
Mit den Spaniern ist noch lange zu rechnen: Spaniens Goalie Iker Casillas stemmt den Pokal in die Höhe.
Fertig ist sie, die EM 2012. Ein wunderbares Turnier war es! Zwar gab es wie meistens an grossen Turnieren nichts Neues zu entdecken, der Fussball wurde auch in der Ukraine und Polen nicht neu erfunden, aber ich hatte lange nicht mehr solchen Spass, Spiele zu gucken. Was mich besonders gefreut hat: Schwalben, Zeitschinden, Simulieren und Unsportlichkeiten gab es so gut wie gar nicht. Erstaunlich für Partien, in denen es um so viel geht. Auch wurde – mit Ausnahme des nicht gegebenen Treffers der Ukraine gegen England – kaum über umstrittene Schiedsrichterentscheide diskutiert, weil sich die Herren in Schwarz für einmal vornehm zurückhielten bei der Verhängung von Strafstössen und der Verteilung von Karten. Ich hoffe schwer, dass dieser Massstab auch in den kommenden Wettbewerben angewendet wird.
Die Antwort auf die grösste Frage vor der EM – nämlich ob die Spanier ihren Zenit überschritten haben und reif für eine Niederlage seien – gaben sie selber gestern Abend in eindrücklicher Form. Klar, Italien hatte Pech mit den Verletzungen, doch selbst ohne diese Schicksalsschläge wäre die Furia Roja in dieser Verfassung nicht zu bezwingen gewesen. Von keiner Mannschaft dieser Welt. Im Gegensatz zu den vorangegangen Partien konnten sie die Fehlpassquote wieder im Promillebereich halten, setzten beim Ballverlust sofort energisch und konsequent nach, sodass die Italiener nie ins Spiel kamen, wie sie es im Duell in der Gruppenphase noch geschafft hatten. Andrea Pirlo, ihr Denker und Lenker, wurde kein bisschen Raum zur Entfaltung gelassen. Selbst wenn er sich bis zum eigenen Strafraum zurückfallen liess, hatte er stets einen störenden Gegenspieler bei sich. Spanien brillierte nicht nur mit der bekannten Ballsicherheit, auch taktisch war dies gestern eine meisterliche Leistung. Es war die perfekte Antwort für die Kritiker, die nach den mühevollen Auftritten des Weltmeisters namentlich gegen Kroatien und Portugal verkündeten, die Zeit der Spanier sei nun wirklich abgelaufen, zu gut seien die Gegner mittlerweile auf das Tiki-Taka eingestellt, zu wenig durchschlagkräftig der Angriff.
Ein Irrglaube, wie sich herausgestellt hat. Selbst ohne Puyol, ohne einen David Villa, mit dem das Spiel der Spanier deutlich variabler ist, holte man schliesslich verdient den Titel, weil man im Finale die beste Turnierleistung abliefern konnte. Zenit überschritten? Im Gegenteil: Die Ära der Spanier ist noch lange nicht vorbei. Von den Leistungsträgern sind lediglich Xavi und Xabi Alonso schon über 30, dahinter wartet eine ganze Armada an hochtalentierten Spielern, die sich problemlos in dieses Spiel einbinden lassen. Juan Mata (Chelsea, 24), Thiago Alcántara (21, Barcelona) oder Oriol Romeu (20, Chelsea) sind nur einige der kommenden Weltstars, die das Erbe von Xavi und dereinst auch Iniesta antreten können. Auch in den weiteren Mannschaftsteilen hat Spanien die Qual der Wahl. Wer soll diese Spanier in den kommenden 10 Jahren aufhalten können?
Deutschland? Der Herausforderer Nummer 1 der Spanier zeigte einmal mehr erfrischendes Offensivspiel, doch wer solch eklatante Abwehrschwächen offenbart wie im Spiel gegen Italien, der kann kein Turnier gewinnen. Die Schelte, die nach dem Aus über das deutsche Team hereinbrach, war hingegen dennoch völlig übertrieben, wie Arnd Zeigler richtig stellte. Denn Schuld am deutschen Scheitern tragen nämlich weder Jogi Löw noch die Spieler, sondern ein kaum bekannter Stammgast unserer EM-Bar. Die vier Siege der Bundeself verfolgte jener deutsche Fan nämlich jeweils im grünen Deutschland-Trikot mit der Aufschrift «Scholl», stets auf dem gleichen Platz. Doch ausgerechnet fürs Halbfinale erschien er mit Verspätung, die Sitzbank war schon belegt, darüber hinaus trug er nicht sein Glückstrikot, sondern ein stinknormales weisses Shirt. Wer so nachlässig mit Traditionen bricht, muss sich wahrlich nicht wundern, wenn sein Team die Segel streichen muss. Es ist die erste Regel im Handbuch von Fussballfans.
Nach dem beeindruckenden Auftritt der Spanier gestern gegen Italien muss man aber auch anmerken, dass in den nächsten Turnieren auch 100 Scholl-Trikots nichts nützen werden. Spanien ist und bleibt die Nummer Eins. Und das wohl noch für ziemlich lange Zeit.