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NLA-Backflash!

Mämä Sykora am Donnerstag den 27. September 2012
Die Rangliste der Super League erinnert zurzeit an die gute alte Nationalliga A.

Die Rangliste der Super League erinnert zurzeit an die gute alte Nationalliga A: Im Bild oben sind GC-Spieler Andi Egli (l.), der St. Galler Ivan Zamorano (M.) und Urs Meier (r.) zu sehen, November 1989. (Foto: Keystone)

Irgendwie ruft es ein ziemliches Backflash hervor, wenn man die aktuelle Tabelle der Super League von oben herab zu lesen beginnt. Man braucht bloss den Namen dieser Bank und das «Super League» abzudecken und durch das gute, alte «Nationalliga A» zu ersetzen, und schon wirbeln auf Platz 1 Manni Braschler oder Ivan Zamorano, dahinter zaubert bei GC die halbe Nationalmannschaft und Jean-Paul Brigger und Dominique Cina machen das Wallis stolz. Da tauchen Trikots und ihre Werbeaufdrucke von Firmen vor dem geistigen Auge auf, die man längst vergessen hat: Ernst Teigwaren, Fido (ja, das Hundefutter), Nissan, Le Nouvelliste … Selbst Placette kommt einem dann in den Sinn, wenn man den Blick noch tiefer schweifen lässt. Alle jene Mannschaften sind wieder vertreten ganz oben, die für in den Achtzigern aufgewachsenen Fussballfans irgendwann mal eine Rolle gespielt haben.

Nun ja, fast alle. Xamax fehlt natürlich. Und Aarau. Aber sonst ist alles fast wieder so wie in jener heute total verklärt gesehenen Zeit. Da war FCB–FCZ noch nicht das Gigantentreffen wie nach der Jahrtausendwende, sondern wenn schon ein Kellerduell. Oder überhaupt kein Duell, weil sich einer der beiden Dominatoren der 70er-Jahre gerade in der NLB mit Emmenbrücke oder Martigny vergnügte. Nachfolger hatten sie in der NLA keine. Fast jeder durfte mal ganz oben stehen, wenn GC schwächelte: Servette, YB, Xamax, Luzern, Sion, Aarau. Aarau! Und für Lausanne und St. Gallen gab’s immerhin Siege in der Qualifikationssrunden.

Momentan ist es wirklich fast wieder so wie damals. Wenn der FCSG am Montag GC im Letzigrund besucht, ist dies das Spitzenspiel. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann diese Begegnung das letzte Mal mit dieser Bezeichnung versehen worden ist. Es wird das Spiel zwischen dem Erst- und dem Zweitplatzierten sein, obwohl dabei der Aufsteiger auf den nur dank Tschagajew und Sion-Punktabzügen Geretteten trifft. Verkehrte Fussballwelt!

Wunderbare Fussballwelt! Denn was gibt es Schöneres, als wenn die Hierarchien einer Liga nicht mehr so starr sind? Jaja, es sind erst 10 Runden gespielt, und wahrscheinlich wird die Tabelle bis zum Schluss doch noch etwas «zurechtgerückt» werden. Aber im Moment macht das einfach nur Freude. Bei GC kommen plötzlich wieder Zuschauer, weil die Leistungen und die Platzierung wieder stimmen. Im Derby geht es endlich wirklich wieder um die «Vorherrschaft» in der Stadt. St. Gallen ist ohnehin in grösstmöglicher Euphorie, in Sion träumt man trotz Dämpfer noch immer von der Meisterschaft, selbst YB ist noch im Rennen. Und Basel, der Seriensieger, muss sich tatsächlich wieder einmal richtig anstrengen. Eine Tatsache, die Heiko Vogel vielleicht nicht ganz so goutiert, aber mal ganz ehrlich, liebe Basler: Es ist doch für erfolgsverwöhnte Fans auch interessanter, wenn wieder mal ein bisschen Spannung aufkommt. Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sondern auch das Leben eines Fans.

Ich jedenfalls geniesse die neue Unordnung im Schweizer Fussball. Am nächsten Spieltag wird ein weiteres Mal einiges neu gemischelt. Am Montag im Letzigrund, wenn GC gegen den FCSG um die Tabellenführung spielt. Ich werde wohl mein Fotolabo-Club-Xamax-Trikot anziehen, damit die auch ein bisschen dabei sind. Dann ist wirklich fast alles wieder wie früher.

YB muss für Schwalbenkönige büssen

Mämä Sykora am Montag den 24. September 2012
Uneinig: Basels Marco Streller reklamiert ein Handspiel bei Schiedsrichter Stephan Studer in Bern. (Bild: Keystone)

Uneinig: Basels Marco Streller reklamiert ein Handspiel bei Schiedsrichter Stephan Studer in Bern. (Bild: Keystone)

YB – Basel, eine Minute vor Ablauf der regulären Spielzeit: Der eingewechselte Vitkieviez schlägt einen Haken, zu schnell für Joo-Ho Park, der bei seiner Grätsche die Beine des Berner Angreifers trifft und diesen im Strafraum zu Fall bringt. Ein klarer Elfmeter, der keinen Raum für Diskussionen lässt. Doch zur Überraschung der einen und zum Entsetzen der anderen bleibt die Pfeife von Schiri Stephan Studer stumm, auch sein Linienrichter zeigt kein Vergehen an. Nicht nur hartgesottene und leidgeprüfte YB-Fans fragen sich: Wie kann man so etwas übersehen?

Übersehen ist vielleicht auch gar nicht der richtige Ausdruck. Es wird Ref Studer nicht entgangen sein, dass Vitkieviez plötzlich auf dem Boden lag, selbst wenn zwischen ihm und dem Ball einige Spieler standen. Nur: Wie alle im Fussball tätigen Akteure nur zu gut wissen, ist ein umfallender Stürmer im Sechzehner längst nicht zwingend auch ein glasklarer Elfmeter. Mit Sicherheit musste sich Studer in seiner Karriere schon unzählige Male beim Betrachten der TV-Bilder nach einer Partie grün und blau ärgern, weil er auf eine Schwalbe reingefallen ist und einen unberechtigten Penalty verhängt hat. Und es gibt wahrlich nur wenige Dinge, die einen mehr (und länger) aufregen, als wenn man auf eine Täuschung reingefallen ist.

