiff nichts besseres, als sein Shirt auf den Boden zu schmeissen, somit war er für Fans, Mitspieler und den Verein nicht länger tragbar.

Mit einem stolzen Gewinn wurde er zu Manchester City verkauft, wo er wieder unter Mancini auflaufen konnte. Und da wurde er als jener Junge bekannt, der schlicht nicht mit dem Druck, dem Ruhm und dem Geld umgehen kann. Auf dem Feld häuften sich grobe Fouls – sein Total bei den Blues steht mittlerweile bei 4 Platzverweisen sowie einer nachträglich ausgesprochenen Sperre von 4 Partien, weil er Tottenhams Scott Parker auf den Kopf getreten war – dazu gesellten sich einige Verfehlungen neben dem Feld. Er fuhr gleich mehrere Luxuskarossen zu Schrott, spielte in seinem Haus mit Feuerwerkskörpern herum bis die Löschfahrzeuge ausrücken mussten, beleidigte die Stadt Manchester («Ich bin hier nicht glücklich, ich mag die Stadt nicht») und nach der Wahl zum «Golden Boy 2010» seinen Arsenal-Konkurrenten Jack Wilshere («Wie heisst der? Wil…? Kenn ich nicht. Aber ich werde ihm die Trophäe zeigen, wenn ich gegen ihn spiele, und ihn dran erinnern, dass ich sie gewonnen habe»), und er schoss mit Dartpfeilen auf City-Junioren. Hinzu kommt sein exzessiver Lebensstil: Der Garten seines Hauses wurde in eine Rennstrecke für Quad-Bikes umgebaut, er besuchte trotz Ausgangssperre vor einem Spiel ein Pub und schmiss für 1000 Pfund eine Lokalrunde. Und auf Italiens Ersatzbank bei einem Spiel gegen die Färöer hantierte er mit einem iPad herum. Wäre Balotelli eine Figur aus einem Fussballfilm, man würde sie für überzeichnet und übertrieben halten.

Bislang schlugen bei ihm sämtliche «Erziehungsmethoden» fehl. Weder die harte Hand von Mourinho noch die väterlichen Versuche von Mancini («In seinem Alter macht man nun mal noch Fehler. Er ist verrückt, aber ich liebe ihn, weil er ein guter Mensch ist») konnten den Sohn ghanaischer Immigranten von seinen Fehltritten abbringen. Nach dem Platzverweis beim wohl meisterschaftsentscheidenden 0:1 gegen Arsenal ist nun auch bei Mancini der Kragen geplatzt und er kündigte an, dass Balotelli in dieser Saison keine Rolle mehr spielen werde und im Sommer zum Verkauf stünde: «Ich bin mit ihm fertig!» Der in Ungnade gefallene konterte, indem er angab, die Nationalmannschaft komme ohnehin «vor allem anderen». Doch auch da stehen seine Karten schlecht. Azzurri-Trainer Cesare Prandelli stellte nach dem jüngsten Aussetzer seine EM-Teilnahme in Frage. Bereits zuvor hatte er aus disziplinarischen Gründen auf sein Stürmerjuwel verzichtet.

Für die britische Yellow Press ist Balotelli indes ein Glücksfall. Nicht erst seit seinem missglückten und auf Youtube verewigten Versuch, ein Überziehleibchen anzuziehen, wird er schonungslos als «Spatzenhirn» («The Sun») verhöhnt, jede noch so kleine Episode aus seinem wilden Leben wird genüsslich ausgeschlachtet und ausgeschmückt. Die Urteile über ihn könnten hingegen unterschiedlicher nicht ausfallen. Die einen halten ihn «sogar für den Profifussball zu dumm», andere bemitleiden ihn, weil er seine Jugend nicht ausleben durfte und von den Anforderungen an einen modernen Profifussballer überfordert ist, wieder andere halten ihn für «die coolste Sau der Welt» (Benjamin Kuhlhoff). Die Wahrheit liegt – wie so oft – wohl irgendwo dazwischen.

Zwischen den aalglatten und nicht selten langweilig wirkenden Kickern von heute wirkt Balotelli wie ein Fremdkörper. Mit seinen Allüren ist er mehr Rockstar denn Profisportler. Er ist ein George Best in einer Zeit, die so ein Verhalten nicht mehr toleriert. Dabei ist es genau diese Verrücktheit, die ihm seine Geistesblitze auf dem Platz erst ermöglichen. Wer ihn in ein Korsett zu zwängen versucht, der raubt ihm eine grosse Stärke. Dass er sich keine Platzverweise mehr erlauben kann, hat er hoffentlich nach Mancinis heftiger Reaktion gelernt. Wenn ihm seine sonstigen Extravaganzen toleriert werden, kann er zum besten Stürmer der Welt werden. Ich hoffe für ihn und die Fussballwelt, dass seine Lust nicht durch stetiges Disziplinieren verloren gehen wird.

Alles anders beim FC Winterthur

Mämä Sykora am Montag den 16. April 2012

Das Märchen vom Cupfinal endete gestern mit dem Besuch des FC Basel auf der Schützenwiese. Ohne Happy End. Das Märchen des FC Winterthur hingegen geht weiter. Das Spiel gestern war nur ein weiteres Kapitel in der Geschichte dieses Vereins, der so herrlich quer in der wenig bunten Landschaft des Schweizer Profifussballs steht.

Wer die Schützenwiese besucht, merkt schnell, dass hier einiges anders ist. Statt Status Quo und Hermes House Band dröhnt Punkmusik aus den Lautsprechern, neben der Bierkurve gibt es auch eine Sirupkurve für den Nachwuchs der Anhängerschaft. Und sogar eine Kunstgalerie, der legendäre «Salon Erika», öffnet während den Spielen ihre Tore. Und das «Produkt» – wenn man es überhaupt so nennen darf – findet Anklang: Die Schützenwiese gehört zu den am besten besuchten Stätten der Challenge League, obwohl der Aufstieg gar nicht erreicht werden kann. Die entsprechende Lizenz hat der Verein nämlich nicht beantragt.

Die Fans stört dies nicht. Sie stehen auf den Rängen, egal ob der Gegner Wohlen, Vaduz oder wie in dieser schönen Cup-Kampagne YB, St. Gallen und Basel heisst. Für einige der älteren Zuschauer waren dies Erinnerungen an vergangene, ruhmreichere Zeiten, mit zwei (verlorenen) Cupfinals als letzte Highlights. Seit 35 Jahren spielt der FCW nun – abgesehen von 3 Spielzeiten – in der zweithöchsten Spielklasse, vor 11 Jahren wäre er beinahe Konkurs gegangen, ehe er vom heutigen Präsidenten Hannes W. Keller gerettet wurde. Die lange Leidenszeit hat vielleicht einiges dazu beigetragen, dass die Fans erfreulicherweise die anderorts weit verbreitete Verbissenheit vermissen lassen. Auf der Tribüne jedenfalls geht es locker zu und her, man plaudert und prostet sich zu, und die Sprüche leben eher vom Humor denn vom Hass der Gastmannschaft gegenüber.

Ohne Hannes W. Keller, den Unternehmer, gäbe es dies alles nicht mehr. Über 12 Millionen Franken hat er schon in den Verein investiert, um Defizite zu decken. Als Dank dafür helfen alle fleissig mit, Geld in die Kasse zu kriegen. Der «Salon Erika» und die Stadionbeiz, betrieben von einer autonomen Genossenschaft, überweisen dem Klub jährlich ein paar Tausend Franken. Es sind kleine Brötchen, die gebacken werden. Grosseinkäufe sind ebenso wenig möglich wie Kurzschlussreaktionen. Als die Resultate unter Trainer Boro Kuzmanovic anhaltend schlecht blieben, sprach Keller ein Machtwort. Diese Ruhe bezahlte sich aus, in diesem Frühjahr schaffte es die Mannschaft aus der Abstiegszone bis an den Barrageplatz heran.