YB-Trainer Martin Rueda stellte sich die Frage, ob dem Schiri der Mut gefehlt habe, auf den Punkt zu zeigen. Ich vermute eher, der Grund dafür liegt in der eben erwähnten Angst, erneut Opfer eines Betrugsversuch eines Spielers zu werden. Wer wie ein Schiedsrichter Woche für Woche aus kürzester Distanz die theatralischen Hinfaller einiger Profis mitverfolgen muss, der achtet ganz besonders drauf, solche nicht fälschlicherweise auch noch zu belohnen. Eine vollkommen natürliche Reaktion. Und wenn eine umstrittene Szene gar in der letzten Minute passiert, dann will ein Spielleiter ganz besonders davon überzeugt sein, dass es auch wirklich ein elfmeterwürdiges Vergehen war.

Dass Studer keine optimale Sicht auf die besagte Szene hatte und sein Linienrichter ihm keine Hilfe war, macht die Entscheidung nicht richtiger, aber zumindest etwas nachvollziehbarer. Wenn er sich nicht 100-prozentig sicher ist, kann er sich nämlich ohnehin nur zum Buhmann machen: Pfeift er nicht, zieht er sich den Zorn der angreifenden Mannschaft auf sich, weil er ihnen eine gute Chance auf ein Tor raubt; pfeift er aber und es war – wie leider sehr oft – nur eine Schauspieleinlage, belohnt er jenen Spieler, der ihn reingelegt hat. Eine ungemütliche Zwickmühle, wobei die zweite Möglichkeit die ungleich schlimmere ist.

Natürlich ist der Frust nach so einem Fehlentscheid verständlich. Selbst besonnene Gemüter wie Christoph Spycher liessen sich nach dem Spiel zu pointierten Aussagen hinreissen («Wenn der das nicht sieht, bleibt er am nächsten Sonntag lieber zuhause.») Dabei ist hoffentlich selbst passionierten Verschwörungstheoretikern klar, dass Studer nicht aus purer Bosheit oder sonstigen tieferen Gründen den Penalty nicht gegeben, sondern ganz einfach einen Fehler gemacht hat. Und diesen Fehler hat er nur darum gemacht, weil ihn jene Profis, die jetzt laut «Skandal!» und «Betrug!» schreien, Woche für Woche an der Nase herumzuführen versuchen und mit schmutzigen Tricks Strafstösse schinden wollen.

Denn könnte Herr Studer davon ausgehen, dass ein Stürmer an dieser Stelle des Spielfelds, die noch nicht einmal besonders aussichtsreich für einen Torschuss ist, nur dann zu Boden geht, wenn er auch wirklich getroffen wurde, dann hätte er sich all diese oben beschrieben Gedanken, die ihm in diesem Moment wohl durch den Kopf gegangen sind, gar nicht machen müssen und hätte diesen völlig berechtigten Elfer verhängt. So musste aber leider YB für all jene Schwalbenkönige büssen, die in Stadien unserer Erde jedes Wochenende die Männer in Schwarz zu betrügen versuchen.

Der Absturz der Black Stars

Mämä Sykora am Montag den 17. September 2012

Die Spieler Ghanas posieren vor dem Afrika-Cup-Halbfinalspiel gegen Sambia für das Mannschaftsfoto. Vordere Reihe von links: Asamoah Gyan, Samuel Inkoom, Anthony Annan, Lee Addy, Andre Ayew. Hintere Reihe von links: Larsen Kwarasey, Derek Boateng, Jordan Ayew, John Boye, Kwadwo Asamoah und Captain John Mensah, 8. Februar 2012. (Foto: Keystone)

Ghana war in den letzten Jahren die Hoffnung des schwarzen Kontinents, dass doch noch in absehbarer Zeit eine Nationalmannschaft Afrikas im Konzert der Europäer und Südamerikaner mitmischen könnte. In der Tat war der Aufstieg beachtlich: 2006 war das Land erstmals an einer WM mit dabei und schaffte gleich den Sprung ins Achtelfinale, 2009 holte Ghana Gold bei der U-20-WM und 2010 verhinderte nur ein in der allerletzten Sekunde der Viertelfinal-Verlängerung gegen Uruguay verschossener Elfer den sensationellen Aufstieg ins Halbfinale bei der WM in Südafrika. Der jungen Mannschaft wurde eine rosige Zukunft prophezeit. Sie war auf dem Weg zum Dominator des Kontinents und machte sich auf, die Grossen das Fürchten zu lehren.

Gerade mal zwei Jahre sind seither vergangen, und in dieser kurzen Zeit hat sich einiges geändert. Leider nicht zum Guten. Kevin Prince Boateng, einer der Leistungsträger an der letzten WM, hatte genug von den Black Stars profitiert, die ihm einen Transfer zur AC Milan einbrachten, so dass er mit 24 Jahren den Rücktritt erklärte, offiziell wegen der körperlichen Belastung. Auch der ehemalige Chelsea- und heutige Real-Star Michael Essien spielt seit drei Jahren – auch verletzungsbedingt – kaum mehr für die Nationalelf. Und im vergangenen Februar erklärte auch noch WM-Held Asamoah Gyan, er stünde fortan nicht mehr zur Verfügung, nachdem er nach einem weiteren verschossenen Elfmeter im Afrika-Cup gegen Sambia verbal von den Fans attackiert worden ist. Mittlerweile ist er zwar bereits wieder vom Rücktritt zurückgetreten, dafür hat seine Karriere eine erstaunliche Wendung genommen.

Der umworbene Stürmer verblüffte seine Fans, als er im letzten September ankündigte, sich zu Al Ain in die Vereinigten Arabischen Emiraten ausleihen zu lassen. Ein grosser sportlicher Rückschritt, aber man sah es ihm nach, weil er in den paar Monaten ein beachtliches Vermögen anhäufen konnte und auch sein finanziell angeschlagener Verein Sunderland fürstlich entlöhnt wurde. Doch es blieb nicht bei der Leihe: Kürzlich unterzeichnete er bei Al Ain einen 5-Jahres-Vertrag, der ihm insgesamt 50 Millionen Franken garantiert. Lukrativ auf jeden Fall, doch in einer wenig kompetitiven Liga mit einem Schnitt von knapp 1000 Zuschauern.

Al Ain ist bei weitem nicht der einzige ungewöhnliche Verein bei den ghanaischen Nationalspielern. Gleich zwei Spieler sind beim norwegischen Strømsgodset unter Vertrag, einer in Schweden bei BK Häcken, türkische und ukrainische Abstiegskandidaten sind ebenso vertreten wie China, und mehrere Akteure spielen bei mittelmässigen Vereinen in der Heimat wie Berekum Chelsea. Stammkräfte bei grossen Vereinen sind nur gerade die Abedi-Pele-Söhne André und Jordan Ayew sowie Juve-Mittelfeldmann Kwadwo Asamoah.