Starallüren sucht man bei den Winti-Kickern vergebens. Nach dem Spiel trifft man sie beim Schwatz in der Libero-Bar und bekommt dabei einen Eindruck, wie der Fussball hierzulande war, bevor er zum «Business» wurde. Wohl darum zieht der FCW überdurchschnittlich viele unverbesserliche Fussball-Nostalgiker an, die sich bei einem Besuch auf der «Schützi» an längst vergangene Stadionerlebnisse zurückerinnern. Ein willkommenes Kontrastprogramm zum Super-League-Alltag. Man stellt sich unweigerlich vor, wie es wäre, wenn die Form tatsächlich auch nächste Saison anhalten würde, wenn dem FC Winterthur tatsächlich dereinst die Rückkehr ins Oberhaus gelingen sollte. Und weiter fragt man sich, ob mit so einem Konzept überhaupt noch längerfristiger Super-League-Fussball möglich ist.

Was denkt die Steilpass-Gemeinde? Hat das Konzept des FC Winterthur Platz in der Super League? Oder ist es lediglich ein Relikt aus unwiederbringlich vergangenen Zeiten und allerhöchstens noch in der Challenge League anwendbar?

Danke, Jürgen Klopp!

Mämä Sykora am Donnerstag den 12. April 2012


Dortmund schlägt Bayern im wohl entscheidenden Spiel um die Meisterschaft mit 1:0. Es war – zumindest in der ersten Halbzeit – ein grossartiges Spiel, gerade weil die Borussen, obwohl sie von der Tabellensituation her auch auf Abwarten hätten spielen können, munter angriffen. Und sie kamen zu einigen Grosschancen, durch Grosskreutz, zweimal durch Lewandowski, der sogar den Pfosten traf. Es war ein Spiel, das alles mit sich brachte, was ein gutes Fussballdrama braucht. Inklusive des verschossenen Bayern-Elfmeters durch Robben und des Lattentreffers durch den eigenen Mann. Dortmund weist nun vier Runden vor Schluss stolze sechs Punkte Vorsprung auf die Bayern auf, und ist damit trotz des happigen Restprogramms auf Meisterkurs. Und gleichzeitig im Pokalfinale. Man kann die Arbeit von Jürgen Klopp schlicht nicht genug würdigen.

Ludovic Magnin sagte mir einst in einem Interview: «In Deutschland wird normalerweise immer Bayern Meister. Man muss als Herausforderer genau dann bereit sein, wenn die Bayern schwächeln.» Tatsächlich holten die Münchner 9 der letzten 15 Meisterschaften, und die «Überraschungssieger» in dieser Zeit konnten ihren Exploit nie bestätigen. Stuttgart, damals noch mit Magnin, und Wolfsburg, die vor Dortmund letzten Bayern-Besieger, kämpften in der Folgesaison gar gegen den Abstieg. Klopp hingegen steht mit Dortmund vor der Titelverteidigung. Das zeigt, was auch im modernen Fussball noch möglich ist mit einem guten Händchen bei den Transfers, einem bestens harmonierenden Team und einem hervorragenden Trainer.

Bei Borussia spielen keine Stars, deren (gefälschte) Trikots auf der ganzen Welt auf Märkten angeboten werden. Sensationelle Transfers sucht man bei den Westfalen in den letzten Jahren vergebens, dafür erkennt man, mit welcher Voraussicht und welchem Blick für Talente Verstärkungen geholt wurden. Für Shijni Kagawa etwa, den spektakulären Japaner, bezahlten die Gelb-Schwarzen läppische 350’000 Euro, die er mit seinen 30 Skorerpunkten und seinem Einfluss auf das Dortmunder Angriffsspiel längst zurückbezahlt hat. Die «Polen-Achse» mit Piszczek, Blaszczykowski und Lewandowski kostete zusammengerechnet gleich viel wie etwa der Bayern-Ersatzspieler Daniel Pranjic. Doch es muss bezweifelt werden, ob diese vier Profis – gleich wie die Eigengewächse Götze und Grosskreutz – anderorts derart über sich hinauswachsen hätten können, wie sie dies unter Jürgen Klopp tun.