Schaut man sich die Karrieren der einst vielversprechenden Talente an, fallen die unzähligen Vereinswechsel und die häufigen Leihgeschäfte ins Auge. Die Mannschaft ist im Schnitt noch nicht mal 23 Jahre alt, jeder spielte aber schon im Schnitt für 4,3 Profivereine. Die grössten Talente wechseln dabei am häufigsten: Für den Star beim U-20-WM-Titel Ghanas, der heute 22-jährige Dominic Adiyiah (Gewinner des Goldenen Balls), ist Arsenal Kiew bereits der achte Verein, und selbst da ist er nur Teilzeitarbeiter. Bei seinen damaligen Teamkollegen lief es ähnlich, oder sie folgten wie der damals hochgelobte Lee Addy gleich dem grossen Geld und heuerten in China an.

Konstanz und langfristige Planung fehlt auch anderorts. Akwasi Appiah, der aktuelle Trainer der Black Stars, ist deren 14. (!) seit 2000 – Interimstrainer nicht mitgerechnet. «Hire and fire» heisst die Devise. Offizielle und Fans verlangen sofortige Erfolge und missachten dabei die Regel, dass sich diese ohne Konzept und Planung nicht einstellen können. Denn länger als zwei Jahre hat sich seit den 1960er-Jahren kein Trainer im Amt halten können.

Die seltsamen Karriereplanungen der Spieler und die Unruhe im Verband schlagen sich freilich auch auf die Leistungen auf dem Platz nieder. Das hoch favorisierte Ghana scheiterte im Afrika-Cup-Halbfinale, in der WM-Qualifikation unterlag man Sambia gleich noch einmal und steht darum vor der Partie gegen den Sudan bereits mit dem Rücken zur Wand: Nur der Gruppensieger zieht in die dritte Runde der Ausscheidung ein und hat noch die Chance auf die Endrunde in Brasilien. Für Ghana wird dies sehr schwer werden. Kürzlich reichte es in einem Testspiel nicht mal mehr für einen Sieg über China. So wurde aus dem Team, das erst kürzlich noch die Speerspitze des afrikanischen Fussballs war, ein weiteres Beispiel für traurig verschwendetes Potenzial.

Schweizerisch-albanisches Volksfest auf den Rängen

Mämä Sykora am Donnerstag den 13. September 2012


Geschrieben wurde vor allem über die gellenden Pfiffe der albanischen Zuschauer bei jeder Ballberührung eines Schweizer Nationalspielers mit albanischen Wurzeln. Selbst wenn diese mit einigem guten Willen auch als Kompliment verstanden werden können – schliesslich zeugen sie davon, dass die pfeifenden Fans froh wären, diese Spieler in ihren Reihen zu haben –, war es bestimmt nicht die feine Art. Dass das Spiel in Luzern auch eine ganz andere Seite hatte, ging dabei unter. Denn was weder TV-Zuschauer noch die Medientribüne mitbekommen haben, waren die Vorgänge in den gemischten Sektoren – dazu gehörte für einmal auch der Schweizer Fanblock –, die durchaus Züge eines schweizerisch-albanischen Fest zur Völkerverständigung hatten.

Im Sektor B der Swissporarena, zu dem laut Angaben auf dem Ticket «Kein Zutritt in albanischer Fankleidung» war, kamen fahnenschwenkende Schweizer mit älteren albanischen Herren, rot-schwarz bemalte Jugendliche und Gruppen in Schweizer Nati-Trikots zusammen. Es war kaum festzustellen, wer die Mehrheit stellte, und so wechselten sich «Shqipëria»- und «Hopp Schwiiz»-Rufe ab. Man kam ins Gespräch, lernte endlich, dass Shaqiri «Schatschiri» ausgesprochen wird, reichte Bratwürste für den komplett in albanischen Farben gekleideten und breitestes Sanktgallerisch sprechenden Sitznachbarn weiter, und nahm Gratulationen von den leidenden albanischen Senioren in der Reihe davor entgegen, während man sich nach dem nicht wirklich verdienten 2:0 dies fast schon entschuldigend eingestehen musste. Zorn, Ärger, Pfiffe oder Frust? Fehlanzeige. «In Tirana wird es dann nicht so einfach!», lachten unsere Nachbarn bei der Verabschiedung.

Es war eine neue Erfahrung an einem Fussballspiel. Dass man auch im «gegnerischen» Fanblock mitfiebern, anfeuern und singen kann, habe ich letztes Jahr schon mit einer Gruppe Schotten inmitten der spanischen Fans erleben dürfen. Dass jedoch ein Block so durchmischt und gleichmässig verteilt ist, das war für mich neu. Die Stimmung war sehr gelöst, unterirdische Kommentare in Richtung der Gegner blieben vollkommen aus (kein Wunder, wenn deren Fans gleich daneben sitzen) und irgendwie war alles so, wie es eigentlich sein müsste. Ich unterstütze meine Mannschaft, du logischerweise die deine, und es gibt keinen Grund, weshalb es deswegen Probleme geben sollte. Schliesslich schauen wir beide einfach einem Spiel zu.

Und zudem bietet der Fussball – im Stadion sowieso – immer Gesprächsstoff für zwei Interessierte. Für einmal konnte man vom Nachbarn auch einmal etwas über die Gastmannschaft erfahren, und weil sich so ein Gespräch schnell weiter dreht, weiss man kurze Zeit später auch, wie zum Beispiel die im Stadion oft zu sehende lustige albanische Filzkappe heisst. Qeleshe nämlich. Nur falls sich das jemand merken will, um beim Auswärtsspiel in Tirana damit anzugeben.

Ich jedenfalls könnte mich an gemischte Fanblocks – zumindest bei Nati-Spielen – gewöhnen. Gerade wenn die Gästefans so angenehm, friedlich und gesprächig sind wie jene Albaner im Schweizer Fanblock. In diesem Sinne: Mirupafshim!

Ist das jetzt die «neue» Nati?