Der Mann hat eine Vision von attraktivem Spiel und weiss zweifellos, wie man eine Gruppe – böse gesagt – «No-Names» zu Höchstleistungen anspornt. Bezeichnend ist, dass der langjährige Mainz-Spieler trotz Jahren im Geschäft den Humor nicht verloren hat, wie er in unzähligen Fernsehauftritten, namentlich in den Gesprächen mit Arnd Zeigler, bewiesen hat. Sieht man seine Borussia spielen, bekommt man das Gefühl, dass an dem uralten Spruch «Elf Freunde müsst ihr sein» doch was dran sein könnte. Die Mannschaft hat Spass, Klopp fördert dies geradezu, und erst dadurch kann sie auch uns Zuschauern Spass machen. Dass das Team nach dem letztjährigen Meistertitel nicht auseinandergefallen ist, ist eine weiterer Beweis dafür, wie sehr es den Akteuren bei «Kloppo» gefällt.

Für einen Underdog ist es immer leicht, die Sympathien zu gewinnen. Bei Dortmund ist es allerdings derzeit weit mehr als diese Rolle, dank der der Mannschaft die Herzen zufliegen. Sie narrt unablässig Goliath Bayern, hat gestern zum vierten Mal in Folge gegen den Branchenprimus gewonnen, zeigt herzerfrischenden Fussball, ohne dafür Millioneneinkäufe getätigt zu haben, und beweist ganz nebenbei noch wie Trainer Klopp Bodenhaftung und Humor. Zwei Dinge, die im heutigen Fussball sehr selten geworden sind. Ich jedenfalls verbeuge mich tief vor Jürgen Klopp und seiner Truppe und sage «Danke» für diesen Fussball! Ich bin tief beeindruckt und ganz einfach begeistert. Auch das kommt nicht sehr oft vor.

Wird der FC Barcelona bevorteilt?

Mämä Sykora am Donnerstag den 5. April 2012


Nach dem Spiel zwischen Barcelona und Milan gab es einiges zu diskutieren. Vor allem der Penaltyentscheid gegen Milan nach einem Textilvergehen von Nesta an Busquets wurde sehr unterschiedlich beurteilt. Von einem «klaren Elfmeter» sprachen die einen, andere waren der Ansicht, dass mit diesem Massstab in jedem Spiel 10 Mal auf den Punkt gezeigt werden müsse. Nesta, der Verursacher, sah gar eher ein Foul von Puyol an ihm selbst denn einen Elfmeter gegen sich.

Gar noch einen Schritt weiter ging Milans Stürmerstar Zlatan Ibrahimovic. Der Schwede ist berüchtigt für sein loses Mundwerk. Als er ein Reporter einst angesichts der vielen ruppigen Zweikämpfe mit seinen Gegenspielern von Ibrahimovic wissen wollte, woher die Kratzer in seinem Gesicht stammen, antwortete dieser: «Fragen Sie doch mal ihre Frau.» Darüber hinaus machte er sich regelmässig über seine Gegenspieler lustig, beispielsweise über den Norweger John Carew («Was der mit dem Ball kann, kann ich mir einer Orange») oder Stéphane Henchoz nach einem erfolgreichen Dribbling («Erst ging ich nach links, er auch. Dann ging ich nach rechts, er auch. Dann ging ich wieder nach links, da ging er sich einen Hotdog kaufen»).

Der Humor ist dem Führenden im Torschützenklassement der Serie A nach der Partie im Camp Nou allerdings abhanden gekommen. Er witterte gar eine Verschwörung: «Es scheint so, als wolle die Uefa nur zwei bestimmte Teams im Finale sehen.» Er sei «einfach nur angewidert», liess er verlauten und solidarisierte sich auch gleich noch mit Barças Reizfigur schlechthin: «Das war einfach nicht fair. Jetzt weiss ich, warum sich Mourinho jedes Mal so aufregen muss, wenn er im Camp Nou spielt.»

Der Real-Trainer lässt bekanntlich keine Gelegenheit dazu aus, die Öffentlichkeit von seiner Ansicht zu überzeugen, dass der FC Barcelona stets von den Unparteiischen bevorteilt werde und dass dies vom europäischen Fussballverband so befohlen sei. Anlass zu diesen Äusserungen boten ihm nicht nur die hitzigen «Clásicos», auch in der Königsklasse war Barcelona schon einige Male Profiteur von strittigen Schiedsrichterentscheiden. 2005 gab Schiedsrichter Anders Frisk, der Didier Drogba mit Gelb-Rot vom Platz gestellt hatte, wegen den schweren Vorwürfen des damaligen Chelsea-Coaches Mourinho sowie darauf folgenden Morddrohungen seinen Rücktritt, unvergessen ist auch das bis dato letzte Aufeinandertreffen dieser beiden Mannschaften vor drei Jahren, als Referee Øvrebø den Zorn der Engländer auf sich lud, weil er ein Handspiel im Strafraum nicht geahndet hatte, so dass Iniesta in der Nachspielzeit doch noch die Katalanen ins Finale schiessen konnte. Nach diesem Spiel äusserten selbst besonnenere Leute wie Guus Hiddink oder Michael Ballack leise und vorsichtig Verschwörungstheorien.

Dass ausgerechnet Ibrahimovic jetzt nachgelegt hat, mag nicht verwundern. Wie wenig er von Pep Guardiola hält, weiss man spätestens seit dem Erscheinen seiner Autobiografie. Darin bezeichnete er seinen ehemaligen Trainer als Mann «ohne Eier», der sich «vor Mourinho in die Hosen scheisse». Zudem kanzelte er die Barça-Stars Messi und Iniesta als «Schuljungen» ab, weil sie vor dem Coach kuschen würden. Doch auch wenn seine Anschuldigungen im Frust der Niederlage gefallen sind, erfährt der kantige Hüne von vielen Seiten Unterstützung. Dass Techniker von Schiedsrichtern geschützt werden sollen, sei ja gut und recht, bei Barcelona gehe es nun aber weit darüber hinaus. Gegen die Katalanen werde nicht nur jeder Rempler geahndet, sie dürften sich gleichzeitig im eigenen Strafraum deutlich mehr ausnehmen als ihre Gegner, lauten nicht wenige Stimmen in Diskussionsforen.

Wie nimmt das die Steilpass-Gemeinde wahr? Ist «Ibracadabra» nur ein schlechter Verlierer oder teilt ihr seine Ansicht, dass Barcelona kategorisch bevorteilt werde?

Kleine Schritte auf dem Weg nach oben

Mämä Sykora am Montag den 2. April 2012


Das Spiel im Letzigrund zwischen den Grasshoppers und dem FC Sion war ein Graus. Zumindest für die Anhänger des Heimklubs. Nicht nur der Publikumsaufmarsch war trotz tollem Wetter beschämend – GC hat mittlerweile den schwächsten Schnitt der ganzen Liga–, sondern auch ihre Mannschaft präsentierte sich in fürchterlichem Zustand und unfähig, den Gegner auch nur ansatzweise in Bedrängnis zu bringen. Die Fans reagierten mit wütenden Pfiffen sowie «Sforza raus!»- und «Boris raus!»-Rufen, so dass sich die Spieler nach dem Schlusspfiff nicht einmal mehr getrauten, sich von der Kurve zu verabschieden. Nur ein kurzes Winken vom Strafraum aus und ab ging’s unter die Dusche.

Das ist der Ist-Zustand bei GC, selbst Verwaltungsrat Stephan Anliker bezeichnete ihn als «desolat». Und das ist schon mal ein gutes Zeichen dafür, dass es nun endlich – nach vielen unbefriedigenden Spielzeiten – soweit ist, dass die Situation nicht mehr verkannt und auch nicht mehr schöngeredet werden wird. Wenn GC mit dem siebten Führungswechsel in den letzten neun Jahren endlich wieder in ruhigere Gewässer gesteuert werden soll, müssen einige Grundsätze beherzigt werden.