Mämä Sykora am Montag den 10. September 2012


Der erste von (mindestens) zehn Schritten auf dem Weg an die Fussball-WM 2014 in Brasilien wurde am Freitag gemacht. 2:0-Sieg in Slowenien, einem direkten Konkurrenten, ein idealer Start. Und dennoch liess die Schweizer Nati die Zuschauer rätselnd zurück. Tatsächlich ist die Leistung von Hitzfelds Truppe nicht einfach einzuordnen. War das jetzt eine gute Partie der Schweizer? Oder ein schlechtes Spiel mit glücklichem Ausgang? War Slowenien einfach nur schwach? Kann man so gegen bessere Teams bestehen? Können wir zufrieden sein?

Wie fast immer liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Dass die Schweizer die leicht bessere Mannschaft waren in Ljubljana, das anerkennen die meisten. Vor allem in Sachen Effizienz überzeugten die Rotjacken. Denn – und das sollte man nicht vergessen – die Slowenen hatten ihre Chancen. Matavž scheiterte zweimal an Benaglio, Birsa verzog knapp von der Strafraumgrenze. Die Verteidigungslinie stand mit Ausnahme von Lichtsteiner längst nicht immer solid. Djourou wirkte etwas nervös und fahrig, von Bergen verlor zeitweise die Übersicht und Rodriguez hatte Glück, dass seine Gegenspieler wenig aus seinen (Stellungs-)Fehlern machten.

Die Art, wie die Treffer fielen, passte zum Spiel der Schweizer Nati: Es waren keine Traumtore – auch wenn die Entstehung des 1:0 trotz des nicht unhaltbaren Abschlusses ansehnlich war –, sondern zwei Weitschüsse, die den Weg ins Netz fanden. Aber um die ältesten aller Fussballweisheiten zu bemühen: «Tor ist Tor» und «Nächste Woche fragt keiner mehr, wie der Sieg zustande kam». Drei Punkte wurden geholt, Ziel erreicht. Also kann man darüber hinweg sehen, dass Shaqiri kaum Inputs liefern konnte und Derdiyok kaum Freude an so einem Spiel gehabt haben kann, in dem er in 90 Minuten etwa zwei Ballkontakte hatte (was immerhin für einen Pfostenschuss reichte).

Ist das jetzt die «neue» Schweizer Nati, die wir gesehen haben? Eine Mannschaft mit einer höchst pragmatischen Spielweise, die durch grosse Solidarität auf dem Platz besticht? Aufregung suchte man vergebens, und gleichzeitig nahm niemand eine dominante Rolle in Anspruch. Klar, Inler führte Regie, aber abgesehen davon riss niemand das Spiel an sich, führte lange den Ball oder verwarf die Hände, wenn das Zuspiel nicht kam. Selbst Derdiyok drehte brav da vorne in der Spitze einsam Däumchen, statt sich – wie es Alex Frei regelmässig in solchen Situationen machte – in die eigene Platzhälfte zurückfallen lassen, um mal wieder den Ball zu bekommen.

Vielleicht ist es gerade diese flache Hierarchie, die den Erfolg in Slowenien ermöglichte. Es brauchte kein Spektakel, sondern nur einen relativ nüchternen Auftritt einer Mannschaft, in der alle ihre Aufgaben kennen und sich strikt daran halten. Ein Spiel ohne Extreme, weder nach oben noch nach unten. Gepaart mit dem Wissen aus den Testspiel-Siegen gegen Deutschland und Kroatien, selbst gegen stärkere Mannschaften gewinnen zu können, wird daraus ein Team, gegen das nicht einfach zu spielen ist. Da ist kein Einzelspieler, den man einfach aus dem Spiel nehmen muss, da ist keine «starke» und «schwache» Seite. Da ist alles eher unaufgeregt und solid, und die Mannschaft scheint zu harmonieren und kann persönliche Eitelkeiten hintenan stellen.

So kann die Nati vielleicht keine Fussballästheten befriedigen, aber wie könnte man sich darüber beschweren, wenn die Resultate weiterhin stimmen? Auf ein temporeiches fussballerisches Feuerwerk werden wir in dieser Qualifikation mit Sicherheit vergebens hoffen. Aber mit den Möglichkeiten, die die Mannschaft hat, ist ein Auftritt wie in derjenige in Slowenien wohl der richtige Ansatz für eine erfolgreiche WM-Quali. Ich kann mich bloss noch nicht entscheiden, ob ich das jetzt gut finden soll oder nicht.

Die Nati stellt sich selber auf

Mämä Sykora am Donnerstag den 6. September 2012
War die Selektion je so einfach? Schweizer Nationalspieler umringen Ottmar Hitzfeld. (Bild: AFP)

War die Selektion je so einfach? Schweizer Nationalspieler umringen Ottmar Hitzfeld. (Bild: AFP)

In beinahe allen Ländern sorgt das Nationalmannschafts-Aufgebot jeweils für hitzige Diskussionen unter den Fussballfans. Warum ist dieser Spieler dabei, während jener konsequent ignoriert wird? Wäre es nicht doch besser, auf den einen formschwachen Stürmer zu verzichten, dafür jenem eine Chance zu geben, der momentan gross aufspielt? In der Schweiz hingegen wird das Nati-Aufgebot seit einiger Zeit nahezu emotionslos zur Kenntnis genommen. Es scheint, als hätten sich die Schweizer damit abgefunden, dass sich die Nati fast von selbst aufstellt. Um das 23-Mann-Kader irgendwie aufzufüllen, musste Ottmar Hitzfeld sein einstiges Credo – nur wer in der Meisterschaft zum Einsatz kommt, darf mit einem Aufgebot rechnen – längst über Bord werfen.

Immerhin: Bei Emeghara hat er dieses Prinzip noch angewendet. Vielleicht nutzte er es aber auch einfach als guten Grund, auf den schnellen Flügel zu verzichten, weil selbst er mittlerweile erkennen musste, dass dieser für höhere Aufgaben schlicht nicht genügt. Denn auch sonst tummeln sich einige Bankdrücker im Kader. Johan Djourous letzter Einsatz für Arsenal datiert vom 16. April, dennoch wird er gegen Slowenien in der Startaufstellung stehen. Reto Ziegler steht vor einer ungewissen Zukunft und spielt bei Juventus keine Rolle. Und Admir Mehmedi spielte von den bisherigen 1080 Minuten von Dynamo Kiew in dieser Saison erst eine einzige – in der Nachspielzeit gegen Borussia Mönchengladbach –, weshalb er sich auf die deutsche Transferliste setzen liess. Erfolglos.

Kamen zum Handkuss: Josip Drmic (2.v.l.) und Adrian Winter. (Bild: Keystone)

Kamen zum Handkuss: Josip Drmic (2.v.l.) und Adrian Winter. (Bild: Keystone)

Gleichzeitig kamen für die schon vorentscheidenden Partien gegen Slowenien und Albanien Spieler zum Handkuss, die ihre Nati-Tauglichkeit noch nicht über längere Zeit beweisen konnten. Adrian Winter war zweifellos eine der auffälligsten Figuren der letzten Saison, was aber nicht auch bedeutet, dass einer auch auf internationalem Parkett eine Bereicherung ist. Und bei Josip Drmic brauchte es nicht einmal mehrere überzeugende Partien bis zum ersten Aufgebot. Dass der FCZ-Stürmer ein grosses Talent ist, steht ausser Frage. Dass er hingegen bereits in die A-Mannschaft rückt, ohne sich zumindest für eine Weile in der U-21 bewiesen zu haben, ist überraschend, zeigt aber gleichzeitig ziemlich deutlich, dass die Auswahl valabler Kandidaten derzeit erschreckend gering ist.

Einer der einzigen, dessen Nichtbeachtung für Diskussionsstoff sorgen muss, ist GC-Youngster Steven Zuber. Seit drei Jahren Super-League-Stammspieler, seit zwei Jahren in der U-21 und derzeit in beneidenswerter Form. Gerade angesichts der Gegner, deren Defensivbollwerk nicht einfach zu knacken sein wird, ist ein technisch versierter Spieler mit der Fähigkeit, etwas Überraschendes zu kreieren, Gold wert. Dass Hitzfeld auf ihn verzichtet, ist für mich nicht nachvollziehbar.

So sehr ich mich auch anstrenge, mir kommen keine weiteren Namen in den Sinn, die die Schweizer Nati weiterbringen würden. Klar, ein Spielgestalter wie einst Hakan Yakin wünschen sich alle. Vielleicht wird Moreno Costanzo dereinst so einer sein, noch ist er nicht so weit. Pirmin Schwegler liefert bei Frankfurt regelmässig gute Leistungen ab, zu seinem Pech exakt auf der einzigen Position, für die gleich mehrere überdurchschnittliche Spieler infrage kommen. Aber sonst?

Täuscht das bloss? Ist es vielleicht nostalgische Verklärtheit, oder war die Selektion je so einfach wie zurzeit? Mit Zuber für Winter – die aber ohnehin beide nicht für die Startformation vorgesehen wären – wäre ich mit dem Aufgebot voll und ganz einverstanden, schlicht weil mir keine Alternativen einfallen wollen. Trotz den Erfolgen der U-17 und der U-21: Die Nati stellt sich selber auf. Ein gutes Zeichen ist das nie. Es ist zu hoffen, dass die Suche nach Alternativen nach den zwei Startspielen (vorübergehend) ohnehin überflüssig sein wird.

Die Luzerner Utopie

Mämä Sykora am Montag den 3. September 2012
Die Mannschaft des FC Luzern vor dem Spiel gegen Genk, 23. August 2012. (Keystone)

Nach der jetzigen Saison wird es eher keine Europa-Cup-Spiele geben: Die Mannschaft des FC Luzern vor dem Spiel gegen Genk, 23. August 2012. (Keystone)

Letzte Saison stand der FC Luzern nach 8 Runden an der Tabellenspitze, noch ohne Niederlage und mit lediglich vier Gegentoren. Nach der gestrigen Heimniederlage gegen die Young Boys findet sich der FCL mit nur 6 Punkten auf Platz 8 wieder, hat bereits eine Trainerentlassung hinter sich und nach dem derzeit erschreckenden Servette die meisten Tore kassiert. Wie hat es zu einem solchen Absturz kommen können?

Sinnigerweise fielen die ersten Niederlagen der letzten Saison just mit der Hakan Yakins Ankündigung zusammen, fortan bei Bellinzona «einen grossen Schritt in der Karriere» zu machen. Die Tabellenführung war Luzern bald darauf los, bis Saisonende wuchs der Rückstand auf Basel auf 20 Punkte. Dem zweiten Platz – die beste Klassierung seit Urzeiten – haftet zwar der Makel an, dass Sion mit Punktabzug bestraft und Xamax vernichtet wurde, aber dafür kann ja der FCL nichts. Vizemeister und Cupfinalist – nach einer solchen Saison gab es keinen Zweifel, dass man auf dem richtigen Weg ist in der Leuchtenstadt.

Und genau diese «falsche» Zuversicht ist mitverantwortlich für die derzeitige Baisse. Beim FCL war man sich wohl zu wenig bewusst, dass in der vergangenen Saison schlicht alles optimal gelaufen ist, und dass man nicht davon ausgehen kann, dass dies wiederum der Fall sein wird. Sinnbild dafür ist Adrian Winter, der zuvor kaum aufgefallen ist, aber die Saison seines Lebens spielte und es bis zum Nationalspieler brachte. Es wäre erfreulich, wenn er dieses Level halten könnte, es würde aber sehr erstaunen. Nicht nur die Leistungen von Winter, auch von der Platzierung liess man sich beim FCL wohl etwas zu sehr blenden und rechnete damit, auch dieses Jahr wieder vorne mitspielen zu können.

Immerhin einen Stürmer von Format haben sie geholt, sonst blieben die namhaften Zuzüge aus. Gleichzeitig liess man zwei wichtige Leute ziehen: Burim Kukeli und Nelson Ferreira. Während Kukeli mit Muntwiler einigermassen gleichwertig ersetzt wurde, vermisst man den wirbligen Ferreira, der einen grossen Anteil am letztjährigen Höhenflug hatte, schon jetzt schmerzlich. Die auffälligen Figuren fehlen in dieser Luzerner Mannschaft. Vieles sind solide Super-League-Spieler, einige über dem Zenit, aber ein Exploit ist mit diesen nur möglich, wenn wirklich alles stimmt und die Konkurrenz schwächelt. Überspitzt formuliert: Der Platz 2 in der letzten Saison war ein Ausreisser nach oben, jetzt stehen die Luzerner wieder da, wo sie mit dieser Mannschaft einzuordnen sind. Nun ja, vielleicht ein bisschen zu tief.

Murat Yakin wollte mit dem Verein einen Schritt nach vorne machen, drängte auf Transfers, wurde aber so oft vom früheren Präsidenten Stierli und dem neuen Sportchef Hermann ausgebremst, bis er die Lust verlor. Er müsse «irgendwelche Challenge-League-Spieler reaktivieren», beklagte er sich. Nach der Niederlage gegen GC wurde er freigestellt. Die Ansprüche von Yakin seien zu hoch gewesen für die finanziellen Möglichkeiten des Vereins, «ein zu grosses Paar Schuhe», wie es Stierli ausdrückte.