1. Vergesst die glorreiche Vergangenheit
Der erfolgreichste Klub des Landes zu sein, ist zwar sicher schön, hilft aber in der aktuellen Situation gar nichts. Die momentane Lage ist kein kurzes Zwischentief, GC ist in allen Belangen Lichtjahre davon entfernt, wieder zur führenden Kraft zu werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Anschluss wieder geschafft werden kann, doch die Ansprüche müssen drastisch herunter geschraubt werden. Also lasst die illusorischen Zielvorgaben, vergesst die Sterne auf dem Trikot und führt den Verein so, wie man einen Verein nun mal führt, der am Schwanz der Tabelle steht. Kleine Schritte für einen «kleinen» Verein. Und ewig dem Hardturm nachtrauern – so schade es drum ist – und das Fehlen eines eigenen Stadions als Hauptgrund für die Misere zu nennen, ist auch mit der Zeit ermüdend und lenkt lediglich von anderen Problemen ab.

2. Überschätzt das GC-Herz nicht
Smiljanic bekam einen Rentenvertrag, Johann Vogel wurde reaktiviert, Sforza steht an der Seitenlinie und Alain Sutter war bis vor kurzem Berater. Sie haben noch die grossen Zeiten von GC erlebt, das heisst aber nicht automatisch, dass sie einem am Boden liegenden Klub weiterhelfen können. Sie sind es sich schlicht nicht gewohnt und haben keinerlei Erfahrungen mit solchen Situationen. Zudem sind sie verdammt teuer, allein weil sie einen guten Namen haben. Dieses Geld investiert man besser in Leute, die ihre Fähigkeit schon unter Beweis stellen konnten, und zwar in vergleichbarem Umfeld.

3. Es geht nur über die erste Mannschaft
In einem seiner ersten Interviews hat es André Dosé richtig erkannt: «Der Nachwuchs wird bei GC immer eine wichtige Rolle spielen. Aber: Die erste Mannschaft muss erfolgreich sein.» Obwohl GC derart auf den Nachwuchs setzt, wechseln die talentiertesten Jungen momentan eher zu Basel oder YB, was sich in den Tabellen niederschlägt. Dies wird sich erst dann ändern, wenn die erste Mannschaft wieder einen Anreiz bieten kann. Deshalb muss hier zwingend als erstes angesetzt werden. Sie ist das Aushängeschild des Vereins; solange sie im Tabellenkeller dümpelt, kriegt man keine Talente und auch keine zahlungswilligen Sponsoren.

4. Ein Sportchef wie Andres Gerber
Noch sind wichtige Stellen vakant. Am essenziellsten ist die Besetzung des Posten des Sportchefs, denn er wird wesentlich dazu beitragen müssen, eine kompetitive Mannschaft zusammenzustellen. Bereits kursieren einige Namen – der vielleicht Beste fehlt dabei: Andres Gerber. Der ehemalige GC-Aktive hat beim FC Thun mehrfach unter Beweis gestellt, dass er mit bescheidenen Mitteln Erstaunliches zustande bringt. Es wäre falsch, allfällige zusätzliche Mittel in wenige teure Stars zu investieren, womit lediglich das Leistungsgefälle im Team offensichtlich würde. Das Ziel muss sein, die Qualität langsam anzuheben. Und genau das ist der Weg, den Gerber gehen würde. Ohne falsche Ansprüche, mit der nötigen Bescheidenheit und einer hervorragenden Nase.

Wenn Dosé eine «saubere Ist-Analyse» ankündigt, dann ist zu hoffen, dass diese so schonungslos ausfällt, wie sie sein müsste. GC hat keinen Hauptsponsor, keinen Trainer, keinen CEO, keinen Sportchef, eine mittelmässige Juniorenabteilung, kaum Zuschauer und eine inferiore Mannschaft. Alleine die desaströse Vorstellung des Teams gegen Sion müsste gezeigt haben, dass der nächste Schritt nicht Champions League sein kann, sondern erst Mal wieder mit Thun oder St. Gallen mithalten zu können.