Es gibt einige Widersprüche beim FCL. Da gibt es ein neues, gut besuchtes Stadion, reiche Investoren, endlich wieder Europacup-Spiele – und doch wagt man keine etwas grösseren Sprünge und kokettiert mit der Bescheidenheit. Zu viel darf man anscheinend nicht wollen beim FCL, auf Platz 8 stehen geht hingegen natürlich auch nicht. Kurz: Jede Saison soll genau so laufen wie die letzte. Eine Utopie.

«Der Verein hat seine Strategie», sagte Heinz Hermann nach der Entlassung von Yakin. Wenn diese tatsächlich heisst, mit dem aktuellen Kader ohne zusätzliche Investitionen längerfristig um die Europacup-Plätze mitzuspielen, dünkt mich diese Strategie etwas naiv. Beim FC Luzern sollte man sich selbst demnächst über die Ambitionen klar werden. Ist man wirklich bereits zufrieden mit einer «durchschnittlichen» Mannschaft, die alle paar Jahre eine Topplatzierung erreicht, oder will man das gute Umfeld, die neuen Möglichkeiten, das Schwächeln der ehemaligen Liga-Schwergewichte und die Euphorie um das neue Stadion nutzen, um zumindest zu versuchen, die Lücke nach oben etwas zu schliessen, sich vielleicht gar als zweite oder dritte Kraft der Liga etablieren? Nie wäre der Zeitpunkt besser gewesen als auf diese Saison. Schade um die verpasste Chance.

Die Grenzen des FCB

Mämä Sykora am Samstag den 1. September 2012
FC Basel's Gaston Sauro, Fabian Frei, and Alexander Frei, from left, reacts after the UEFA Champions League Playoff soccer match between CFR Cluj and FC Basel in Cluj, Romania, Wednesday 29 August 2012. (KEYSTONE/Urs Flueeler)....

Enttäuschte FCB-Spieler nach dem Spiel in Rumänien: Gaston Sauro, Fabian Frei, Alexander Frei und Jacques Zoua (v.l.n.r.) in Cluj, 29. August 2012. (Foto: Keystone)

Der Elfmeter hätte die Hoffnung noch einmal zurückbringen können. Doch Alex Frei traf für einmal nicht vom Punkt, weitere Torchancen gab es nicht, und so hiess es zwar zum Schluss 65:35 Prozent Ballbesitz, aber eben 0:1 nach Toren. Basel verlor zweimal gegen CFR Cluj, statt 10,3 Millionen Franken Startprämie (plus grosszügige Punkteprämien) gibt es für den FCB nun lediglich einen Zehntel davon in der Europa League. Die grossen Partien gegen Manchester United in der Königsklasse bleiben diese Saison den Rumänen vorbehalten.

Auch wenn FCB-Präsident Bernhard Heusler stets weitsichtig betonte, man sei nicht so verwegen, mit den Champions-League-Millionen zu budgetieren, ist das Aus bestimmt auch für ihn eine grosse Enttäuschung. Nur ein Jahr nach den gloriosen Auftritten in der Königsklasse und dem Aufstieg in die zweite Runde scheiterte der FCB an einem Gegner, den die UEFA in ihrem Team Ranking zwischen Slavia Prag und Anorthosis Famagusta führt. Das kann nicht der Anspruch des FCB sein, aber es ist nun mal der Fluch einer kleinen Liga mit einem Dominator und nationaler Konkurrenz, die selten Punkte für die 5-Jahres-Wertung sammelt. Selbst nach der Champions-League-Reform bleibt die Qualifikation eine Hürde. Zwar trifft der Schweizer Vertreter auf dem Champions-Weg nicht auf grosse Namen, aber auch wenn das hierzulande gerne vergessen geht: Nicht nur in der Schweiz werden Fortschritte gemacht, sondern auch in Dänemark, Moldawien, der Ukraine oder eben in Rumänien.

Die Auftritte des FCB in Europa in den letzten Jahren sind zweifellos beachtlich. Ob die Selbstwahrnehmung des Vereins jedoch mit derjenigen in Rest-Europa übereinstimmt, muss dennoch infrage gestellt werden. Für Furore sorgten bei den letzten Austragungen nämlich auch Klubs wie der FC Kopenhagen, APOEL Nikosia, Unirea Urziceni oder BATE Borissow. Welche Exploits man am ehesten wahrnimmt, hat mit der geografischen Nähe zu tun. Einem skandinavischen Fan ist vielleicht nur der Sieg des FCB über Manchester noch in Erinnerung, die wenigsten aber sehen Basel an der Schwelle zu Europas Topteams, während dies für einige beim FC Kopenhagen der Fall ist. Je mehr man mitbekommt, je mehr berichtet wird, desto stärker erscheint der Verein. Dies führt nicht selten zu etwas übersteigerten Erwartungen bei gleichzeitiger Geringschätzung der unbekannten Gegner.

Cluj-Spieler Cadu kämpft mit Marco Streller um den Ball. (Foto: Keystone)

Die Super League scheint ein Knüppel zwischen den Beinen des FCB zu sein: Cluj-Spieler Cadu kämpft mit Marco Streller um den Ball. (Foto: Keystone)

Natürlich würde der FCB gerne nicht nur im UEFA-Ranking weiter steigen, sondern auch als einer der erweiterten Top-Adressen in Europas Klubfussball wahrgenommen werden. Doch kann der FCB dieses Ziel überhaupt erreichen? Mit dem gegenwärtigen System und der wenig stabilen Position der Schweiz in der 5-Jahres-Wertung kann der Verein nicht längerfristig mit den Champions-League-Millionen rechnen, denn immer droht das Aus in der Qualifikation wie dieses Jahr. Und selbst wenn eine regelmässige Teilnahme gesichert wäre, garantiert dies noch nicht den Anschluss an die Teams aus grösseren Ligen. Bestes Beispiel dafür ist Rosenborg Trondheim, das 13 Mal in Folge norwegischer Meister wurde und zwischen 1995 und 2003 ununterbrochen (!) in der Champions League (u. a. mit Siegen über Real, Milan und Dortmund) vertreten war, seither aber nur noch zweimal den Sprung in die Gruppenphase schaffte. Den Traum von der Zugehörigkeit zur Europas Elite musste man im hohen Norden begraben, in der Depression musste sich Rosenborg gar im nationalen Championnat Vereinen wie Våleranga, Brann, Stabæk oder wie letztes Jahr Basels Quali-Gegner Molde den Vortritt lassen.

Mehr als die Norweger kann ein Schweizer Verein kaum erreichen, dafür ist die Lücke zu den Top-10-Nationen zu gross. Von denen sammeln jedes Jahr diverse Vereine fleissig Punkte und konsolidieren den Platz in der 5-Jahres-Wertung, was deren Spitzenteams mehr Möglichkeiten bietet, denn der Geldfluss aus dem Europacup ist garantiert – ganz abgesehen davon, dass auch Sponsoren- und TV-Gelder deutlich grosszügiger ausfallen. Insofern kann man sagen, dass der Rest der Liga Basels Wachstum behindert. Denn so wie die Dinge jetzt stehen, kann der FCB nicht über den einstigen Status von Rosenborg Trondheim heraus kommen. Und selbst dies ist nur möglich, wenn jedes Jahr die Abgänge gut kompensiert werden und die Mannschaft stark genug ist, um Gegner wie eben Cluj aus dem Weg zu räumen. Klappt das über mehrere Jahre nicht, drohen die gleichen Probleme wie anderen Vereinen, die für die nationale Meisterschaft eigentlich «zu gut» sind. Rosenborg-, Ajax- und Celtic-Fans können davon ein Liedchen singen.

Tschüss und Danke, Ludo!

Mämä Sykora am Mittwoch den 29. August 2012


Es war letztlich nur noch eine Vollzugsmeldung, die unter «Nachrichten in Kürze» auftauchte. Ludovic Magnin beendet seine Aktivkarriere. Wegen Rückenproblemen. Dabei wissen alle, dass mehr dahinter steckt als körperliche Beschwerden. Denn Magnin kam aus der Bundesliga zum FC Zürich und hätte mit seiner Erfahrung und seinem Ehrgeiz seine jungen Mitspieler zu Höchstleistungen anstacheln sollen, damit die Mannschaft den Rivalen aus Basel wieder fordern kann. Es kam, wie man weiss, ganz anders. Magnin wurde von einem Nachwuchsspieler auf die Bank verdrängt; wenn er denn mal spielte, dann unterliefen ihm teils grobe Fehler, seinen Hang zu lamentieren behielt er dennoch bei. Er war für viele Fans ein Ärgernis, ein Missverständnis. Und ein teures noch dazu. Mit seinem Lohn hätte man sich gleich mehrere Verstärkungen leisten können.

Der Ärger war nachvollziehbar. Für Magnin selber sowieso. Als ich Anfang Jahr ein Gespräch mit ihm führte (siehe ZWOELF #28), war er sich sehr wohl bewusst, dass seine Leistungen nicht genügen konnten. Er akzeptierte seine Rolle als Ersatzspieler, ohne gleich zu resignieren. Er wollte der Mannschaft dennoch helfen, mit Ratschlägen und Aufmunterungen. Er wollte derjenige sein, «der sagt, was Sache ist». Genau danach hat der FCZ gesucht, nur klappte dies nicht wie gewünscht. Weil einer, der nicht mal spielt, den nimmt niemand wirklich ernst, wenn er auf den Tisch haut. Diese Kluft zwischen den Ansprüchen von Fans und sich selber und dem, was er zu leisten imstande war, hat Ludovic Magnin letztlich dazu bewegt, seine Karriere zu beenden. Es war ein weiser Entschluss.

«Neben dem Platz war ich der Captain»

Den Schweizer Fussballfans soll nämlich nicht jener Magnin in Erinnerung bleiben, der beim FCZ verzweifelt seine Form suchte, sondern jener, der zu den erfolgreichsten Schweizer Bundesliga-Exporten der Geschichte zählt. Meister und Cupsieger mit Bremen, Meister mit Stuttgart, Stammspieler, Nationalspieler. Seine Rushes brachten in Verein und Nationalmannschaft den so oft benötigten Überraschungsmoment. Wer erinnert sich noch an dieses verkorkste Spiel gegen Zypern in der WM-Quali 2006? Nichts ging bei den Schweizern, es stand 0:0, alle beschwörten Köbi Kuhn, mehr Stürmer zu bringen. Zum Entsetzen aller nahm Kuhn jedoch Spycher raus und brachte Magnin. Kurz darauf brach dieser in der ihm eigenen Art – einer seltsamen Mischung aus ungestüm und filigran – auf links durch, brachte die erste gute Flanke der Partie rein und schon hiess es 1:0. Dafür liebten ihn seine Fans, denn auch seine Einsatzfreude war vorbildlich, selbst wenn er sich dann und wann eine unnötige Gelbe Karte wegen Reklamierens abholte. Vom Platz geflogen ist er hingegen deswegen nie, wie er gerne betont.

«Ludo» wusste, was er konnte und was nicht. Ungeniert erzählte er mir, wie er zu Beginn bei Bremen heillos überfordert war mit dem Tempo und vor allem mit Training am Ball. Er beschränkte sich auf seine Stärken, und die kamen auch neben dem Platz zur Geltung. Zweimal holte er sich mit Überraschungsmannschaften die Schale, dafür musste es innerhalb der Mannschaft stimmen. Und darin war er besonders stark. «Neben dem Platz war ich der Captain», sagte er über seine Zeit in Stuttgart. Er sorgte dafür, dass der Spass nicht zu kurz kam. Über seine Streiche mit Mario Gomez existieren die wildesten Gerüchte.

«Der Spass muss im Vordergrund stehen»

Ein bisschen Verrücktheit ist für Magnin einer der Schlüssel für den Erfolg. Entsprechend wenig anfangen kann er mit den aalglatten Jungprofis: «In diesen Ausbildungszentren werden die Jungen heute sehr früh in gewisse Schienen gelenkt. Das heisst: keine Tattoos, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Ausgang, um 22 Uhr ins Bett. Und das geht mir auf den Keks. Wie soll ein Charakter geformt werden, wenn man den Jungen keine Selbstverantwortung überträgt? Auch wenn die Jungen sicher taktisch und technisch viel besser sind als wir früher: Ich sehe oft nicht, dass sie Spass am Fussball haben, und der muss im Vordergrund stehen.»