Lehrreiches aus einer unnützen Saison

Mämä Sykora am Donnerstag den 29. März 2012
Werfen Sie einen Blick auf die Schuhe! Sehen Sie schwarz? (Bild: fcl.ch)

Werfen Sie einen Blick auf die Schuhe! Sehen Sie schwarz? (Bild: fcl.ch)

Die Spannung ist etwas raus aus unserer Liga. Deshalb wollen wir die dadurch gewonnene Zeit nutzen, um etwas über die Vereine der Super League zu lernen. Hier gibt es die aktuelle Tabelle, dazu zu jedem Club etwas unbedingt Wissenswertes. Damit diese Saison nicht ganz für die Katz war.

Der FC Basel schaffte es schon europäisch aufs Podest. Im Jahr 2009 landete der FCB hinter dem FC Liverpool und Tottenham auf Platz drei in der irrsinnigen Superleague Formula, bei dem berühmte Fussballklubs mit Formel-1-ähnlichen Wagen gegeneinander antreten. Dumm nur, dass die von den Veranstaltern angepriesene Symbiose aus den zwei publikumsträchtigsten Sportarten der Welt keinen interessiert. Letztes Jahr fanden nur noch zwei Rennen statt.

Der FC Luzern hat den höchsten Anteil an Spielern mit farbigen Schuhen in der vordersten Reihe des Mannschaftsfotos der Saison 2011/12. Kein einziger trägt noch schwarze Treter.

Nun hat YB noch einen Titel vergeben: Bis vor kurzem war die Schweiz nämlich mit dem Begriff «Young Boys» auf Platz 1 bei Google Trends in Sachen Suchanfragen. Nun musste man sich von Pakistan und Südafrika überholen lassen, und auch Belgien holt langsam auf. Ob sich diese Leute wirklich so sehr für Berner Fussball interessieren, darf bezweifelt werden.

Thun ist die grösste Schweizer Stadt, die noch nie einen Schweizer Meister stellte.

Die meisten Torschüzenkönige in den letzten 30 Jahren stellte Servette mit 7. Zu Meisterehren reichte es indes nur dreimal.

João Paiva war in seiner Zeit beim FC Luzern unter Coach Sforza Mitglied der Facebook-Gruppe «Scheiss Ciriaco Sforza». Zu seinem Leidweisen wechselte der ungeliebte Trainer genau dahin, wo Paiva auch schon unterschrieben hatte. Heute ist er bei den Grasshoppers und verbringt seine Zeit – wenig überraschend – meistens auf der Bank.

Eine schwedische Reality-TV-Show, bei der 15 Männer, die noch nie Fussball gespielt haben, zu einem Team geformt werden, heisst «FCZ».

Lausanne ist im Schweizer Fussball für zwei Premieren verantwortlich. Einerseits gelang den Waadtländern das erste Schweizer Tor in der Europacup-Geschichte, das 1:2 durch René Maillard am 6. März 1956 gegen Leipzig, dazu stellte Lausanne auch den ersten dunkelhäutigen Spieler in der Schweizer Nati, nämlich Raymond Bardel beim 2:3 gegen Deutschland am 15. April 1951. Sein zweites Länderspiel gegen Jugoslawien war für den Sohn eines Amerikaners und einer Schweizerin auch sein letztes: Er reiste direkt von einem WK an, lieferte völlig übermüdet eine ungenügende Leistung ab und wurde nie mehr aufgeboten.

Wenn der FC Sion am 11. April den FC Luzern zum Cup-Halbfinal empfängt, ist das erst das dritte Cup-Heimspiel des Vereins in den letzten sieben Jahren. Genau gleich oft haben sich die Walliser in dieser Zeit den Kübel geholt.

Xamax hat von allen Teams die meisten Eigentore seit Einführung der Super League fabriziert. 13 waren es insgesamt, das 14. und letzte war das fatalste: Man überliess Bulat Tschagajew das Ruder.