Der Spass ist nun auch Ludo abhanden gekommen. Er konnte auf dem Platz nicht mehr jener Magnin sein, der eine Mannschaft weiterbringt. Und auch daneben waren seine Qualitäten nicht mehr gefragt. Der FCZ hat einen grossen Umbruch hinter sich und wagt einen Neuanfang mit unzähligen neuen Spielern. Da passt ein alternder, teurer Linksverteidiger, der seine Mitspieler auch als Freunde haben will, schlicht nicht rein. Nun widmet er sich der Ausbildung des Nachwuchses. Ich hoffe schwer, Ludo kann dem einen oder anderen jungen Spieler etwas von seiner Freude und seiner Verrücktheit einimpfen. So einen wie ihn in Top-Verfassung bräuchten nämlich noch so einige Mannschaften. Danke für alles, Ludo!

Dringend gesucht: Aussenverteidiger

Mämä Sykora am Donnerstag den 23. August 2012
Cluj-Spieler Sougou feiert seinen Treffer. Im Hintergrund: Basels Aussenverteidiger Joo Ho Park.

Die Position des linken Aussenverteidigers ist beim FC Basel nicht optimal besetzt: Cluj-Spieler Modou Sougou feiert seinen Treffer. Im Hintergrund steht etwas verloren Basels Aussenverteidiger Joo Ho Park, 21. August 2012. (Foto: Keystone)

Nein, fürs Bewerbungsvideo taugt das Spiel gegen Cluj für den Basler Aussenverteidiger Joo Ho Park wahrlich nichts. Beim Ausgleich sieht er von Moudou Sougou nur die Absätze, bei dessen zweiten Tor steht er ziemlich im Schilf, und kurz vor Schluss kann er den Senegalesen gleich noch einmal nicht am Torschuss hindern, zum Glück für ihn knallte der Ball an den Pfosten. Nicht zum ersten Mal wurden dem Südkoreaner die Grenzen aufgezeigt. Der FCB, der mit den Transfererlösen von Shaqiri und Xhaka andere Mannschaftsteile verstärkte, warten für links hinten weiterhin auf einen ähnlichen Coup, wie es einst der Kameruner Thimothée Atouba war, der bei Basels erster Champions-League-Kampagne dabei war.

Der heute vereinslose Atouba, an dem sich einige Trainer die Zähne ausbissen, wurde 2004 für 6 Mio. Franken an Tottenham verkauft – das Elffache dessen, was der FCB zwei Jahre zuvor an Xamax überwiesen hatte. Denn gute Linksverteidiger werden kaum häufiger gesichtet als Nessie oder Bigfoot. Dass sie ebenso intensiv gesucht werden, ist verständlich. Es gilt bei den Fabelwesen wie bei den Fussballern: Wer einen entdeckt, macht den grossen Reibach. Und natürlich braucht es in beiden Fällen nicht viel zur Sensation. Verwackelte Fotos, auf denen höchstens Umrisse zu sehen sind auf der einen Seite, auf der anderen sind es laufstarke Teenager, die ab und dann eine Flanke in den Strafraum bringen.

Kaum eine Position hat sich im Laufe der Zeit so sehr verändert wie diejenige hinten auf der Seite. Waren in 80ern Aussenverteidiger noch fast ausschliesslich mit Zerstörungsaufgaben betraut, war Andreas Brehme beim deutschen WM-Titel 1990 schon eine der prägendsten Figuren. Erst in der Folge nutzten die Mannschaften die Freiheiten, die sich auf jener Position bieten. Das Fehlen eines direkten Gegenspielers, der sich bietende Raum beim Aufbauspiel und das meist offen stehende Couloir verlangt nun nach Schnelligkeit, Übersicht, Technik und natürlich präzisen und harten Flanken sowie weiterhin defensiver Stabilität. Fähigkeiten, die in dieser Kombination so selten sind, dass selbst erste Ansätze davon bei Schweizer Fussballern schon für Auslandtransfers reicht: Jonas Elmer ging mit 17 zu Chelsea, Arnaud Bühler versuchte es bei Sochaux, Rolf Feltscher seit zwei Jahren beim FC Parma – der Durchbruch gelang ihnen wie vielen anderen nie. Selbst Bernt Haas und Bruno Berner reichte es in grosse Ligen.

Ihnen werden weitere folgen. Denn während das Risiko gering ist, sind die potenziellen Gewinne im Falle eines Leistungssprungs phänomenal. Lichtsteiner steht vor einem Wechsel zu PSG für kolportierte 15 Millionen, Reto Ziegler brachte es über Umwege bis zu Juventus. Und in England fliessen selbst für «full-backs» fern der Weltklasse groteske Summen. Der heute 26-minütige Nationalspieler und damals 28-jährige Stephen Warnock war Aston Villa 13 Millionen Franken wert, für Glen Johnson blätterte Liverpool fast 30 Millionen hin.

February 22, 2012. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Gute Aussenverteidiger sind sehr teuer: Joo Ho Park verteidigt gegen Bayern-Spieler Robben, 22. Februar 2012. (Foto: Keystone)

Angesichts dieser Unsummen ist es verständlich, dass für den FCB nur «Brosamen» übrig bleiben. Erstaunlich ist hingegen, dass dieser Mangel an Aussenverteidigern überhaupt herrscht. Dass es auf der linken Seite hapert, erklärt sich von selbst: Während Offensivkräfte unabhängig von ihrem Spielfuss eingesetzt werden können, bestimmt der Spielfuss in der Defensive nach wie vor fast immer die Seite. Und Linksfüsser gibt es nun mal wenige. Der Vorteil, in die Mitte ziehen zu können und mit dem starken Fuss den Abschluss zu suchen, bringt einem Defensivspieler wenig, wenn er gleichzeitig bei Klärungsversuchen stets falsch zum Ball steht. Dass es auch auf rechts kaum besser aussieht, ist damit zu begründen, dass die Position noch immer so unterschätzt wird. Wer technisch und spielerisch auf der Höhe ist, spielt schon in der Jugend in der Offensive, physisch starke Kämpfer verteidigen zentral oder sichern das Mittelfeld ab. Wer beides nur halb vereint, wird «Aussenbilly». Und so lange es im internationalen Fussball nur so wenige dominierende Spieler gibt wie Dani Alves, Maicon oder Sergio Ramos, wird das auch so bleiben. Dabei wäre es gerade für Schweizer Vereine höchst ratsam, schon früh die besten Junioren zu Aussenverteidigern auszubilden. Es winken fabulöse Transfererträge und der FC Basel, der sonst praktisch auf jeder Position ein Eigengewächs bereit hält, müsste nicht länger die ganz Welt abgrasen, nur um statt eines neuen Atoubas «nur» einen Park zu finden.